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#0 – (M)ein-Leitung
Alles ist fertig. Die richtigen Bilder, um meine Ansichten zu illustrieren. Die richtigen Wörter, um die Worte zu ordnen. Alles ist so, wie ich es will. Und doch! Wie seltsam, hier Reise-, sogar Lebenserfahrungen aufzublättern, die während des Schreibens ganz zeitgemäß zeitlos schienen und die nun von der Wirklichkeit auf die hinteren Plätze verwiesen wurden. Jetzt ist alles anders.
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#1 – Loslegen
Anzufangen fällt mir nicht schwer. Aufzuhören schon eher. Das leere Blatt hat mich nie geschreckt, der leere Bildschirm tut das auch nicht. Die Formulierung kommt gleich mit dem Gedanken, und all meine Kopfgeburten gelingen problemlos ohne Wehen. An den Sinn des Aufschreibens zu glauben, fällt schon schwerer. Mal denke ich: „Ich brauche das!“ und mal sage ich mir: „Die Menschheit wird sich nie die Frage stellen, ob sie es braucht, wenn ich es gar nicht erst aufgezeichnet habe.“
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#2 – Die große Show
Los geht es im Juli 2018. Im Jahr zuvor hatte ich Giuseppe recht gegeben: Für den wochenlangen Ausflug von Meran aus nach Süden wäre im Hochsommer zu heiß gewesen. 2018 war es noch heißer als im Vorjahr, aber wie oft sollte ich die Reise denn noch aufschieben? Von der Endlichkeit müssen wir Gebrauch machen, bevor uns die Unendlichkeit einholt und die Falle zuschnappt.
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#3 – Warum Italien zugrunde geht
Für den weiteren Verlauf der Eskapade mache ich es mir einfach und schreibe – leicht gekürzt – von meinem damaligen Tagebuch ab. Das ist doch viel authentischer und gibt mir außerdem Gelegenheit, noch mal auf Florenz zurückzukommen, obwohl Florenz ja eigentlich schon in meinem Blogwerk ‚Frühling in Florenz‘ abgefeiert worden war.
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#4 – Und was ist bei Regen?
Inzwischen war es auch an der Zeit, die Villa, in der die Vorabend-Veranstaltung stattfinden sollte, zu besichtigen. Motto: ‚Die Musikwelt zu Gast bei Freunden‘, also bei mir. Aber alles andere als bei mir Zuhause. Als wir in die Autos stiegen, hatten Rüdiger, Volker und Pipo, denen zu fasten ein weniger perverses Bedürfnis ist als mir, schon so was Verdrossenes um den Mund, Giuseppe nicht, er war abgelenkt durch das Gewicht meiner Tasche.
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#5 – Andacht im Dom
Weiter im Tagebuch: Freitagvormittag in Bologna. Heißer Himmel. Wir schlenderten. „Ich find’ ja Bologna ganz toll“, sagte Rüdiger, ohne das näher zu begründen. Giuseppe führte seine sanftmütigen Augen aus, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob man aus dieser Art Blick heraus eigentlich sehen kann, also ob er lichtdurchlässig ist.
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#6 – Ohne Blick auf den Dom
Wir fuhren zum Mittagessen in das Restaurant am hinteren Rand der Piazzale Michelangelo: ‚La Loggia‘. Von dessen erhöhter Terrasse aus kann man, am monumentalen David vorbei, ganz Florenz in die Toskana-Hügel eingebettet liegen sehen. Solche Ausflugspunkte warten ja häufig nur mit Pizzerien und McDonaldissimos auf, und so war es immer schon meine Sehnsucht gewesen, dieses erstklassige Lokal an berühmter Stelle zu besuchen. Nun endlich.
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#7 – Leere und Fülle
Zurück in die Gegenwart – die Gegenwart unserer Reise nach Südost. Silke kannte Bologna nicht. Es ist die größte italienische Stadt, die keinen deutschen Namen verpasst bekommen hat, so wie es Mailand, Neapel, Rom, Venedig und Genua passiert ist. Die Italiener rächen sich mit ‚Amburgo‘, ‚Berlino‘, ‚Monaco‘, ‚Stoccarda‘. Wer damit angefangen hat, weiß ich nicht, nur, dass wir das mit anderen Ländern und ihren Städten nicht machen.
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#8A – Vom Städtebund zum Seebad
In den Fünfzigerjahren war Rimini der Traum der Deutschen gewesen, und die Schilder an den Strandbuden hatten ‚Kaffe nach deutche Art‘ im Angebot. Es hat sich herumgesprochen, dass es auf Mallorca nicht nur den Ballermann, sondern auch herrliche, fast unberührte Gegenden gibt. Was würde es in Rimini geben? Als wir fünf Tage später wieder wegfuhren, wussten wir es, aber erst mal der Reise und Reihe nach – Geschichte und Geschichtchen, sie sind ja meine beiden Steckenpferde. Also, losgeritten!
