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Tänzer außer der Reihe

Dialog 27: Am Rande

RAUBBAU

(Der Transvestit: T; der Masochist: M)

T: Na, Süßer, du siehst ja so mitgenommen aus.

M: Du nimmst mich jedenfalls nicht mit.

T: Thü! Wart’s ab! Was ich will, das krieg ich auch. – Was machst du überhaupt hier oben auf der Straße? Du passt gar nicht hinter diese weiße Clubtür. Da hopsen doch nur die Kinder auf dem Tanzboden. Husch, husch, in den Keller, wo die Kerle sind!

M: Und was machst du hier? Warum bist du nicht auf ’m Tuntenball?

T: Tja, is’ heut’ nicht, und irgendwo muss ich meinen dicken Arsch ja rumschwenken. Andere haben ihren Fiffi zum Gassigehen, siehst du, und ich führ’ meinen Arsch spazieren.

M: Good luck!

T: Danke, danke, harter Mann! Aber ganz so hart siehst du eigentlich gar nicht aus. Hast du dir den Lederfummel ausgeliehen?

M: Damit du klar siehst, Alte, vielleicht bin ich kein knallharter Mann, aber ich such’ ’n knallharten Mann, schnallst du das?

T: Entzückend! Ich bin die geborene Domina. Ich schwing’ die Peitsche besser als mancher Schlappschwanz seine Rute.

M: Du? Ich werd’ verrückt. Geh lieber wieder rein ins Tanzvergnügen. Vielleicht ist grad Elefantinnen-Wahl.

T: Nun kneif nicht, Junge, ich will’s wissen!

M: Ich aber nicht. Such dir einen, der sich in die Hosen scheißt, wenn er ’n richtigen Ledertypen sieht! Der fährt vielleicht noch ab auf dich.

T: Igitt, nee! Was soll ich denn mit so ’m Waschlappen, wo schon die Draufgänger so schüchtern sind?

M: Du bist ja gut in Fahrt, Tante. Hast dir einen geballert?

T: Ach, Schätzchen, das brauch’ ich doch nicht. – Man muss nur überall das Positive seh’n.

M: So, dann guck dir mal deinen Syph-Test an!

T: Er nun wieder!

M: Aids wirst du ja nicht haben, bei deinem Fett.

T: Hör mir auf mit dieser Krankheit, die hat ja nicht mal ’n lateinischen Namen, hat die. – Was hast du?

M: Ach nichts. Mir ist auf einmal so schwindlig.

T: Komm, setz dich ’n Augenblick hier auf die Stufe! Ja, so.

M: Is’ wohl der Qualm da drin und der Lärm. Und ich hab’ schon zu viel gesoffen. Scheiße!

T: Tief atmen, ganz tief atmen!

M: Es geht schon wieder.

T: Du bist ganz blass. Bleib lieber noch ’n Moment sitzen!

M: So was is’ mir noch nie passiert.

T: Mal fängt’s an. Nimmst du Poppers?

M: Nee. Kaum.

T: Na ja, wir treiben ja alle Raubbau, auch wenn wir sonst nichts treiben.

M: Du auch?

T: Wie meinst du das?

M: Ich kann mir gar nicht vorstellen, was du so machst.

T: Das siehst du doch: Ich verbring’ die Nacht auf der Treppe und spiel’ Schwester.

M: Hast du auch so was wie Sex?

T: Thü! Die jungen Männer heutzutage. – Willst du mal mein Senftöpfchen ausschlecken?

M: Danke, mir is’ schon schlecht.

T: Du weißt ja nicht, was scharf ist!

M: Nee, echt: Wie geht ’n das mit euch? Schleppst du Kerle ab und lässt dich bumsen, oder wie?

T: Merk dir eins, Baby, ich lass’ mich nur vom Leben ficken – und von nichts und niemand sonst.

M: Sprüche hast du drauf!

T: Was is’ denn das für ’n Abzeichen? – Huch nee, du bist im MSC. Wie aufregend!

M: Ja, ich bin Mitglied da. Was dagegen?

T: Gott, bist du süß.

M: Stocksauer bin ich. Der Abend is’ gelaufen.

T: Hast du da auch ’ne Funktion? Kassenwart oder Sprecher oder sonst was Wichtiges?

M: Wir tun jedenfalls was für die Schwulen und tölen nicht bloß rum.

