Teilen:

1006
In der Blase  —   Süd nach Südost

#26 – Ein Hinweis aus Paderborn

Abendessen – der letzte Abend muss dramaturgisch immer noch eins draufsetzen. Also nahmen wir ein Wassertaxi vom Lido zum Markusplatz.

Fotos (6): Privatarchiv H. R.

Vor dem ‚Caffè Florian‘ findet man leicht Platz. Dem TripAdvisor Sascha K. aus Paderborn ist nichts hinzuzufügen:

‚Wenn man weiß, welche Preise hier veranschlagt werden (Cappuccino 10,50 + 6 Euro für die Musik pro Person – man wird vor der Bestellung darauf aufmerksam gemacht), wird man nicht empört die Touristen-Nase rümpfen, sondern einfach genießen. Die Lage ist vielleicht die Exklusivste am Markusplatz, da weiter hinten abseits vom ganz großen Trubel und man hat eben auch eine fantastische Sicht auf die Basilika + Campanile. Der Kaffee ist vorzüglich, die Kellner mit sehr viel Klasse ohne arrogant oder aufgesetzt zu sein.‘

Fotos (5): Privatarchiv H. R.

‚Harry’s Bar‘ kann bei den Preisen vom ‚Florian‘ spielend mithalten. Die Strecke von der Piazza San Marco bis zu ‚Harry‘ ist Schlechtgängern wie mir zumutbar. Wer gern spart, sollte sich trotzdem nicht auf diesen Weg machen. Unten im minimalistischen Art-Nouveau-Raum trinke ich seit 1972 einen Martini, mindestens einen. Einmal waren es so viele, dass ich wegen ungebührlichen Benehmens rausgeschmissen wurde. Das einzige Mal in meinem Leben, und ich war immer sehr stolz darauf, dort des Lokals verwiesen worden zu sein und nicht in der Bahnhofsgaststätte von Treuenbrietzen. Rafał nutzte die Gelegenheit, nicht ans Steuer zu müssen, und schloss sich meiner Martini-Idee an. Helga blieb beim Bellini und bestätigte, woran ich mich erinnerte: dass der Bellini hier noch etwas süffiger ist als im ‚Excelsior‘.

Foto: Privatarchiv H. R.

Im ersten Stock sollte der kulinarische Höhepunkt unseres Venedig-Aufenthalts stattfinden, und er tat es auch. Im Blick ,Santa Maria della Salute‘, auf den Tellern Carpaccio und Kalbsleber, im Bewusstsein das Wissen, zu schwelgen. Beim Gutes-Tun muss man manchmal auch an sich selbst denken, schon um des Maßstabs willen.

Foto: Privatarchiv H. R.

Im Jahr 2015 wurden Rafał und ich noch vom Sohn des Gründers Arrigo Cipriani begrüßt, während wir seine Leber verzehrten. In ‚Europa im Kopf‘, Episode #6.9 erwähnte ich: ‚Der alte Cipriani kam an unseren Tisch, total vertrottelt, aber sehr liebenswert. Ich erinnerte ihn an alte Zeiten, und er mochte das, obwohl sein Gedächtnis sicher poröser ist als die Meringe im Nachtisch.‘

Foto: Privatarchiv H. R.

Dieses Mal war er nicht da, und ich dachte: „Klar! Tot.“ Aber nein. Walter Mayr traf ihn noch für seinen ‚Spiegel‘-Abschlussbericht und schrieb:

„Cipriani empfing im Zweireiher, umschwirrt von Kellnern im Frack. […] ‚Dies ist eine Stadt kurz vor dem Herzstillstand, steinern, ohne Identität‘, sagt Cipriani. Vielleicht würde es den Venezianern nicht schaden, ‚wieder einmal bei null anfangen zu müssen.‘ Eine vernichtende Diagnose – getroffen in einer der schönsten Städte der Welt von einem ihrer großen Söhne. Wer aber, wenn nicht die Honoratioren und Stadtväter, wäre schuld am Niedergang Venedigs? […] Majestätsbeleidigung. Die Nörgler seien vermutlich Freimaurer. ‚Harry’s Bar ist das beste Restaurant Italiens‘, zürnt Cipriani.“1

