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Gereimtes und Ungereimtes

Zehn Typen

Grafik: Macrovector/Shutterstock | Foto: ambrozinio/Shutterstock

Verkaufsleiter

Ich sag’s ganz klar:
Ich find’ mich gut,
was soll ich mich da zieren?
Die Leute stieren,
wenn ich im off’nen Wagen fahr’
bei lauter Musik – wunderbar.
Tut gut!
Ein bisschen Glück, ein bisschen Mut …
man muss einfach kapieren:
Wir haben alle Angst und Zweifel
und gaunern uns so durch den Markt
im gleichen Trab, im selben Trott,
besser oder schlechter,
mit Geheul oder Gelächter.
Kunden belogen,
Freundin „betrogen“,
Steuergelder hinterzogen,
falsch geparkt –
so what?
Brav betteln? Wegen Strafzetteln?
Mein Gott!
Du rast davon, du wirst geblitzt.
Irgendwann wirst du gewitzt:
Nach ein paar Jahren bist du erfahren,
du kennst die Strecke – und bleibst doch auf ihr,
wie ein Kampfstier,
bloß weißt du die Ecken, wo sie stecken,
und grinst verschmitzt.
Kaum hältst du dich für schlau –
schon steckst du drin im Stau.
Ist ja heiter!
Ausgerechnet hier.
Irgendwann mal geht es weiter,
Bremse und Gas,
es liegt ganz bei dir,
du bist das Maß:
niemanden lieben, niemanden hassen,
niemals sich erwischen lassen –
genau!

Foto: Chromakey/Shutterstock

Apotheker

Ich bin Apotheker. Warum?
Sieht man mir das an?
Ist da was Besonderes dran?
Manche nehmen mir das krumm.
Sie sagen,
Ich verkaufe die Kunden für dumm,
geh’ an meinen großen Schrank,
hole was für Kopf und Magen,
gebe ihnen Schund und Gift,
zücke dann den Rechenstift,
mache sie erst richtig krank,
eine Gefahr für jedermann –
und werde auch noch reich daran.
Vorurteile, wo ich hinseh’.
Bei mir gibt’s doch auch Pfefferminztee!
Ich hab’ zufriedene Kundschaft,
was man nicht mit Gift und Schund schafft.
Kaum ist jemand abgängig,
nur wenige sind abhängig.
Seit der Gesundheitsreform
Verdien ich auch nicht mehr so enorm.
Keiner fühlt sich hier geneppt,
Drogen gibt’s nur auf Rezept.
Hab ich Nachtdienst,
kommt der Wachdienst,
und guckt einer schräg,
wird er durchgecheckt und notfalls abgeschleppt.
Tagsüber hör’ ich gut zu
und sprech’ Mut zu:
Wo eine Pille ist, ist auch ein Weg.

Foto: Chichimaru/Shutterstock

Sekretärin

Ich bin Sekretärin. Na und?
Ich hab einen großartigen Chef
und Schlemihl, meinen kleinen Hund.
Und noch ein paar Freundinnen, die ich nur sonntags treff.
Immer wenn mein Chef da ist, geht’s rund.
„Frisch und munter“ …
Er diktiert wie geschmiert
und schlingt die Post wie Baby-Kost
runter.
Er telefoniert – ganz versiert – auf drei, vier Leitungen,
dabei liest er digital Zeitungen,
Gott, er ist so talentiert.
Alle wollen zu ihm rein,
meistens sag’ ich: „Nein!“
Ich schick’ ihn auf Reisen und auf Konferenzen,
da soll er glänzen.
Ist er da, wird’s abends spät.
Wann er geht,
weiß man nie genau –
kein Wunder, bei der Frau.
Wenn er bleibt, dann bleib’ auch ich,
er findet ja nichts ohne mich.
Auf meinem Tablett bring’ ich ihm seine Tabletten
und die Wasserflasche.
Auf seinem Tablet liest er in den Kommentaren,
den netten und den nicht so netten.
Ach, er steckt sie doch alle in die Tasche,
auch die, die seine Gegner waren,
früher mal.
Na ja,
ist er da,
dann geht’s halt rund,
da hab’ ich keine Wahl.
Ich halt’ natürlich meinen Mund,
schon, um Loyalität zu beweisen.
Aber: Ist er auf Reisen,
hab’ ich richtig Zeit für mich,
und für Schlemihl und für Mode,
und die andern ärgern sich
zu Tode.

