Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Am Morgen regnete es nicht. Wir konnten also, nachdem Rafał – von Silke und mir mit dummen Vorschlägen bombardiert – den Weg nach oben am Ende dennoch gefunden hatte, aussteigen, ohne nass zu werden. Der Domplatz war von so wenigen Menschen besucht, dass wir ihn gut ermessen konnten. Auch in der Kirche selbst konnten wir vor den Altären, unten in den Schiffen, und dem Bamberger Reiter, oben in der Höhe, ausharren, ohne geschubst zu werden. Ein knapper Gang am Platz entlang: Unter dem Grau des Himmels verliefen das Grau der Alten Hofhaltung aus der Renaissance und das Grau der Neuen Residenz aus dem Barock. Zusammen mit den romanischen und gotischen Bauteilen des Doms konnten die Chinesen alle vier Stilepochen des Abendlandes auf einem einzigen Selfie verewigen. Wer schöne Bilder haben will, knipst nicht, sondern kauft Postkarten, und wer mehr über Kunstgeschichte wissen will, liest nicht mich, sondern Sachbücher.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Unterwegs wurde das Wetter erst besser, dann wieder schlechter, wie Wetter das so macht, aber hinter München riss der Himmel richtig auf und brachte mich damit in Verlegenheit. Politiker sagen gern, wenn sie nach einem Plan B gefragt werden, einen Plan B bräuchten sie nicht, weil Plan A mit Sicherheit gelingen werde. Wer will auch vor der Wahl zugeben, dass er für den wahrscheinlichen Fall seiner Niederlage bereits Gespräche wegen eines Beratervertrages mit einem ausländischen Industrieunternehmen führt?

Fotos links: Privatarchiv H. R. | Fotos rechts: Stockfoto-/Wikimedia Commons

Ich finde Alternativen sehr hilfreich, nicht nur bei der Partnerwahl, sondern besonders bei meteorologisch beeinflussten Vorhaben. Mein achtzehnter Geburtstag sollte mit Fassbier und Bowle auf der elterlichen Terrasse gefeiert werden. So war es bis 18:00 Uhr geplant. Als die Gäste ab 20:00 Uhr eintrafen, war es schön, dass wir eine Garage hatten; sonst hätten wir alle im Regen gestanden. Monilies war schon streng katholisch verheiratet, Kathrin knutschte im Partykeller, und jemand riss das Fass um. Es lief aus, aber Tine griff den Besen und fegte die ganze Plörre in den Gully. So gründlich hat Tine meiner Mutter nie wieder imponiert, schon gar nicht, wenn ich später morgens gegen fünf nach Hause kam, weil Tine auf St. Pauli nicht eher müde geworden war. Ich denke, das Bier gefiel Irene sowieso besser im Abflussrohr als in ihrem Rosenbeet.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

In meinem ansonsten präzise ausgearbeiteten Reiseplan stand deshalb für den Mittag, dem wir entgegenfuhren: bei gutem Wetter ‚Bachmair an der Weissach‘, bei schlechtem ‚Nußdorf‘. Erinnerungsträchtig ist beides, und im Dezember ist der Tegernsee auch nicht so viel großartiger als der Inn; aber gerade bei unwichtigen Entscheidungen muss man es sich schwermachen: Das übt für die wirklich fiesen Brocken.