T: Oh, dann nehmt mich doch auf, bitte, bitte! Ich wollt’ auch immer schon mal progressiv sein und ’ner Bewegung angehören. Schwul sein und drüber reden – ich glaub’, das liegt mir. Oder bittet ihr dann doch nur zur Hodenschau in euer Vereinslokal?

M: Sag mal, kannst du nich’ mal ’n Augenblick natürlich sein?

T: Kind, von mir zu verlangen, ich soll natürlich sein, das ist, als ob du von einem Veganer verlangst, er soll Saumagen essen.

M: Du nervst. Ich dachte, man kann auch von ’ner Trine erwarten, dass sie mal ’ne Minute auf ’m Teppich bleibt.

T: Ja, man kann. Man kann auch von allen Schwuchteln fordern, sie sollen, um guten Willen zu zeigen, von Zeit zu Zeit mal ’ne Frau krücken, du angepasstes Arschloch.

M: Ach, hör auf, ich will doch bloß –

T: Was willst du? Ich scheiß’ auf eure ganze Progressivität, hörst du? Ich scheiß’ drauf! Der Mut, an dem ihr euch bei euren Demos aufgeilt, den hab’ ich schon, wenn ich in High Heels zum REWE stöckle.

M: Ich bin gar kein Progressiver.

T: Umso schlimmer.

M: Nu’ sei doch nich’ gleich beleidigt! Ich hab’s nich’ so gemeint.

T: Ich hab’s aber so gehört.

M: Tut mir leid.

T: Is’ okay.

M: So, ich geh mal wieder rein.

T: Hm, das rote Tuch da, das hat doch auch was zu bedeuten. Rechts trägt der Kleine, hat flotte Sprüche drauf, aber eigentlich will er’s besorgt kriegen. Mehr Quatscho als Macho.

M: Komm, lass mich los! Lass mein Bein los!

T: Bitte, wie du willst! Bitte, bitte …

M: Oh, mir ist schwindlig.

T: Also komm, setz dich noch mal! Ich fass’ dich auch nich’ an.

M: Scheiße, Mensch!

T: Ja, heute wird das wohl nichts mehr mit der großen Nummer. Aber morgen is’ auch noch ’n Tag. – Fängt morgen nich’ überhaupt ’n Ledertreffen an?

M: Du kennst dich ja gut aus, muss ich sagen.

T: Hing doch das Plakat da drin. Ich frag’ mich, wozu.

M: Weil der Laden demselben Typen gehört, der das Treffen organisiert.

T: Mein Gott, alles verfilzt. Das is’ ja wie bei der Mafia. Da zahlen hier die Bubis Eintritt in den Tanzclub und wissen gar nich’, dass ihr Geld in Folterwerkzeuge gesteckt wird.

M: Quatsch!

T: Na, da hängt ihr doch immer drin rum.

M: Du meinst ’n Sling.

T: Sling, meinetwegen.

M: Das is’ doch kein Folterwerkzeug.

T: Also, wie meine Wohnzimmercouch sieht das nicht aus.

M: Woher kennst ’n du das überhaupt?

T: Aus ’m Internet, vom Foto. Denkst du, ich verbring’ da drin meinen Urlaub?

M: Das verstehst du nich’.

T: Erzähl doch mal!

M: Ach, was soll ich da erzählen?

T: Na ja, da kommen also die wilden Männer aus Augsburg und Dortmund und aus der ganzen Welt – und dann?

M: Was interessiert dich denn das?

T: Du weißt doch, wir Frauen sind neugierig.

M: Na ja, da trifft man sich eben.

T: Wo?

M: In der Kneipe oder im Lokal. Besichtigungen werden auch gemacht und Ausflüge.

T: Gott nein, wie romantisch. Und abends wird gefeiert.

M: Wenn’s dich nich’ interessiert – was fragst ’n danach?

T: Es interessiert mich. Es interessiert mich brennend. – Und da triffst du dann den Mann fürs Eben. Sein Blick streckt dich nieder wie ein Spritz aus eiterndem Pimmel, und du wirst ihm hörig.

M: Einen Quatsch redest du!

T: Oder spricht dich einer an und sagt: Hey Boy, teilen wir uns ’n Orgasmus?

M: Ziege. Blöde Ziege!

T: Mein Herr!

