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Fast am Ziel

Marsch auf Rom | #59

Eine Stunde später begannen wir unseren ‚Marsch auf Rom‘. Er verlief etwas geordneter als der Einzug in Neapel, zumal das Navi uns ohne Federlesens zum eingegebenen Parkhaus führte. Kaum waren wir am Colosseum, da erkannte ich jede Straße wieder. Wieso auch nicht? Oft genug war ich hier gewesen, und die Palazzi sind keinen Wolkenkratzern gewichen. Sicher, damals fuhren wir immer bis direkt vors Hotel und parkten da irgendwo. Damit ist es längst vorbei. Das Renaissance-Viertel darf kein Normalsterblicher mehr befahren.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Giuseppe war vor uns im Hotel und lief los, um uns abzuholen. Ich könnte ihn blind gehen, diesen Weg: vom Eingang aus die kurze Strecke bis zum Platz, die Treppe nach oben, vor der Kirche rechts und am Ende der Straße links rauf – fünf Minuten, höchstens sieben. Aber stattdessen saß ich allein auf und zwischen unserem Gepäck wie Prospero auf seiner Insel, Giuseppe kam wie Alonso, der König von Neapel, und auch Ariel, der Luftgeist, kam in Gestalt von Rafał mit Silke, nein, sie ist nicht Caliban, zurück aus dem Parkhaus, und sie fuhr mit mir altem Mann in der Taxe zum Hotel, wie die Verkehrsführung es befahl: über die Piazza del Popolo, während die beiden Buben die kürzere Strecke zu Fuß nahmen. Koffer, Taschen, Beutel. Ums Gepäck kümmere ich mich ja nie und komme mir dabei nicht umsorgt vor, sondern überflüssig.

Foto: Privatarchiv H. R.

Dem Hotel ‚Condotti‛ hat die Zeit deutlich weniger zugesetzt als mir. Schon das Entree, aber auch das Zimmer im obersten Stockwerk, alles war so, dass selbst Pali geblieben wäre. Nun musste Rafał meine Sachen zum ersten Mal auf eine Weise schichten, dass auch für Giuseppe noch Platz im Schrank blieb, aber ihm gelang das mit derselben Meisterschaft, mit der er eigenhändig aus einem Haufen Gemüse eine Julienne häckselt; ich griff da früher immer verstohlen in die Tiefkühltruhe. Die Terrasse war, wie ich sie kannte, nur aufgeräumter, und die Sitzgelegenheiten waren auch schöner jetzt. Ein bisschen mehr zu Hause in mir selbst fühlte ich mich: ein Blättern im Poesiealbum mit alten Oblaten, mädchenhaft, märchenhaft.

Wir saßen auf der Terrasse und sahen auf die einfallslosen Dächer der Häuser, Silke und ich wieder, Rafał und Giuseppe zum ersten Mal. Es kam darauf an zu wissen, dass gleich hinter diesen abgenutzten Fassaden die Piazza di Spagna lag und dass über ihr die Trinità dei Monti thronte; man musste es mitdenken, sonst war der Ausblick eher schäbig.

Foto: Privatarchiv H. R.

Der Rotwein, der uns verlockend wie Sirenensingsang von der Konsole aus begrüßte, war schwerer und teurer als es damals unser Frascati gewesen war, das schmeckte ich ihm beim ersten Schluck schon an, und deshalb musste ich mir mit Blick ins pflegeleichte Gesträuch auch gleich die rhetorische Trivialfrage verbieten, ob jung, arm und glücklich oder alt, reich und traurig erstrebenswerter ist.

Foto: Privatarchiv H. R.

5 Kommentare zu “Marsch auf Rom | #59

  1. Lieber Herr Rinke, da klingt ganz schön viel Wehmut mit, aber ich kann Sie so gut verstehen. Rom an sich ist ja schon pure Dramatik, dieser Hauch der Geschichte, der um jede Ecke weht. Wer jemals in Rom (und) verliebt war, wird dieses Gefühl nie vergessen. – Und um es kurz zu sagen: Ich wäre für jung, reich und glücklich (weil alt ist doch nur, wer nichts mehr vorhat im Leben, oder?)!

    1. Wichtig zu erkennen, ist, ob man es sich aussuchen kann, liebe Frau Schön, und wenn ja, in welcher Währung man dafür zahlen muss – Gesundheit, (Ver)Achtung, (Miss)Erfolg, Leben. Wehmut muss feucht sein, Wermut trocken.

    2. Hat nicht mal jemand geschrieben: Der Jugend gehört die Zukunft, den Alten die Vergangenheit?
      Reichtum, Gesundheit, Erfolge, Glück… manches kann man beeinflussen, vieles nicht. Aber das Gefühl von Jugend nimmt meiner Meinung nach einen ganz besonderen Stellenwert ein. Früher war nicht alles besser und ich möchte auch keine zwanzig mehr sein. Mein Leben hat mich geprägt und ich bin niemand, der mit Reue zurückblickt. Trotzdem ist da Wehmut wenn ich an die Energie, den Tatendrang, die Naivität meiner Jugend denke. Gar keine Traurigkeit, kein Schmerz, aber doch ein bischen Wehmut.

    3. Vom Schriftsteller und Feuerwehrmann Stephan Sarek stammt Ihr Zitat. Meine eigene Vergangenheit grämt mich nicht mehr sehr, vor der allgemeinen Zukunft habe ich keine große Angst mehr. Viele heutige Menetekel werden frühestens Wilklichkeit werden, wenn ich mir die Radieschen schon ganz gemütlich von unten begucke.

  2. Gesundheit und Glück sind natürlich unerlässlich für ein erfülltes Leben. Ein bischen Geld kann in beiden Fällen manchmal hilfreich sein. Das Alter wiederum spielt im Optimalfall gar keine Rolle. Wein und Whisky sind von dieser Regel allerdings ausgenommen.

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