Winterreise (mit Sommern)



Teil 1 – Aufstiege, leicht gemacht

Eine Reise führt immer in die Zukunft, zeitlich gesehen. Gedanklich kann sie aber in die Vergangenheit führen, bei mir sowieso. Nun bin ich dauernd mit der Ernte dessen beschäftigt, was ich gedankenverloren oder absichtsvoll gesät habe; alles, was mir untergejubelt oder beigebracht wurde, trägt nun Früchte, die nach einem Abschied schmecken, an den ich doch nicht glauben will.

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#1.1 Saat und Ernte

So, nun ist Schluss mit meinem Altruismus, mir lauter fremde Leute auszudenken, jetzt ist der nächste autobiografische Reiseblock für meinen Reiseblog fällig. Er beginnt im Dezember 2017 bzw. bei der Schwangerschaft meiner Mutter und heißt: WINTERREISEN (mit Sommern).

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#1.2 Zahnarzt-Torte

Wichtiger Bestandteil aller Reisen sind die Zwischenstationen, besonders die mit Übernachtung. Die Ziele sind meist bekannt und geschätzt, auf dem Weg dorthin kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen. Aus diesem Grund hatten wir Meran in den vergangenen Jahren auf zum Teil eigenwillige Weise angesteuert: 2015 über Prag und Wien, 2016 über Halle und Leipzig, 2017 schon einmal, über Weimar und Rothenburg ob der Tauber.

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#1.3 Großbürgerlich

1964 war das ganz anders. Am 1. Juni traf ich ein, dieses Mal ganz allein, aber zu meiner vollständigen Klasse, die letzte Gruppenreise vor dem Abitur. Obwohl es mein Vater gewesen war, auf dessen Initiative am Elternabend hin Franken von uns bereist wurde – weil er wusste, dass ich die Nordsee und unser Schullandheim auf Föhr verabscheute –, war ich doch erst zur zweiten Woche der Fahrt meiner Klasse hinterhergereist, als tapferer Rekonvaleszent im Trans Europa Express, erster Klasse.

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#1.4 Freibad

Streiche auszuhecken liegt mir nicht fern, ihr Opfer bin ich weniger gern. Besonders gelungen fand ich meine Bemühungen, Irmgard Teeck in den Wahnsinn zu treiben. Das klappte sogar noch besser, wenn meine Eltern verreist waren. Wir wohnten mit Wiemans im Doppelhaus, und deren mit mir eng befreundete Töchter Monilies und Kathrin, die sehr stolz darauf waren, nicht Wiemann zu heißen, waren genauso stolz darauf, meine finsteren Pläne in die düstere Tat umzusetzen.

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#1.5 Ernst des Lebens

Was ist aus uns allen geworden, mehr als fünfzig Jahre später? Seit Ende der Sechzigerjahre gab es keine Klassentreffen mehr. Nur mit Helmut Görlitz habe ich wieder Kontakt, weil ich ihn zufällig vor zehn Jahren im Lokal traf, an seinen roten Haaren erkannte und offenbar schon betrunken genug war, um ihn anzusprechen. Seither sind wir in lockerem Kontakt.

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#1.6 Bamberg, Bartók, Bayreuth

Aber schon am 16. Juli 1980 war ich wieder in Bamberg. Inzwischen hatte ich die Schule beendet, die Universität verlassen, die Musikhochschule besucht, beim Film volontiert, Privatunterricht bekommen, eine Lehre gemacht, eine Traineezeit durchlaufen, war Product-Manager gewesen, hatte das Repertoire-Büro geleitet und war jetzt Produzent für Klassik-Künstler. Bis auf das, was ich wollte, hatte ich fast alles erreicht.

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#1.7 Zwei ausgefallene Damen

„Nicht lange!“, äffte Rafał mich hinter seinem Steuerrad nach, „nicht lange? Das sind mehr als – das sind siebenundzwanzig Jahre!“ – „Siehst du“, sagte ich, „keine besonders lange Zeit.“ Draußen wurde es dunkel, die kürzesten Tage des Jahres. Die kahlen Felder brauchten kein Licht, und der graue Himmel spendete auch keins.

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#1.8 Die beiden Möglichkeiten

Am Morgen regnete es nicht. Wir konnten also, nachdem Rafał – von Silke und mir mit dummen Vorschlägen bombardiert – den Weg nach oben am Ende dennoch gefunden hatte, aussteigen, ohne nass zu werden. Der Domplatz war von so wenigen Menschen besucht, dass wir ihn gut ermessen konnten. Auch in der Kirche selbst konnten wir vor den Altären, unten in den Schiffen, und dem Bamberger Reiter, oben in der Höhe, ausharren, ohne geschubst zu werden.

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#1.9 Kurz vor der Grenze

Der ‚Schneiderwirt‘ in Nußdorf ist ursprünglicher geblieben. Wir hatten uns im Tief vor München, das Rafał mit 180 Sachen durchmaß, ohnehin auf Nußdorf eingestellt und waren zu alt um umzudisponieren.

