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Frühling in Florenz  —   Teil 2: Zwischensaison

#2.3 Komfort im Waschraum

So ging die Zeit mit Essen – überwiegend von Rafał zubereitet –, Lesen und Denken – selbstgemacht – dahin; von oben der Blick ins Tal, von unten der Blick in die Berge.

Fotos (6): Privatarchiv H. R.

Geredet wurde auch. Das mag ich eher nicht so. Andere schon. Wer jemandem, der etwas erzählt, ein Kompliment machen will, sagt: „Du solltest ein Buch schreiben!“ Eine ganz, ganz doofe Floskel. Um ein Buch zu schreiben (das ja sowieso kaum noch jemand liest), braucht man nichts zu erleben. Man muss schreiben können. Ein bisschen Fantasie würzt natürlich. – Dann war es endlich so weit: ‚Frühling in Florenz‘.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Am Samstag, dem 21. April brachen wir auf, pünktlich um zehn, bei wolkenlosem Himmel die ganze Strecke über: durch das Etschtal ins Trentino, (wo Gott sei Dank die deutschen Bezeichnungen wegfallen, damit man sich nicht mehr so unverreist vorkommt), aus den Alpen heraus übers flache Verona, über die ganz, ganz flache Po-Ebene und Bologna in den Apenninen und die Toskana. Schreiend gelber Ginster, reklameroter Mohn, salatsattes Grün der Bäume: Farben im Überfluss, mal schön aufdringlich, mal nett zurückhaltend.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Knapp jenseits der Autostrada vor Barberino di Mugello das Restautant ‚Le Capannine‘. Italien, wie man es sich vorstellt, wenn man es nicht kennt: Lärm, Geschäftigkeit und die riesigen rohen Jungochsenmassen in der Auslage für das Bistecca alla Fiorentina, die vorgezogene Antwort der Medici auf das argentinische Pampasteak. Für Veganer wie Benatar ist aber auch genügend Pasta mit Pilzfüllung im Angebot. Sich ausschließlich von schmerzunempfindlichen Steinen zu ernähren hat die Natur nicht vorgesehen, so dass jeder, der isst, töten, brechen oder pflücken lassen muss, damit er weiterhin leben kann, bis auch seine Zeit um ist, wie jetzt bereits für die  Lebensmittel auf seinem Teller.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Ein Vierertisch mit Blick auf das Gewusel war rasch gefunden. Nach abstinenten Wochen endlich wieder Wein, aufmerksame, flinke Kellner und -innen, zu denen man früher ‚Fräulein‘ oder ‚Signorina‘ gesagt hätte. Jetzt traut man sich ja nur noch, Aufmerksamkeit heischend zu winken, um niemanden durch eine falsche Anrede zu beleidigen. „Senta, cameriere!“ klingt im Italienischen fast schon so unfreundlich wie „Du da, Neger, komm ma’ her!“ im Deutschen.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Wir aßen das, wozu wir Lust hatten; Sally, an meine Beine geschmiegt, kam auch nicht zu kurz. Ich finde es immer sehr erleichternd zu wissen, dass sie mir in hündischer Treue etwas abnehmen wird; dann kriege ich vor Erleichterung gleich schon etwas mehr runter. Natürlich versuche ich mir ständig einzureden, dass es dem Personal völlig egal ist, wie viel ich esse, solange ich zahle, aber ich bilde mir trotzdem nach wie vor ein, die Bedienung würde in der Küche, gemeinsam mit dem Koch, über meinem halb leeren Teller heulend zusammenbrechen.

Fotos (13): Privatarchiv H. R.