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#8B – Exkurs: Der Sinn des Lebens
Ich vergesse regelmäßig mein Smartphone. Gott sei Dank schon zu Hause. Da bin ich wohl der Letzte, dem das passiert.
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#9 – Die Tücken des ‚Grand Hotels‘
Nach unserem Unbesuch 1967 gab es eine Pause von einunddreißig Jahren, bevor meine Füße wieder Rimini-Boden betraten: 1998. Davon gibt es wieder kein einziges Foto, aber mein Tagebuch. Das ist ja viel authentischer als alles, was ich mir jetzt nachträglich zusammenreimen könnte.
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#10 – Badefreuden
Die Ankunft am Strand ist jedes Mal ein Horror. Unsere drei Liegestühle stehen in vorderster Front, dagegen ist nichts zu sagen, aber entweder ist schon jemand anderes da, dann ist der Vormittag gelaufen, weil er unweigerlich zu dicht ‚ausgerechnet bei uns‘ sitzt, oder er ist noch nicht da, dann wird er mit bitterem Verdruss herbeigewartet.
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#11A – Halb so lange
Genug der Vorgeschichten! Sie sollten nur Beleg sein für die Notwendigkeit, Rimini in meine Abschiedstournee mit einzubeziehen, und sie beleuchten das Dunkel der Vergangenheit, so dass die Assoziationen, die ich beim Verlassen der Autostrada hatte, sichtbar werden, um es so schön geschraubt auszudrücken, wie es sich für einen komplizierten Abschied aus einer untergehenden Welt geziemt.
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#11B – Vertrödeln findet nicht statt
Alles wird anders. Immerzu. Aber dieses Mal wird es sehr anders: Aus der humanistischen Welt, die mich geprägt hat, geht es in die digitale, an der ich wissbegierig und verständnislos Anteil nehme. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit gegen mich arbeitet.
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#12A – Doppelschlag
1967 auf unserer langen Studentenreise, auf der wir Rimini so genüsslich verachtet hatten, fuhren wir ins Inland, Richtung San Marino. Hans Dieter saß am Steuer und huppelte im Dunkeln über etwas, das wir für eine fette Ratte hielten. Angeekelt steuerten wir die nächste Übernachtungsmöglichkeit an. Kultur hin, Landschaft her, dieser Moment, in dem es unter uns gescheppert hatte – er ist das Einzige, an das ich mich von damals erinnere.
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#12B – Apfelbäumchen oder Sintflut?
Kaum liegt man, schon drängen sich neue Fragen ins Hirn, und wenn man es nicht schafft, sie zurückzudrängen, schaffen sie es, einen wach zu halten. Die Reise, das Leben, der Tod.
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#13A – Wo überall mir Tattoos fehlen
Als Reiseführer bemühe ich mich, nicht allzu weihevoll zu sein, weil ich salbungsvolles Getue auch bei anderen Menschen schwer aushalte. Dennoch fühle ich mich dafür verantwortlich, die tägliche Langeweile zwischen Lobby und Liegestuhl so gering zu halten, dass nicht der Sinn der ganzen Reise unvermittelt auf dem Prüfstand steht.
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#13B – Exkurs: Antike (und) Anmache
Die Frage, wie kompatibel unsere eigenen Gedankengänge mit den Vorstellungen anderer Menschen sind, beschäftigt mich am Tag, wenn ich mir die Leute so betrachte, und erst recht bei Nacht, wenn ich nicht gerade schlafe oder mich Strandpartylärm vom Denkmodus in den Wutmodus zwingt.
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#14 – Leichen
Eine letzte Nacht, die Silke und Rafał mit Meerblick und Krach hatten verbringen dürfen, ich mit Parkplatzblick und Stille, dann packte das Personal unser Gepäck ins Auto, und wir fuhren weg. Fazit: Im ‚Grand Hotel‘ nach hinten raus schlafen, im ‚Club Nautico‘ bei Sonnenuntergang tafeln – so ist Rimini immer wieder eine Reise wert. Alles andere kann man nicht, man muss es vergessen. Nulla!
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#15 – Venedig bis zum Abwinken
Wir hatten mit weniger Zeit für die Strecke zwischen Rimini und Lido gerechnet. Helga stand schon fröhlich winkend am Ufer. Den Flug von Hamburg über die Alpen hatte sie schneller geschafft als wir die Strecke von Rimini hierher, trotz Rafałs Fahrweise. Fliegen ist ungesund für die Natur, Autofahren auch. Zuhausebleiben ist langweilig für den Menschen. So ist das nun mal.
