Sie lagen nebeneinander auf Liegestühlen und hatten die Augen geschlossen.
––Die Sonne brannte Christoph wie das hitzige Scheuern eines aufgeregten Körpers. Sie biss ihm ins Gesicht und glühte auf seinen Beinen. Helligkeit und heißes Flirren in der spröden Luft, das Gegeneinandertuscheln der wispernden Rasensprenger, die in kreisender Bewegung Wasserperlen verspritzten. Trockenes Verdampfen, ein Hauch von Olivenöl. Ein paar Schweißtropfen kitzelten ihm die Stirn hinab.
––„Du solltest in den Schatten gehen. Am ersten Tag darfst du nicht so lange in der Sonne bleiben“, raunte Carola wohlig.
––Christoph berührte ihren glatten, öligen Arm. „Und wenn ich mir einen Sonnenbrand hole, reibst du mich dann ein, mit kühler, feuchter Salbe?“
––Sie packte seine Hand. „Nein, ich werde Maria sagen, dass sie dich mit Mehl pudern und ins Bett bringen soll.“
––Christoph führte ihre Hand mit einer schnellen Bewegung an seinen Mund, drückte die Andeutung eines Kusses auf ihre Finger und stand auf. „Dann verzieh’ ich mich lieber in den Schatten, sonst geht dir noch das Mehl aus und du kannst mir keine Nudeln stechen.“
––Sie öffnete die Augen und fragte: „Möchtest du etwas trinken?“
––„Ja gern“, sagte er. „Zeig mir, wo die Sachen stehen, dann mix’ ich uns einen Drink.“
––„Kirschsaft steht im Kühlschrank, Wasser kommt aus der Leitung“, antwortete sie. „Fühl dich nur wie zu Hause!“
––„Zu Hause bekomm’ ich sehr viel Liebe“, sagte Christoph, „dein Angebot ist etwas leichtsinnig.“ Meins auch, fand er, und verschwand im Zimmer.

