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1809
Sprünge von Türmen

Einleitung

Im November 1967 war ich in Berlin. In den CCC-Studios von Produzent Artur Brauner. Ich ‚volontierte‘. So hieß das, wenn man dabei sein durfte, ohne bezahlt zu werden. Der Regisseur brachte mir ‚Brötchen-aus-der-Kantine-Holen‘ bei. Mehr nicht, aber ich schätzte sein Talent auch nicht so ein, dass darüber hinaus noch viel von ihm zu erlernen war. Nach dieser verpatzten Filmkarriere schrieb ich 1968 weiter Sonaten und Orchesterwerke, die meinem Kompositionsprofessor und mir Freude machten. Etliche meiner Altersgenossen gingen in diesem berühmten Jahr auf die Straße, ich nur auf die Musikhochschule.

An den Abenden in Berlin hatte ich das erste Kapitel eines neuen Buches verfasst. Mit den Kapiteln zwei und drei ließ ich mir Zeit. Viel Zeit. Die letzten beiden Kapitel (vier und fünf) schrieb ich im Winter ’68/’69 im Keller. Mein Schlafzimmer lag neben dem meiner Eltern, da hätte ich die Mina-Platte, die ich im Beitrag #47A – ‚Die Festung‘ in meiner Reisebeschreibung ‚In der Blase‘ erwähnte, nachts nicht so laut aus den Boxen dröhnen lassen können, wie es meinem Wunsch nach musikalischer Anregung entsprochen hatte. Mein Keller war ziemlich wohnlich. Ich saß am grünen Kartentisch, nicht neben der Kartoffelkiste, auch wenn das nachträglich romantischer geklungen hätte.

Am 1. April 1969 begann ich eine kaufmännische Lehre bei der ‚Deutschen Grammophon Gesellschaft‘. Vorher war ich mit meinen Eltern im Schneeurlaub in Zermatt gewesen. Bescheidenes Chalet. Eines Nachts las ich ihnen dort das fertige Buch vor. Dann schliefen wir erschöpft in den Tag hinein. Dass meine Eltern anschließend noch mit mir sprachen, wertete ich als Zeichen dafür, dass sie meinen Vortrag halbwegs unbeschadet überlebt hatten. Dasselbe erhoffe ich mir von meinen Leserinnen und Lesern, wenn im Dezember 2020 das Werk im Blog abgeschlossen sein wird.

Titelillustration mit Material von Shutterstock: Gargonia (Beine), jgolby (Untergrund) | Reihenopener mit Material von Shutterstock: zeljkodan (Mann), David Vioque (Turm)

31 Kommentare zu “Einleitung

  1. Ich bin gespannt, was alles kommen mag. Wenn Ihre Eltern dies ‚unbeschadet‘ verdaut haben, kommen wohl nicht nur Mordgedanken? Vielleicht auch Freiheitssprünge? Werde es weiterverfolgen !!!

    1. Das ist dieses Mal ja wirklich nur eine knappe Einleitung, so viel Zurückhaltung ist man von Ihnen gar nicht gewohnt 😉

  2. ich glaube das wird eher eine tragische komödie auf das ausbeutergebahren der filmbranche. kenne ich leider selbst nur zu gut.

      1. Da wird wahrscheinlich genauso ausgebeutet wie in allen anderen kapitalistischen Dingen. Wer Macht und Geld bekommen kann, der tut auch alles, damit das so ist.

  3. Nicht mal über bereits gelegte Eier sollten entbrütete Hähne krähen. Trotzdem: Es wird im Text doch mehr über die eigenen Unerträglichkeiten gehen als über die Vorwürfe, die man anderen machen kann.

  4. Wohnen im Keller! Das erinnert mich sehr an meine eigene Jugendzeit. Heute würde ich da unten natürlich nicht mehr wohnen wollen, aber damals war das ziemlich großartig.

      1. Ich hatte mein Zimmer früher dort unten und fand es toll mein eigenes Reich zu haben. Unbeobachtet von den Eltern. Spätestens nach der Pubertät freut man sich natürlich auch mal über ein wenig Sonnenlicht.

  5. Über Herr Brauners Talent kann ich nicht viel sagen, erfolgreich war er wohl allemal. Aber an Volontariaten hat sich seit 1967 wahrscheinlich nicht allzu viel geändert. Das klingt doch zu bekannt.

      1. Wer Erfolg hat macht ja meist einiges richtig. Da kann man schlecht drüber streiten.

    1. Man fragt sich jedenfalls gleich wie viele der fünf Abstürze bildlich und wie viele wörtlich gemeint sind. Man kann ja nur auf ersteres hoffen.

      1. Ich musste direkt an die Innocentia-Geschichte denken. Die ist ja auch mit einem recht tragischen Absturz zu Ende gegangen.

      2. Auch auf das hofft man wieder zurecht. Zum Glück enden die meisten Leben, trotz aller individueller Tragik, weder in MOrd noch Selbstmord.

  6. Eigentlich toll, dass Ihre Eltern das gesamte Buch durchgehalten haben. Ganz ernst gemeint. Meine Eltern hätten höchstens ein Kapitel geschafft und dann die Geduld verloren. Da bin ich ziemlich sicher.

    1. Gute Kombi. Meine Eltern waren in der Öffentlichkeit (möglicherweise auch privat) zwar immer stolz, aber im Grunde auch erstaunlich uninteressiert zu wissen was wirklich in mir vorgeht.

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