Harald und ich machten Urlaube bei der Gastwirtin Maria Malaier, für uns ‚Määäry‘, auf halber Höhe zwischen Bozen und Meran. Habe ich mich da in Positur gesetzt! ‚Rustikale Laszivität‘ hieß das bei uns.

Fotos: Privatarchiv H. R.

Ab 1979 verbrachten wir Wochen in der Wohnung, die meine Eltern am Ortsrand gekauft hatten. So war das damals:

Ab 1987 stand uns die Wohnung im Privatweg nahe der Promenade zur Verfügung, ab 1997 zusätzlich das Haus daneben. Jetzt gehört das alles mir. Manchmal gelingt es mir zu glauben, ich sei glücklich, aber dass ich Glück gehabt habe, das weiß ich rund um die Uhr.

Zu Weihnachten waren wir nie wieder da. Erst als Roland und meine Eltern längst in ihren Gräbern ruhten, probierte ich das 2014 nochmal. Silke war nicht in Bestform, mein damaliger Betreuer Erhan war ein sehr anderes kulturelles Umfeld gewohnt, und Giuseppe kam, tröstete alle, und ließ sich selbst trösten, wie üblich vom lieben, katholischen Gott, der gerade zu jener Zeit seinen Sohn durch Marias Scheide auf die Erde geschickt hatte, laut Dogma 2014 Jahre zuvor.

Foto: Dreamcreation/Shutterstock

An Silvester war Silke unpässlich, aber Giuseppe, Erhan und ich hatten es hübsch. Nachträglich – also wie immer – kommt es mir so vor, als sei ich da beim Unsinn-Quatschen, Krüppel-Tanzen und gleichzeitigem Wie-alle- und Gegen-den-Strich-Leben zum letzten Mal überschwänglich gewesen. Überschwang gehört zu den vielen Empfindungen, die erlöschen, sobald man sich ihrer bewusst wird. Gott sei Fluch gibt es daneben eine Unmenge an Empfindungen, die durch das Bewusstsein noch verstärkt werden: Angst, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, um nur drei besonders populäre Beispiele zu erwähnen.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Dieses Mal, im Dezember 2017, sollte alles ‚glatt‘ laufen, aber ohne ‚Ausrutscher‘, und das tat es auch, was erfreulich zu erleben, jedoch fade zu erzählen ist. Giuseppe traf an Heiligmorgen ein, am Abend gab es erst ‚Russischen Salat‘, wie im Rezept ohne Salat, dann bereitete Rafał Meraner Karpfen polnisch zu, mit steinpilzdurchwirktem Sauerkraut, wie ich es von meiner Mutter her kenne. Ein Wagnis! Seit dem Sommer hatte Rafał nämlich eine Aversion dagegen, Meeresbewohner in den Mund zu nehmen. Er meinte, ein Übermaß an Garnelen und Goldbrassen zuvor habe ihn ausgelöst, diesen Schub, aus dessen Auswirkungen sich Rafał in den Tagen vor Christi Geburt mit Dosenthunfisch vorsichtig herausgetastet hatte. So konnte er den Speisefisch nicht nur zubereiten, sondern auch essen. Wie schön. Wenn der Koch nicht mitisst, vermutet man ja rasch was Unrechtes im Gericht. Dabei weiß ich doch bestens, dass nicht der Bauch den Appetit auslöst oder vernichtet, sondern die Seele.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Marzipanmasse für die Bratäpfel war auch leicht zu besorgen gewesen. Die Geschenke waren bereits vor dem Essen verteilt worden, schon damit mir der Karpfen nicht in der Gabel stecken blieb. Für mich hat diese Geschenk-Arie seit jeher etwas Beklemmendes. Mein Vater fand fast nie das Richtige, sparte sich deshalb irgendwann mal die Überraschungen und gab meiner Mutter lieber gleich das Geld, dann brauchte sie hinterher nichts umzutauschen. Pali war ein fabelhafter Schenker. Man merkte sofort, dass er sich über Geschmack und Wesen dessen, den er beschenkte, Gedanken gemacht hatte. Einmal, im Jahr 2000, machte ich meinem Vater gegenüber eine Andeutung in dieser Richtung, die Guntram mit der Bemerkung abbürstete: „Nein, also für Kinkerlitzchen hatte ich keine Zeit.“

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Ich guckte es Pali ab, das Jahr über schon Geschenke für Weihnachten auf meinen vielen Reisen zu sammeln, was mir eine Panik Anfang Dezember ersparte. Harald und ich veranstalteten regelrechte Geschenkorgien, wobei die wesentlichen Geschenke (das Gekaufte) vom selbstgebastelten eigentlich Wesentlichen (dem EW) zu unterscheiden waren.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Eigentlich fiel mir für jeden etwas ein: etwas Herziges, etwas Nützliches, etwas Gemeines. Lieber schenkte ich, als dass ich beschenkt wurde. Immer fürchtete ich mich beim Auspacken davor, gleich etwas zu sehen, das ich bejubeln musste, obwohl ich es scheußlich fand. Nun bin ich auf ‚amazon‘ angewiesen. Ich bestelle eine Ware, die auf dem Bildschirm nett aussieht und weiß, dass die Zeiten vorbei sind, in denen ich wählerisch die Einkaufsstraßen abgraste. Jetzt bin ich ein Vieh, das fressen muss, was in den Trog kommt. Glücklicherweise bin ich gleichzeitig der Knecht, der über das Futter entscheidet.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Hier, so sahen früher meine Geschenkverpackungen aus: als Beispiel Silkes Geburtstag 1980.