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#16 – Die unendliche Schwierigkeit aufzustehen
Morgens bin ich, meiner eigenen Empfindung nach, eher ein Wrack, das am Grunde seines Bettes von Tauchern in Ruhe gelassen werden will, als die stolze Fregatte, die ich gestern Abend war und die noch kurz vor dem Schlafengehen verbale Salven auf seine Umgebung abgeschossen hat. Mein Hausarzt hat da ja seine eigene Theorie über dieses Phänomen, aber es geht hier weder um Schiffeversenken noch um Flaschenentkorken ...
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#17 – Irgendwie eintreffen
Giuseppe ist ein viel besserer Mensch, als ich es bin (moralisch gesehen), aber sein Orientierungssinn ist vielleicht etwas weniger ausgeprägt als meiner. Wir fuhren ja nun ab Trient durch seine Westentasche und deshalb erst kurz vor Venedig in die Irre. Ich hielt ihn natürlich für einen ausgekochten Abkürzer, so dass ich bewundernd sagte: „Das Schild nach Venedig wies da lang!“
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#18 – Im Wartezimmer
Freitagnachmittag, 16 Uhr. Trotz der fortgerückten Stunde ging ich zum Empfang und schilderte – was blieb mir übrig? – mein Problem. Vor Montag würde ich wohl keine Chance haben?
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#19 – Wüstensommer
Am nächsten Morgen ist um zehn Uhr festzustellen: Wir sind auf dem Lido, wir haben es knapp durch die Tür geschafft, bevor der Frühstückssalon geschlossen wurde, und Silke ist noch nicht angekommen.
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#20 – Die Symbolfigur unserer Zeit
Gestern haben wir in dichtestem Menschengedränge bei ‚Billa‘ (lautmalerisch und in etwa mit ‚Lidl‘ vergleichbar) weitere Mengen an Bodylotion und Insektenspray gekauft, weil Irene es nicht leiden kann, während des stimmungsvollen Abendessens im Freien vom Knöchel an aufwärts von Mücken zerkaut zu werden.
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#21 – Herr Schwarz von Venedig
Manchmal, so beim Essen zu zweit, überkommt mich dieser übliche Ewigkeitsanspruch, und ich denke: „Mein Gott, was erzähl ich denn dieser Person zwischen Suppe und Salat meine Aufgewühltheiten, wenn die mir sowieso irgendwann wegstirbt?“ Aber dann beruhige ich mich wieder. Schließlich habe ich es ja selber auch ganz gern, dass vor meinem Tod schon mal jemand mit mir geredet hat.
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#22 – Angebot an italienische Mütter
Es war keine Wolke am Himmel, es blieb keine Wahl: Am allerletzten Spätnachmittag unseres Meeres-Kur-Aufenthalts musste Venedig erobert werden.
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#23 – Kartoffelchips mit Charakter
Es ist schon lange nicht mehr schwierig, einen Logenplatz in einem der drei Cafés zu bekommen. Jeder kennt die Preise, und so werden die Sitzenden mehr begafft als die Flanierenden, bei denen es sich allerdings überwiegend um Vorbeilatschende handelt.
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#24 – Zusammenbruch
Der Brief fängt früher an und geht noch viel weiter, aber das war der (ohnehin gekürzte) Venedig-Teil. – Zurück zum Jetzt. Früher war das Leben lustiger: wie ein leichter Schwips. Nicht die Zeit war lustiger, nur wir.
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#25 – Riskante Wette
Cocktail-Time – auf der Terrasse des ‚Excelsior‘. Im ‚Excelsior‘ wohnt die Film-Prominenz während der Festspiele, und dort, wo er erfunden wurde, habe ich schon mit Pali, Irene, Guntram, Roland und Silke den waschechten Bellini getrunken.
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#26 – Ein Hinweis aus Paderborn
Abendessen – Der letzte Abend muss dramaturgisch immer noch eins draufsetzen. Also nahmen wir ein Wassertaxi vom Lido zum Markusplatz.
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#27A – Das Wichtigste über die Zeit der Kreuzzüge, über die Zeit davor und über die Zeit danach
Am nächsten Tag – Samstag, dem 11. August, übrigens – sollte das Sehenswürdigkeitsgucken (giro turistico) vom Vortag fortgesetzt werden. Vicenza, gleich um die Ecke, bot sich dafür an.