‚Ein netter Junge‘, dachte Carola. Natürlich muss ich aufpassen, dass er sich nicht zu viel herausnimmt. Aber er ist wirklich sympathisch und unkompliziert. – Erstaunlich bei diesen Eltern; ordentliche Leute zweifellos, aber doch ein bisschen …
––„Sieh, was ich gefunden habe!“
––Carola wandte den Kopf.
––Er trug zwei hohe Gläser auf einem Tablett, beide gefüllt mit einer tiefroten Flüssigkeit und auf- und abtauchendem Eis.
––„Ist das Kirschsaft?“, fragte sie.
––„Nein“, er lachte ein bisschen verlegen, „aber es schmeckt ganz ähnlich.“ Christoph reichte ihr das eine Glas und führte das andere zum Mund, ihre Lippen berührten gleichzeitig den Rand ihrer Gläser, das Eis schlug gegen ihre Zähne, und eine hochprozentige, bitter-süße, kalte Flüssigkeit rann ihnen in den Mund. Sie sahen einander an, während die Sonne ihnen eine Ausrede bot, die Augen zusammenzukneifen.
––„Wem willst du damit Mut machen?“, fragte sie.
––„Meinen Partnern in Barcelona“, antwortete er. „Ich will nur erst an uns ausprobieren, ob es friedlich stimmt.“
––„Ihr macht wohl großartige Geschäfte“, sagte Carola. „Das habe ich immer bewundert an deinem Vater: Er ist so energisch und er denkt an alles.“
––„Ja, aber Mutter kocht besser“, antwortete Christoph.
––„Er hat die richtige Nase. Das ist sehr wichtig in eurem Beruf.“ Carola merkte, dass er ihr ausweichen wollte, aber sie ließ sich nicht beirren.
––Christoph nickte und nahm einen Schluck. „Natürlich. Er ist fabelhaft. Ich habe es ja täglich vor Augen. Ich glaube, so wie er werde ich mit den Menschen nie fertigwerden …“
––„Sicher wirst du es schaffen“, sagte Carola, „dir fehlt nur noch ein bisschen Selbstvertrauen. Kein Wunder – in deinem Alter.“
––„Aus der Pubertät bin ich aber raus!“, erinnerte Christoph seine Gastgeberin etwas vorlaut. Er wollte unterstreichen, wie gut er vorhin aufgepasst hatte bei ihrem Vergleich mit den Ringelblumen.
––„Ja. Ich weiß“, sagte sie – ein bisschen anzüglich, ein bisschen herausfordernd.
––Er setzte sich neben sie. „Ich weiß nicht. Mein Vater hat mehr Gespür dafür, wann man wie reagieren muss, wem man was zutrauen kann. Ich habe zu viel Spaß an Übertreibung. Und das ist in unserer Branche wohl nicht gerade das Richtige.“
––Carola sah ihn interessiert an. Ihr Gesicht war nicht schön, aber gepflegt und ebenmäßig. Sie hatte eine gute Figur, und die beginnenden Kümmernisse des Alters wurden von der Sonnenbräune übertönt.
––Er betrachtete sie nicht ganz furchtlos. Sie wirkte kenntnisreich. Eine Fakultät, weit ab vom Schuss, in kultivierter Einöde, zu glatt, als dass ein rebellischer Student sie aufspüren würde, zu alt, um Dornröschen zu sein. „Mein Fehler ist, ich interessiere mich zu sehr für die Leute, um sie für mich arbeiten zu lassen. Aber ich bin zu hochmütig, um mit ihnen zu leben“, nahm er das Gespräch wieder auf. Zweifellos hätte er nicht so zu ihr gesprochen, wenn ihm etwas anderes eingefallen wäre. Aber er war zu verwirrt, um Haken zu schlagen.
––Sie ging auf seine Worte nicht ein, und er wusste nicht, ob es Verständnislosigkeit oder Klugheit war.
––„Das ist ein tolles Getränk“, lenkte sie ab. „Was hast du hineingetan?“
––„Ja, magst du es?“, fragte er zurück. „Ich habe es gerade erfunden. Nicht der Zufall verschafft mir Eingebungen, sondern die Stimmung.“
––Sie spürte, dass er nur deshalb plötzlich kompliziert zu werden begann, weil er ausweichen wollte. Seine Gefühle hätten ihn gedrängt, anders zu handeln, aber er traute es sich im Augenblick nicht zu. Natürlich durfte sie ihn nicht ermutigen, obwohl er ihr leidtat. Sie kannte ja ihre Wirkung – selbst wenn sie sie während der letzten zwei Jahre hier fast vergessen hatte, denn Miguel konnte sie nicht ernst nehmen. Obwohl sie bei ihm ein ähnliches, wenn auch schwächeres, Gefühl hatte wie bei Christoph. Sie waren beide so jung. So unerfahren. Sie brauchten jemanden, an den sie sich lehnen konnten. – Nein, das war verkehrt! Sie gehörten zu einer jungen Frau, die sie beschützen und glücklich machen würden: Miguel brauchte eine nette, kleine Spanierin, Christoph eine der Töchter aus dem Golfklub oder sonst woher. Er hatte ja so viele Beziehungen. – Das Selbstvertrauen eines Mannes entsteht durch Leistung, nicht durch Schutz. – „Weißt du, dass mein Mann nicht ganz unbeteiligt war an der Karriere deines Vaters?“, fragte sie.
––„Ja, ich weiß, sie waren viel zusammen, früher“, antwortete Christoph.
––„Auf einem unserer Sommerfeste hat mein Mann deinen Vater mit Gebhardt bekannt gemacht.“ Carola wollte ein wenig glänzen. „Wir waren sehr gut mit ihm befreundet. Er hat deinem Vater dann den ersten großen Auftrag gegeben. Damit begann die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den beiden.“
––Christoph nickte und er versuchte, sich vorzustellen, dass er Gebhardt jedes einzelne Frühstücksei verdankte, um seinem Nicken so viel Nachdruck zu geben, dass es keiner Worte bedurfte. „Ja“, sagte er, „ich kann mich gut an deinen Mann erinnern. Er hat mich immer sehr beeindruckt.“
––„Er war großartig“, bestätigte Carola. „Nach außen hin wirkte er oft etwas ruppig, weil er sich nichts gefallen ließ, aber er hatte ein Herz für alle. – Das klingt banal und falsch. Ich glaube, das Wesentliche war einfach, dass ich ihn liebte. Und die Menschen mochten ihn. Weiß der Himmel weshalb, denn er war ziemlich rücksichtslos. Aber er strömte Kraft und Persönlichkeit aus. Sie hatten Vertrauen zu ihm. Genau wie ich. Ich habe charmantere Männer getroffen und schönere, aber nie jemanden, bei dem ich mich so geborgen gefühlt habe.“ Es entstand eine Pause, in der Carola spürte, dass sie so nicht hätte reden sollen, und Christoph fühlte, dass er irgendetwas antworten müsste.
––„So werde ich nie sein“, sagte er schließlich. „Ich werde immer nur Kraft nehmen und nicht geben.“ Es ist nicht schlimm, dass ich etwas so Grauenhaftes sage, versuchte er sich einzureden. Bald bin ich wieder ein paar tausend Kilometer weit entfernt und sie hat es längst vergessen.
––„Du kannst deshalb im Augenblick keine Kraft geben, weil du selbst noch nicht fertig mit dir bist“, sagte sie. „Zumindest bildest du dir das ein. Es wird nicht lange dauern, und du wirst sehen, wie die Menschen auf dein Urteil und deinen Rat hören. Sicher ist es schon jetzt so. Du weißt mit deiner Autorität nur noch nichts anzufangen. Du bist in eine Verantwortung hineingewachsen, die du akzeptierst. Sie wird dich mehr und mehr ausfüllen.“
––Er zuckte die Achseln. „Sicher. Manchmal ist es etwas schwierig, aber es ist wirklich interessant, und ich bin auch recht erfolgreich. Ich glaube, es ist genau das Richtige für mich. Es liegt mir.“ – Solche Worte passen zu ihr, zu mir weniger, fand er. – Er rückte seinen Liegestuhl gegen die Sonne und lehnte sich zurück.
––Sie nickte. „Bestimmt.“ Mit einem kurzen Blick streifte sie seinen leicht gebräunten Körper. – Noch etwas schmal, aber gut durchtrainiert, fand sie.
––‚Sie ist eine von den Frauen …‘, dachte er, ‚wenn man ihnen Sex gibt, kann man alles von ihnen haben.‘
––In den Gläsern schwamm nur noch das geschmolzene Eis. Und die Luft wurde immer heißer.

