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Fast am Ziel

Der istrische Kopf | #19

Wir waren uns einig, dass es in Slowenien anders aussah als in Italien. Die Berge? Die Häuser? Vielleicht lag es nur an den unleserlichen Schildern. Doch gleich an der Peripherie des ersten Ortes grüßten die vertrauten Supermärkte, riesig, und Unmengen von neuen Autos, zum Verladen bereit. Massenkonsum, Globalisierung, Standortvorteil. Die Welt 2016. ‚Koper‘, Giuseppe hatte es italienisch ‚Capodistria‘ genannt: das Haupt Istriens.

Wir kreisten rund herum um den Kopf, sahen ihn vom Gebirge und von der Uferpromenade aus und spähten hinein in die Altstadt, die ich mit meinen fußrüstigen Eltern noch problemlos hatte durchfahren können. Also, näher als Rafał illegal parkte, nachdem wir mehrere Verbotsschilder missachtet hatten, ging es wirklich nicht. Wir waren fast am Rathaus, gleich bei der Basilika, und ein nahezu mondänes Café oberhalb herrschaftlicher Stufen gab es auch. Ungefähr zwölf Tische, nur drei besetzt. Silke und Rafał tranken mir zur Gesellschaft einen ‚Cappuccino in Capodistria‘ und ließen mich wie zuvor besprochen an meinem Negroni zurück, um den Ort zu erkunden. Wenn alle Invaliden vor jedem Portal aussteigen könnten, wenn alle Obdachlosen jede Grandhotel-Terrasse besuchen dürften – wäre die Welt dann besser?

Der Platz sah sehr venezianisch aus und ziemlich ehrwürdig. Er war so schön geräuscharm. Autolosigkeit bekommt den Orten. Der Himmel hatte dieses makellose Blau und die Gebäude dieses irdene Weiß – es war so friedlich. Ohne die paar wenigen Menschen wäre es zu leer gewesen. Die Glocken im Campanile läuteten vor sich hin, halb eins; dabei wusste sowieso jeder, wie spät es war. Das Smartphone hat die Armbanduhr ersetzt, die Bilder herrschen über die Worte.

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