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Teil 2 - Langläufe, anstrengend

Selbst mein Sadismus kennt Grenzen. Dem Leser und seiner Frau ist es nicht zuzumuten, sich durch die kompletten Tagesabläufe und die komplexen Restaurantbesuche unseres Meran-Aufenthalts durchzulangweilen. Stattdessen pinsele ich für die Leserin und ihren Mann ein Gemälde, das zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion wie besoffen hin und her schwankt; meine übliche Vorgehensweise also: Zusammenfassungen, die durch ausufernde Abschweifungen in die Länge gezogen werden.

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#2.1 Schon mittags wissen, wo man abends sein wird

Selbst mein Sadismus kennt Grenzen. Dem Leser und seiner Frau ist es nicht zuzumuten, sich durch die kompletten Tagesabläufe und die komplexen Restaurantbesuche unseres Meran-Aufenthalts durchzulangweilen. Stattdessen pinsele ich für die Leserin und ihren Mann ein Gemälde ...

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#2.2 Kochen und kochen lassen

Harald und ich machten Urlaube bei der Gastwirtin Maria Malaier, für uns ‚Määäry‘, auf halber Höhe zwischen Bozen und Meran. Habe ich mich da in Positur gesetzt!

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#2.3 Was Gott denkt

Als Kind fand ich es toll, dass Gott mich ständig beobachtete, aber ab der Pubertät fand ich das irgendwie indiskret. Alles hängt mit allem zusammen, das glaube ich immer noch, aber ob ich das jetzt Gott nenne, finde ich nicht so wichtig. Oder wohl doch! Sonst käme ich nicht dauernd auf dieses Thema zurück.

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#2.4 Frieden und Krieg

Als Silke und ich gegen drei zueinanderfanden, ließ sich immerhin über WhatsApp ermitteln, dass Rafał und der inzwischen ebenfalls eingetroffene Carsten in einem Café ‚gleich um die Ecke‘ saßen. Nachmittag im Café. Grauenhaft.

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#2.5 Kurt

Kurt(chen)s Wohnung in der Reichsstraße wurde nach Bauch und Entbindungsanstalt meine dritte Bleibe und die letzte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

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#2.6 Winterwanderer

Im Februar 1965, als ich selbstverständlich lieber zu meinen Eltern in den Schnee fuhr, statt meine Zeit mit Gleichaltrigen zu verplempern, war Kurt immer noch so lebendig, wie es seinem ‚hölzernen‘ Naturell entsprach. Das Haus war noch hölzerner als sein Eigentümer, alles feinste Zirbeltischlerei. Es gab ständig Marillenschnaps, und wir waren alle sehr lustig.

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#2.7 Glauben, denken, wissen

Zunächst hatte ich jetzt, im November 2017, für den Abschluss unseres Weihnachtsurlaubs an Kitzbühel gedacht, erinnerungsträchtiger geht es kaum. Aber als uns die ‚Tenne‘ dort nicht haben wollte, fiel mir gleich die ‚Post‘ in Kössen ein und wie glücklich die wohl wäre, mich nach 52 Jahren wieder begrüßen zu dürfen, und dann noch über Nacht.

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#2.8 In der ‚Postkutsche‘

Rafał und ich, wir setzten uns um halb sieben zu den Gästen ins Kaminzimmer und bekamen sogar den Tisch direkt vor dem Feuer: etwas heiß auf der Haut, aber angenehm für Auge und Gemüt.

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#2.9 Ausschnitte, Eindrücke

Um der Authentizität willen füge ich hier ein paar Szenen aus meinen Briefen an Harald ein: 1970 in der ‚Postkutsche‘.

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#2.10 Kur mit Anschlag

Nach so viel Text werden der Betrachter und sein weiblicher Widerpart heilfroh sein, wieder mal ein Stück Film sehen zu dürfen, natürlich erst nach einer langen Einleitung. Immerhin lasse ich die Jahre 1971 bis 1973 weg und komme gleich auf Weihnachten 1974: Da bekam ich von meinen Eltern eine Super-8-Kamera, und es war noch nicht gleich klar, was sie auslösen würde, in mir und überhaupt.

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#2.11 Im mächtigen Schatten des Gipfels

Nach Jahren intensiven Beisammenseins in Kitzbühel, Hamburg und Meran schlief die Bekanntschaft zu Rumpoldt und Dora allmählich ein. 1988 trafen Irene und ich ihn nochmal im Sommer. Das war’s.

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#2.12 Der letzte Ausflug

Am nächsten Morgen war Carsten weg und mein Schmerz auch. Carsten hatte geschäftlich in Linz zu tun, für meinen Schmerz gab es eigentlich keinen Grund, sich zu verflüchtigen, aber ich nahm es dankbar als Gottesgeschenk und fand mich damit ab, dass außerdem die Sonne weg war.

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Teil 3 - Abfahrten, sturzgefährdet

Nie habe ich Hunger, nie habe ich Durst, nie schwitze ich. Bin ich ein Alien? Ich mag kein schönes Obst, keine kleinen Kinder und keine frische Luft. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich sportlich zu betätigen, und anderen dabei zugucken, wie sie sich abrackern, das mag ich nun schon gar nicht. So ist die Ausgangslage. Abscheulich! Verachtenswert! Das darf nicht herauskommen. Deshalb muss ein Programm her!

