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In der Blase  —   Süd nach Südost

#2 – Die große Show

Los geht es im Juli 2018. Im Jahr zuvor hatte ich Giuseppe recht gegeben: Für den wochenlangen Ausflug von Meran aus nach Süden wäre im Hochsommer zu heiß gewesen. 2018 war es noch heißer als im Vorjahr, aber wie oft sollte ich die Reise denn noch aufschieben? Von der Endlichkeit müssen wir Gebrauch machen, bevor uns die Unendlichkeit einholt und die Falle zuschnappt.

Foto oben: Wikimedia Commons/gemeinfrei | Foto unten: Anastasia Borisova/Pixabay

Weil der Weg ja eines der vielen Ziele ist, muss er dafür genutzt werden, auf der Strecke zunächst etwas Unbekanntes anzusteuern. Wenn es dort doof ist, macht das nichts – war ja dann bloß wie bisweilen beim Sex ein One-Night-Stand, für den Hildegard Knefs Schlager-Weisheit gilt:

‚[…] war’s eben Erfahrung
– anstatt Offenbarung –
was macht das schon.‘1

Foto oben: Jaymantri/Pexels | Foto unten: Wikimedia Commons/gemeinfrei

Am Donnerstag, dem 26. Juli trafen wir unter dieser Prämisse in Regensburg ein. Rafał hatte gesagt, es sei schön dort und so riskierten wir einen Umweg, um das zu bestätigen oder zu verwerfen. Unsere Hausangestellte Annemarie Kruse aus Paulinenaue (ausführliche Beschreibung unter ‚Leben lernen #2.3 – Kein Reisebus mit hundert Rentnern‘) hatte mir, als ich sechs war, nicht nur unanständige Wörter beigebracht, sondern auch einige Volkslieder, darunter: ‚Als wir jüngst in Regensburg waren, sind wir über den Strudel gefahren‘ – das wollte ich nun 66 Jahre später wahrmachen.

Fotos oben (5): Privatarchiv H. R. | Foto unten: siepmann/Alamy Stock Foto

Bei ‚Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord‘ hätte ich womöglich auf die eigene Erfahrung verzichtet, aber der ‚Strudel‘ schien mir mit einem so drahtigen Gefährten wie Rafał zu bewältigen und sogar Silke zumutbar. Klar, dass mich bereits der Name unseres Hotels entzückte: ‚Dicker Mann zum blauen Krebs‘. Wer will da nicht absteigen?

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Weil es hier ja im Wesentlichen um mein italienisches Reste-Essen gehen soll, lasse ich alle weiteren Eindrücke und Speise-Wirtschaften aus Bayern weg, und erwähne bloß, dass die Bootsfahrt über den Strudel – vielleicht wegen Niedrigwasser der Donau – so läppisch war, dass ich sie eigentlich doch nicht erwähnen müsste. Da bleibe ich lieber beim Apfel-Strudel, jedenfalls wenn er noch warm und nicht zäh ist.

Fotos oben (3): Privatarchiv H. R.

Foto oben links: Leonid Andronov/Shutterstock | Foto oben rechts: Privatarchiv H. R.
Foto unten links: FooTToo | Foto unten rechts: Privatarchiv H. R.

Fotos unten (2): Privatarchiv H. R.

Am Samstagabend waren wir in Meran, und am Montag, dem 30. Juli, begannen wir mit dem Ansteuern der italienischen Orte, die mir in meiner Schluss-Sammlung noch fehlten – zur heißesten Zeit des Jahres. Geht’s noch? Eigentlich nicht, fand Silke, als wir in Bologna aus dem inwendig künstlich kühl gehaltenen Wagen stiegen.

Das erste Mal war ich mit meinen Eltern in Bologna gewesen. Als ich acht war. Da musste man durch. Jedenfalls auf dem Weg an die Adria-Strände. Dann sah ich Bologna erst wieder, und eigentlich auch erst richtig, mit Giuseppe 1986.

Fotos oben (3): Privatarchiv H. R.

Vor allem aber 1992: mein letzter internationaler Auftritt vor Klassik-Menschen aus ganz Europa. Wie so oft sind die Pannen der Vorbereitung spannender als später der formvollendete Ablauf des Ereignisses.

