„Hast du etwa gern Männer um dich, die am ganzen Körper behaart sind?“, fragte Frau Benedikt ihren Besucher. Sie hatte Christoph mit dieser Frage nur beeinflussen wollen: Er sollte finden, dass sie den Gärtner zu Recht gewechselt hatte.
––Und so glaubte ihr Gast, sich die Antwort besser zu versagen.
––„Überhaupt“, ging sie über seinen etwas verstörten Gesichtsausdruck hinweg, „Zypressen direkt vor der Terrasse und die Bougainvillea so an die Garage zu setzen, dass man im nächsten Jahr kaum noch die Tür aufbekommt, wenn man die Pflanzen nicht total verstümmeln will – idiotisch!“ Sie fasste sich an den Kopf. „Mit dem Rasen bin ich auch ganz unzufrieden. Sieh dir an, wie das Gras da verdorrt ist!“ Sie wies auf irgendeine unbestimmte Stelle in dem trostlos vertrockneten Braun. „Und unzuverlässig sind die Handwerker hier! Es ist kaum zu glauben! Seit Tagen lauf’ ich hinter dem Klempner her, weil der Wasserhahn in meinem Bad tropft. Heute Mittag will er kommen, sagt er! Ich glaub’ nicht mehr dran. – Noch etwas Tee, Christoph?“
––Er nickte leicht, weniger scheu als gelangweilt.
––„Du siehst erschöpft aus.“ Frau Benedikt goss die Tasse randvoll. „Aber hier wirst du dich schnell erholen. Jeder Morgen ist so warm wie heute. Das Meer ist keine fünf Minuten weit entfernt. Und die Abende sind lau und still. Sehr still. – Wie geht es deinen Eltern? Ilona sah fabelhaft aus, als ich sie das letzte Mal sah. In Deutschland, auf der Beerdigung meines Mannes. So gut wie damals hat sie nie ausgesehen. Komisch. Sie wirkte zufrieden und ausgeglichen wie schon lang nicht mehr. Ich erinnere mich noch, wie oft sie früher zu mir kam und … Ach, lassen wir das! – Ist dein Vater immer noch so viel unterwegs?“
––„Nein, das überlässt er mir jetzt. Darum bin ich ja hier.“
––„Ach, es ist wirklich schön, dass du an mich gedacht hast: Da unten lebt doch noch diese einsame Witwe!“ Sie machte eine effektvolle, kleine Pause, damit er ihrer Beschreibung widersprechen konnte, aber er tat es nicht. Also redete sie weiter. „Ist bloß schade, dass du nur drei Tage bleibst. Die Costa del Sol hier ist nicht alles. Das wahre Andalusien liegt im Inland: Ronda, Granada, Sevilla.“ Sie lauschte kurz in die laue Luft und genoss den Nachklang der Namen oder den Nachklang ihrer Stimme. „Aber Barcelona wird dir gefallen. Ich werde dir ein paar Tipps geben. Du wirst ja nicht die ganze Zeit über zu tun haben, und dann ist es gut, wenn man einige Adressen kennt. Es ist sonst oft sehr einsam in einem fremden Land.“ Sie trank einen Schluck Tee und sah gegen die grellweißen Mauern ihres Grundstücks, hinter denen weitere, schön abgegrenzte und gepflegte Grundstücke lagen, mit Häusern, die blitzten wie Zähne in Werbespots. Hundertfache Zähne, sauber, regelmäßig und gebleckt. Doch sie konnte nur den blauen Himmel sehen, heiß und unberührt von Wolken oder Empfindungen. Die bunten, hochgezüchteten Blüten würden ihn nie erreichen, die Gärten ähnelten sich zum Verwechseln. „Überall Ringelblumen“, sagte Frau Benedikt. „Bei mir auch. Irgendwie einfallslos, aber praktisch, vor allem für die Gärtner. ‚Fiesta Ginata‘ heißen sie auf Spanisch: ‚Zigeuner-Party‘. Das klingt natürlich sehr viel schwungvoller als im Deutschen. Ich muss bei Ringelblumen immer an die Pubertät denken.“
––„Ach“, machte ihr Besucher. Er war erstaunt, aber nicht sehr.
––„Ja“, erklärte Frau Benedikt, „als ich vierzehn war, habe ich sie wohl kennengelernt. Außerdem stimmt es: Bunt in der Menge, bedeutungslos im Einzelnen, und man wartet darauf, dass etwas passiert. Aber was passiert schon groß?“

