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3.6 | Dunkler Fleck
Aus Carolas Schlafzimmer drang ein kurzes Lachen, etwas nervös, etwas unecht.
––Christoph klopfte vorsichtig.
––„Christoph?“
––„Ja.“
––„Komm rein!“
––Er öffnete die Tür.
––Carola stand am Fenster. Der junge Mann von vorhin war in ihrem Badezimmer über das Waschbecken gebeugt.
––Er wandte kurz den Kopf, nickte Christoph zu und machte sich dann weiter am Wasserhahn zu schaffen.
––„Miguel ist doch noch gekommen“, erklärte Carola.
––„Ja, das sehe ich“, sagte Christoph.
––„Warst du am Meer? Komm in den Garten!“
––Chico bellte freudig, als er sie sah.
––„Ach, sei still!“, rief Carola.
––Der Hund lag immer noch an der Leine. Er gehorchte und rollte sich in die Ecke.
––Sie setzten sich auf die Terrasse. „Sei froh, dass du nicht mit warst“, sagte Carola, „es war mörderisch heiß. Ich hätte auch lieber gebadet.“
––„Das Meer ist herrlich. Ich habe es sehr genossen.“ – So sagt man es doch zu seinen Gastgebern? Christoph lehnte sich zurück.
––„Nicht wahr? Ich geh’ jeden Morgen schwimmen“, erklärte Carola. Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte. „Macht es dir was aus, wenn ich in die Küche gehe?“, fragte sie. „Du weißt, Maria ist nicht da, und ich muss mich selbst ums Essen kümmern.“
––„Vielleicht kann ich dir helfen?“, schlug Christoph vor.
––„Nein, vielen Dank, die Küche ist sowieso zu klein. Bleib hier und sieh dir den Sonnenuntergang an!“ Sie verschwand ins Haus.
––Chico knurrte kurz auf wie in schweren Träumen.
Christoph sah in den Himmel.
––Das Licht war etwas milder geworden, aber es würde noch eine ganze Weile dauern, bis die Sonne versunken wäre. Allmählich stiegen die Düfte auf, die in der schneidenden Helligkeit des Tages keinen Platz gehabt hatten. Die Farben gewannen mehr Abstand voneinander. Die Geräusche wurden voller.
––Christoph stand auf und ging ums Haus.
––Der Junge im Jeansanzug kniete an der Garagenmauer.
––Wie konnte dieses Weiß so weiß bleiben? Es sah richtig schuldig aus.
––Miguel hatte den Verschluss des Wasserhahns abgeschraubt und prüfte ihn gerade. Er sah auf, als Christoph um die Ecke kam, aber er senkte den Kopf gleich wieder.
––Christoph blieb stehen, er hielt fast den Atem an.
––Der andere fummelte eine Weile, dann drehte er den Kopf wieder; ein kurzer, abschätzender Blick. Miguel schraubte den Verschluss mit ruhigen Händen an den Hahn.
––Christoph ging ein paar Schritte um den Klempner herum und blieb wieder stehen.
––Miguel sah auf, lächelte kurz und drehte den Wasserhahn auf. Ein harter Strahl knallte gegen den ausgedörrten Boden. Er schloss den Hahn, erhob sich und ging langsam um die Ecke zum Garten hin. Dahinter schien er stehen zu bleiben.
––Einen Augenblick lang war es ganz still. Dann wieder das Geräusch von Wasser, ein feinerer Strahl diesmal, der gegen die Wand spritzte.
––Christoph stand reglos.
––Kurz darauf kam der Klempner zurück, packte sein auf der Erde liegendes Werkzeug und ging grußlos an Christoph vorbei zum Eingang des Hauses.
––Christoph hörte, wie er ein paar Worte mit Carola wechselte, die offenbar am Küchenfenster stand. Ihr Lachen taumelte in die Luft.
––Die Gartenpforte quietschte leise.
––Miguels Schritte knirschten.
––Stille.