Foto: Rawpixel.com/Shutterstock

Produkt-Manager

Ich weiß nicht, was das soll:
Ich bin so voll.
Voll von Ideen,
irgendwie ja toll!
Ich muss bloß sehen,
wie ich die realisieren soll.
Ich denke schnell, ich schreibe fix,
überall mit offenem Ohr.
Aber das bringt alles nix,
das stellt sich bloß der Laie vor.
Im Grunde ist alles nur Strategie,
aber das begreifen die nie:
Ich düse
von der Befragung zur Analyse
und nehm’ den Käufer aufs Korn,
immer knapp
mit der Nase vorn
immer auf Trab,
wo ich auch bin,
„I was born
to win!“
Im Grunde ist alles bloß knallharte Arbeit
und zielgruppengerechte Planung.
Na ja, ein bisschen Inspiration
ist es auch,
die brauch ich schon,
sonst steh’ ich auf’m Schlauch,
doch woher die kommt? Keine Ahnung!

Foto: xbrchx/Shutterstock

Urlauberin

Ich liege unter einer Pinie
und esse nichts, wegen der Linie.
Ein Eis wär’ jetzt schön,
aber Schönsein ist schöner …
mit Sahne und Früchten –
doch ich halt mich zurück,
bei allem,
zum Glück.
Ich will mir selbst gefallen.
Den Männern? Keine Spur!
An den Gerüchten,
ich suche hier Bekanntschaften
ist nichts dran: Bürogetuschel
in der Agentur,
wenn man allein reist, entsteht das leicht.
Ich genieße hier die Landschaften –
das Meer und die Natur:
ein farbiges Segel, eine schillernde Muschel –
das reicht.
Kann schon sein,
wenn einer käme,
mit etwas Stil und ohne Faxen,
der Spanisch oder Englisch spricht, –
also, nicht, dass ich mich schäme,
ich bin geschieden, mein Sohn ist erwachsen,
ich dächte wohl: Warum denn nicht?

Foto: Robert Kneschke/Shutterstock

Ost-Stricher

Ich komm’ von drüben, von Rügen.
Da hilft kein Lügen: Ich muss noch üben.
Dieses westliche Gehabe ist nicht meine Gabe,
ich bin so’n Zonenknabe.
Merkt jeder, sogar in Leder.
„Großstadt-Ulisses“? Vergiss es!
Ich bin kein Held,
mach’s im Steh’n und gegen Geld,
ich hab mir das ganz anders vorgestellt.
Dieser „Saft“, ekelhaft.
Mir wird oft schlecht, wenn ich den Schleim seh.
Manchmal bin ich echt geschafft.
Oft krieg ich Heimweh,
das kommt in Schüben,
dann rast’ ich aus –
na ja, das ist übertrieben:
Ich bleib’ zu Haus,
ich mein’: Bei mir,
ich penn’ und ich flenn’.
Ich kann mich nicht dauernd betrügen.
Vielleicht wär’ ich besser weggeblieben
von hier …
bloß nicht auf Rügen.

Foto: Christian Schwier/Adobe Stock

Frauenrechtlerin

„Emanze“, so nenne ich mich selber,
die Schwulen sagen ja auch ‚Schwule‘.
Jeder geht bei jedem in die Schule,
bei dem er etwas lernen kann –
warum nicht auch beim fortschrittlichen Mann?
Wir sind nicht mehr die Kälber,
die man zur Ehe-Schlachtbank führt.
Jede Einzelne von uns spürt:
Es ist schon viel passiert, aber längst noch nicht genug,
nichts hassen wir mehr als Selbstbetrug.
Wir wollen nicht versteinern
wie die Männer.
Ohne zu verallgemeinern
(Differenzierung müssen wir uns leisten):
Wir sind auch nicht wunderbar,
aber nicht so seelenstarr
wie die meisten
Männer.
Wir wollen weich sein
und trotzdem gleich sein.
Rippe von seinen Rippen?
Nein.
Wir haben Lippen,
sie haben Bärte.
Eva, die er sofort begehrte
und unterdrückte,
weil sie ihm gehörte,
was ihm Jahrtausende lang glückte,
hat neue Werte,
und für die kämpfen wir – mit aller Härte!
Das ist ja das Verrückte.

Foto: waniuszka/Shutterstock

Skinhead

Ich hab’ nichts gegen niemand.
Ich will bloß wissen,
wo ich hingehör’,
und nicht denken müssen,
dass ich selber stör’,
die sollen sich verpissen
aus Deutschland,
dann tut denen keiner was,
ist doch von uns nicht reiner Hass
gegen die.
Bloß der fremde Dreck hier – muss weg hier.
Aber wie?
Ich kämpfe mit gegen die Pest
im Innern,
und während ich dafür was tu’,
ist da ein Grummeln, tief im Innern,
das sich nicht vertreiben lässt,
und immer wieder muss ich mich erinnern:
Ich selbst gehöre nicht dazu –
nur du.