Foto: Privatarchiv H. R.

Abbado nahm im Februar im nahen Ferrara den ‚Barbier von Sevilla‘ auf (natürlich als ‚Barbiere di Siviglia‘), Plácido Domingo und Kathleen Battle waren seine Gesang-Stars. Es war mein viertes und letztes Jahr als Marketing-Leiter der ‚Deutschen Grammophon Gesellschaft‘, zuständig für die Welt, jedenfalls die klassische. Von MP3 ahnte ich natürlich nichts, aber dass in Zukunft das Marketing über A&R (den Aufnahme-Bereich) triumphieren und die Richtung bestimmen würde, das war mir klar, und deshalb trat ich gegenüber A&R auch bestimmter auf als meine Vorgänger. Ich glaubte, die wichtigsten Veröffentlichungen brauchen eine große Show, und die veranstalteten wir dann auch. Das war sehr teuer, aber sorgte auch für stattliche Gewinne.

Foto: Privatarchiv H. R.

Im September würde Abbado mit seinem Orchester im Teatro Communale ein Konzert geben. Gleichzeitig veröffentlichten wir eine Abbado-Edition und den ‚Barbiere‘. Domingo würde im Januar seine eigene Edition bekommen, Anlass für das nächste Event. Da hatte ich schon gekündigt, aber das störte nicht weiter. Meine Filme von den Veranstaltungen lieferte ich trotzdem prompt ab.

Mit meiner Assistentin Karin Ketteler flog ich im Februar nach Bologna, um auszukundschaften, was man außerhalb der eingespielten Umgebungen und Verfahrensweisen bis zum September auf die Beine stellen könnte: Uns zu präsentieren, ohne uns zu blamieren, das war die Aufgabe. Die erste Aufgabe aber war es, Abbado nach dem Ende seiner Orchester-Probe die Grafiken für seine Edition sowohl zu zeigen als auch bewundern (also freigeben) zu lassen. Seine persönliche Referentin Brigitte Grabner sagte: „Dafür hat der Maestro jetzt keine Zeit. Morgen vielleicht.“ Frau Grabner war eine durchsetzungsfreudige, durchtriebene Wienerin, also genau das, wovor ich keine Angst habe.

Foto: Privatarchiv H. R.

„Das versteh ich“, sagte ich. „Decca bringt im Oktober eine Solti-Edition heraus. Dann wäre es zu spät. Lassen wir es doch einfach ganz sein!“ Erpressung klappt immer. Ich bekam meinen Termin und meine Freigaben. Die Verhandlungen mit den Zuständigen für das Castello Estense waren schon schwieriger. Da sollten im Festsaal im September furchtbar viele Leute aus aller Welt was zu essen kriegen. Wer dafür wo was zubereiten sollte, blieb noch offen, unsere Genehmigung für die Veranstaltung in der ab 1385 hingeklotzten viertürmigen Wasserburg erst recht, aber demnächst wollten wir weiterverhandeln.

Erst mal aber wollten wir weg von dort. Deshalb hatten wir einen Leihwagen bestellt. Vollgetankt war er nicht. Auf dem Weg nach Bassano, Giuseppes Heimat, fand ich es angezeigt, zu tanken. Ich las an der Zapfsäule, was es so gab und dachte ‚sensa piombo‘ wird wohl richtig sein. Nach ein paar Hundert Metern ließ mich das Fahrzeug wissen: verkehrt gedacht. Eine nahe Werkstatt pumpte zwei Stunden lang das falsche Gesöff ab, wir füllten neues ein und erreichten mit entsprechender Verspätung Bassano, Giuseppe und meine Eltern. Damals noch handy-, aber keineswegs hilflos hatte ich die Wartenden telefonisch vorgewarnt, so dass sie uns freudig, aber nicht überrascht in Empfang nehmen konnten.