Titel- und Abschlussgrafik mit Material von Shutterstock: 
Wellnhofer Designs (Frau), Mockup Cloud (Mann), NIKCOA (Kirschsaft Glas) | Jessica2 (Sonnencreme)

35 Kommentare zu “3.2 | Mut machen

  1. Huch … wenn man ihnen Sex gibt, kann man alles von ihnen haben!? Meint das wirklich den physischen Sex, oder geht es nicht vielmehr um Zuneigung und Hingabe?

  2. Ich liebe den Sommer ja, aber so richtig am Pool in der Sonne gelegen habe ich trotzdem seit Jahren nicht.

      1. Das kann man abschließend wahrscheinlich erst am Ende der Erzählung sagen. Aber erstmal sieht das so aus.

    1. Fühl dich wie zuhause ist jedenfalls immer ein riskantes Angebot. Da muss man hoffen, dass die Gäste das nicht zu wörtlich nehmen.

  3. Sympathisch, unkompliziert, aber man muss aufpassen, dass er sich nicht zu viel herausnimmt. Da gibt es zumindest eine grundlegende Ähnlichkeit zu Gregor.

    1. Sie meinen doch wohl Mark? Den jüngeren der Beiden Akteure aus der letzten Geschichte. Kann schon sein. Carola scheint mir dagegen recht weit entfernt von Gregor zu sein.

      1. Na sonst bräuchte man die Geschichte auch nicht nochmal zu erzählen.

  4. „Ich habe charmantere Männer getroffen und schönere, aber nie jemanden, bei dem ich mich so geborgen gefühlt habe.“
    Genau das beschreibt doch was die Liebe ausmacht.

    1. Bzw. der Ausspruch zeigt ja eher sehr gut, dass man die Liebe eben nicht beschreiben kann. Zumindest reichen oberflächliche Eigenschaften wie Schönheit allein nicht.

    1. Ich wollte auch sagen… es gibt ja durchaus Beispiele, wo Menschen weder über Erfahrung verfügen noch großartige Leistungen vorweisen können, aber eben trotzdem äußerst selbstbewusst sind. Das ist dann wohl wirklich reine Arroganz. Oft gepaart mit ein wenig Dummheit.

  5. Oh ja, das Wesentliche ist tatsächlich, dass man jemand liebt. Dann arrangiert man sich auch mit dem ein oder anderen Fehler. Schließlich ist niemand wirklich perfekt.

  6. Ach ja, die Kümmernisse des Alters.
    Auch davon darf man sich nicht beeindrucken lassen. Ein wenig Sonne hilft natürlich (oder schadet der Haut, je nach Sichtweise), aber letztendlich trifft es uns ja alle in ähnlicher Weise.

    1. Trotzdem ist es ja immer ein schönes Gefühl, wenn man Wege findet, wie man as Altern ein wenig austricksen kann. Damit meine ich gar nicht mal Botox, sondern nur kleine alltägliche Spielereien. Eher emotional als körperlich.

      1. Zwischen den Pubertätspickeln und den Altersrunzeln liegt die Zeit der herrlichen Haut. Aber von außen nach innen: Wem das Hirn nicht mit Gossip-News zugemüllt ist, dem bietet das Alter viel mehr Assoziationsmöglichkeiten als die Jugend. Die Räume und Nebengemächer sind gewachsten, und man durchschreitet Säle in Gedanken, von denen man mit 17 noch gar nichts wusste, selbst wenn man damals laut Peggy March ’noch Träume‘ hatte. Die habe ich immer noch.

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