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#27B – In Teufels und Ferraris Küche
Als wir am späten Nachmittag nach Asolo fuhren, tat der Himmel schon wieder so, als sei nichts gewesen. Im Garten des Hotels ‚Cipriani‘ sitzt man wie auf Besuch im Paradies, und der Ober bringt zu den Getränken ungefragt all diese herrlichen Kleinigkeiten ...
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#28 – Ganz ausgeschlossen!
Am Dienstag, dem 16. Oktober, reisten wir zurück nach Deutschland. Drei Monate waren vergangen. Ist das viel – ist es wenig? Der Sommer war in ganz Europa heiß gewesen. Chemnitz geriet wegen rechtsextremer Hooligans in die Schlagzeilen, Jamal Khashoggi war in Istanbul ermordet und zerstückelt worden.
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#29A – Vermutungen
Zurück zum Hauptschlüssel des Mercedes. Ich war mit ihm bis zu dem Restaurant Hidalgo gefahren, in dem wir mittaggegessen hatten. Danach war Guntram gefahren. Offenbar mit dem Zweitschlüssel. Jeder von uns beiden war insgeheim sicher, dass er den fehlenden Schlüssel verschusselt hatte ...
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#29B – Am Eingangstor zu Berlin
In meiner Wohnung war ich noch damit beschäftigt, die Post in Werbebriefe für mich und Werbebriefe für den seit Jahren toten Roland zu sortieren, als das Telefon klingelte: Guntram hatte einen weiteren Schlüssel die ganze Zeit im Portemonnaie bei sich gehabt. Alles war da, nichts fehlte.
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#29C – Zusammenfassung
Liebe Zuschauer, -hörer, Leser/-innen! Erlauben Sie mir bitte eine Zwischenbilanz, bevor der zweite Teil beginnt. Meine Generation hat Menschen und Länder entdecken wollen. In den 1950er-Jahren waren die Deutschen ans Mittelmeer gefahren, weil es da warm war. Die Entdeckung der Welt, das war etwas für einzelne Abenteurer gewesen.
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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation
Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘
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#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch
Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.
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#31B – Orest
Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.
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#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken
Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.
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#32B – Abstecher
Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...
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#33 – Vollmond
Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.
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#34 – Wetten, dass nicht …
Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.
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#35A – Damals, mehrmals
Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...
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#35B – Heute: einmal reicht
Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.
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#36 – Unwiederbringlich?
Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.
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#37A – Hummer am Straßenrand
Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.
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#37B – Erinnerungen an Erinnerungen
Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.
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#38 – Überfahrt
Fortsetzung 1975:
Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...
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#39 – Bezahlen
Fortsetzung 1975:
Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.
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#40 – Mein Ruf
Fortsetzung 1975:
In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.
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#41 – Was nicht passiert war und was doch
Fortsetzung 1975:
Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.
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#42 – Das Machbare
Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.
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#43 – Ein Finne auf der Fähre
Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.
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#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.
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#44B – Wahrheiten und Lügen
Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.
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#44C – Durch Monreale und durch Müll
Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.
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#45 – Urlaub
Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.
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#46 – Weltkulturerbe und wir Erben
Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.
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#47A – Die Festung
Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.
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#47B – Mitbringsel
Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.
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#47C – Wo man was macht
1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.
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#48 – Das neue Kleid
2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.
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#49 – An Rom vorbei
In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.
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#50 – Nur 20 Prozent Männer
Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.
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#51 – Lehren ziehen
Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.
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#52A – Im Haus
Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.
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#52B – Tulpenfieber
Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.
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#53 – Ausgestorbene Berufe
2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.
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#54 – Abschiedsessen
Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.
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#0 – (M)ein-Leitung
Alles ist fertig. Die richtigen Bilder, um meine Ansichten zu illustrieren. Die richtigen Wörter, um die Worte zu ordnen. Alles ist so, wie ich es will. Und doch! Wie seltsam, hier Reise-, sogar Lebenserfahrungen aufzublättern, die während des Schreibens ganz zeitgemäß zeitlos schienen und die nun von der Wirklichkeit auf die hinteren Plätze verwiesen wurden. Jetzt ist alles anders.
weiterlesen#1 – Loslegen
Anzufangen fällt mir nicht schwer. Aufzuhören schon eher. Das leere Blatt hat mich nie geschreckt, der leere Bildschirm tut das auch nicht. Die Formulierung kommt gleich mit dem Gedanken, und all meine Kopfgeburten gelingen problemlos ohne Wehen. An den Sinn des Aufschreibens zu glauben, fällt schon schwerer. Mal denke ich: „Ich brauche das!“ und mal sage ich mir: „Die Menschheit wird sich nie die Frage stellen, ob sie es braucht, wenn ich es gar nicht erst aufgezeichnet habe.“
weiterlesen#2 – Die große Show
Los geht es im Juli 2018. Im Jahr zuvor hatte ich Giuseppe recht gegeben: Für den wochenlangen Ausflug von Meran aus nach Süden wäre im Hochsommer zu heiß gewesen. 2018 war es noch heißer als im Vorjahr, aber wie oft sollte ich die Reise denn noch aufschieben? Von der Endlichkeit müssen wir Gebrauch machen, bevor uns die Unendlichkeit einholt und die Falle zuschnappt.