Foto: Lukasz Janyst/Shutterstock

Vor dem Verlassen der Lagune biete ich hier ein Video an, das alle erwähnten Schauplätze zusammenfasst.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Am nächsten Morgen wollten wir Venedig verlassen. Sehr viele wollten das. Die Schlange am Traghetto-Anlegeplatz war so lang, voll von Lkw, Pkw, Bus, dass ich dachte: „Vor Sonnenuntergang kommen wir hier nicht weg.“ Aber – bei der übernächsten Fuhre waren wir dabei und mittags wie geplant in Bassano. Wenn ich sagen würde: „Bassano kenne ich wie meine Westentasche“, was ich hiermit getan habe, dann würden mich die jungen Deutschsprechenden, die nur Kapuzenjacken tragen (auch ‚Schlumpf‘ genannt), nicht verstehen. Macht nichts, die lesen mich ja sowieso nicht, und es interessiert sie auch nicht, dass ihr Kleidungsstück die formelle Kleidung christlicher Mönche im Mittelalter war.

Fotos (5): Privatarchiv H. R.

Das Veneto ist eine solche Kulturlandschaft, dass man sich schon Mühe geben muss, der Geschichte zu entgehen. Wir wollten ihr ja sowieso nicht entkommen, sondern fuhren nach Giuseppes Anweisungen zu den umliegenden Palladio-Villen. Die anderen erklommen die Treppen, mir reichte der Anblick von unten.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Das Charakteristischste an Bassano ist sein Tiefpunkt: die Brücke über die Brenta. Von dort aus erhebt sich die Stadt ein bisschen zur einen Seite und vor allem zur anderen mit Plätzen und Kirchen.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Reisende, die hierherkommen, müssen schon sehr interessiert sein an dieser Gegend oder – wie ich – einen guten Freund haben, den sie vorher an gängigerem Ort kennenlernten. 1986 habe ich Giuseppe mit Roland besucht, und davon gibt es einen Filmausschnitt, der hierher passt.

Am Abend gingen wir in ein Restaurant auf dem Lande. Giuseppes Wahl. Draußen sitzen, draußen essen, draußen reden und dabei dem Abend zusehen, wie er dunkel wird. Im Veneto kann man fast überall gut essen, es sei denn, man geht zu ‚McDonald’s‘, aber wer tut das schon? Na ja, alle die, die nach vielen Pasta-Tagen zur Abwechslung einen Burger brauchen. Seine Vorlieben kann man sich nicht aussuchen, und solange man niemand anderem damit schadet, kann man tun, was einem bekommt oder auch nicht bekommt. Sich unglücklich zu machen ist eine von vielen Möglichkeiten, unglücklich zu werden: Sex, Karriere, Tun oder Lassen.

Fotos (4): Privatarchiv H. R. | Titelillustration mit Bildmaterial von Shutterstock: ShotPrime Studio (Koch), nelea33 (Carpaccio), Evgeny Karandaev (Salz und Pfeffer), Yasonya (Brücke)

29 Kommentare zu “#26 – Ein Hinweis aus Paderborn

  1. 16,50€ für einen musikalischen Cappucino? Ich hoffe der schmeckt dann aber wirklich gut genug um diese finanzielle Tragödie auszubalancieren.

    1. Ich bin von Livemusik im Café ja immer eher genervt, weil man sich so schlecht unterhalten kann. Aber wenn man einmal in Venedig ist, kann man natürlich auch mal das Florian besuchen.

    2. Eine ‚Tragödie‘ ist etwas Unausweichliches. Bei Florian Kaffee zu trinken, wird keiner gezwungen, und die meisten Touristen machen von ihrem Verweigerungsrecht Gebrauch.

      1. Die Tragödie ist in dem Zusammenhang wohl auch nur der Preis, und der ist tatsächlich unausweichlich 😂 Aber trotzdem haben Sie recht, niemand muss dort Geld lassen, wenn er/sie das überteuert findet. Dafür genießen die anderen Besucher ihren Kaffee ungestört von Schnäppchenjägern.