Nach Heiligabend gingen wir an den übrigen Feiertagen essen, um Rafał zu entlasten, damit er sich nicht ausgebeutet fühlte. ‚Zwischen den Jahren‘ gab es ja genug zu kochen, und wer selber kocht, der kann sich all die Komplimente ins eigene Haar schmieren, die im Restaurant bloß an die Kochmütze durchgereicht werden. Auf dem Kopf geht es bei Rafał inzwischen übrigens ziemlich wuschelig zu. Als wir ihn kennenlernten, trug er diesen grässlichen Hauptputz: an den Seiten wegrasiert und oben voll, mein Berliner Gesundenpfleger trägt es immer noch so, und wenn er auf diese Zeilen nicht reagiert, heißt das nicht nur, Tobi liest meine Texte nicht, sondern außerdem: Meine Lektorin Karin ist verschwiegen.

Fotos (2): ALEKS & SHANTU GmbH

Ich habe volles, ungestutztes Haar sehr gern: erinnert mich an meine Jugend, nicht nur über der Stirn, sondern auch in der Zeitgeschichte. Lebensgefühl ist immer eigene Verfassung plus äußere Umstände, und da gab es in meiner Generation lange Zeit wohl eher ein Lebensgewühl.

Am ersten Feiertag waren wir bei ‚Onkel Taa‘, am zweiten bei ‚Sigmund‘, zu Silvester beim ‚Oberwirt‘ und Neujahr im ‚Kallmünz‘. War alles gut, also nicht erwähnenswert. Abends gab es Filmprogramm aus der Konserve und Spezialitäten aus dem Kühlschrank. Alles gediegen, und Rafałs Festschmuck bestrahlte die wohlige Ereignislosigkeit.

Fotos (8): Privatarchiv H. R.

Wem das Glück solcher Ereignislosigkeit beschieden ist, der hat Muße, sich einen Teil all des Schlimmen auszumalen, das ihm, natürlich auch ihr, erspart bleibt. In der Politik ringt Angela Merkel um eine Koalition und alle gucken ihr dabei zu: Das ist ein bisschen wie Pissen in der Öffentlichkeit. Als Gott den Penis erfand – übrigens ein schützenswerter Buchtitel, merkt ab jetzt aber jeder Eingeweihte, dass er von mir geklaut ist – also damals jedenfalls: Hat er sich da auch schon die Klitoris für Eva ausgedacht oder ist ihm die erst später eingefallen? Wäre Adam schwul gewesen, hätte Gott der Erde einiges erspart, aber er war nun mal sensationslüstern. Wie Kreationisten wissen, ‚zeigt uns die Bibel ganz klar, dass Gott uns Menschen nicht mehr oder weniger zufällig im Universum gefunden hat, sondern vielmehr den gesamten Kosmos mit seinen geschätzten 10 hoch 80 Atomen NUR und ausschließlich WEGEN uns Menschen geschaffen hat.‘ – Nichts geht über Zuversicht, Fakten schon gar nicht.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

16 Kommentare zu “#2.2 Kochen und kochen lassen

  1. Nicht dass ich nur auf die Bilder schaue und den Text ignoriere, aber ich möchte doch auf Herrn Rinke’s Weihnachtskopfschmuck weiter oben aufmerksam machen 🙂 Fantastisch!

    1. Auf den Kopfschmuck muss man aufmerksam machen, wie auch auf die Tatsache, dass Herr Rinke durchweg von gut aussehenden jungen Männern umgeben zu sein scheint. Ich bin ein wenig neidisch 😉

  2. Diese beiden animierten Fotos haben mir fast die Kaffeetasse aus der Hand fallen lassen, hahaha! Großartig!

  3. Frau Merkels Ringen um ihr Amt ist tatsächlich nur schwer mitanzusehen. Man weiss nicht so recht, ob man verärgert, entsetzt oder mitleidig sein soll.

    1. Sie hat’s ja auf den letzten Drücker noch einmal geschafft. Die SPD hat sie (aber wohl leider nicht sich selbst) gerettet. Ob’s auch für neue Ideen reicht bleibt abzuwarten…

    2. Das einzig positive ist wohl, dass man noch einmal vier Jahre Zeit hat um sich mit der Frage zu beschäftigen warum die AfD so stark abschneidet und was man dagegen tun kann. Wie man das Vertrauen der verlorenen Wähler zurück gewinnt…

    3. Wenn man die letzten Jahre als Anhaltspunkt nimmt, wird daraus wohl leider nichts werden. Ich drücke uns allen trotzdem die Daumen.

  4. War alles gut, also nicht erwähnenswert. Wie wahr! Die besten Geschichten handeln doch meistens davon, wie etwas eben nicht glatt läuft, wie man in (und wieder aus) eine(r) ungewollte(n) Situation rutscht etc. Wer erzählt denn schon gerne vom Urlaub wo alles wie geplant in großer Harmonie vor sich hin plätscherte?!

    1. Stimmt. Meine liebste selbst erlebte Geschichte handelt von einem völlig verhunzten Aufenthalt in Indonesien, wo alles, aber auch wirklich alles, schief ging.

  5. Schenken ist so etwas tolles. Und Geschenke aussuchen oder gar zufällig finden eine meiner liebsten Beschäftigungen. Dass manche Menschen keinen Sinn dafür haben, verstehe ich nur schwer.

    1. Die Umschläge, damit man sich gleich selbst was Schönes kaufen kann, kenne ich leider auch nur zu gut.

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