Ein Mann kam ums Haus, nickte Christoph zu und sagte etwas auf Spanisch. Er war etwa dreißig, hatte ein freundliches, unbedeutendes Gesicht und eine gedrungene Gestalt. Sein Arbeitsanzug ließ darauf schließen, dass er Handwerker war.
––„Un momento, por favor!“, sagte Christoph, sprang auf und lief in die Küche, wo Carola und Maria über Holzbretter gebeugt standen und Gemüse hackten. „Ich glaube, dein Klempner ist da!“
––Carola ließ das Messer fallen. „Oh“, sagte sie erstaunt. „Wo?“
––„Im Garten.“
––Sie kam hinter Christoph her, nachdem sie ihre Schürze auf den Küchentisch geworfen hatte. Als sie auf die Terrasse kam, lachte sie, und es schwangen Bedauern und Erleichterung darin. „O nein, das ist der neue Gärtner“, sagte sie. Sie wies nach dem Oleander in der hinteren Ecke des Gartens und erklärte dem Mann etwas auf Spanisch.
––Er nickte respektvoll, „Si, Señora.“ Dann drehte er sich um und trottete auf die Sträucher zu.
––„Eusébio ist fabelhaft“, erklärte Carola kurz, bevor sie wieder im Haus verschwand.
––Christoph legte sich zurück auf den Liegestuhl.
––Der Gärtner begann, an ein paar Ästen zu schnippeln.
Von fern hörte man Klopfen und Hämmern. Häuser wurden gebaut. Die Siedlung wuchs. Und gab es auch kein Zentrum, so wurde es doch ein wunderschöner Vorort. Jetzt klapperte Geschirr. Teller wurden aufgedeckt, und kurz darauf rief Carola: „Kommst du zu einem kleinen Imbiss? Richtig essen tun wir erst abends.“
––Christoph erhob sich schwerfällig.
––Chico begann mit dem Schwanz zu wedeln und öffnete das Maul.
––„Pst!“, machte Christoph.
––Der Hund legte den Kopf zur Seite.

Auf dem Tisch standen ein Brett mit Wurst – Chorizo, Salchichón – und ein Brett mit Käse: Manchego, Payoyo.
––Christoph kannte die Namen nicht, aber Carola ließ sie sich auf der Zunge zergehen. Tomaten, Weißbrot, Oliven, ein großer, grüner Krug Wein.
––„Das sieht ja prächtig aus!“, rief Christoph.
––Carola strich ihm übers Haar. „Komm, setz dich hier!“, sagte sie und wies auf einen der weißen Stühle.
––Die Teller, Gläser und Bestecke funkelten in der Sonne, aber unter der Markise war es angenehm schattig.
––Christoph griff nach einer riesigen Tomate und teilte sie auf seinem Teller in zwei gleiche Hälften. „Du hast es wirklich wie im Himmel“, sagte er, während er ihr das Glas voll Wein goss. „Vor allem dieser Garten.“
––„Ja, es ist schön, hier zu leben“, antwortete sie bestimmt. „Die Zeit der kleinen Gänseblümchen ist für mich vorbei. Hier unten ist alles voll und üppig, das ganze Jahr hindurch. Darum hab’ ich das Haus auch behalten und bin nicht nach Deutschland zurückgegangen. Ich hatte keine Lust mehr, auf den Frühling zu warten. Und jetzt brauche ich nicht mehr auf den Frühling zu warten.“
––Er senkte den Kopf, zerkrümelte ein Stück Weißbrot und nickte.
––Nach einer Weile kam Maria, um den Tisch abzuräumen.
––„Entschuldige, dass es heut’ so ein bisschen gehetzt zugeht“, sagte Carola, „aber Maria will nachher ihren Bruder besuchen. Ich hab’ ihr freigegeben.“ Sie lachte resignierend. „Immer wenn man mal eine Ausnahme macht, passt es eigentlich nicht.“
––„Oh, wir kommen doch wunderbar ohne sie aus“, sagte Christoph.
––„Jaja, und sie ist wirklich fleißig. Sie hat es aber auch gut bei mir. Sie findet Anerkennung, und dafür ist sie dankbar. Die Esmeralda bei der Baronin Nerrau ist ganz unglücklich. Nie hört sie ein lobendes Wort, immer nur Klagen. Bis nach elf muss sie abends servieren. Morgens um sieben führt sie schon den Hund aus. Neulich hat die Enkelin der Baronin einen Eimer voll Sand ins Wohnzimmer geschüttet, und als Esmeralda schimpfte, krähte die Kleine: ‚Mein Papi zahlt alles – und dich auch!‘ Die Baronin erzählte es mir strahlend. Ach schrecklich! – Maria!“ Sie wandte den Kopf zum Haus hin und rief noch mal: „Maria!“
––Das Mädchen kam hastig herausgelaufen und nahm ein paar kurze Befehle entgegen. „Si, Señora“, antwortete sie und verschwand im Zimmer.
––Carola hob den Kopf und richtete die geschlossenen Augen nach der Sonne.
––Maria brachte Zigaretten und Streichhölzer und ging zurück ins Haus.
––„Rauchst du?“, fragte Carola Christoph.
––„Nein danke, höchstens abends.“
––„O Gott!“, sagte Carola, „Grundsätze.“
––„Nein“, antwortete Christoph, „Widerwillen.“

