Wir überquerten eine handtuchschmale Brücke, höchstens sechs Meter, dann waren wir auf der nächsten Insel: Lošinj, da wollten wir nun bleiben, ursprünglich eine Woche und dann wieder zurück, aber den siebten Tag, auch noch den Sonntag, an dem Gott ruht, hatte ich abgeknapst, um drei zusätzliche Wochen dranzuhängen, die alle Orte am Mittelmeer, die mir mal etwas bedeutet hatten, zu vereinen. Ein kühner Plan? Ein bescheuerter Plan? – Ein Plan!
Foto: Privatarchiv H. R.
Wer nicht so ehrfürchtig ist, Gott, Allah, Jupiter einen Plan zuzutrauen, der muss selber einen schmieden. Meiner führte uns also über weiterhin garstige, karstige Hügel die Insel abwärts. Es wurde ansehnlicher. Auch bebaumter. Als wir in beträchtlicher Höhe die Klippen entlangfuhren – unten das blaue Meer, oben die grünen Pinien – da schöpfte ich Hoffnung, dass wir es vielleicht netter haben würden als die Camper. Als die Gegend anfing, hübsch auszusehen, drohte Rafał, nun seien es nur noch vier Kilometer: Neben der Navifrau hatte er noch das Display, über das er uns auch ständig über Temperaturschwankungen unterrichtete. Vier Kilometer, würde das ausreichen, um mir einen Ort zu weisen, für den es sich gelohnt hatte, jahrzehntelang zu warten?
Foto: Privatarchiv H. R.
Wir kamen an eine Schranke, Rafał zog einen Zettel, wir fuhren einen Abhang hinunter, ein Laden neben dem anderen, ich sah mit Silkes Augen, dass man da nicht kaufen konnte, rechterhand eine kleine Bucht, Boote, Häuser zum Oval gedrängt, alles viel beschaulicher als Opatija, das ginge doch, redete ich mir ein, dann ging es wieder aufwärts, dann sollten wir an der nächsten Schranke zahlen. Rafał schrie den Pfosten neben der Schranke so lange an, bis er sie öffnete. (Ein nervenschwacher Mensch mag die Situation über Mikrofon und Lautsprecher verfolgt haben.) Jenseits von Schranke und Hügel dräute der nächste, gigantische Campingplatz. Das Display mahnte, jetzt seien es bloß noch sechshundert Meter. Wir kamen an die nächste Schranke, und die Navisau tönte mit menschlicher Stimme: „Sie haben Ihr Ziel erreicht“. Rafał war so kulant, sie nur abzuschalten, ich hätte ihr den Hals umgedreht: Vor uns lag an einem abschüssigen Weg ein Gebäude wie von Tito in Albträumen ersonnen, ein schlimmer Bunker mit ein paar Schießscharten, die aber auch als Sehschlitze geeignet schienen. Wir passierten die Schranke, schrien vor Entsetzen, dann machte Rafał kehrt und fuhr wieder hinaus, der Pfosten hatte nichts dagegen.
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Rafał gestattete der ‚Navigeuse‘ einen zweiten Versuch. Sie beharrte: „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“ Also fuhren wir erneut die Einfahrt hinab, da winkte auch schon ein Empfangskomitee von sechs Personen, nun kam ich mir wirklich vor wie auf Staatsbesuch in Jugoslawien. Leicht benommen stiegen wir aus, jemand kümmerte sich ums Gepäck, jemand führte uns in die Halle, reinster Tito, Honecker wäre begeistert gewesen, wir kramten die Pässe raus, die sind den Damen am Empfang immer viel wichtiger als die Gäste, dann sanken Silke und ich hinab in Plüschweiches mitten in diesem Grauen, während Rafał noch Gepäck-Anweisungen gab. Silke duldete still, ich beschwichtigte mich ebenfalls stumm: Sechs Tage, das geht rum.
