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0908
Leben lernen / Ein Versuch  —   Die erste Reise

#2.32 Von der Ordensburg zur Skateboard-Halfpipe

Ostróda liegt an der Pojezierze Iławskie, ja, das ist schon schwieriger auszusprechen als ‚Eylauer Seenplatte‘ auf Deutsch. Wir parkten direkt am See und gingen nach rechts. Das führte zu keinem befriedigenden Ergebnis. Am Tegernsee wäre in dieser Lage ein Lokal neben dem anderen gewesen. Hier nicht. Aber in der entgegengesetzten Richtung war ganz in der Ferne am Ufer etwas zu sehen, das man mit Fantasie für eine Speisewirtschaft halten konnte. Unternehmungslustig, wie wir waren, stiegen wir wieder ins Auto und fuhren auf das Gebäude zu. Unterwegs trafen wir auf ein Hotel und da blieben wir. Das war vernünftig, denn später stellten wir fest, dass unser ursprüngliches Ziel gar keins war.

Die Sonne war mit unserer alternativlosen Wahl einverstanden. Sie hatte richtig Lust auf uns bekommen und strahlte fröhlich von oben runter. Wir ließen uns auf der Seeterrasse nieder. Da saßen wir hübsch, und wir bekamen Stoffservietten und etwas Nettes zu essen.

Fotos (7): Privatarchiv H. R.

Beim Kauen lauschte ich nicht nur Rafałs nie versiegendem Redefluss, sondern überlegte gleichzeitig, warum mir Osterode so bekannt vorkam. Na ja – der Ort kann sich nicht über einen Mangel an Geschichte beklagen:

Fotos (5): Privatarchiv H. R.

Im dreizehnten Jahrhundert schon entwickelte sich aus ein paar Häusern eine Siedlung. Sie lag unterhalb einer Burg und kam sich deshalb so geschützt vor wie heute die NATO-Mitglieder. Obendrein beglückte der Christburger Ordenskomtur die Ansammlung von Gebäuden mit dem Stadtrecht: Das war 1329, und er tat das, indem er dem Ort, der inzwischen Osterode hieß, die ‚Handfeste‘ verlieh. Bis jetzt hatte ich eine Handfeste immer für ein dralles Frauenzimmer gehalten, nur dass das ja damals nicht verliehen, sondern verschenkt wurde. Aber: Diese wichtige Urkunde – man glaubt es nicht – diese Urkunde ging verloren. 1335 war Komtur Hartwig von Sonnenburg so freundlich, die Handfeste zu erneuern. Wer jetzt meint: „Nu is’ aber gut!“, irrt: ging wieder verloren. Man glaubt es noch viel weniger. Was ist denn das für eine Schlamperei? Neonazis würden sagen: „Polnische Wirtschaft!“ War aber deutsch. 1348 wurde also ein und dieselbe Handfeste zum dritten Mal verliehen. War doch sehr geduldig vom Zuständigen! Würde heute ein Filmstar zur Academy gehen und sagen: „Blöd. Ich hab meinen Oscar verschusselt, krieg ich bitte einen neuen?“, wären die Akademiker sicher nicht so gnädig. Das Schicksal war es auch nicht. Es bediente sich dabei des litauischen Fürsten Kynstut: 1381 überfiel er die Stadt, zerstörte sie und die Burg gleich mit.1 Das nenne ich ‚handfest‘!

Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei

Kaum war die Stadt wieder einigermaßen hergerichtet, da gab es im Jahr 1400 ein riesiges Feuer.2 Daraus lernten die Osteroder: Um ihre Stadt unbewohnbar zu machen, brauchte es keine Litauer, das schafften sie auch alleine.

