Zweck jedweden Straßenverkehrs ist es, …
… als Fußgänger
beim Ausschreiten so vorzugehen, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer in ihrem Fortbewegungsverhalten auf kreative Weise beeinflusst werden: zu dritt dicht nebeneinander gedankenverloren vor Eiligen rumzuschleichen oder Promenierende und Behinderte bei hastigem Überholen zu rempeln. Das sind nur zwei aus einer herrlichen Fülle von Möglichkeiten. Die Krönung jedes Fußgänger-Lebens ist es, an Zebrastreifen Auffahrunfälle von motorisierten Feinden zu erzwingen. Für Ausgefalleneres, wie zum Beispiel Mitläufer (eventuell mithilfe eines kleinen Schubses) dazu zu bewegen, vor etwas zu stürzen, zum Beispiel vor Tanklastwagen, die als Transporteure gefährlicher Güter gekennzeichnet sind – dafür bedarf es hingegen schon einer gewissen kriminellen Energie oder zumindest Kaltherzigkeit;
… als Radfahrer
beim Fahren nicht unnötig auf die Strecke zu achten, sondern Gesinnung zu demonstrieren, weil wer Rad fährt, ist ‚a priori‘, ein guter Mensch, der sein Umweltbewusstsein nicht durch kleinherzige Nachgiebigkeit unter den Scheffel zu stellen braucht. Fußgänger dürfen mit Klingelzeichen gewarnt, aber auch gleich gerammt werden, Autofahrern auszuweichen gilt als feige. Man muss ihnen, im Gegenteil, auf unberechenbare Weise blitzschnell vor den Kühler preschen, nicht nur, wenn das eine Abkürzung darstellt, sondern auch aus Protest gegen das rücksichtslose Verhalten der Autofahrer, das durch deren bloßes Vorhandensein hinlänglich belegt ist. Dass man nach der Schule fröhlich nebeneinander radelt, während man porno absabbelt, ist logo. Fahrradweg muss nicht. Verkehrsregeln spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Merke: Der Schwächere hat immer recht – sogar wenn er weder Frau noch schwul ist;
… als Kraftfahrzeughalter
entweder noch langsamer zu fahren als die Radfahrer, um auf diese Weise schlechtes Gewissen zur Schau zu stellen und diese Einsicht durch Untertänigkeit zu unterstreichen – oder als schnittiger Fahrer Selbstbewusstsein herauszukehren und an dem Individualistenmotto festzuhalten: ‚Freie Fahrt für freie Bürger‘. Letztgenannte Verhaltensweise ist besonders für Fernkraftfahrer geboten, die ja im Sinne einer reibungslos funktionierenden Volkswirtschaft ohnehin gehalten sind, die Güter so flink wie möglich an ihren Bestimmungsort zu verfrachten, etwa italienische Milch nach Bayern, sächsischen Käse nach Holland und Schwarzwälder Eulen nach Athen. Die ersten deutschen Autobahnen hat Hitler für Hungerlöhne bauen lassen, die letzten werden die Grünen nicht verhindern können, weil Habeck das Verkehrsministerium lieber der FDP überlassen hat, als auf das Wirtschaftsministerium zu verzichten.
Würden alle Verkehrsteilnehmer noch ein kleines bisschen mehr in der oben skizzierten Weise aufeinander achten, dann würde das auch in gesteigertem Maße zur Lösung diverser Haushaltsprobleme beitragen, wie überhöhter Ausgaben im Sozialwesen und Defizite in der Rentenfinanzierung. Der Staat trägt im Bereich des Straßenbaus im Überland- und besonders im Stadtverkehr das seine dazu bei, um solche Bemühungen tatkräftig zu unterstützen, sei es durch eigenwillige Straßenführung mit pädagogischen Hindernissen, sei es durch überraschende Verbotstafeln, deren Nichtbeachtung empfindliche Geldbußen nach sich zieht: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Wegelagerer.
Wir kehren nun zurück in das Berlin des Jahres 2000. Teslas fuhren noch nicht, Cityroller versperrten noch nicht überall den Weg, aber wir finden schon genügend Hindernisse, um unsere Reise durch die Hauptstadt abenteuerlich zu gestalten. Und wo es keine objektiven Schwierigkeiten gibt, da schaffen wir sie uns durch Leichtsinn oder Grübeleien.
Titel- und Abschlussgrafik mit Shutterstock: BOYDTRIPHOTO (Ampel), vadim kozlovsky (LKW), Ljupco Smokovski (Fußgänger, Auto), Alex Bascuas (Radfahrer) und Unsplash: Kiwihug (Hintergrund), Markus Lenk (Haus), Mihail Macri (Oberbaumbrücke) | Paitoon Pornsuksomboon/Shutterstock (Asphalt mit Zebrastreifen)
Da fällt mir immer wieder auf, dass es in Deutschland wahnsinnig viele Regeln für den Straßenverkehr gibt … und trotzdem klappt das in anderen („chaotischeren“) Ländern irgendwie besser.
