Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Nach Ostern und vor Mai gibt es ein touristisches Loch, was für Südtirol finanziell unbefriedigend, aber seelisch sehr erholsam ist. Das Wetter war gut oder schlecht, ich achtete nicht so sehr darauf, bis auf die Male, bei denen das Wetter so verdammt schön tat, dass mich Rafał und Carsten vor die Tür zwangen, und wie es schien, nicht aus Mitleid, sondern aus Tatendrang, so dass ich ihrem Ansinnen moralisch nichts entgegenzusetzen hatte als inakzeptable Faulheit.

Fotos (8): Privatarchiv H. R.

Die Natur war bis vorgestern zwei Wochen im Rückstand, hieß es. Heute ist der 18. April – und sie hat kräftig aufgeholt. Alles grünt und blüht wie toll unter blauem Himmel – man bekommt direkt ein schlechtes Gewissen, wenn man vor Begeisterung nicht wahnsinnig wird.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Trotzdem darf man sich ja als nachdenklicher Mensch – mit Lichtschutzfaktor 20 eingeschmiert, auf dem Liegestuhl hingestreckt, die Winterblässe niederkämpfend – bei geschlossenen Augen seine Gedanken über das machen, was Menschen beschäftigt, die weniger beschäftigt sind.

Meinen Beitrag zu #metoo hatte ich schon im vorigen Blog-Komplex geleistet, ohne mit dem erhofften Shitstorm belohnt zu werden. Ein Thema, das mich jetzt reizt, ist der plötzlich wieder diskussionswürdige Begriff ‚Heimat‘.

Erst wollte ich den ersten Teil dieses Reiseberichts ‚Von der Heimat in die Heimat‘ nennen, aber das wäre doch noch irreführender gewesen als der Obertitel ‚Frühling in Florenz‘. Zuhause bin ich in dem Hamburger wie in dem Meraner Gebäude, in dem meine Herde stehen. Aber Heimat? Das hat so etwas Generationenübergreifendes, und da tue ich mich schwer oder eher leicht. Da möchte ich gleich sagen: hab ich nicht! Das ist was für Vertriebenen-Urenkel, Fiedelhuber Lausbuam-Konzerte und AfD-Wähler – aber das sind zusammengenommen ja gar nicht so wenige – und kommt man wirklich ohne Heimat aus? ‚Vaterlandsloser Geselle‘ war für meinen Großvater ein schlimmes Schimpfwort. Solch schlimme Schimpfwörter gibt es für Männer jetzt gar nicht mehr, da ist bei ‚Scheißkerl‘ schon Schluss. Bei Frauen lässt sich die Schraube heute noch um ein paar Windungen weiterdrehen, dafür gab es früher keine vaterlandslosen Gesellinnen. Meine Mutter war so eine. Lebte in Danzig staatenlos in der polnischen Minderheit. Mein Vater Guntram war Sachse, aber nicht wirklich. Nachdem er in Wurzen geboren war, zogen seine Eltern und die vier Söhne erst quer durch Deutschland und dann nach Berlin. Da lebte Guntram dreißig Jahre, bevor er für den Rest seines Lebens mit uns nach Hamburg zog. Berlin hat er dann nie vermisst, seins war ja sowieso untergegangen. Ich habe mich an das unromantische Hamburg gewöhnt, mich aber nie mit der Stadt identifiziert. Berlin war aufregender, geschichtlich und aktuell, aber damals weder Bundesrepublik noch DDR.

Foto: Privatarchiv H. R.

Politisch und gefühlsmäßig war ich Westberliner, mit überwiegend östlicher Herkunft. Allerdings: Die Vorfahren meiner väterlichen Großmutter kamen aus Holland, und meine Mutter hatte neben ihrem herrlichen Judenblut einen russischen ‚Schwarzviehhändler‘ (wegen dieser Bezeichnung Guntrams Liebling) und angeblich eine spanische Tänzerin, die ihr polnischer Ururgroßvater aus Madrid mitgebracht hatte, nachdem er 1808 unter Kozietulski am Somosierra-Pass für Napoleon gekämpft hatte.

Jahrzehntelang hatte ich in Berlin viele berufliche und private Erfahrungen gemacht (überwiegend positive), dann fiel die Mauer und Berlin wurde wieder Hauptstadt. Da entschloss ich mich, nicht mehr West-, sondern Ganzberliner zu sein, vom Pass her Deutscher, von der Gesinnung Europäer. Obwohl ich versuche, nichts auf Nationalitäten zu geben, bin ich wider Willen ein bisschen rassistisch: Im Allgemeinen sind mir Juden sympathischer als Nichtjuden, jedenfalls wenn sie Atheisten sind. Mit gebildeten Rumänen und Georgiern fühle ich mich verwandter als mit doofen Deutschen. Mit einem gutaussehenden, geistreichen Asiaten oder Afrikaner wäre ich lieber im Bett oder im Gespräch als mit einem hässlichen patriotischen Wuppertaler. Und sicher, jedes Mal, wenn ich das Berliner Pflaster sehe, schlägt mein Herz höher, aber eigentlich ist weder die Spree noch die Elbe mein Zuhause, sondern mein kleiner Hof in Othmarschen und mein Stückchen Sackgasse in Meran. Heimat? Französischer Intellekt, italienische Sinnlichkeit, deutsches Gemüt, amerikanischer Ost- und Westküsten-Ehrgeiz und meine ureigene Faulheit: Mit diesen Begriffen kann ich etwas anfangen, und das war’s auch schon. Als Kind hatte ich kein Vaterland, das hatte mein Vater nicht verteidigen können, und keine Muttersprache, die hatte meine Mutter erst später gelernt. Ach, ich habe so viel Heimatlosigkeit in den Genen, und auch Berlin hat, genau genommen, wenig dazu beigetragen, dass ich es mir, eigentlich losgelöst von Deutschland, als einzig vorstellbare Art von Heimat auserkoren habe.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Und nun weg von mir zu den anderen.