M: Und du? Was hast du denn?

T: Appetit.

M: Man sieht’s. Appetitlicher macht dich das nicht grade.

T: Kümmer dich nich’ drum! Erzähl weiter!

M: Okay, wir steh’n zusammen, wir quatschen, und wenn dann was passiert – ja, das soll’s ja. Das is’ in Ordnung. Wenn nich’, dann war man eben bloß zusammen mit Leuten, mit denen man eine Sprache spricht, wann bist du zusammen mit Leuten, mit denen du eine Sprache sprichst?

T: Zu selten. Viel zu selten.

M: Ich hab’ mir das nich’ ausgesucht.

T: Nein?

M: Na ja, doch. Aber – es is’ nun mal so. Wo soll ich denn sonst hin? Warum kreischst du hier im Fummel durch die Gegend? Weil du so glücklich bist? Ich brauch’ das, dass ich mal ganz ich selbst bin oder ganz weg von mir, das is’ dasselbe. Du brauchst vielleicht, dass du ganz jemand anders bist.

T: Wir vernichten uns beide. Wir wollen beide vernichtet werden.

M: Ach, nu’ spinn nich’!

T: Gibst du dich auf beim Sex?

M: Ich bin doch der, der bestimmt. Der Typ macht, was ich will. Er denkt vielleicht, er beherrscht mich, aber in Wirklichkeit beherrsch’ ich ihn. In meinem Kopf findet die Inszenierung statt. Er ist bloß ausführendes Organ. Es kann zahm sein oder wild, ganz wie ich es will. Ich steuer’ das. Ich kann schreien und stöhnen, aber im Kopf bin ich ganz cool. Und wenn er ausflippt, dann hab’ ich ihn. Vielleicht gibt’s ’n gemeinsamen Filmriss. Das ist der Idealfall. Sonst eben beim Nächsten.

T: Du bist sehr grausam.

M: ‚Grausam‘! Was für’n Wort! Ich hab’ ’n Kaninchen. Ich glaub’, das denkt anders.

T: Deine Hände …

M: Was is’ mit meinen Händen?

T: Sie haben was, so wie Orchideen.

M: Fleischfressende Pflanzen, was? – Ich glaub’, wir sind im Weg. War total bescheuert von mir hierherzukommen. Ich hab’ hier nichts zu suchen. Beknackt! – Und du?

T: Ich auch nicht.

M: Na, dann geh’ ich noch mal da hin, wo ich hingehör’. – Und wo gehörst du hin?

T: Nach Haus. Kommst du mit?

M: Und dann?

T: Schlafen, einfach schlafen.

M: Das kann ich auch bei mir.

T: Nicht allein aufwachen müssen.

M: Das macht mir nichts aus.

T: Mir ja.

M: Wie siehst du denn eigentlich aus ohne Make-up?

T: Wie eine geschminkte Tunte.

M: Du machst es einem schwer, Nein zu sagen ...

T: Also, was is’?

M: Weißt du, ich …

T: Schon gut.

M: Warte doch!

T: Worauf?

M: Na schön.

T: Wirklich? Ups! Die Stufen war’n dreckig. Huch!

M: Wer stützt denn nun wen?

T: Ich glaub’, ich bin auch blau. Schwer getankt heute. – Lass ma’! Geht schon. Komm, Junge, komm! Aber lass es dir gesagt sein: Aus dir wird nie ’n richtiger Maso, wie ich das sehe. Du bist einfach zu nachgiebig.

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ERLÄUTERUNGEN

Zugegeben: Dieser Lehrgang macht es Ihnen nicht leicht. Er schildert Schwule nicht (nur) als sensitive Ästheten, wie das in gut gemeinten Fernsehspielen geschieht.
Zugegeben: Das Ziel dieses Kurses wäre es dennoch, die Schwulen nicht nur ein bisschen kennen-, sondern auch ein kleines bisschen verstehen zu lernen und darüber hinaus solchen (Nicht-)Schwulen, die es nötig haben könnten, Gemeinsamkeiten untereinander aufzuzeigen, weil das tröstet. – Zu hoch gegriffen? Jedenfalls wäre niemandem mit Beschönigungen gedient. Lieber verachtet für das, was ist, als geliebt für das, was nicht sein kann – und wieder untertauchen in die Gruppe: erleichtert, aber entmutigt.

