Am nächsten Morgen war Carsten weg und mein Schmerz auch. Carsten hatte geschäftlich in Linz zu tun, für meinen Schmerz gab es eigentlich keinen Grund, sich zu verflüchtigen, aber ich nahm es dankbar als Gottesgeschenk und fand mich damit ab, dass außerdem die Sonne weg war. Für Silke, Rafał und mich war heute Reit im Winkl dran. An den Ort selbst hatte ich keine Erinnerungen, und das blieb auch so, als ich ihn sah. Bayerisch eben.

Foto: Privatarchiv H. R.

Die Sonne kam doch aus dem Nebel, Rafał fuhr in die Höhe. Wir sahen uns, kurz wieder in Österreich, die großzügigen Baulichkeiten des Hotel ‚Peternhof‘ an, da hätte ich mich durchaus auf die Terrasse gesetzt und bei einem Glas mit etwas Heißem drin runtergeguckt. Es wollte uns aber niemand bedienen, nicht, weil sich die Kellner zu fein, sondern weil sie gar nicht da waren.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

So fuhren wir also zurück nach Reit und fanden im Zentrum noch Platz auf der einzigen Terrasse, die in der Sonne lag. Um uns herum Norweger, die das örtliche Bier sehr mochten. Dabei handelte es sich bei dem Lokal um eine Pizzeria. Der Wirt kam aus Brindisi, und ich schwärmte auf Italienisch gegen das Norwegische an, wie begeistert ich von Apulien sei, was man als Gastwirt aus dieser Gegend sicher gern hört, wenn man in Oberbayern Pizza Margherita für Touristen aus Bergen oder Oslo bäckt.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Silke und Rafał erkundeten inzwischen den Ort und kamen so bald zurück, dass es meinen Verdacht bestärkte, es gäbe vielleicht gar nicht viel zu entdecken. Zum Schluss noch ein Mittagessen in der ‚Zirbelstube‘, echt super-romantisch, wie man sieht:

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Das ganze Tirol-Programm war abgearbeitet. Wir konnten zufrieden zurückfahren in unseren ‚Kaiserwinkl‘ und den Rest des Nachmittags ausruhen. Von was eigentlich? Am Abend gab es die übliche Stunde in der Bar und eine gediegene Mahlzeit an einem Dreiertisch.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

War das Wiedersehen mit den Schauplätzen meiner Glanzzeit lohnend gewesen? Hatte ich den anderen etwas zeigen und mir etwas beweisen können? Meine Glanzzeit. Womöglich fand sie gerade erst jetzt statt. Vielleicht bestand sie im Loslassen. Im Alter, wenn die Möglichkeiten schwinden, ist es noch wichtiger als während der Jugend, sich einzureden, dass die Wünsche selbst wichtiger seien als deren Umsetzung. Mit 20 findet man die Enteignung der Banken als etwas so Erstrebenswertes, dass es sich dafür lohnt, den Verkehr durch Demos aufzuhalten und Steine in Schaufenster oder Bulleneier zu schmeißen. Mit 70 fragt man sich, ob es wohl befriedigender ist, sich Sex mit jemandem vorzustellen, als sich der Peinlichkeit von befremdlichen Gerüchen und verkorksten Abschieden real auszusetzen. Gut, wenn du dir nichts wünschst, was du nicht haben kannst. Weiter kommst du damit allerdings nicht. Dann doch lieber im Rollstuhl der Träume durch das Altersheim des Lebens gurken. Schlaf schön!

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

15 Kommentare zu “#2.12 Der letzte Ausflug

  1. Wünsche sind doch immer erfüllender und spannender als die eigentliche Umsetzung. In jedem Alter. Ist ein Traum einmal realisiert, wird’s schnell langweilig.

    1. Man macht sich seine Träume selbst. (John Lennon)
      In seinen Träumen ist der Mensch ein Genie. (Akira Kurosawa)
      Nach jedem Traum gibt es ein Erwachen – auch nach dem erfüllten Traum. (Sam Peckinpah)

  2. Die Titelillustrationen werden immer besser und besser! Ich musste schon beim Öffnen der Seite lachen 😉

  3. Urlaube und Reisen allgemein sind immer anstrengend. Ich genieße diese Art der abendlichen Erschöpfung allerdings auch sehr.

    1. …und weiterhin viel Freude bei der Fahrt im Rollstuhl der Träume 😉 Immer eine Freude hier vorbeizuschauen.

    2. Hahahahahaha, Rollstuhl der Träume könnte glatt ein italienischer 70er-Jahre B-Movie sein. Überrascht wäre ich nicht.

    1. Da kann man ja schon gespannt sein. Religion, Folter, Eier… die Grundpfeiler für einen echten Rinke sind gegeben 😉

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