Wir wurden einen Gang entlang von Tito zu Sisi geführt: das palastartige Gebäude, in dem die Gästezimmer lagen. Meine Koffer standen vorn. Links das wohnzimmergroße Bad zur Terrasse: die Wanne aus einem einzigen Alabasterbrocken gefertigt, die Dusche in durchsichtigem Gehege mit riesigem Sprühkopf, zwei Waschbecken, eingelassen in Marmor, die Toilette, diskret hinter gläserner Wand. Rechts der begehbare Kleiderschrank mit Schränken und Schubladen. Vom orgiengeeigneten Bett aus der Blick auf den 1,20-m-Bildschirm, alle deutschen Programme, darunter der Schreibtisch, mein Hauptrequisit, und dann die Terrasse: die Treppe, der Weg, die Bucht, das Meer, der Himmel. Ich war oft unterwegs, so habe ich noch nie gewohnt, und was an diesem Abend begann, blieb so die ganze Woche. Ich kam mit den Augen gar nicht nach, wie oft die Bettwäsche und die Handtücher gewechselt wurden, alles war eine Parfümwolke von Luxus. Hatte man einen Wunsch, war er schon erfüllt. Der Blick von der Restaurant-Terrasse auf die Bucht einerseits und das Sisi-Schloss andererseits sparte den Titobau im Hintergrund diskret aus. Am ersten Abend saßen wir noch etwas im Schatten, so dass wir trotz aller Gutwilligkeit die Speisekarten kaum lesen konnten, aber schon am nächsten Abend geleitete der Ober uns feierlich an den schönsten Tisch am Meer, und der Mond wurde so voll, dass er fast platzte.
Luxusleben. Der Liegestuhl unter dem Sonnenschirm, die sanften Wellen gegen den Fels. Rafał springt ins Wasser, Silke dreht sich auf den Bauch. Etwas essen an einem der weißen Tische, etwas lesen in einem der hoffnungsvollen Bücher, etwas denken in einer der verschrobenen Hirnwindungen. Die Julisonne macht so tatenlos lebendig! „Das ist doch nicht das Leben“, höre ich alle die, die sich um alles kümmern, aus Redaktionen und Asylantenheimen angeekelt rufen. Shirley Bassey log noch effektvoll, wenn sie sang: „This is my life“. Dazu habe ich keine Lust, ich bin noch einen Tick trotziger: Ja, Scheiße – mein Leben? So ist es!
Eine höfliche Kroatin schlug vor, einen Drink zu nehmen, und den konnte ich auch gebrauchen. Am liebsten hätte ich nach Chloroform gefragt, aber ich ließ es bei Negroni bewenden. Wir traten hinaus auf einen Balkon und setzten uns. Der Ausblick war nicht übel. Eine Terrasse öffnete sich zu den Tischen des Restaurants hin, Kellner, Gäste, ein Gehweg, ein Liegeplatz, das Meer, die Bucht, Pinien am Hang, der Himmel am Dämmern, es war wohltuend ruhig. Die Getränke kamen, die Sorgen nahmen ab.
Ein Reisebericht wie von einem trotzigen Jugendlichen geschrieben, der während der Reise zum staunenden Erwachsenen wird.
Diese „Reisestudie“ würde ich auch gerne einmal durchmachen müssen um wider Erwarten mich glücklich und zufrieden zu fühlen. Einfach geschehen lassen.
Reisen, auf denen man nichts lernt, sind überflüssig. Besonders, wenn man es zu Hause so schön hat wie ich.
Das ist meine Antwort, wenn ich gefragt werde, warum ich so oft verreise. „Weil ich so gerne nach Hause komme“
Wie geschickt, so ein Purgatorio auf dem Weg zum Paradies einzubauen. Hättest Du tatsächlich notfalls auch 6 Tage im Tito-BAu ausgehalten??? Das zeigt dann, dass Du auch im Sozialismus überlebt hättest -aber als was????
Ich fürchte: eher als leicht aufmüpfiger Partei-Lümmel denn als gefängnisbereiter Dissident. Aber tapfer ist man nicht im Kopf, sondern in der Tat, tröste ich mich. Wer nicht in Nazi-Deutschland lebt, braucht auch keine Juden zu verstecken.