Der scharfe, ätzende Geruch von Schweiß stieg Christoph in die Nase, und er wusste, dass es sein Schweiß war.
––„Nicht ich bin kitschig, sondern das Leben“, sagte er. „Ich habe das alles doch gleich gewusst. – Und der Garten braucht auch nicht zu vertrocknen.“ Ein Lachen, ähnlich dem von Carola, bohrte in seiner Brust. Er ging duschen.
Als Christoph auf die Terrasse zurückkam, lag Carola auf einem Liegestuhl.
––Chico kam quer durch den Garten auf ihn zugeschossen und sprang begeistert bellend an ihm hoch.
––„Ist ja gut, ist ja gut“, sagte Christoph.
––Carola stand auf. „Ein verrücktes Tier. Lass das, Chico! Lass das!“ Der Hund beruhigte sich allmählich. Schwanzwedelnd lief er von einem zum andern.
––Dämmerung hatte eingesetzt. Frühe Sterne glitzerten. Lau und süß glitt die Luft in den Abend. Eine ausgewaschene Betörung, immer noch gültig.
––Carola nahm Christoph sanft am Arm. Sie schlenderten durch den Garten, dicht nebeneinander, nahezu friedlich. Wie dunkler, feiner Regen duftete es vom Himmel herab. Sie gingen ums Haus, mit langsamen Schritten, behutsam.
––Plötzlich blieb Carola stehen. „Nein!“, schrie sie. Sie war wie erstarrt. „Chico! Chico!“
––Der Hund kam angelaufen.
––Sie packte ihn beim Halsband. „Was ist das?“, rief sie. Mit einem wütenden Ruck stieß sie seine Schnauze gegen die feuchte Stelle an der Wand. „Was ist das?“ Sie schlug dem Hund zweimal kräftig auf den Rücken und zerrte ihn mit Gewalt zur Terrasse, wo sie ihn unter heftigem Schimpfen an die Leine nahm.
––Chico jaulte gequält, aber er fügte sich. Verängstigt kroch er in die Ecke und betrachtete von dort aus geduckt und furchtsam den Menschen, der ihn ernährte, der ihn schützte, der ihn quälte.
––Carola schien das Schauspiel zu genießen. Sie wandte sich Christoph zu. „Ein Hund ist das!“, sagte sie lachend. „Damit will er zeigen, dieses Haus ist sein Revier. Als ob wir das nicht auch so wüssten!“ Sie ging ins Haus, um das Essen auf den Tisch zu bringen.
––Christoph war stehen geblieben. Er starrte die Wand an: Auf dem makellosen, harten Weiß zeichnete sich schattenhaft ein Fleck ab, der mit zahllosen Armen nach der Erde griff, Wurzeln, die in den Boden wucherten. Er streckte die Hand aus und tastete mit den Fingerspitzen nach der dunklen Stelle. Erschrocken spürte er die Feuchtigkeit auf seiner Haut. Er zuckte zurück, ratlos. Doch dann strich er in weit ausholender Bewegung mit der ganzen Handfläche die Mauer entlang.
Titel- und Abschlussgrafik mit Material von Shutterstock: Wellnhofer Designs (Frau) , Viorel Sima (Mann), Chepko Danil Vitalevich (Wasserhahn) | Dragon_Fly (Hand)
Oha! „Nicht ich bin kitschig, sondern das Leben“ – das ist mal ein Ausspruch!
Den muss ich mir auch merken…
Gott sei Dank muss ein Bonmot ja nicht wahr sein, sondern bloß hübsch klingen.
Mit dem Spruch kann ich mich identifizieren. Das Leben ist wenn man ehrlich sein will ja tatsächlich oft kitschiger als man wahrhaben will.
Das Leben ist – ärgerlich oder erfreulich – immer wahr. Was wahr ist, kann erstaunlich sein oder vorhersehbar, aber nie kitschig, denn zum Kitsch gehört die Verlogenheit.
Verlogen weil sentimental?
Verlogen, weil das die Definition von Kitsch ist. Und sentimental ist ja auch unecht.
