Teilen:

1404
Fast am Ziel

Aus dem Krater | #75

Der Weg zum Ziel führt über einen Bergkamm in das dünn besiedelte Tal der Albegna. Dort steigt aus einem Krater etwas auf, das mit dem Wort ‚Wasser‘ ziemlich freundlich beschrieben ist. Es stinkt und brodelt, 500 Liter pro Sekunde. Aber es kommt nicht aus der Hölle, sondern ganz unschuldig aus dem Himmel: Regenwasser vom Monte Amiata. Das Wasser sickerte in den erloschenen Mund des Vulkans, floss, wie Wasser das so tut, in den Boden und immer weiter, nahm alles auf, was da so rumlag auf seinem Weg durch das Gestein und kam unten wieder an die Oberfläche, ordentlich angereichert: Schwefelwasserstoff, Kohlendioxid und Mineralsalze. Nun stinkt der ehemalige Regen nicht bloß, sondern er kann auch allerlei: Das Bad im Thermalwasser neutralisiert den ph-Wert der Haut, hat einen natürlichen Peeling-Effekt und lindert die Symptome von Hautkrankheiten. Bei Arthrose, Knochen- und Muskelproblemen wirkt es schmerzlindernd und entzündungshemmend. Gegen Atemwegserkrankungen wird das Wasser zerstäubt, die Brühe kann aber natürlich auch von Schwefelliebhabern getrunken werden. Dann werden die freien Radikalen im Körper blockiert und der Alterungsprozess der Körperzellen verlangsamt.

Es ist wohl klar: Wer Saturnia fernbleibt, begeht Selbstmord durch Unterlassung. Wir verfuhren uns zwar, weil seit meinem letzten Aufenthalt der Eingang – zum inzwischen ‚Grandhotel Terme di Saturnia‘ – seinen Aufenthaltsort geändert hatte, aber wir wurden dann doch durch das breite, hohe Tor auf Namensnennung hin über Gegensprechanlage durchgelassen und erreichten, nachdem wir eine ausgedehnte Golfanlage mittelmäßig beeindruckt passiert hatten, den Vorplatz des Hotels, das mir zwar viermal so groß vorkam, als ich es 1978 kennengelernt hatte, aber Gott sei Dank nicht in die Höhe, sondern in die Breite erweitert worden war und immer noch aussah wie aus Felssteinen zusammengehauen.

Innen allerdings war es nicht mehr der verschlafene Geheimtipp von einst, sondern eine Ansammlung von Boutiquen und Salons und einer großzügigen Rezeption, an der man uns mit ausgesuchter Höflichkeit wissen ließ, dass unsere Zimmer in drei Stunden bezugsfertig seien. Sowas geschieht einem immer, wenn die Reiseroute zu kurz ist. Wer zu früh kommt, den bestraft das Leben, und wer zu spät abreist, der muss die nächste Nacht mitbezahlen. Eine ausgedehnte Fahrt durch Luxushotels ist beschwerlich, weil die Stunden zwischen 11 und 15 Uhr dem Reinigungspersonal gehören, und es keine Gewerkschaft gibt, die sich für die Interessen der jetsettenden Minderheit mit knautschenden Leinensakkos und duschgelbedürftigen Achselhöhlen einsetzt.

Immerhin versprach man, sich zu bemühen, und tat das auch, denn eine halbe Stunde später, während welcher der Barmann von mir auf seine Negroni-Tauglichkeit hin überprüft worden war, teilte uns einer der Empfangschefs, Zuversicht in der Stimme, mit, dass eines der Zimmer schon in einer weiteren halben Stunde für die Kundschaft betretbar sei. Ich malte mir ein wenig aus, was die Fräulein Zimmermädchen und die Herren Staubsauger wohl die ganze Zeit über in all den Räumen trieben, und ließ mich dann von Silke und Rafał nicht lange bitten, dieses personalfreie Zimmer schon vor dem angedachten Lunch zu beziehen. Dem Ältesten und Gebrechlichsten von uns dreien steht das Pinkeln in die eigene Kloschüssel gut an, wenn nicht sogar zu. Während wir zwischen Gästen, die ihre Aperitifs in den hoteleigenen Bademänteln einnahmen, noch ein wenig gegen die Hitze antranken (ich fand zur Appetitsteigerung Fernet Branca doch bekömmlicher als einen zweiten Negroni), kam der Hoteldirektor, uns mit weltgewandter Grandezza zu begrüßen. Silke fühlte sich geachtet, Rafał dachte: „Der is’ schwul“, und ich sprach so italienisch, wie ich nur konnte.

6 Kommentare zu “Aus dem Krater | #75

  1. Hahahah eine Gewerkschaft für die jetsettende Minderheit wäre allerdings mal eine (selbstredend völlig unnötig und übertriebene) Maßnahme. Wie oft habe ich schon auf mein Zimmer warten müssen. Oft weil die Reise nicht zu kurz, sondern zu lang war und man nach einem ewig scheinenden Langstreckenflug erst/schon früh morgens sein Ziel erreicht. Für die gefühlt endlos scheinenden Stunden Wartezeit, in denen man versucht nicht mit weit aufgerissenem Mund und schnarchend in der Lobby zu liegen sollte man tatsächlich entschädigt werden 😉

    1. Zur Verteidigung der Zimmermädchen muss man allerdings sagen, dass für die Komplettreinigung eines Hotelzimmers in der Regel nicht mehr als 10-15 Minuten vorgesehen sind. Und zwar incl. Betten machen, Bad/Klo putzen, Aufräumen, Minibar auffüllen, Mülleimer leeren etc. Eine gute Freundin, hat eine Weile lang für eine größere Hotelkette gearbeitet und ihre ernüchternden Erzählungen haben mich ein bischen mehr Achtung für diese Arbeit gelehrt.

  2. Wieder einmal ein Hotel, in dem ich ohne weiteres verweilen würde. Trotz Wartezeit beim Check-In. Danke für die mittlerweile große Ansammlung an Reisetips Herr Rinke! Ich werde vor meiner nächsten Italienreise auf alle Fälle noch einmal virtuell durch ihren Blog blättern.

    1. Eine interessante Idee, aber Botox als Heilmittel gegen Arthrose oder Hautkrankheiten wäre mir neu. Ich glaube die Anzahl derer, die zum Straffen in’s Saturnia fahren ist dann doch recht gering 😉

Schreiben Sie einen Kommentar!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

dreizehn − 4 =