weiterlesen#3 – Warum Italien zugrunde geht
Für den weiteren Verlauf der Eskapade mache ich es mir einfach und schreibe – leicht gekürzt – von meinem damaligen Tagebuch ab. Das ist doch viel authentischer und gibt mir außerdem Gelegenheit, noch mal auf Florenz zurückzukommen, obwohl Florenz ja eigentlich schon in meinem Blogwerk ‚Frühling in Florenz‘ abgefeiert worden war.
weiterlesen#4 – Und was ist bei Regen?
Inzwischen war es auch an der Zeit, die Villa, in der die Vorabend-Veranstaltung stattfinden sollte, zu besichtigen. Motto: ‚Die Musikwelt zu Gast bei Freunden‘, also bei mir. Aber alles andere als bei mir Zuhause. Als wir in die Autos stiegen, hatten Rüdiger, Volker und Pipo, denen zu fasten ein weniger perverses Bedürfnis ist als mir, schon so was Verdrossenes um den Mund, Giuseppe nicht, er war abgelenkt durch das Gewicht meiner Tasche.
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Weiter im Tagebuch: Freitagvormittag in Bologna. Heißer Himmel. Wir schlenderten. „Ich find’ ja Bologna ganz toll“, sagte Rüdiger, ohne das näher zu begründen. Giuseppe führte seine sanftmütigen Augen aus, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob man aus dieser Art Blick heraus eigentlich sehen kann, also ob er lichtdurchlässig ist.
weiterlesen#6 – Ohne Blick auf den Dom
Wir fuhren zum Mittagessen in das Restaurant am hinteren Rand der Piazzale Michelangelo: ‚La Loggia‘. Von dessen erhöhter Terrasse aus kann man, am monumentalen David vorbei, ganz Florenz in die Toskana-Hügel eingebettet liegen sehen. Solche Ausflugspunkte warten ja häufig nur mit Pizzerien und McDonaldissimos auf, und so war es immer schon meine Sehnsucht gewesen, dieses erstklassige Lokal an berühmter Stelle zu besuchen. Nun endlich.
weiterlesen#7 – Leere und Fülle
Zurück in die Gegenwart – die Gegenwart unserer Reise nach Südost. Silke kannte Bologna nicht. Es ist die größte italienische Stadt, die keinen deutschen Namen verpasst bekommen hat, so wie es Mailand, Neapel, Rom, Venedig und Genua passiert ist. Die Italiener rächen sich mit ‚Amburgo‘, ‚Berlino‘, ‚Monaco‘, ‚Stoccarda‘. Wer damit angefangen hat, weiß ich nicht, nur, dass wir das mit anderen Ländern und ihren Städten nicht machen.
weiterlesen#8A – Vom Städtebund zum Seebad
In den Fünfzigerjahren war Rimini der Traum der Deutschen gewesen, und die Schilder an den Strandbuden hatten ‚Kaffe nach deutche Art‘ im Angebot. Es hat sich herumgesprochen, dass es auf Mallorca nicht nur den Ballermann, sondern auch herrliche, fast unberührte Gegenden gibt. Was würde es in Rimini geben? Als wir fünf Tage später wieder wegfuhren, wussten wir es, aber erst mal der Reise und Reihe nach – Geschichte und Geschichtchen, sie sind ja meine beiden Steckenpferde. Also, losgeritten!
weiterlesen#8B – Exkurs: Der Sinn des Lebens
Ich vergesse regelmäßig mein Smartphone. Gott sei Dank schon zu Hause. Da bin ich wohl der Letzte, dem das passiert.
weiterlesen#9 – Die Tücken des ‚Grand Hotels‘
Nach unserem Unbesuch 1967 gab es eine Pause von einunddreißig Jahren, bevor meine Füße wieder Rimini-Boden betraten: 1998. Davon gibt es wieder kein einziges Foto, aber mein Tagebuch. Das ist ja viel authentischer als alles, was ich mir jetzt nachträglich zusammenreimen könnte.
weiterlesen#10 – Badefreuden
Die Ankunft am Strand ist jedes Mal ein Horror. Unsere drei Liegestühle stehen in vorderster Front, dagegen ist nichts zu sagen, aber entweder ist schon jemand anderes da, dann ist der Vormittag gelaufen, weil er unweigerlich zu dicht ‚ausgerechnet bei uns‘ sitzt, oder er ist noch nicht da, dann wird er mit bitterem Verdruss herbeigewartet.