Der Hund scheint mir nach wie vor ein Spiegel für Christoph zu sein. Und trotzdem werde ich nicht ganz schlau…
Ungestüm, schwankende Stimmungen, sexuelle Energie, Spieltrieb usw.
Allerdings weiß Chico etwas genauer, was er will.
Das scheint mir auch so…
Na also … das heisst Christoph interessiert sich für die Golden Dog Shower? Oder wie?
So buchstäblich muss man es ja nicht interpretieren.
Nein, er interessiert sich für Miguel
Das war doch nicht der Hund!
Ach du grüne Neune!
Jetzt ist meine Neugier aber auch geweckt!
Dann kann die Geschichte jetzt ja so richtig los gehen…
Hahaha! Diese Diskussion hat mich jetzt wirklich amüsiert. Wer hier nun wohin gepinkelt hat … Mal schauen ob die Meinungen genauso auseinandergehen wenn es um die Frage geht warum gepinkelt wurde. Oder vielmehr welche Spannungen da zwischen Miguel und Christoph in der Luft liegen.
Anscheinend markiert hier eher Christoph sein Revier. Wow!
Also doch wohl eher Miguel. Er steht doch auf und geht um die Ecke nachdem er den Wasserhahn schließt! Christoph beobachtet doch nur.
Ich fand das eigentlich auch sehr eindeutig beschrieben: Miguel arbeitet am Wasserhahn, Christoph nähert sich, Miguel schließt den Hahn und geht um die Ecke, es plätschert wieder, Miguel geht wortlos an Christoph vorbei…
Dem ist nichts hinzuzufügen.(Bis auf das hier.)
Möglicherweise war die Beziehung zwischen Carola und Christoph also so etwas wie eine falsche Fährte. Oder eine Rahmenhandlung. Die entscheidende Begegnung dieser Geschichte könnte auch Miguel werden.
Der scharfe, ätzende Geruch von Schweiß vermischt sich mit dem stechenden Geruch von Pisse. Los geht’s.
Es wird hier in Andalusien sicher nicht so schwül zugehen wie beim Eremiten. Aber neugierig bin ich trotzdem.
Der Unterschied zwischen Tourismus und Wahnsinn. (Bei ‚all inclusive‘ nicht sehr ausgeprägt.)
Oh ja, Touristen am All-Inclusive-Buffet sind dem Wahnsinn wirklich ziemlich nahe! 😂
Der arme Hund, Dabei ist er ganz unschuldig.
Er scheint ja trotzdem genug Zuneigung abzubekommen. Es klingt nicht so als ob er misshandelt würde 😉
Immerhin bekommt ER Zuneigung. Ich habe ja ein wenig das Gefühl, das Carola am Ende der Geschichte noch etwas enttäuschter ist, als sie es momentan bereits ist.
Ich bin noch nicht sicher, was sie sucht bzw. was sie von Christoph erwartet. Zuneigung sicher. Aber ob das zwangsläufig auch etwas Sexuelles meint…?
Zwangsläufig nicht. Aber Hündinnen werden auch ohne Zwang läufig.
Die Formulierung ’nahezu friedlich‘ fällt mir auf. Ob das schon das Optimum zwischen den beiden ist?
Klingt doch gar nicht so schlecht…
Also viele Beziehungen sind schlechter
Es kommt sehr auf die Erwartung an. Und wenn man sich in eine Überraschung erst mal hineingesteigert hat, kann einen nichts mehr überraschen
Zu hohe Erwartungen können ja so viele Erlebnisse versauen. Aber seine Erwartungen zu regulieren ist eben echt schwere Arbeit.
Ja das mag sein. Aber man kann ja auch nicht völlig erwartungslos durchs Leben gehen. Das funktioniert ja nicht.
Man muss alles planen in der Gewissheit, dass die Planungen über den Haufen geworfen werden. Dann gibt es manchmal die schöne Überraschung, dass doch alles nach Plan läuft.
Haha, ja so geht es auch 😉