Eine Tür im Innern des Hauses schlug zu. Unter wildem Gebell stürzte ein braun-weißer Collie auf die Terrasse und sprang kläffend an Frau Benedikt hoch.
––Eine junge Frau lief laut schreiend hinter dem Hund her. Offenbar versuchte sie, ihn ins Haus zurückzutreiben, aber das war unmöglich. Denn seine Herrin erwehrte sich dieses Ansturms mehr geschmeichelt als energisch. Und die Mucama, kaum hatte sie bemerkt, dass sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollte, verschwand befriedigt in den Räumen.
––„Ja, mein Süßer, mein Kleiner, was ist denn? Ja, was hast du denn? Du kleine Ratte. Sieh mal, wir haben Besuch! Na, sieh doch mal, wer da ist!“
––Das Tier, verständig und von animalischer Promiskuität, stürzte sich bereitwillig auf den Gast.
––„Was für ein schöner Hund!“, sagte Christoph erschrocken. Er tat so, als würde er ihn streicheln, während er ihm einen leichten Schubs gab. Der Collie biss ihn unter freudigem Gegurgel in die Hand und Frau Benedikt strahlte: „Er will spielen! Immer will er spielen.“
––Christoph stand auf, weil er glaubte, sich des Hundes im Stehen besser erwehren zu können, als wenn er eingeklemmt am Frühstückstisch saß. Doch kaum hatte er sich hinter dieser Barrikade hervorgewagt, da sprang das Tier unter lautem Bellen ungestüm an ihm hoch, griff mit den Vorderbeinen nach seinen Schenkeln und vollführte mit dem Hinterteil, halb aufrecht, ruckartige Bewegungen an Christophs rechtem Bein.
––„Chico, Chico!“ Frau Benedikt war zu belustigt, um schimpfen zu können. „Chico! Wie unanständig! Mein Gott, dieser Hund ist völlig pervers! Junge Männer können sich gar nicht retten vor ihm.“ Ein unterdrücktes Lachen kämpfte gegen ihre andersgeartete Gesinnung an. „Wenn er Hosenbeine sieht, spielt er verrückt. Den Klempner vergewaltigt er fast, wenn er ihn sieht. Chico! Hör auf, Chico! Der kann sich gar nicht schnell genug in Sicherheit bringen. Also, Chico, jetzt ist es aber genug!“ Frau Benedikt stand auf und gab dem Hund einen Klaps.
––Der begann wild zu bellen, schnappte, ließ zunächst von Christoph ab, der mit unbestimmtem Gesichtsausdruck an der Wand lehnte und mechanische Streichelbewegungen gegen Chicos Kopf machte, sprang dann aber an seinem anderen Bein hoch und begann, während er sich festklammerte, dieselbe Rhythmik von Neuem.
––Christoph war hilflos und ein bisschen verlegen. Er trat einen halbherzigen Schritt beiseite.
––Frau Benedikt packte – inzwischen ungeniert lachend – den Hund am Hals und riss ihn mit einer heftigen Bewegung zurück. „Chico!“, schrie sie, „du Schwein, lass das! – Entschuldige, Christoph! Es ist immer dasselbe Theater. Ich hätte dich warnen müssen.“
––Christoph lächelte mit leicht eingezogener Unterlippe. „Oh, es ist sehr lehrreich“, sagte er. „Wenn man sich nur darauf und aufs Fressen konzentriert, verliert man sicher manche Skrupel.“
––Frau Benedikt lachte immer noch. „Ich werde ihn an die Leine nehmen, bis er sich an dich gewöhnt hat.“ Sie hielt ihn fest am Halsband.
––„Ach ja!“ Christoph seufzte. „Gewöhnung stumpft ab.“
––Der Hund sah ihn mit leuchtenden Augen und heraushängender Zunge an.
––„Ich stoße selten so schnell auf Sympathie“, bemerkte Christoph, „zumindest nicht, ohne etwas dafür getan zu haben.“