‚Bachmair‘ kenne ich seit 1956. Ich war vor Kurzem zehn geworden und nun in den Sommerferien mit meiner Mutter am Tegernsee. Im April war ich aufs Gymnasium gekommen: reine Jungenklasse, Pauker mit Vorkriegsgesinnung. Aus mir war plötzlich ein schlechter Schüler geworden. Ich war sicher, ich würde sitzen bleiben und schämte mich schon im Voraus. Die Nordsee in den Jahren zuvor hatte ich nicht gemocht, aber der wolkenverhangene See mit den flachen Bergen war auch bedrückend. Ich war wenigstens damit beschäftigt, mir eine erbärmliche Zukunft auszumalen, für meine Mutter war es noch öder, weil ihre Zukunft gesichert war. Eine Holländerin mit ihrer Tochter bot für ein paar Tage Abwechslung. Endlich wieder ein Mädchen.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Die grantige Wirtin unserer Pension behandelte uns schlecht, was meiner standesbewussten Mutter mehr auffiel als mir. Kaum aber traf mein Vater mit Chauffeur ein, war die Alte wie ausgewechselt, was meiner Mutter erst recht auffiel. Mein Vater blieb zwei Tage, an einem davon entflohen wir der ‚Kröte‘, wie meine Mutter sie nannte, und aßen bei ‚Bachmair an der Weissach‘.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

1962 und 1963 waren meine Mutter und ich wieder am Tegernsee, weil ich, wie längst erwähnt, Reiten lernen sollte. Als mein Vater mit neuem Chauffeur und neuem Auto kam, schaffte ich trotz Alpensohns ungehörigem Knietritt die Strecke vom Parkplatz bis zur Wirtshaustür von ‚Bachmair an der Weissach‘ problemlos.

1979 auf dem Weg von Othmarschen zum Peloponnes war am ersten Tag ein Mittagessen an der Weissach selbstverständlich. Dafür hatten Roland und ich schon um halb fünf unser Bett verlassen, und Harald stieg als Dritter im Bunde um fünf Uhr dazu und bei Bachmair als Erster wieder aus. (Er hatte am Steuer gesessen.)

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Danach waren meine Eltern und ich bis in die späten Neunzigerjahre immer wieder in dem Lokal, meistens auf dem Rückweg aus Meran. Wir aßen Schweinsbraten in der Bierkruste und hinterher Salzburger Nockerln. Dann war die Welt irgendwie in Ordnung, selbst, wenn sie es nicht war.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Silke ist die Gaststube längst vertraut, und selbst Ralał kennt sie schon. Aus unserem Landgasthof von 1956 ist allerdings inzwischen etwas Neureiches geworden, das neben Spanferkel auch Sashimi (刺身) kredenzt.

12 Kommentare zu “#1.8 Die beiden Möglichkeiten

  1. Spanferkel und Sashimi klingt angsteinflößend. Ähnlich wie die Kombi Kebab und Pizza. Oder wie Geschäfte mit asiatischen Köstlichkeiten aus China, Vietnam & Thailand. Ich will, dass meine Pizza aus Italien kommt. Und mein chinesisches Essen aus China. Nein zur Billigfusion.

    1. Um Missverständnisse zu vermeiden: das Schwein und der Thunfisch liegen nicht auf demselben Teller und werden im allgemeinen nicht vom selben Gast aus der Speisekarte gewählt.

    2. Hahaha immerhin! Aber der Vorbehalt (meiner jedenfalls) geht eher gegen Restaurants, die alles anbieten. Wer behauptet asiatische, italienische und deutsche Küche gleichermaßen zu beherrschen verdient entweder zwei Michelin-Sterne oder einen großen Bogen.

  2. Gibt es denn überhaupt noch Postkarten? Also welche mit schönen neuen Bildern? Ich habe meistens das Gefühl, dass der Postkartenständer hauptsächlich mit Überresten aus den 70ern und 80ern gefüllt ist…

  3. Pensionswirte und -wirtinnen müssen grantig sein. Sonst stellt sich gar kein richtiges Urlaubsgefühl ein 😉

    1. Ob‘s das Urlaubsgefühl steigert weiss ich gar nicht, aber in meiner Erinnerung gehört eine gewisse Grantigkeit auch immer zum typisch zünftigen Erlebnis dazu.

    2. Ich muss vor allem die bayerischen Gastwirte in Schutz nehmen. Die haben ebenfalls diesen Ruf. Hat sich allerdings mir gegenüber bisher nie bewahrheitet. Kann nur positives berichten.

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