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#3.1 Vom Freak zum Idol

Nie habe ich Hunger, nie habe ich Durst, nie schwitze ich. Bin ich ein Alien? Ich mag kein schönes Obst, keine kleinen Kinder und keine frische Luft. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich sportlich zu betätigen, und anderen dabei zugucken, wie sie sich abrackern, das mag ich nun schon gar nicht. So ist die Ausgangslage.

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#3.2 Bissfest

Jetzt saß Rafał am Steuer; zehn Minuten, nachdem wir losgefahren waren, kamen wir an eine Schlucht, schneelos. Jenseits der Felsen wurde das Land immer flacher. Eintöniger Nebel, die Orte wie abgefedert, die Felder und Wälder auch. Landschaft, stoßfest für den Versand vorbereitet. Langeweile auf Reisen geschickt, reicht das?

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#3.3 Bildung gegen Missbildung

Dann kommt Rafał, und er hat in seinen drei Stunden Interessanteres erlebt, als ich mir in meinen dreien erdacht habe. Unser Mercedes steht gut im Parkhaus; zu Scheeles nehmen wir eine Taxe. Sie, Zülal, ist Türkin und findet alles schrecklich, was sich jetzt in der Türkei abspielt.

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#3.4 München 1981: Ganz am Anfang

Nachdem Rafał genug gesehen hatte, war noch Zeit für ein Heißgetränk (ich nahm was Kaltes), bevor wir in eine Taxe stiegen. Sie brachte uns zum ‚Spaten-Bräu‘ gegenüber der Oper. Früher wäre ich das ganz selbstverständlich zu Fuß gegangen. Jetzt nicht mehr.

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#3.5 München 1981: Ganz am Ende

Am nächsten Morgen rief ich ganz schüchtern bei Dorothee an. Sie war sehr lieb und sympathisch ruhig. Der Maestro war noch bis sechs Uhr früh geblieben, und sie mit, aber wohl zum Schluss recht maulig, wie Geerd Westrum später bezeugte. Fünf Taxen hatte sie wieder wegschicken müssen, weil Lennielein im letzten Augenblick doch immer noch hatte bleiben wollen.

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#3.6 München 1991: Von Anfang an

Der Ausschnitt, den ich aus dem zehn Jahre späteren Brief rausgesucht habe, ist ‚München, sehr ausführlich‘, ohne irgendeinem Reiseführer Konkurrenz zu machen. Dr. Rüdiger Nolte war damals unser PR-Manager, später dann der Direktor der Freiburger Musikhochschule. Das wussten wir damals zwar noch nicht, aber hier wie auch für den folgenden Briefausschnitt gilt: Wer vorher neugieriger ist, ist hinterher klüger.

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#3.7 München 1991: So geht es weiter

Die Luitpold-Villa ist eines dieser ockerfarbenen, südländisch anmutenden Gebäude, Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet, mit seiner über eine Handvoll Stufen zu erreichenden, gedehnten Terrasse linker Hand, säulengesäumt, baumbeschattet.

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#3.8 München 1991: Bis zum ersehnten Ende

‚Zusammen mit meinem Schlüssel übergab mir der Portier eine Nachricht, und die lautete: ‚Wo steckst du denn? Doris.‘

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#3.9 München 2001: Am Stück

Wieder zehn Jahre weiter. Roland ist tot, Guntram vegetiert im Altersheim, zuhause ging es nicht mehr. Irene lebt mit mir im ‚Kutscherhäuschen‘: sie unten, ich oben. Aber irgendwann müssen wir – nun zu zweit – auch mal wieder nach Meran.

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#3.10 Bei voller Fahrt im Wartesaal

Silke, Rafał und ich sollten es, sechzehn Jahre danach, besser haben. Wir saßen im oberen Stockwerk des ‚Spaten-Hauses‘ eher ‚gehoben‘, also mit vornehmerer Speisekarte und Blick auf die Operntreppe. Alles etwas teurer. Ach ja, um Geld ausgeben zu können, muss man zunächst welches haben, und um es vermehren zu können erst recht.

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#3.11 Leisetreter und Lautsprecher

Der letzte Tag, an dem wir von Anfang bis Ende ‚unterwegs‘ sein würden. Ich versuche, das Zurücklegen von Strecke genauso zu genießen wie das Abbummeln ereignisloser Tage: das ‚Verweilen‘. Genießen Nonnen ihre Keuschheit und Flagellanten ihre Hiebe? Vermutlich.

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#3.12 Fasching in Fulda

Keine Frage, dass Rafał sehr andere Assoziationen mit Fulda verband als ich, und Silke gar keine, sie kannte es nicht. Ich will die Geduld meiner leidgeprüften Leseleute jetzt nicht überstrapazieren, indem ich seitenlang nicht nur von meinen Briefen, sondern auch von Wikipedia abschreibe, nur so viel:

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