Frau Benedikt drehte Chicos Schnauze herum, und der Hund legte seinen Kopf zwischen ihre Knie.
––„Alle jungen Männer attackiert er so“, sagte sie, während sie ihm den Hals kraulte, „aber sonst gehorcht er aufs Wort. Nicht wahr, Chico?“
––Er schmiegte sich an sie und wedelte mit dem Schwanz.
––„Ja, ja, du schlimmer Hund! Nun kommst du wieder zu Frauchen, was?“
––Er leckte ihr die Hand, während sie auf ihn einredete.
––„So, nun geh auf dein Plätzchen!“ Sie gab ihm einen zärtlichen Klaps. „Los!“
––Chico trottete zu einem Kissen, das in der linken Ecke der Terrasse lag, blieb aber kurz davor stehen und sah zurück auf die beiden.
––„Setz dich! Setz dich!“, sagte Frau Benedikt.
––Widerwillig gehorchte er, doch dabei legte er die Schnauze so, dass er Christoph beobachten konnte.
––Kaum hatte Christoph einen Schritt nach vorn getan, hob er sofort den Kopf und begann, aufgeregt zu schnüffeln.
––„Chico!“ Frau Benedikt fing an, wirklich ärgerlich zu werden. „Wenn du nicht aufhörst, musst du rein.“
––Der Hund schien aufzugeben und drehte sich beleidigt zur Wand.

„Komm, Christoph, setz dich wieder!“ Frau Benedikt griff nach seinem Arm. „Entschuldige, dass es so ungemütlich geworden ist. Möchtest du noch ein Brötchen?“
––Christoph zwängte sich zurück hinter den Tisch. „Nein, vielen Dank“, sagte er. „Es war ein ausgezeichnetes Frühstück.“
––„Eigentlich dürfte ich dich gar nicht mehr duzen“, begann Frau Benedikt verschämt. „Du bist jetzt 25, und wir haben uns ein paar Jahre lang nicht gesehen.“
––„Aber doch, bitte, ich bin so daran gewöhnt“, antwortete Christoph höflich.
––„Gut, aber unter einer Bedingung“, verlangte Frau Benedikt. Sie machte eine kurze Pause, um das Gewagte ihrer Forderung zu unterstreichen. „Dass du mich auch duzt.“
––Christoph lächelte, wie er tausendmal gelächelt hatte. „Gern.“ Er zog ihren Kopf zu sich herüber, küsste sie auf die Stirn und sagte: „Guten Morgen, Carola!“
––Sie tat, als versuche sie sich seinem Griff zu entwinden und lachte. „Ich freue mich, dass du da bist. Wirklich. Es ist schön, dich hier zu haben.“ Sie nahm seine Hand. „Wir werden ein paar sehr schöne Tage miteinander verbringen.“ Mit diesen Worten stand sie auf, griff ein paar Teller und begann, den Frühstückstisch abzuräumen.

Christoph atmete einmal tief durch. „Darf ich dir helfen?“, fragte er und erhob sich.
––„Nein, lass nur“, antwortete sie, „leg dich in einen Liegestuhl und mach es dir bequem! Ich bin gleich wieder zurück.“
––Christoph griff nach der Kanne. „Warum? Ich möchte dir lieber helfen.“
––Carola lachte. „Das tut Maria. Es ist wirklich nicht nötig.“
––„Ach bitte, lass mich doch!“, drängte Christoph routiniert.
––Sie sah ihn flüchtig an. „Na schön. Das Tablett steht auf dem Fenstersims.“
––Er ging, um es zu holen.
––Der Hund bellte auf und sprang ihm in die Beine.
––Christoph breitete die Arme aus. „Ich glaube, ich bin willkommen!“, sagte er.

