Draußen ist es hell. Sehr hell. Erwartet und überraschend zugleich.
––Gregor fährt den Wagen von der Rampe. Abwärts.
––Italien entsteht. Der Stil der Häuser, die Aufschriften. Erste staubige Palmen.
––Sie gleiten hinein in das Paradies der Urlaubsziele und Ruhesitze. Aus Armseligkeit wird Farbe. Verfallenheit wird malerisch. Es liegt an den Fensterläden, den Kübeln mit Gewächsen, der weißen Sonne, dem blauen Himmel.
––„Das ist unwahrscheinlich“, sagt Mark. „Das ist überwältigend.“
––„Manchmal ist es umgekehrt“, sagt Gregor. „Dann ist hier schlechtes Wetter und drüben scheint die Sonne.“
––„Wir haben eben Glück gehabt.“ Mark strahlt.
In Bellinzona wechseln sie.
––Gregor öffnet das Seitenfenster. „Du sollst selbst in Lugano einfahren.“
––„Ich weiß nicht mehr, ob ich mich drauf freue“, sagt Mark, aber es klingt unbekümmert.
––„Du kannst nicht ein paar Tage mit mir ans Meer kommen, nicht?“, fragt Gregor.
––„Es geht nicht“, antwortet Mark.
––„Wegen Iris?“
––Mark nickt.
––„Willst du sie heiraten?“
––Mark geht ziemlich ungeschickt in die Kurve. „Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht. Es gehört irgendwie dazu. Aber eigentlich ist es Quatsch. In zehn Jahren braucht man das vielleicht nicht mehr.“
––Gregor lächelt.
––Sie gleiten stumm durch schöne Landschaft.
Hügel, Villen, sauberer Süden.
––Mark lenkt den Wagen an den Straßenrand und hält. „Fahr du lieber!“, sagt er. „In der Stadt bin ich etwas unsicher.“
––Sie steigen um.
––„Du wirst Iris mögen“, sagt Mark.
––„Ich hab’ mir überlegt, ich will gleich weiter“, antwortet Gregor, „zum Meer.“
––„Ach!“ Mark stockt. „Sofort?“
––Gregor nickt. „Ja. Ich will heut’ noch bis Genua kommen, bevor es dunkel wird.“
––„Aber du musst sie kennenlernen, ganz kurz nur. Bitte!“
––Gregor zögert. „Gut“, sagt er kurz. „Wie heißt das Hotel?“
––Mark nennt den Namen.
––Gregor kennt es. Er findet es ohne Schwierigkeiten.
––Sie parken. Mark nimmt seinen Koffer.
––Groß und weiß liegt das Hotel am See.
––Sie gehen vorbei an ein paar Schaufenstern. Wohldrapierte Auslagen.
––Promenade, Blüten, Autoschlangen. Tessin und Großstadt in Harmonie. Ein Glanz: Reichtum der City und des Panoramas.
––„Du musst mich unbedingt besuchen in Hamburg!“, sagt Mark.
––„Sicher“, sagt Gregor, „du mich auch. Wir werden uns sehen.“
––Sie treten in die Halle. Eine lächerliche Ehrfurcht erfasst Mark. Er sieht sich um: Marmor, Stuck und Polster. Gregor bleibt zurück, während er an den Empfang tritt. „Ist Fräulein Söllner da?“, fragt er.
––„Fräulein Söllner hat heute frei. Ich werde sehen, ob sie in ihrem Zimmer ist. Wie ist Ihr Name?“
––„Gernau. Mark Gernau.“
––„Einen Augenblick, Herr Gernau.“ Der Portier telefoniert.
––„Wenn sie nicht da ist“, denkt Gregor, „was passiert, wenn sie nicht da ist?“
––Der Portier spricht ein paar Worte ins Telefon und wendet sich dann wieder an Mark. „Fräulein Söllner kommt gleich.“
––„Danke!“ Mark nickt und geht zu Gregor. „Sie ist gleich da.“
––Sie stehen schweigend nebeneinander.
Eine junge Frau tritt aus dem Fahrstuhl und sieht sich um. „Das ist sie!“, sagt Mark.
––Gregor ist erstaunt. Sie ist nicht hübsch. Sie ist hässlich. Sie ist richtig hässlich. Aber trotzdem. Diese Selbstsicherheit. Der Gang, die Bewegungen, das Lachen, während sie auf ihn zukommt, der Überschwang, mit dem sie Mark umarmt, die Intelligenz des Gesichtsausdrucks, der Chic der Kleidung. Gregor hat sie sich anders vorgestellt, unbedeutender, hübscher, ein niedliches Nichts. Er ist verwirrt.
––„Das ist Gregor“, erklärt Mark.
––„Guten Tag“, Iris strahlt; Gregor auch.
––„Gregor hat mich mitgenommen von Hamburg.“
––„Ach! Hatten Sie den gleichen Weg?“
––„Eigentlich wollte er nach Travemünde“, sagt Mark.
––Iris sieht Gregor erstaunt an. „Woher kennt ihr euch denn? Du hast mir nie etwas von Gregor erzählt.“
––„Nein, konnt’ ich auch nicht“, erklärt Mark fröhlich, „ich habe ihn ja erst gestern an der Autobahn getroffen.“
––Iris ist verstört. „Ich verstehe nicht ganz … Aber wir sollten hier nicht so rumstehen. Wollen wir irgendwo etwas trinken?“
––Gregor macht eine leichte Verbeugung. „Vielen Dank“, sagt er, „das ist eine sehr nette Idee von Ihnen. Aber ich muss gleich weiter.“
––„Wie schade!“ Iris lächelt hilflos.