Der Gärtner kam zur Terrasse. Er hatte offenbar seine Arbeit beendet, sagte aber noch irgendetwas, bevor er sich verabschiedete.
––Carola schüttelte den Kopf. „Das ist doch zu ärgerlich! Der Wasserhahn an der Garage funktioniert nicht. Wir können den einen Teil des Gartens nicht sprengen, und der Klempner lässt mich sitzen.“
––„Vielleicht musst du ein Verhältnis mit den Leuten anfangen, die du sehr nötig brauchst, damit sie häufiger kommen.“
––Carola lachte etwas geziert. „Du bist verrückt.“
––„Keine gute Idee? Entschuldige!“ Er seufzte. „Ich habe eben noch zu viele Puberteln im Blut, darum werde ich nicht erwachsen.“ Er trank einen Schluck Wein. „Aber ich möchte trotzdem wissen, was die Handwerker hier gegen die grünen Witwen tun.“
––Carola sah ihn scharf an. „Wie meinst du das? Glaubst du, dass sich die Frauen hier mit den Arbeitern einlassen?“
––„Warum nicht?“, fragte Christoph.
––Carola zuckte leicht befremdet die Schultern. „Wenn so etwas überhaupt vorkommt, dann ist das sicher eine … Eine ganz kurze Sache … Aber ich glaube, eigentlich gar nicht. Man sieht sie doch gar nicht als Männer; das sind eben … Hilfskräfte.“
––„Wobei?“ Christoph lächelte. „Die alleinstehenden Frauen behandeln hier wohl die Einheimischen, wie man es in Deutschland vielen Männern nachsagt: Das andere Geschlecht dient zum Verschleißen.“
––Carola betrachtete Christoph irritiert. Er war wohl doch noch sehr unreif. „Das glaube ich nicht. Und wenn eine der Frauen auf ein kurzes Abenteuer aus ist – was geht mich das an? Ich kümmere mich nicht um die Leute. Sollen sie tun, was sie wollen! Ein gemeinsames Leben ist mit diesen Spaniern auf die Dauer sowieso nicht möglich.“
––„Ach! Zu viel Knoblauch?“, fragte Christoph.
––„Zu wenig Benehmen“, sagte Carola.
––„Ex und hopp! Dann brauchen sie hinter dem, der vorbei ist, nicht übel hinterherzureden wie in Deutschland.“
––„Tun sie das da?“, fragte Carola, als spräche sie von einem fernen Land. Und nach einer Pause sagte sie: „Es ist schwer, jemanden gewollt zu haben und danach nicht abfällig von ihm zu denken und zu reden.“ Sie stand auf. „Ich muss kurz in den Ort, Besorgungen machen, und ich habe Maria versprochen, sie mitzunehmen. Ich bin ungefähr in einer halben Stunde zurück. – Oder willst du mitkommen?“
––„Nein, ich habe einiges zu lesen“, sagte Christoph.
––„Gut, dann bis nachher!“ Der Hund bellte auf. Sie gab ihm einen Klaps auf die Schnauze, sodass er zurückwich und kuschte. – „Siehst du, wie er pariert?“, fragte sie und ging hinein.