      2. Ich glaube nicht, dass sich im Florian jemand über den Preis beschwert. Man weiss doch im Vorfeld wo man sich für die Kaffeepause niederlässt. Ein Starbucks-Tourist verirrt sich hier sicher nicht.

  2. Wer in Italien zu McDonald’s geht muss ja wirklich einen Schuss haben. Gegen Starbucks haben sich die Italiener ja immerhin bis 2018 gewehrt.

    1. Diese Filialen sind wahrscheinlich auch nur dazu da, damit sich die Touristen ein bisschen wie zu Hause fühlen. Als Italiener kommt einem doch bestimmt sofort der Mageninhalt wieder entgegen wenn man diesen „Kaffee“ trinkt.

      1. Filterkaffee ist doch wieder sehr in Mode, höre ich. Ich vertrage den Espresso mit weggebrannten Säuren besser. Die Starbucks-Idee gehabt zu haben, war keine kulinarische, aber eine große unternehmerische Leistung.

  3. Die Wassertaxis in Venedig sind solch ein Traum. Man kann wirklich keinerlei Vergleich mit einer schnöden Taxifahrt hierzulande aufstellen. Und im Stau steht man in der Regel auch nicht 😉

      1. Dass man für zwei drei vereinzelte Gäste erst einmal nicht öffnen wird, kann ich gut verstehen. Ich hoffe trotzdem sehr, dass sich die Lage weltweit wieder entspannt und gerade kleine Unternehmen wieder aufblühen.

      2. Dass diese verhältnismäßig kleinen Läden und Bars nicht öffnen dürfen, während die großen Airlines wieder lustig Passagier an Passagier quetschen, nun ja. Vorsicht bei der Lockerung muss sein, aber dann bitte wenigstens konsequent.

      3. Dass Harry’s Bar dicht macht, hätte ich mir nicht vorstellen können. Aber ich konnte schon nicht glauben, dass Café Möhring am Ku’damm nicht mehr existiert.

      4. Nun ja, für den Moment sagt Arrigo Cipriani ja nur, dass die Wiedereröffnung sich unter den gegebenen Umständen nicht lohnt und er deshalb auf eigene Entscheidung sein Lokal geschlossen hält. Ich bin mir eigentlich sehr sicher, dass Harry’s Bar wieder öffnen wird, sobald die Touristen nach Venedig zurückkehren.

      5. Ich habe schon erlebt, dass ‚Touristen‘ an der Vordertür empfangen und zur Hintertür gleich wieder rausgeleitet wurden. Nicht jede(r) ist willkommen.

  4. Sich unglücklich zu machen, bzw. sich nicht unglücklich machen! Wenn die Umsetzung nur so einfach wäre. Aber allein die Einsicht, dass man sein Leben öfter als man denkt selbst in der Hand hat, hilft wohl auch schon.

    1. Wenn man sich selbst schon nicht glücklich machen kann, dann ist es ein wertvoller Schritt sich zumindest nicht unglücklich zu machen. Ganz genau.

  5. Man muss beim Gutes-Tun muss doch grundsätzlich auch an sich selbst denken. Nur wer selbst glücklich und zufrieden ist kann ja auch seine Umwelt glücklich machen.

  6. Manchmal kann man auch den Hinweisen aus Paderborn vertrauen. Solche Bewertungen sind mir ja eh die liebsten. Da weiss man gleich was einen erwartet, und man weiss eigentlich auch schon aus welchen Gründen schlechtere Bewertungen möglicherweise auftauchen. Besser einzuschätzen als wenn einfach nur gesagt wird wie toll alles ist.

    1. Man ist auf den entsprechenden Bewertungs-Portalen (Yelp / Foursquare / Tripadvisor) ja manchmal eh verwirrt was und wie dort bewertet wird. Da hat dann die Fast Food Burgerfiliale ein ähnliches Rating wie das Sternelokal nebenan.

      1. Stimmt. Man muss schon geübter Foursquare-Leser sein, um das Portal sinnvoll nutzen zu können.

Schreiben Sie einen Kommentar!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

13 − sechs =