Nun fuhren wir durch hügelige, unverbaute Landschaft zu unserem Bestimmungsort: außerhalb von Borgo San Lorenzo das ‚Monsignor della Casa‘. Die Anlage besteht aus einer Reihe einstöckiger Steinhäuser. Ich hatte unten ein geräumiges Wohnzimmer, angeschlossen Kochtrakt und Essplatz, ein Bad. Schön zu haben. Dass ich nichts davon brauchte, machte es so besonders luxuriös. Im ersten Stock gab es ein Schlafzimmer mit zwei Betten für niemanden und eins für mich mit Baldachin über der Schlafstätte.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Das Bad, gleich daneben, mit Bidet. Ein Bad ohne Bidet ist wie eine Küche ohne Herd; denn der Anus braucht die Warmwasserspülung genauso dringend wie der Mund die Suppe. Ohne die Bidets in all meinen Bädern würde mir viel fehlen. Im Alter ist Reinlichkeit schwierig, aber vonnöten. Dass Menschen in jordanischen Lagern mit einer Toilette für hundert Leute auskommen müssen, tut mir schrecklich leid, und jedes Mal, wenn ich mich auf eines meiner Bidets setze, denke ich auch teilnahmsvoll daran, aber ich bin doch froh, dass mein Arschloch es besser getroffen hat. Ein Schlafzimmer ohne Liege mutet kein Hotel seinen Gästen zu, wieso dann ein Bad ohne Bidet? Bett, Bad, Bidet: die Dreifaltigkeit der Lebensfreude. Noch ein Biedermeiersofa und ein Refektoriumstisch aus umbrischem Kloster – fertig ist die Wohnkultur.

Fotos (5): Privatarchiv H. R.

Ich ging … zunächst davon aus, dass Silke und Carsten/Rafał ähnlich komfortabel untergebracht waren, … und anschließend mit ihnen zum Aperitif auf die Terrasse des Anwesens unter Olivenbäumen. Wir hatten alle unsere eigenen kleinen Vor- und Seitenplätze im Kies, aber auf denen wurde man nicht bedient und sah keine anderen Menschen, und gerade dazu ist Wegfahren ja da; es einfach bloß schön haben, das kann man auch zu Hause.

Fotos (4): Privatarchiv H. R.

Die Leute waren nicht zu laut, die Luft war nicht allzu kalt, zumal Decken gebracht wurden, und das Essen war nicht zu viel, wenn man Sally zur Unterstützung hatte.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Wir gingen bald nach zehn in unsere Häuser und nach knapper Lektüre schlief ich in dem schadenfrohen Bewusstsein ein, dass es hier auch nicht gleich um die Ecke einen ‚Gay Romeo‘ geben würde, der Bedürftigen aus unserem Tross die Nacht verkürzen würde. Oder doch?

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

14 Kommentare zu “#2.3 Komfort im Waschraum

  1. Man braucht nichts zu erleben. Man muss schreiben können. Da habe ich noch nie drüber nachhedacht. Wie wahr!

    1. Da schließe ich mich an. Diejenigen Schriftsteller, die endlos weitererzählen und ohne Filter vor sich her schwafeln sind am schlimmsten. Da nützen noch so spannende Ereignisse und Erlebnisse nichts.

  2. Die Dreifaltigkeit der Lebensfreude hat mich so amüsiert, hahaha! Und begeistert. Wieviele Bücher, Musikalben etc. man unter diesem Titel herausbringen könnte 😉

    1. Ich ziehe wenn es um die Reinigung meines Arschlochs geht allerdings die japanische Toilette dem französischen Bidet vor. Geschmacksache.

  3. Richtig, wer isst, tötet auch. Ob Tier oder Pflanze. Das wird von veganen Gutmenschen gerne mal übersehen.

    1. Sicher nicht. Aber sich dessen bewusst zu sein, wie Leben funktioniert, lässt doch einige Rückschlüsse über den Charakter dessen zu, der/die das Dasein erfunden hat.

    2. Im Grundsatz macht das doch nur Sinn. Alle Lebewesen bilden, in Nahrungsketten verbunden, ein Ökosystem. So wird nicht zuletzt Überpopulation vermieden. An Massentierhaltung hat da sicherlich niemand gedacht.

  4. Die Leute nicht zu laut, die Luft nicht allzu kalt, das Essen nicht zu viel – das klingt so nach Durchschnitt, und so gar nicht nach Ihnen!

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