weiterlesen#11A – Halb so lange
Genug der Vorgeschichten! Sie sollten nur Beleg sein für die Notwendigkeit, Rimini in meine Abschiedstournee mit einzubeziehen, und sie beleuchten das Dunkel der Vergangenheit, so dass die Assoziationen, die ich beim Verlassen der Autostrada hatte, sichtbar werden, um es so schön geschraubt auszudrücken, wie es sich für einen komplizierten Abschied aus einer untergehenden Welt geziemt.
weiterlesen#11B – Vertrödeln findet nicht statt
Alles wird anders. Immerzu. Aber dieses Mal wird es sehr anders: Aus der humanistischen Welt, die mich geprägt hat, geht es in die digitale, an der ich wissbegierig und verständnislos Anteil nehme. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit gegen mich arbeitet.
weiterlesen#12A – Doppelschlag
1967 auf unserer langen Studentenreise, auf der wir Rimini so genüsslich verachtet hatten, fuhren wir ins Inland, Richtung San Marino. Hans Dieter saß am Steuer und huppelte im Dunkeln über etwas, das wir für eine fette Ratte hielten. Angeekelt steuerten wir die nächste Übernachtungsmöglichkeit an. Kultur hin, Landschaft her, dieser Moment, in dem es unter uns gescheppert hatte – er ist das Einzige, an das ich mich von damals erinnere.
weiterlesen#12B – Apfelbäumchen oder Sintflut?
Kaum liegt man, schon drängen sich neue Fragen ins Hirn, und wenn man es nicht schafft, sie zurückzudrängen, schaffen sie es, einen wach zu halten. Die Reise, das Leben, der Tod.
weiterlesen#13A – Wo überall mir Tattoos fehlen
Als Reiseführer bemühe ich mich, nicht allzu weihevoll zu sein, weil ich salbungsvolles Getue auch bei anderen Menschen schwer aushalte. Dennoch fühle ich mich dafür verantwortlich, die tägliche Langeweile zwischen Lobby und Liegestuhl so gering zu halten, dass nicht der Sinn der ganzen Reise unvermittelt auf dem Prüfstand steht.
weiterlesen#13B – Exkurs: Antike (und) Anmache
Die Frage, wie kompatibel unsere eigenen Gedankengänge mit den Vorstellungen anderer Menschen sind, beschäftigt mich am Tag, wenn ich mir die Leute so betrachte, und erst recht bei Nacht, wenn ich nicht gerade schlafe oder mich Strandpartylärm vom Denkmodus in den Wutmodus zwingt.
weiterlesen#14 – Leichen
Eine letzte Nacht, die Silke und Rafał mit Meerblick und Krach hatten verbringen dürfen, ich mit Parkplatzblick und Stille, dann packte das Personal unser Gepäck ins Auto, und wir fuhren weg. Fazit: Im ‚Grand Hotel‘ nach hinten raus schlafen, im ‚Club Nautico‘ bei Sonnenuntergang tafeln – so ist Rimini immer wieder eine Reise wert. Alles andere kann man nicht, man muss es vergessen. Nulla!
weiterlesen#15 – Venedig bis zum Abwinken
Wir hatten mit weniger Zeit für die Strecke zwischen Rimini und Lido gerechnet. Helga stand schon fröhlich winkend am Ufer. Den Flug von Hamburg über die Alpen hatte sie schneller geschafft als wir die Strecke von Rimini hierher, trotz Rafałs Fahrweise. Fliegen ist ungesund für die Natur, Autofahren auch. Zuhausebleiben ist langweilig für den Menschen. So ist das nun mal.
weiterlesen#16 – Die unendliche Schwierigkeit aufzustehen
Morgens bin ich, meiner eigenen Empfindung nach, eher ein Wrack, das am Grunde seines Bettes von Tauchern in Ruhe gelassen werden will, als die stolze Fregatte, die ich gestern Abend war und die noch kurz vor dem Schlafengehen verbale Salven auf seine Umgebung abgeschossen hat. Mein Hausarzt hat da ja seine eigene Theorie über dieses Phänomen, aber es geht hier weder um Schiffeversenken noch um Flaschenentkorken ...