Foto: Matthias Ott/Adobe Stock

Dame

Ich bin so fein und wär’
ganz gern ein bisschen ordinär,
ein klein bisschen gemein,
manchmal sogar – pardon! – ein Schwein?
Doch Gott bewahre, nein,
so könnt’ ich nie und nimmer sein:
Ich bin halt leider viel zu fein.
Das quält mich mehr und mehr
und macht mein Älterwerden schwer.
Ich kann mich nicht vorbeibenehmen,
ohne mich vor mir selbst zu schämen.
Weil ich mich so gut beherrsche,
würde ich es niemals wagen,
Jogginghosen aufzutragen,
wie diese alten Rentnerinnen.
Diese Beine! Diese Ärsche!
Und das noch auf der Straße!
Die Weiber sind wohl ganz von Sinnen:
Sie stör’n den Blick in höchstem Maße.
Ich sitze im Dior-Kostüm,
betupf’ mich mit CHANEL-Parfüm,
und nehme es ergeben hin,
dass ich nicht eine Schlampe bin.
Ich leide ungern, aber stumm.
Ach, mein Geschmack bringt mich noch um.
Du lieber Gott, ich wär’
so gern ein bisschen ordinär.
Ich weiß, ich bin total verquer.
Ich passe in die Zeit nicht mehr,
vom Schicksal ganz gemein betrogen.
Scheiße! Ich bin zu gut erzogen.

Foto: farbkombinat/Adobe Stock

Arbeitsloser

Richtich, ick bin meenen Job los.
Deshalb werd ick doch nich kopplos!
Ick bin nich so dumm:
häng dauernd in die Kneipen rum.
Ick bilde mir.
Ick jeh zum Beispiel ins Museum,
seh mir da die Sachen an, oder sitze hier –
im Jrünen,
und ick lese.
Ick fraach ooch mal bei die „Städtischen Bühnen“,
ob ick da wieder watt machen kann:
Beleuchtung, Kulisse,
all so’n Keese.
Hab ick früher oft jemacht, war jut.
Nich, dass ick es sehr vermisse,
aber doch so ne jewisse
Regelmäßigkeit,
und dass man watt Vernünftjes tut –
dett liecht mir irgendwie im Blut.
Andrerseits: Ick hab viel Zeit.
Zeit zum Denken …
mehr als die meisten,
ick kann mir ooch meine Bierchens leisten,
ick muss mir nich verrenken:
Die Stütze reicht,
solang man mir nich den Zuschuss streicht.
Zeit zum Leben. –
Mein Vater war auch beim Theater,
als Schneider.
Ick mochte immer die Atmosphäre …
Nu isser tot, leider.
Zeit zum Leben.
Diese Leere,
manchmal.
Recht auf Arbeit, Recht auf Freizeit.
Nich, dass ick mir beschwere –
Oder doch?
Das fehlte noch!
Das tu ick nicht.
Ich komme niemand in die Quere.
Zeit zum Leben.
Keine Wahl und trotzdem Qual.
Die Theater machen dicht,
there is the misery.
Maybe I ask again,
and if not, then just not –
then let’s just go.

Foto: vitaliy_melnik/Adobe Stock

29 Kommentare zu “Zehn Typen

  1. Wo eine Pille, da ein Weg 😂 Das trifft es wohl bei den verschiedensten „Typen“ auf den Punkt. Keine Wahl und trotzdem Qual ist auch nicht schlecht.

  2. Tja, vielleicht eine arg verfehlte Mischung aus 1 und 4. Er scheint ja weder in der Verkaufsleitung noch im Product Management große Fähigkeiten zu besitzen. Im besten Falle kommt zu der Mischung bald Nummer 10 hinzu…

    1. Nicht andauernd. Aber sicherlich ab und an. Sonst ist das Leben nicht erträglich. Die Balance macht’s. Wie bei allem, nicht wahr?!

    1. Toll! Machen Sie mit bei einer Fackjugöhte-Zungenseife gegen schlechten Geschmack? Wir können das Produkt bei Parfümerie Douglas vermarkten und brauchen keine Lizenz zu zahlen. Sollte der Europäische Gerichtshof allerdings anders entscheiden, dann würde ich als gewiefter Anwalt neben dem „a“ auch das „i“ und das „u“ im ersten Wort mitpatentieren lassen.

    2. Interessant… die tagesschau meldet ebenfalls, dass „Fack Ju Göhte“ sittenwidrig, „Leck mich Schiller“ hingegen als Patent als akzeptabel eingestuft wurde. Ob „Fuck you“ (in welcher Schreibweise auch immer) vulgär ist, darüber mag man wohl streiten. Das schlimmere Übel bleibt aber immer noch, dass dieser Film völlig schwachsinnig ist. Und, dass dies viel zu vielen Leuten anscheinend nichts auszumachen scheint.

    3. Sowohl dieser unsägliche Film, wie auch die absolut spießige Diskussion über den Titel sind doch sehr peinlich.

  3. LIeber Hanno Rinke, jetzt wird es gruselig, sollten Sie mir eben die AUgen geöffnet haben?

    Ich sage jetzt auch:

    und wenn nicht, dann eben nicht –
    dann lass ick’s eben.

    Das ist echte Lebenshilfe.

    Gerne Ihr

    Markus Boestfleisch

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