––„Passt du auf meinen Koffer auf?“, fragt Mark. „Dann bring ich Gregor schnell zum Wagen zurück. Ich wollte nur, dass ihr euch kennenlernt.“
––Gregor und Iris nicken sich zu. Das Einzige, was sie bindet, trennt sie, und das Einzige, was sie tun können, ist, Mark den Triumph zu versagen, Eifersucht zu zeigen.
Titel- und Abschlussgrafik mit Material von Shutterstock: studioloco (Kopf Mann re.), LightField Studios (Körper Mann re.), LifetimeStock (Frau), SimonePolattini (Hotel), Roman Samborskyi (Mann. li), autsawin uttisin (Papier) | Perekotypole (Koffer)
Dass sich da wohl nun der unvermeidliche Abschied ankündigt, macht einen fast traurig.
Ob Gregor einfach wieder losfährt? Fast kann man es sich nicht vorstellen.
Es wäre doch ein logisches Ende. Was die zwei erlebt haben reicht doch eigentlich.
Man will doch immer mehr als man bekommt. Aber als Außenstehende finde ich die Erlebnisse der Beiden auch schön.
Das Angebot gemeinsam ans Meer zu fahren gan es ja. Man muss auch wissen wann etwas vorbei ist.
In (schlecht) ausgedachten Erzählungen kann man ja noch alles Mögliche erwarten, in der Wirklichkeit eher nicht.
Aber was ist denn nun mit Iris? Sie bleibt ein Mysterium?
Das ist jetzt ein wenig gemein formuliert, aber so wirklich wichtig ist sie für die Erzählung eben nicht.
Sie ist eindrucksvoll hässlich. Das muss reichen.
Haha! Ja das mag wohl sein.
Trotzdem bleibt mir die Idee, dass Mark wollte, dass sich die Beiden kurz kennenlernen, sehr sympathisch.
„Best of both worlds“. Schwer zu erreichen.
Man kann ja träumen…
Man muss sogar! Das ist ja quasi Lebensnotwendigkeit!
Träume haben, Träume behalten, Träume verwirklichen – ganz unterschiedliche Dinge.
Ich bleibe dabei: wie alle drei in dieser Geschichte agieren macht Freude. Ein gutes Beispiel zum Fest der Liebe.
In diesem Sinne möchte ich auch noch einmal „Frohe Weihnachten“ an Herrn Rinke und die Blogleser schicken 🎄
Bevor es zu spät ist auch von mir FROHE WEIHNACHTEN!
Man kann ja allmählich schon anfangen, ein ‚gutes neues Jahr‘ zu wünschen. Besser als das vergangene wäre auch schon nett. Die nächste Corona-Variante, steigende Inflation, Einmarsch der Russen in die Ukraine wären weniger gefragt.
Mein persönliches 2021 war zum Glück gar nicht so schlecht. Aber man kann sich wirklich nur ein Ende der Pandemie wünschen. Es wäre wirklich Zeit.
Höchste Zeit, aber ich fürchte es kommen noch 2-3 Varianten bevor wir wieder unbedarft leben können.
Endgültig ohne Corona wird es genauso wenig geben wie ganz ohne Grippe bei uns oder ganz ohne Malaria in Afrika. Die Aussicht, die Maske unterwegs nie mehr los zu werden, fände ich allerdings quälend.
Oh nein, das wäre wirklich eine traurige Zukunftsvorstellung. Die Masken sollten ja ein Vorsichtsmaßnahme bleiben. Nicht zur Normalität im Leben werden.
Mark ist ja fie ganze Geschichte durch völlig überzeugt, dass sich Gregor und Iris mögen werden. Ist das Wunschdenken? Provokation? Naivität?
Und er scheint ein kleines Bisschen überrascht zu sein, das Gregor wirklich so schnell weiterreisen will.
Was soll man in so einem Moment auch sagen?! Der Abschied war doch unausweichlich.
Nun ja, das ist dann aber meistens genau wie im Einleitungssatz dieses Kapitels: erwartet und überraschend zugleich.
Wir möchten doch immer, dass unsere Freunde sich auch untereinander mögen. Dann sind wir erstaunt, wenn das nicht klappt. Manchmal sind eben wir selbst der kleinste gemeinsame Nenner einer Beziehung: Weise, wer das einsieht und nicht das Unmögliche versucht.
Deshalb bin ich immer nervös wenn ich Freunde untereinander vorstelle(n muss). Es ist ja doch etwas unangenehm wenn da anstelle von Sympathie eher Unverständnis vorhanden ist.
Man kann auch Menschen miteinander bekannt machen, die dann heiraten. Mit etwas Glück ist man gerade noch als Trauzeuge gefragt.
Es soll ja auch Menschen mit goldener „Kuppel-Hand“ geben. Lieber ist mir allerdings wenn sich meine engen Freunde einfach genauso gern haben, wie ich sie.
wie schade. ich hätte gregor und mark noch eine ganze weile ‚beobachten‘ können.
Na vielleicht ist das Schöne an der Begegnung gerade, dass sie so flüchtig ist. Und dass sie an keine Verpflichtungen gebunden ist.
Noch Appetit zu haben, fühlt sich besser an, als satt zu sein. Aber jemanden zu vermissen, ist weniger schön, als ihn/sie bei sich zu haben.
Da unterscheidet sich die Emotion als Leser wohl auch wieder von der der Akteure.
Ha! Manchmal meint hübscher auch unbedeutender bzw. andersherum. In der Tat.
Wer hübsch brav bleibt, muss höhere Ziele aufgeben. Und ‚hübsch‘ altert schlechter als schön und hässlich.