weiterlesen#17 – Irgendwie eintreffen
Giuseppe ist ein viel besserer Mensch, als ich es bin (moralisch gesehen), aber sein Orientierungssinn ist vielleicht etwas weniger ausgeprägt als meiner. Wir fuhren ja nun ab Trient durch seine Westentasche und deshalb erst kurz vor Venedig in die Irre. Ich hielt ihn natürlich für einen ausgekochten Abkürzer, so dass ich bewundernd sagte: „Das Schild nach Venedig wies da lang!“
weiterlesen#18 – Im Wartezimmer
Freitagnachmittag, 16 Uhr. Trotz der fortgerückten Stunde ging ich zum Empfang und schilderte – was blieb mir übrig? – mein Problem. Vor Montag würde ich wohl keine Chance haben?
weiterlesen#19 – Wüstensommer
Am nächsten Morgen ist um zehn Uhr festzustellen: Wir sind auf dem Lido, wir haben es knapp durch die Tür geschafft, bevor der Frühstückssalon geschlossen wurde, und Silke ist noch nicht angekommen.
weiterlesen#20 – Die Symbolfigur unserer Zeit
Gestern haben wir in dichtestem Menschengedränge bei ‚Billa‘ (lautmalerisch und in etwa mit ‚Lidl‘ vergleichbar) weitere Mengen an Bodylotion und Insektenspray gekauft, weil Irene es nicht leiden kann, während des stimmungsvollen Abendessens im Freien vom Knöchel an aufwärts von Mücken zerkaut zu werden.
weiterlesen#21 – Herr Schwarz von Venedig
Manchmal, so beim Essen zu zweit, überkommt mich dieser übliche Ewigkeitsanspruch, und ich denke: „Mein Gott, was erzähl ich denn dieser Person zwischen Suppe und Salat meine Aufgewühltheiten, wenn die mir sowieso irgendwann wegstirbt?“ Aber dann beruhige ich mich wieder. Schließlich habe ich es ja selber auch ganz gern, dass vor meinem Tod schon mal jemand mit mir geredet hat.
weiterlesen#22 – Angebot an italienische Mütter
Es war keine Wolke am Himmel, es blieb keine Wahl: Am allerletzten Spätnachmittag unseres Meeres-Kur-Aufenthalts musste Venedig erobert werden.
weiterlesen#23 – Kartoffelchips mit Charakter
Es ist schon lange nicht mehr schwierig, einen Logenplatz in einem der drei Cafés zu bekommen. Jeder kennt die Preise, und so werden die Sitzenden mehr begafft als die Flanierenden, bei denen es sich allerdings überwiegend um Vorbeilatschende handelt.
weiterlesen#24 – Zusammenbruch
Der Brief fängt früher an und geht noch viel weiter, aber das war der (ohnehin gekürzte) Venedig-Teil. – Zurück zum Jetzt. Früher war das Leben lustiger: wie ein leichter Schwips. Nicht die Zeit war lustiger, nur wir.
weiterlesen#25 – Riskante Wette
Cocktail-Time – auf der Terrasse des ‚Excelsior‘. Im ‚Excelsior‘ wohnt die Film-Prominenz während der Festspiele, und dort, wo er erfunden wurde, habe ich schon mit Pali, Irene, Guntram, Roland und Silke den waschechten Bellini getrunken.
weiterlesen#26 – Ein Hinweis aus Paderborn
Abendessen – Der letzte Abend muss dramaturgisch immer noch eins draufsetzen. Also nahmen wir ein Wassertaxi vom Lido zum Markusplatz.
weiterlesen#27A – Das Wichtigste über die Zeit der Kreuzzüge, über die Zeit davor und über die Zeit danach
Am nächsten Tag – Samstag, dem 11. August, übrigens – sollte das Sehenswürdigkeitsgucken (giro turistico) vom Vortag fortgesetzt werden. Vicenza, gleich um die Ecke, bot sich dafür an.
weiterlesen#27B – In Teufels und Ferraris Küche
Als wir am späten Nachmittag nach Asolo fuhren, tat der Himmel schon wieder so, als sei nichts gewesen. Im Garten des Hotels ‚Cipriani‘ sitzt man wie auf Besuch im Paradies, und der Ober bringt zu den Getränken ungefragt all diese herrlichen Kleinigkeiten ...
weiterlesen#28 – Ganz ausgeschlossen!