Menschen schließen sich zu Gruppen zusammen, um sich die Arbeit zu teilen oder um Handball miteinander zu spielen. Vor allem aber bietet die Gruppe Schutz.

Viele Gruppen dienen nicht nur dem Programm, das sie proklamieren (sei es ‚Putz machen‘ bei den Rockern oder ‚Gottes Wort verkünden‘ bei den Zeugen Jehovas), sondern außerdem noch dem Zweck, ihren Mitgliedern die Furcht zu nehmen. Das macht die Gruppe in den Augen Außenstehender oft furchteinflößend, denn was sind das für Menschen, die, wenn sie zusammen sind, keine Angst zu haben scheinen.

Von außen sieht alles geheimnisvoller aus als von innen. Die Grenze zu einem schwer bewachten Land wirkt bedrohlich. Im Land selbst ist es dann halb so schlimm. Verschlossene Türen regen die Fantasie an: Was geschieht in verräucherten Kneipen? Na, gesoffen wird. Was machen die Juden in der Synagoge? Na, was werden sie, nebbich, schon machen? – Beten. Mag sein. Aber vielleicht werden auch in der Kneipe Terror-Anschläge geplant und in der Synagoge Christenkinder geschlachtet.

Wenn man nichts Genaues weiß, beleidigt es die Fantasie, Harmloses zu vermuten.
Wenn doch nun aber alles ganz harmlos ist? – Das will die Gruppe selbst nicht, und nun sind wir wieder bei den Riten, die verhindern sollen, dass Mitglieder und Außenstehende die Angelegenheit rational betrachten. Irrationalität aber wird als Bedrohung verstanden, mit Recht, denn sie ist der gefährlichste Kitt, der eine Gemeinschaft zusammenhalten kann. Ohne diesen Kitt ist es auf der anderen Seite schwer, die Gemeinschaft überhaupt zusammenzuhalten, denn was macht eine Gruppe aus?
Alle, die schwul sind, alle, die blauäugig sind, alle, die in Wuppertal geboren sind. Alle, die keine Eltern mehr haben, keine Hoffnungen mehr haben, keinen Blinddarm mehr haben – wo fängt man an, sie als Gruppe zu empfinden, und wo empfinden sie sich selbst als Gruppe? Dort wahrscheinlich, wo sie nicht mehr ganz selbstverständlich unter sich sind, sondern unter Fremden: die Hoffnungslosen in der Kirche, die Wuppertaler auf Besuch in Wanne-Eickel. Die Ausgeschlossenen bei den Eingeschlossenen.

Draußen in der Welt sind Schwule Kumpane, in ihrer eigenen Welt werden sie zu Konkurrenten, aber auch – und das muss die Hoffnung sein – zu Verbündeten. Doch so weit ist es noch nicht und wird es vielleicht auch niemals kommen. Sie sind verstreut über alle Welt, für sie wird es kein Israel geben, allenfalls ein Getto.

Das Getto-Leben ist die dem schwulen Menschen (jedem Menschen?) gemäße Lebensweise: abgeschirmt in seiner Kaste. Das zu begreifen heißt ‚coming out‘. Um sein Getto haben zu dürfen, lohnt es sich schon, auf die Straße zu gehen. Vorgeschriebene Apartheid muss bekämpft werden, freiwillige Reservate gilt es zu schützen.

Es wäre ja schön, könnte man die (geistigen) Schwulen-Gettos eines Tages einreißen – wenn nur diese unselige Angepasstheit nicht wäre! Schwule fangen im Kreis von Nonnen an, den Rosenkranz zu beten und genieren sich im Kreis von Selbstmördern, dass sie sich nicht umbringen. Nun sagen Sie vielleicht: So sind die anderen doch auch. – Selbst wenn! Von Schwulen kann man mehr erwarten.

Doch wie sieht stattdessen die Wirklichkeit aus? Schön, die Schwulen sind als Gruppe lieber unter sich. Aber die Leder-Schwulen sind als Gruppe auch lieber unter sich. Und die älteren Leder-Schwulen sind als Gruppe auch lieber unter sich. – Am Ende ist jeder ganz mit sich allein. Ja, was sonst? Es gibt schwule Lesezirkel, schwule Handarbeitskurse und schwule Diskussionsabende – alles nett. Aber der Sexwillige ist ein Einzelkämpfer und tritt deshalb besser nicht in Gruppen auf, es sei denn, er will Gruppen-Sex, und selbst das sollte sich möglichst erst vor Ort ergeben. Und wenn das in den Abgrund führt? Besser, seinen Weg konsequent fortsetzen und ausgerottet werden als angepasst überleben. Ob das auch für die Freiheit gelten soll, jede Nacht dieselbe Katastrophe zu erleben, muss jeder selbst entscheiden.