Es wurde ein schöner Abend, also kein nachträglich erwähnenswerter. Am nächsten Morgen war es so neblig, dass Karin nicht von Venedig aus nach Hamburg zurückfliegen konnte. Ich hätte das sowieso nicht gewollt, sondern fuhr lieber mit meinen Eltern und Giuseppe in den Dunst der Lagune. Gegen zwölf tat sich der Himmel auf: Die Sonne beschien zögerlich mild den Karneval von Venedig – und ich habe ihn sogar gefilmt. Zu dieser Zeit hatte Karin schon von Treviso aus Italien verlassen.

Titelillustration mit Material von Shutterstock: aDam Wildlife (Krebs) und Jirsak (Hand mit Dirigentenstab) | Zwischengrafik mit Material von Shutterstock: Food1.it (Spaghetti), Natali Zakharova (Basilikum), Domani (Statue)

27 Kommentare zu “#2 – Die große Show

  1. „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord“ würde allerdings sicher eine ziemlich spannende Geschichte hergeben.

    1. Mich lockt eher der Apfelstrudel. Vielleicht ist diese Zeit zuhause genau der richtige Zeitpunkt um mich mal wieder daran zu versuchen. Also an der selbst gebackenen Variante.

      1. BOLOGNESE: in Italien eher mit Tagliatelle als mit Spaghetti, seit 2010 Teil der immateriellen Kulturerbes der UNESCO.
        STRUDEL: kam von Arabien über Konstantinopel nach Wien. 1696 erstmal schriftlich erwähnt.
        Universität Bologna, wohl älteste der Welt.
        Universität Wien seit 1346
        Guten Appetit

      2. wahrscheinlich bin ich darum atheist geworden, weil die religionen uns immer vorschreiben wollen wie unsere diät auszusehen hat.

  2. Den dicken Mann zum blauen Krebs gibt es wirklich? Blöde Frage, das Hotelschild ist ja abfotografiert. Aber schräger Name, macht aber Lust auf einen Abstecher.

    1. Genau so ist es aber doch auch. Man erzählt am liebsten von den ganzen Umwegen, Überraschungen, Missgeschicken und Skandalen. Wenn alles rund läuft, gibt es eben auch nicht viel zu erzählen.

  3. Hilde wusste es am besten. Man kann nicht immer nach den Sternen greifen. Oder man kann, aber man braucht eben auch nicht deprimiert zu sein, wenn der Griff ins Leere geht.

  4. LOL, sich präsentieren ohne sich zu blamieren ist die passendste Zusammenfassung von Marketing, die ich je gehört habe 🙂

      1. Bei Donald Trump stimmt die Idee, bei Adidas, Deichmann, H&M etc. eher nicht so. Woran das liegt weiss wohl niemand. Jedenfalls hätte man Trump sonst schon in die Knie gezwungen.

      2. Bei einzelnen Menschen reicht es, erwähnt zu werden, je schlechter desto interessanter, gilt aber nicht für Trump: vorhersehbar langweilig.
        Für Konsum-Artikel gilt es erst recht nicht. Wenn man hört, in einem einzigen Mon Chéri -Kästchen sei in einer einzigen Praline ein kleines bisschen Strychnin untergebracht, bleibt Ferrero auf sämtlichen Piemont-Kirschen sitzen.

      3. Trump ist mittlerweile nur noch ermüdend. Wer will denn immer neue Schlagzeilen über diesen schrecklich banalen Menschen lesen?

      4. Wahnsinnig ermüdend. Und gleichzeitig zu mächtig, als dass er einem egal sein könnte.

  5. Das ist die große, bunte Hanno Schau,
    die alles froh und farbig macht,
    sie macht sogar den grauen Himmel blau,
    damit die Sonne mit uns lacht.

    Hier kommt ein super Knüller-Knall-Bonbon,
    da sprüht der Witz – da geht es rund,
    da steigt die Stimmung wie ein Luftballon.
    Ja, Freunde lachen ist gesund !!!

    Das ist die große, bunte Hanno Schau
    und wir sind alle mit dabei,
    Das ist für jeden was,
    das wird ein riesen Spass !!!
    Das Spiel beginnt – die Bühne frei !!!

    (Der Titel hat mich sofort an meine Kindertage mit Bugs Bunny erinnert ;))

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