Nach einer Weile hörte Christoph das Anlassen des Motors.
––Carola fuhr mit Maria die Auffahrt hinunter.
––Er war allein.

Titel- und Abschlussgrafik mit Material von Shutterstock: Wellnhofer Designs (Frau), Mockup Cloud (Mann), Photobox.ks (Hund), SusaZoom (Gärtner), kaczor58 (Haus) | Elena Tcykina (Brett mit Snacks)

Hanno Rinke Rundbrief

37 Kommentare zu “3.4 | Personal

    1. Das gilt für die Bediensteten wohl auch. Sie scheint ja recht festgefahrene Vorstellungen von allem und jedem zu haben. Nun ja…

      1. Christoph wird sie und ihre Ideen über die Dauer der Erzählung sicher noch ein wenig aufweichen.

      2. Wie ‚locker‘ sie ist mag ich an dieser Stelle noch nicht einschätzen. Auf alle Fälle scheint sie mir eine starke eigenständige Frau zu sein.

  1. Ein Verhältnis mit jeder Art von Angestelltem und jedem Handwerker, den man mal brauchen könnte, scheint mir aber keine sonderlich effektive Idee zu sein.

    1. Solche Verhältnisse machen ja auch deutlich mehr Spaß wenn sie aus Lust passieren anstatt aus Opportunismus.

  2. „Es ist schwer, jemanden gewollt zu haben und danach nicht abfällig von ihm zu denken und zu reden.“
    Was da wohl hinter steckt?

      1. Sie klingt in der Tat etwas bitter. Mal sehen ob wir noch mehr über die Hintergründe erfahren werden. Oft kann man einem das ja nicht mal übel nehmen.

      2. Ich finde auch nicht, dass Carola bitter daher kommt. Enttäuscht und verletzt scheint sie zu sein. Das schon.

  3. Kümmert sie sich wirklich nicht um die Leute? Immerhin ist sie ausgewandert. Dass sie sich in Spanien wohl fühlt, kann ja nicht nur am üppigen Frühlingswetter liegen.

    1. Wenn man sich das Zitat im Kommentar drüber anschaut, dann klingt das doch eher so, als hätte sie sich deutlich mehr gekümmert, zumindest um eine bestimmte Person, und ist dabei sehr enttäuscht worden.

      1. Sich um eine Person zu kümmern, ist das Gegenteil davon, sich um ‚die Leute‘ zu kümmern. Aber wie wahr ihre Behauptung ist, dürfen die Lesenden durchaus hinterfragen.

      2. Ja ich rätsele auch noch, was Carola für eine Person ist. Aber eine herbe Enttäuschung kann sicher auch dazu führen, dass man sich generell nicht mehr um die Leute schert.

      3. Sowohl Christoph wie Carola kann ich viel weniger greifen als Gregor und Mark aus der letzten Geschichte. Durchaus interessant.

    1. Wollte nicht sogar Netflix die Raucher aus ihrem Programm schmeißen? Ich habe vor einiger Zeit mal so etwas gelesen…

      1. Um den Kindern, die 5 Stunden am Stück Serien binge, kein schlechtes Vorbild zu sein?

      2. Viele Kriminalfilme der 1940er bis 70er Jahre müssen dann wohl ohne Auflösung auskommen: der einzige Nichtraucher ist da die Leiche.

      3. Demnächst werden nur noch Filme mit veganen Nichtrauchern ausgestrahlt. Die Kinder werden tolle Vorbilder haben, alle anderen sich zu Tode langweilen.

  4. Freundlich aber unbedeutend – der arme Gärtner. Wer im echten Leben solch einen Eindruck hinterlässt, kann einem ja wirklich nur Leid tun.

      1. Doch! ‚Bedeutend‘ ist eine allgemeine Einschätzung. Mit welchem Körperteil man jemandem bedenkt, das klingt dagegen sehr viel subjektiver. Wer vor Corona-Impfungen warnt, ist für die einen das Auge der Weisheit, für die anderen die von Benny erwähnte Öffnung.

      2. So ist es. Und genau darum ist „unbedeutend“ auch so ein vernichtendes Urteil. Weil es eben kein subjektiver Eindruck ist, sondern mehr oder weniger eine objektive Beobachtung.

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