Foto oben: Wikimedia Commons/gemeinfrei | Foto unten: FXQuadro/Shutterstock

Dann kam der deutsche Ordensritter Klaus von Döhringen. 1410 fiel er ein in die Burg, plünderte sie erst mal und lieferte sie anschließend an die Polen aus. Man glaubt es schon wieder nicht. Während des Krieges der preußischen Städte gegen den Ritterorden besetzten Truppen des Städtebundes 1454 die Burg.3 Fast will man es gar nicht mehr wissen …

Foto: Wikimedia Commons/gemeinfrei

Nur noch so viel: Nach dem Ersten Weltkrieg stimmten 8 620 Einwohner (ist das viel?) für den Verbleib bei Deutschland, Polen bekam keine einzige Stimme4 (das ist in jedem Fall wenig). Der weitere Verlauf der Geschichte kann als gewusst vorausgesetzt werden. Weniger bekannt sein dürfte: Nach der politischen Wende 1990 entstanden ein modernes Fußballstadion, Tennisplätze, eine Kunsteisbahn, eine Kletterwand und eine Skateboard-Halfpipe.5 Sowieso beschlich mich der Verdacht, dass mir ‚Osterode‘ deshalb so bekannt vorkam, weil es auch eins im Harz gibt.

30 Kommentare zu “#2.32 Von der Ordensburg zur Skateboard-Halfpipe

    1. Ich glaube es ging aber eher darum, dass das Hotel keines war. Ihre Interpretation hat natürlich mehr philosophische Tiefe.

  1. Ich hab das Gefühl ich war vor vielen Jahren auch einmal in einem der beiden Osterode. Mein Gedächtnis kann mir aber auch einen Streich spielen.

      1. Sowohl als auch. Das Ding ist eher, dass ich mich an den Namen Osterode, aber nicht an die dazugehörige Stadt erinnern kann.

    1. Na ist doch toll wenn auch die Kleinstädte was spannendes für die Menschen in der Region auf die Beine stellen. Oder sollen auf kurz oder lang alle jungen Leute in die Großstädte abwandern?!

      1. Nein, sie sollen klettern! In Radolfzell, Leutasch und Stephanskirchen zum Beispiel. Wer vermisst da noch New York, London oder Paris?

      2. Wer noch nie in NYC war kann es auch nicht vermissen 😉 Es muss aber auch nicht jede Stadt Weltsdtadt sein.

    1. Da kommen sehr schöne Erinnerung an Restaurants an schottischen Seen hoch. Inklusive einer unbeschreiblich beeindruckenden Berglandschaft. Viel zu lange her.

      1. Auf alle Fälle. Sobald ich mal wieder ein paar Wochen freischaufeln kann 😉

  2. Bekommt man eigentlich einen Oscar / Grammy etc. wenn die Trophäe kaputt geht? Blöde Frage, aber irgendwie kam ich neulich drauf…

    1. Anfang der 2000er sind doch sogar mal alle Statuen auf dem Weg vom Hersteller zur Verleihung abhanden gekommen. Zumindest wenn ich mich recht erinnere. Da gibt es doch im Zweifelsfall immer Ersatz.

      1. Und Adele hat ihren Grammy gleich auf der Bühne in zwei Hälften zerbrochen um ihn mit Beyoncé zu teilen. Am Ende sind die ganzen Dinger auch nur ein Stückchen Metall. Wenn überhaupt kommt es auf die Ehrung an sich an.

  3. Ich überlege immer noch ob ich Menschen mit nie versiegendem Redefluss beneide oder ob ich doch happy mit meiner eigenen Schweigsamkeit bin. Bei anderen nervt mich das ständige Reden ja doch eher.

    1. Leute, die Small Talk beherrschen beneide ich jedenfalls. Lange intensive Gespräche mag ich ja sehr, aber bei gesellschaftlichen Anlässen und oberflächlicheren Bekanntschaften geht mir immer zu schnell der Gesprächsstoff aus.

      1. Wetter und Essen sind als Thema sehr beliebt, bei alten Menschen zusätzlich die Gesundheit. „Worin besteht der Sinn ihres Lebens?“, gilt auf Partys eher als ungewöhnlicher Auftakt für eine Unterhaltung.

      2. Andererseits ist es auch mal sehr erfrischend, wenn jemand mit einer Frage überrascht, die in der Regel eher nicht die Standardthemen abdeckt.

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