Schwule treffen ihre Entscheidungen vor dem Spiegel. Wer hübsch ist, kann beruhigt zu Hause bleiben, wer nicht, muss los, um sich zu beweisen, dass er unrecht hat.

Wer schön ist, muss nicht glücklich sein. Nur wer unglücklich ist, wird allmählich hässlich. Schwule wissen das und sind deshalb, schon aus kosmetischen Gründen, so oft es geht, glücklich. Dazu gehört die richtige Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstbetrug. Wer viel Haar hat, kann viele Frisuren tragen, wer wenig Haar hat, muss Glatze schön finden. Zum ‚Schlaksig‘-Sein gehören lange Beine, sonst nennt man es ‚zierlich‘.

All das gilt nicht in den Vereinen der Lederszene. Da wird nicht Schönheit, sondern Freundschaft gepriesen, und das lockt alle an, die hässlich sind (man sagt ‚markant‘ dazu) oder genervt von hübschen Jungen.

Die Ziele einer Ledergruppe lassen sich von einem Handzettel folgendermaßen ablesen:

1) ‚Etablierung einer fundierten Lederszene im Lande‘,
2) ‚Kontakte zu ausländischen Ledergruppen‘,
3) ‚landesweite Treffen zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls‘.

Es geht wohlgemerkt um Sex, nicht um ein neues Weltbild. Aber bitte, ehe sie einsam zu Hause sitzen, warum sollen sie sich nicht in ihre Uniform zwängen und bei zu viel Bier und zu lautem Gelächter darüber diskutieren, wo man das nächste Treffen abhalten könnte.

Manchmal gibt es auch für irgendwas einen Pokal, eine Diseuse raunt einem Lied aus ihrer Jugend nach und ist froh, in diesem Kreis nicht begehrenswert erscheinen zu müssen. Dennoch verschenkt sie herausfordernde Blicke, während die Gruppe ihre Möglichkeiten verschenkt.

Die Bedrohung durch sich selbst, durch die Gruppe und durch deren Mitglieder, diese Bedrohung, die die meisten fühlen, fürchten und suchen und die endlich eine wesensverwandte Bedrohung wäre, geeignet, die alltägliche Bedrohung durch die Außenwelt aufzuheben – diese elementare Bedrohung wird mit einer Vereinsmeierei zugetüncht, wie sie beim Betriebsausflug erwünscht ist, damit sich die Sachbearbeiter nicht nur das sagen, was sie sich täglich in E-Mails schreiben.

Aber im Morgengrauen glimmen sie dann doch auf neben den Zigaretten: diese Blicke, in denen es verschwimmt; verletzen wollen und vergewaltigt werden wollen: eben wollen, fast egal, was.
Wo es keine Brut gibt, gibt es auch keine Schonzeit. Und doch ahnen sie: Es ist alles vorbei, aber sie warten weiter. – Wenn nichts mehr bleibt, bleibt immer noch die Tradition.

Wer nicht im Glashaus sitzt, der werfe den ersten Stein.

34 Kommentare zu “Dialog 27: Am Rande

  1. Ein „Lehrgang“, der versuchen würde das komplexe Existieren auf dieser Welt auf all zu leichte Weise darzustellen, wäre wahrscheinlich auch verlogen.

  2. Oha, Selbstbewusstsein und Selbstbetrug! Das mag eine erfolgversprechende Mischung sein. zumindest für diejenigen, die das IST nicht akzeptieren können.

      1. Kommt das Selbstbewusstsein aus dem Unterbewusstsein? Wenn mein Selbstbetrug von mir unerkannt bleibt, nenne ich ihn ‚Erkenntnis‘.

  3. Man würde sich ja manchmal wünschen, dass die Schwulen noch viel mehr zu Verbündeten würden, als sie es oft tun. Da kämpfen ja schon oft verschiedene Gruppen gegeneinander.