Ampeln am Großen Stern in Berlin: ein Segen (laut Senat). Verkehrsampeln an der Place de la Concorde? Paris bräche zusammen.
Ich erinnere mich da an ein paar Videos auf Youtube, wo zum ersten Mal Kreisverkehre ausprobiert wurden. Köstlich.
https://www.youtube.com/watch?v=NsWpaV3dOFA 😉
Hier wird tatsächlich viel geflucht und gehupt wenn mal etwas nicht glatt läuft. Andere Kulturen sind vielleicht schneller dabei das Problem selbst in die Hand zu nehmen. Ob der Verkehr insgesamt deswegen besser läuft würde ich allerdings in Frage stellen.
Ich glaube die Italiener und die Chinesen meckern genauso über ihren Verkehr wie wir Deutschen. Unzufrieden ist man doch schnell.
Ob es im 19.Jahrhundert in London und Paris mit Pferdekutschen auch schon ein Gedränge gab?
Bestimmt. Das wird wohl ein wenig anders, aber möglicherweise ebenso anstrengend gewesen sein.
Egal ob man die Fußgänger, Fahrradfahrer oder Autofahrer fragt – grundsätzlich machen es ja immer die anderen v verkehrt und man selbst richtig.
Und wer alles richtig macht, muss dafür sorgen, dass alle, die nicht so vorbildlich agieren, gemaßregelt werden. Dies galt immer schon als sehr deutsch. Ändert sich da etwas? Die Impfgegner sprechen dagegen.
Das variiert zum Glück auch ein wenig von Stadt zu Stadt. Während man in Berlin auch mal bei rot über die Ampel laufen kann, stürzt sich in Düsseldorf gleich ein wilder, maßregelnder Mob auf den Jaywalker.
Die Ampel hat immer recht. Auch in der Einsamkeit.
Die politische?
Zurzeit verkehrt sie richtig.
Wieviele Fußgänger keinerlei Gespür dafür haben, dass noch ein paar weitere Menschen vor, neben und hinter ihnen laufen, erstaunt mich immer wieder aufs Neue.
Na die Leute sind eben in ihren eigenen Gedanken. Es gibt doch trotzdem relativ wenig Unfälle unter Fußgängern, nicht?
Bis auf die Prügeleien neben der letzten Taxe im Regen.
So viele Teslas fahren ja auch 2022 noch nicht durch die Stadt…
Zu teuer, zu groß
Aus Brandenburg werden sie vielleicht billiger.
Schon spannend, dass Tesla ausgerechnet Grünheide als eines der wichtigsten Standbeine ausgesucht hat. E-Autos werden immerhin die Zukunft sein.
Billiger sollen sie wohl nicht werden. Aber laut Zeitungsberichten hofft man wohl eher auf deutsches Know-How um zumindest die Qualität etwas zu verbessern. Momentan liegen die Autos anscheinend nur auf Dacia-Qualitätsniveau.
Der Staat tut seinen Teil durch pädagogische Verbotsschilder, die Gaspreise tun ihr übriges.
Das seit Corona geläufige Zu-Hause-Bleiben ist preiswerter, zumindest bei abgestellter Heizung.
Dabei werden doch nun etwas hastig alle Maßnahmen zurückgeschraubt. Ob es dadurch gleich wieder alle nach draußen drängt?
Ich tippe darauf, dass man die Corona-Maßnahmen nun für 2-3 Wochen zurücknimmt, sieht wie sich daraufhin die Zahlen entwickeln und dann alles wieder einen Schritt zurückdreht. Alles andere würde mich überraschen.
Laut Forsa unterstützen nur 34% der Bevölkerung die Lockerung. So richtig scheint es die Menschen also noch nicht wieder in große Ansammlungen zu drängen.
Massen meiden! Aber maskenlos wieder im Bistro wäre schon ganz hübsch.
Der Fehlgedanke im Straßenverkehr ist natürlich, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer als oberste Regel beachten müssen einem selbst nicht in die Quere zu kommen.
Ich glaube am kompliziertesten wird es, wenn sich manche an die Regeln halten und andere nicht. In Ländern, wo der Verkehr auf den ersten Blick chaotischer läuft, funktioniert das alles eben auch deshalb, weil alle ähnlich agieren.
Da gibt es die Sturen, denen alles egal ist und die, denen es unerträglich wäre, überholt zu werden.