Am Dienstag, dem 16. Oktober, reisten wir zurück nach Deutschland. Drei Monate waren vergangen. Ist das viel – ist es wenig? Der Sommer war in ganz Europa heiß gewesen. Chemnitz geriet wegen rechtsextremer Hooligans in die Schlagzeilen, Jamal Khashoggi war in Istanbul ermordet und zerstückelt worden.
weiterlesen#29A – Vermutungen
Zurück zum Hauptschlüssel des Mercedes. Ich war mit ihm bis zu dem Restaurant Hidalgo gefahren, in dem wir mittaggegessen hatten. Danach war Guntram gefahren. Offenbar mit dem Zweitschlüssel. Jeder von uns beiden war insgeheim sicher, dass er den fehlenden Schlüssel verschusselt hatte ...
weiterlesen#29B – Am Eingangstor zu Berlin
In meiner Wohnung war ich noch damit beschäftigt, die Post in Werbebriefe für mich und Werbebriefe für den seit Jahren toten Roland zu sortieren, als das Telefon klingelte: Guntram hatte einen weiteren Schlüssel die ganze Zeit im Portemonnaie bei sich gehabt. Alles war da, nichts fehlte.
weiterlesen#29C – Zusammenfassung
Liebe Zuschauer, -hörer, Leser/-innen! Erlauben Sie mir bitte eine Zwischenbilanz, bevor der zweite Teil beginnt. Meine Generation hat Menschen und Länder entdecken wollen. In den 1950er-Jahren waren die Deutschen ans Mittelmeer gefahren, weil es da warm war. Die Entdeckung der Welt, das war etwas für einzelne Abenteurer gewesen.
weiterlesenSüd nach Südwest
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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation
Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘
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#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch
Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.
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#31B – Orest
Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.
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#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken
Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.
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#32B – Abstecher
Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...
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#33 – Vollmond
Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.
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#34 – Wetten, dass nicht …
Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.
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#35A – Damals, mehrmals
Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...
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#35B – Heute: einmal reicht
Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.
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#36 – Unwiederbringlich?
Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.
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#37A – Hummer am Straßenrand
Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.
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#37B – Erinnerungen an Erinnerungen
Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.
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#38 – Überfahrt
Fortsetzung 1975:
Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...
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#39 – Bezahlen
Fortsetzung 1975:
Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.
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#40 – Mein Ruf
Fortsetzung 1975:
In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.
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#41 – Was nicht passiert war und was doch
Fortsetzung 1975:
Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.
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#42 – Das Machbare
Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.
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#43 – Ein Finne auf der Fähre
Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.
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#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.
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#44B – Wahrheiten und Lügen
Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.
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#44C – Durch Monreale und durch Müll
Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.
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#45 – Urlaub
Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.
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#46 – Weltkulturerbe und wir Erben
Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.
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#47A – Die Festung
Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.
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#47B – Mitbringsel
Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.
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#47C – Wo man was macht
1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.
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#48 – Das neue Kleid
2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.
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#49 – An Rom vorbei
In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.
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#50 – Nur 20 Prozent Männer
Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.
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#51 – Lehren ziehen
Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.
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#52A – Im Haus
Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.
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#52B – Tulpenfieber
Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.
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#53 – Ausgestorbene Berufe
2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.
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#54 – Abschiedsessen
Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.
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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation
Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘
weiterlesen#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch
Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.
weiterlesen#31B – Orest
Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.
weiterlesen#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken
Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.
weiterlesen#32B – Abstecher
Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...
weiterlesen#33 – Vollmond
Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.
weiterlesen#34 – Wetten, dass nicht …
Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.
weiterlesen#35A – Damals, mehrmals
Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...
weiterlesen#35B – Heute: einmal reicht
Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.
weiterlesen#36 – Unwiederbringlich?
Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.
weiterlesen#37A – Hummer am Straßenrand
Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.
weiterlesen#37B – Erinnerungen an Erinnerungen
Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.
weiterlesen#38 – Überfahrt
Fortsetzung 1975: Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...
weiterlesen#39 – Bezahlen
Fortsetzung 1975: Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.
weiterlesen#40 – Mein Ruf
Fortsetzung 1975: In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.
weiterlesen#41 – Was nicht passiert war und was doch
Fortsetzung 1975: Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.
weiterlesen#42 – Das Machbare
Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.
weiterlesen#43 – Ein Finne auf der Fähre
Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.
weiterlesen#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein
Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.
weiterlesen#44B – Wahrheiten und Lügen
Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.
weiterlesen#44C – Durch Monreale und durch Müll
Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.
weiterlesen#45 – Urlaub
Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.
weiterlesen#46 – Weltkulturerbe und wir Erben
Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.
weiterlesen#47A – Die Festung
Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.
weiterlesen#47B – Mitbringsel
Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.
weiterlesen#47C – Wo man was macht
1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.
weiterlesen#48 – Das neue Kleid
2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.
weiterlesen#49 – An Rom vorbei
In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.
weiterlesen#50 – Nur 20 Prozent Männer
Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.
weiterlesen#51 – Lehren ziehen
Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.
weiterlesen#52A – Im Haus
Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.
weiterlesen#52B – Tulpenfieber
Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.
weiterlesen#53 – Ausgestorbene Berufe
2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.
weiterlesen#54 – Abschiedsessen
Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.
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