Cover mit Material von Julian Hochgesang/Unsplash (Auto) und Shutterstock: Rejean Bedard (Möwe), Alliance Images (Frau), stockyimages (Mann), Vereshchagin Dmitry (Kreuzfahrtschiff), steamroller_blues (Collie) | Titel- und Abschlussgrafik mit Material von Shutterstock: Wellnhofer Designs (Frau), Mockup Cloud (Mann), Photobox.ks (Collie), giedre vaitekune (Ringelblumen), iChzigo (Teekanne), STILLFX (Papier) | Le Do (Pflanze/unten)

43 Kommentare zu “3.1 | Zigeuner-Party

    1. Oooh, die mag ich immer sehr! Vor allem, dass die unterschiedlichen Zeichenstile den Geschichten immer nochmal eine eigene Note geben, gefällt mir sehr.

      1. Bzw. müsste man wohl passender sagen, dass die unterschiedlichen Stile die besondere Note jeder Geschichte nochmal unterstreichen und betonen.

      2. Da schließe ich mich gleich an. An Ihrem Gesamtpaket stimmt einfach alles 🙂

    2. Der ganze Blog wirkt durch und durch authentisch und hat einen recht klaren Charakter. Da spielen die Titelbilder sicher auch ihre Rolle. Mir gefallen sie.

    1. Schlimm ist dagegen, wenn einen der eigene Hund nicht leiden kann. Das habe ich neulich tatsächlich bei Bekannten erlebt.

  1. Das Aufreiten beim Hung ist ja meistens eine Übersprungshandlung. Der ist dann genauso aufgeregt und überfordert wie der Mensch, der den Hund am Bein hängen hat.

    1. Das Verhalten des Hundes stört mich in so einer Situation meistens weniger als die ungeschickte Reaktion des Herrchens.

  2. „Gewöhnung stumpft ab“ ist etwas, dass man sich immer wieder sagen muss. Gerade bei all dem Online-Lärm, der uns ständig um die Ohren geknallt wird.

      1. Hahaha, und nochmal lache ich laut! Sie retten mir einen langweiligen Nachmittag!

  3. Ob Carola im Laufe der der Erzählung noch ‚Er liebt mich, er liebt mich nicht‘ mit ihren Ringelblumen spielen wird?!

    1. Die Beiden flirten ja jetzt schon ausgiebig. Aber ob es zur Liebe kommt? Zwischen der einsamen Witwe und dem jungen Mann?

    1. Sie reden von den Illustrationen? Das trifft es sehr genau. Die Texte sind ganz klar der Fokus des Blogs. Aber das Auge liest ja schließlich mit. Missen möchte ich sie nicht.

    2. Das sehe ich genau wie mit Büchern. Ich würde kein Buch wegen seinem Cover kaufen. Aber hässliche Bücher habe ich trotzdem ungern auf meinem Nachttisch liegen.

      1. Die Maßstäbe, was schön und was hässlich ist, haben sich im vorigen Jahrhundert deutlich verschoben. Aber auf ein nachttischgerechtes Bild könnten wir uns sicher einigen.

      1. Da ist was dran. Dafür liegen wir im Deutschen mit Sehnsucht und Fernweh wieder vorn.

      2. Weil muttersprachliche Wörter aber nicht in Mode sind, nennen die in den ‚Zeitgeist‘ (Herders Erfindung) verliebten Deutschen diese Empfindungen lieber ‚Nostalgie‘. Im Englischen gibt es dagegen den Begriff „zeitgeisty“. Fremdwörter sind in jeder Sprache ein Beweis dafür, dass man super(b) ist.

      3. Mich amüsiert ja das Wort ‚uber‘ im Englischen sehr. Und noch mehr, dass man es wieder rück-eingedeutscht dann auch noch als ‚uber‘ und nicht ‚über‘ ausspricht.

    1. Mir gefällt vor allem, dass sich das Design mit jeder Erzählung wieder neu erfindet. Das ist wirklich einmalig. Übrigens gefiel mir der ‚Lift nach Lugano‘ außerordentlich gut. Ich bin nun gespannt was Andalusien so alles bietet.

      1. Da bin ich einer Meinung. Sowohl was die Bilder, wie was die letzte Erzählung angeht.

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