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Gereimtes und Ungereimtes

Korrespondenz

KORRESPONDENZ

Die Birnen hängen tief,
die gelben Birnen,
tief in den Herbst,
der fern schien.
Jeder Brief,
den wir beschrifteten,
verwischt in Tinte.
Der Lärm erstirbt,
die Schrift verzittert schief.

Sterbender Lärm,
entleerter Erntesegen.
Verwinde diese Briefe jetzt!
Sie gilben.
Die Frucht wächst oder fault im Regen.
Es ist schon spät und grau.
Unleserliche Silben:
Des Sommers Tinte ist zerflossen und zerronnen.
Der wilde Lärm erstirbt.
Schweigende Zeit der Nonnen.
Die abgefallne Frucht verdirbt.
Wir lesen auf dem Grund der Seelen und der Seen
das Dunkel, das wir nie erklären konnten,
und wir benennen es,
denn es wird Zeit zu gehen –
dachten wir nicht daran, als wir uns sonnten?

Aufbruch!
Das letzte Nehmen wird zum ersten Geben,
denn wir bemühen uns, wir wandeln Brot und Wein.
Am Grund der Teiche finden wir ein stummes Leben,
und endlich glauben wir, wir sähen etwas ein.
Wir lernen fremde Menschen wie Begriffe,
erkennen Wesen hinter ihren Stirnen. –
Im See: schwimmende Blätter, unsre Schiffe.
Am Boden modern noch die braunen Birnen.

(1968)

Foto: Robert Wnuk/Unsplash | Titelillustration mit Material von Shutterstock: Everett – Art, bergamont

21 Kommentare zu “Korrespondenz

  1. Mich beeindruckt ja am meisten, dass die Gedichte von den 60ern bis in die 2000er reichen. Was für ein produktives konsequentes Leben.

      1. Dafür war früher nie frei am Reformationtag. Jetzt doch. Das Christentum, auch das evangelische, müsste wieder stärker instrumentalisiert werden, um neben dem Dschihad und dem gewalttätigen Hinduismus seinen Platz in der Liste der Fanatiker zurück zu erobern. Ein Feiertag reicht da nicht. Ob die Demokratie reicht? Hoffentlich.

      2. John Lennons „Imagine“ wird wohl nie umgesetzt werden. Die Angst der Menschen, dass nach dem Tod nichts mehr passiert, ist zu groß. Da machen sie lieber sich und den anderen dieses Leben hier zur Hölle.

  2. Interessant, dass sich besonders der Herbst für Gedichte eignet, nicht wahr? Die Beschäftigung mit dem Tod betrifft uns nunmal alle früher oder später.

  3. Der Herbst ist wie ein unvergleichlich schönes Abschiedslied, an dem man sich nicht satt hören kann. Wer hat das noch einmal geschrieben?

    1. Das weiß ich nicht. Es gibt nur vom Dichter unserer Nationalhymne (mein Blogbeitrag „Deutschland über alles“)
      neben dem Frühlingslied „Alle Vögel sind schon da“ das Abschiedslied der Vögel:
      Wie war so schön doch Wald und Feld!
      Wie traurig ist anjetzt die Welt!
      Hin ist die schöne Sommerzeit
      Und nach der Freude kam das Leid.

      Wir wussten nichts von Ungemach,
      Wir saßen unterm Laubesdach
      Vergnügt und froh im Sonnenschein
      Und sangen in die Welt hinein.

      Wir armen Vögel trauern sehr:
      Wir haben keine Heimat mehr,
      Wir müssen jetzt von hinnen flieh’n
      Und in die weite Fremde zieh’n.

      H o l d e E i n f a l t !

  4. Spät und grau. So fühlt es sich tatsächlich gerade an. Wann war eigentlich die Zeitumstellung? Völlig an mir vorüber gegangen…

  5. Die Art und wohlmöglich auch die Qualität unserer Korrespondenz hat sich jedenfalls in den letzten 50 Jahren stark verändert.

    1. Auf Whatsapp schreibt man nichts als die pure Information. Auch außerhalb von Whatsapp zählt die schnelle Überflutung mit Information nicht deren Durchdringung. Das wird den Teil der Menschheit, der so agiert, verändern. Man kann das altmodisch betrauern wie das Aussterben der Eisbären und den Verlust des ostpreußischen Dialekts. Eine Generation weiter wird das, was es nicht mehr gibt, nicht mehr vermisst.

      1. Man kann die Zeiten weder ändern, noch die Weiterentwicklung aufhalten. Die Flut an Informationen nimmt weiterhin zu, die Zeit um Informationen auszutauschen nimmt ab. Trotzdem freue ich mich immer wenn in meinem Briefkasten ab und an eine Postkarte oder gar ein Brief von Freunden landet.

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