    1. Das bleibt nicht aus. Wenn es um wichtige Themen geht, hält man noch zusammen, aber danach klaffen die Interessen eben doch zu weit auseinander.

      1. Oh wow, das ist wohl leider richtig. Man bekommt nicht das Gefühl, dass dieser Konflikt in naher Zukunft aus der Welt zu schaffen ist.

  4. Ich lass’ mich nur vom Leben ficken! LOL, der Spruch könnte genau so glatt von einem dieser richtig saucoolen Großstadthipster kommen.

      1. Und nun ist er noch einmal digital veröffentlicht. Bessere Chance wird es nie wieder geben! 😉

  5. Immer wieder aufs Neue überrascht wie übertrieben und stilisiert diese Dialoge sind … und gleichzeitig doch voll auf den Punkt. So macht das Lesen wirklich Spaß Herr Rinke.

    1. Ha! Genau das habe ich mir auch schon mal gedacht. Diese subtile Mischung aus künstlich und kunstvoll funktioniert einfach. Außerdem finde ich’s beeindruckend wie gehaltvoll dieser Lehrgang ist.

      1. Nun, es geht doch um Menschen in all ihren Facetten. Dass das nicht so einfach dargestellt werden kann, wie man uns die Schwulen gerne verkauft (auch 2021 noch), ist doch wohl klar.

      2. Ist das nicht generell eine Rinke-Stärke? Der Satz „Wer hübsch ist, kann beruhigt zu Hause bleiben, wer nicht, muss los, um sich zu beweisen, dass er unrecht hat“ gehört auch in solch einen Zusammenhang. Auf den ersten Blick nur eine flapsige Anmerkung, und doch steckt mehr Wahrheit drin als man meinen möchte.

      3. Dann schicke ich auch gleich noch eines hinterher. Mir gefällt die komplette Serie überaus gut. Jeder neue Artikel überrascht noch einmal mit einer neuen Sichtweise.

  6. Selbsternannte Progressive, die sich an ihren Demos aufgeilen, kenne ich auch ein paar. Die Kandidaten zeigen sehr viel stolz über ihr „Engagement“ für die wichtigen Themen dieser Welt, aber leider vergessen die mitunter, dass man auch im alltäglichen Leben nach diesen Idealen handeln sollte.

    1. Man sollte das alles nicht so ernst nehmen. Ich finde, das gilt für beide Seiten. Am Ende tut halt jeder soviel wie er oder sie kann.

      1. Ich glaube es ist allerdings recht schwierig ein Aktivist zu werden, wenn man seine Themen nicht wichtig nimmt.

      2. Daniel Gruber meinte wahrscheinlich auch einfach, dass man in dem was man tut nicht verkrampft sein sollte.

      3. Diktatoren und Ideologen sind von Berufs wegen humorlos. Leider schaffen Identitätspolitik und Cancel Culture ein ähnliches Klima. Da wird einem lauen Lüftchen schnell mal ein Shitstorm entgegengeblasen.

      4. Leider wird obendrein oft genug viel zu viel Energie für Oberflächlichkeiten und Nebensächlichkeiten verschwendet. Man fragt sich manchmal ob die ‚woke‘ Jugend da nicht das Ziel aus den Augen verliert.

      5. Das ist eben Sturm und Drang. Da kann man nicht immer super fein justieren. Da geht eben auch eine Menge Energie verloren. Aber so ist das halt.

      6. Das ist grundsätzlich sicher richtig. Aber gerade die Cancel Culture ist meiner Meinung nach etwas fehlgeleitet. Da wird sich die Gesellschaft auf Dauer ungewollt unfreier machen.

      7. Besserwisserei steht der Jugend genauso wenig wie dem Alter, und gerade Identitätspolitik und Cancel Culture sind altersübergreifende Phänomene, die mit Sturm und Drang so viel zu tun haben wie Currywurst mit Tofu-Schnitzel.

  7. Den Begriff „DieSchwulen“ kann man eigentlich auch durch eine Menge andere Gruppen ersetzen. Letztendlich ist vieles was da geschrieben steht ziemlich übertragbar. Auch interessant.

      1. Genau, so geht es doch mit ziemlich jedem (guten) literarischen Text. Alles andere taugt höchstens noch zu einem Nachrichtenartikel.

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