Süd nach Südwest

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#54 – Abschiedsessen

Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.

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#53 – Ausgestorbene Berufe

2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.

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#52B – Tulpenfieber

Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.

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#52A – Im Haus

Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.

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#51 – Lehren ziehen

Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.

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#50 – Nur 20 Prozent Männer

Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.

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#49 – An Rom vorbei

In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.

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#48 – Das neue Kleid

2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.

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#47C – Wo man was macht

1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.

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#47B – Mitbringsel

Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.

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#47A – Die Festung

Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.

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#46 – Weltkulturerbe und wir Erben

Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.

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#45 – Urlaub

Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.

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#44C – Durch Monreale und durch Müll

Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.

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#44B – Wahrheiten und Lügen

Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.

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#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein

Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.

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#43 – Ein Finne auf der Fähre

Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.

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#42 – Das Machbare

Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.

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#41 – Was nicht passiert war und was doch

Fortsetzung 1975: Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.

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#40 – Mein Ruf

Fortsetzung 1975: In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.

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#39 – Bezahlen

Fortsetzung 1975: Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.

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#38 – Überfahrt

Fortsetzung 1975: Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...

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#37B – Erinnerungen an Erinnerungen

Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.

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#37A – Hummer am Straßenrand

Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.

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#36 – Unwiederbringlich?

Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.

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#35B – Heute: einmal reicht

Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.

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#35A – Damals, mehrmals

Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...

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#34 – Wetten, dass nicht …

Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.

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#33 – Vollmond

Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.

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#32B – Abstecher

Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...

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#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken

Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.

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#31B – Orest

Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.

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#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch

Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.

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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation

Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘

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Hanno Rinke

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