Fotos (2): Privatarchiv H. R. | Foto unten: gemeinfrei/pixaby

Früher hatten die Menschen Heimat, aber auch nicht viel mehr. Kant ist nie aus Königsberg herausgekommen und hat trotzdem nicht viel weniger über die Menschen nachgedacht als ein Pauschaltourist, der es von Bamberg nach Bangkok geschafft hat. Heimat teilte sich früher erst in der Fremde mit: Wenn man im wilden Westen sein dänisches Meer oder sein deutsches Schwarzbrot vermisste. Heute machen Ängstliche Urlaub wer-weiß-wo und befürchten, dass Ausheimische die eigenen Dörfer übervölkern. Bis zu einem gewissen Grade habe ich Verständnis dafür. Orthodoxe Juden und primitive Afrikaner kriegen viel mehr Kinder als reiche Intellektuelle. Dumm vermehrt sich stärker als klug. Wo soll das hinführen? Für Diktatoren ein gefundenes Fressen. Kann Bildungspolitik das ausgleichen? Fack ju Göhte. Meine Welt geht zweifellos unter, aber so richtig erst, wenn ich schon tot bin, also habe ich – nach mir die Sintflut – noch genügend Zeit, alle die zu verachten, die weniger kosmopolitisch sind als ich.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Trotzdem gibt es Grenzen. Auch bei der Toleranz. Frauen mit diesem ‚islämmerigen‘ Kopftuch stören mich im abendländischen Straßenbild: Die sind unterwürfig und gebären dauernd, denke ich. Schafe haben auf Großstadtstraßen nichts zu suchen. Der Islam gehört, seitdem am 2. Januar 1492 die Mauren von Granada endgültig besiegt wurden, nicht mehr zu Europa. Dass der Kaffee nach Europa kam, weil die allahgläubigen Türken bis 1683 vor Wien lagen, stimmt auch nicht: Der Augsburger Arzt Leonhard Rauwolf lernte schon 1573 in Aleppo Kaffee kennen und berichtete davon 1582. Kein Grund zur Dankbarkeit. Also, wer an der Bayerischen Grenze die Gastfreundschaft verweigert und eine Weißwurst mit Bier ablehnt, der oder die wird nicht reingelassen. Ich fände es auch richtig, wenn beim japanischen Zoll Leute zurückgeschickt würden, die kein Sashimi essen. Die Japaner, eine ‚artverwandte Heldenrasse‘, über diesen Nazi-Ausdruck lachte schon mein Vater. Rasse, Masse oder Klasse. Was setzt sich nun durch? Nicht Stärke, sondern Anpassung. Ich probiere auch in allen Landstrichen das, was dort Brauch ist. Zumindest einmal. Ausspucken kann man hinterher immer noch, und ich verlange von Asylbewerbern auch nicht, dass sie den blutigen Mann am Kreuz anstarren wie hypnotisierte Nonnen – aber nicht klauen und nicht vergewaltigen, das kann man schon erbitten, selbst, wenn man nachfühlen kann, wie sehr der Verlust von Heimat schmerzt.

15 Kommentare zu “#2.1 Heimatgefühle

  1. Also vergewaltigen tut man in der Regel ja nicht weil man seine Heimat verliert, sondern weil man ein Arschloch ist. Da ist übrigens egal ob man als Inder in Indien ist, oder als Bayer in Berlin, oder als Flüchtling in Griechenland. Vielleicht kommt der erwünschte Shitstorm doch noch Herr Rinke. Aber wahrscheinlich schreiben Sie dafür ansonsten viel zu viel Vernünftiges.

  2. Heimat ist auf alle Fälle nicht was die AfD propagiert. Und dass dies die Mehrheit der Deutschen immer noch so sieht, war in Berlin heute mal wieder sehr sichtbar. 5.000 AfDler gegen 25.000 Gegendemonstranten. Schreibt zumindest der Tagesspiegel. Probleme löst man eben nicht mir hirnlosen Parolen. Ein Hoch für Toleranz und Offenheit!

  3. Macht man sich seine Heimat nicht selbst? Wie Sie neulich schrieben mit „Büchern, Bett und Bad“… Jedenfalls brauche ich nicht Herrn Seehofer um mir mir ein Gefühl von Heimat zu vermitteln.

  4. Meine (Wahl-)Heimat ist ebenfalls Berlin. Und zwar gerade weil es dort eben nicht den von der AfD oder der CSU so sehr vermissten Nationalwahn gibt. Wie man wie oben gesagt bei der gestrigen Demo sehr schön sehen konnte. Offenheit statt Kleingeist bitteschön.

  5. Dumm vermehrt sich nicht stärker als klug. Arm und ungebildet vermehrt sich stärker als privilegiert. Ein großer und wichtiger Unterschied wie mir scheint.

    1. In früheren Zeiten vermehrten sich die Privilegierten wie toll. Maria Theresia 16 Kinder. Seit es Maschinen und Altersversorgung gibt, sind auch für Bürger und Bauern Nachkommen nicht mehr so überlebensnotwendig, sondern eine hübsche Beschäftigung, bzw. Gottes Auftrag oder der Wille, seine Gene weiterzureichen. Privilegiert ist, wer in Liebe aufwächst. Und der Bildung würde ich noch viel mehr das Wort reden, wenn es nicht die NS-Justiz und -Ärzteschaft gegeben hätte.

    1. So wie ich Herrn Rinke’s Produktivität einschätze ist der Titel sogar schon im Hörsaal zu finden 🙂 P.S. Interessanter Beitrag!

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