Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig.
––„Ich reise ab“, waren Irenes erste Worte. „Ich nehme die Bahn. Du kannst mit dem Wagen fahren.“
––„Was ist denn los?“, frage ich angeödet.
––„Ich fühle mich nicht wohl.“
––„Hast du Halsschmerzen?“
––„Das auch.“ Aber vor allem natürlich, dass ich noch mal weggegangen war. „Gleich den ersten Abend, den wir zusammen hatten. Obwohl heute Abend dieser Bill, den ich nicht sehen will, da ist. Du kannst ja bleiben. Ich reise ab. Wir werden unsere Beziehung auf eine andere Basis stellen. So kann ich das nicht mitmachen. Gleich am ersten Abend rennst du los wie ein streunender Kater.“
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Ich schwankte, ob ich mir schmutzig, klebrig, verdreckt, schmierig vorkommen sollte. Eigentlich wollte ich sagen: ‚Was du immer gleich für widerliche Gedanken hast, ich bin doch nur … ich habe doch bloß …‘ Allerdings habe ich keinen netten, kleinen Spaziergang gemacht, denn ihre übelsten Unterstellungen wurden übertroffen durch die einmalige Fetzigkeit meines nächtlichen Ausflugs. Nur: Es war rein und herrlich gewesen, und ich mochte mir die Erinnerung nicht von ihr besudeln lassen, ich wollte mich nicht schämen müssen, höchstens dafür, dass ich es nicht noch länger, vorurteilsloser, selbstvergessener gemacht hatte.
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Sie kam nicht heran an mich. Aber sie war da. Und ich musste mit ihr leben. Aus ihrem Mund klang es wie eine schmuddelige Ferkelei, was mich wiederaufgerichtet hatte. Aber nun war ich stark. Das ‚One Way‘ hatte ich sowieso schon abgeschrieben. Den ‚großen Samstag‘ hatte ich abgeschrieben. Carlo war übers Wochenende auf dem Lande.
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Das Telefon klingelte. Bill war da. Irene bekam einen neuen Wutanfall. Morgens schon! Sie hatte doch gedacht, er würde erst abends kommen. Ich sagte Irene, ich würde mit ihm frühstücken und dann zahlen. Um zehn könnten wir abreisen. Das besänftigte sie.
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Bill nahm es gelassener, als ich befürchtet hatte. „Erzähl mir nichts über Eltern“, sagte er. „Die letzten beiden Wochen waren die Hölle. Ich bin froh, wenn sie wieder in Amerika sind.“
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Wir saßen in der Galleria und tranken Tee. Ich erzählte ziemlich offen, wie der Stand der Dinge war. Irene hatte erbeten, ihre Krankheit als Grund des Aufbruchs anzugeben, und das tat ich auch, allerdings ohne den Hintergrund zu verschweigen. Den ‚streunenden Kater‘ erwähnte Bill noch jahrelang.
Ein wolkenloser Aprilmorgen, Sonnabend, wir saßen freundschaftlich beim Tee, ich aß ein wundervolles Stück Zitronentorte. Spaziergänger schlenderten über den Marmor, über uns wölbte sich das Glasdach.
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Bill brachte mich zum Hotel, wir umarmten uns und verstanden einander. Ich zahlte, bestellte den Wagen und dachte: „Heute Abend werd’ ich in die verrufenen Anlagen am Meraner Bahnhof gehen.“ Rotzig, trotzig.
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Schon auf der Fahrt aus Mailand heraus war Irene überraschend aufgeräumt. Sie selbst war auch überrascht. Denn sie hatte zwei Schlaftabletten, eine ‚Belergal‘ hinterher und dann noch eine ‚Sedapersantin‘ genommen. Vierfach hält besser.
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Aber nun war sie ‚gar nicht müde‘. Am späten Vormittag kamen wir in Sirmione am Gardasee an. Der Ort war belebt, aber nicht überfüllt. Sonnig und gepflegt. Geschäfte mit schönen Auslagen. Kleine Plätze, Blumen, Pflanzen, Boote auf ruhigem, blauen Wasser. Wir saßen und nahmen unseren Aperitif. Irene begutachtete das Publikum. Mittagessen am Ufer. Fisch und Weißwein. Tiramisu.
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Sie redete mir zu einem Pullover zu, 350,00 DM, das fand sie nicht zu teuer, ich nahm noch eine Hose, und schon die elegante Tüte war das ganze Geld wert.
Kurz nach sieben kamen wir wieder in Meran an. Guntram war verdutzt, uns schon zu sehen. Er erwartete seinen Bruder und dessen Frau Karen zum Fernsehen. Irene bekam den nächsten Wutanfall und schmiss ihre Jacke auf den Fußboden. Sie mag ihre Schwägerin und ihren Schwager nicht, sie liebt das Besondere.
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Karen, Hasso und Guntram sahen im Wohnzimmer ‚Wetten dass..?‘, weil Karen Frank Elstner so mag. Irene und ich saßen in der Küche, aßen die in Sirmione gekauften Lebensmittel, und Irene erzählte mir, wie sehr sie das Besondere liebt.
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Um zehn war ‚Wetten dass..?‘ vorbei. Karen berichtete von ‚Avon‘, da war sie angestellt, von sich und von der CSU, speziell von Marianne Strauß, die sie verehrt und die ich aus München kenne – ich war ja bei den Straußens mit Bernstein zum Abendessen gewesen –, Irene hörte verzweifelt zu. Hasso und Guntram grinsten manchmal. Gegen elf gingen alle schlafen. Ich lag im Bett und dachte an die Anlagen. Geldanlagen, Parkanlagen. Für mich: weder noch.
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Heute war wieder schönes Wetter. Ich habe die ganze Zeit auf dem Balkon gesessen.
––Irene hat Guntram ihre Mailand-Version erzählt. „Ich glaube, der ganze Ausflug war eine Schnaps-Idee“, sagte er zu mir.
––Ich sagte nichts. Was auch?
Fotos (2): Privatarchiv H. R.
In meinen Aufzeichnungen der 70er- und 80er-Jahre nimmt die Sexualität naturgemäß viel Raum ein. In meinen Aufzeichnungen im neuen Jahrtausend tut sie das, auch naturgemäß, nicht. Sie ist zwar nicht weggefallen, aber kein Schreibstoff mehr. Im Alter weiß man die Sexualität weniger zu schätzen und besser einzuschätzen als in den früheren Phasen. Natürlich ist es nicht das Genital, das uns in Bann gehalten hat. Die Schamlippen, schmal oder breit – der Penis, lang oder kurz, das spielt nur da eine Rolle, wo die ganze Veranstaltung sowieso keine Rolle spielt. Wir berauschen uns an dem Symbol, für das uns das Stückchen Fleisch und der Fetzen Haut stehen: für Männlichkeit oder für Weiblichkeit oder für Jugend oder für Reife oder für Leben oder für Tod. Ob der dazugehörige Mensch das Symbol, nach dem wir suchen, wirklich verkörpert oder ob wir in ihm einfach das sehen, was wir uns – bewusst oder unbewusst – wünschen, das ist mir immer noch nicht klar. Aber dass es ja wohl nicht wirklich diese Fotze oder jener Schwanz sein können, weil wir das Organ selbst so bewundern, das leuchtet doch wohl ein.
Foto oben: Sshirly/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 | Foto unten: Lennert B/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 | Titelillustration mit Bildmaterial von Shutterstock: Petar Bogdanov (Katze), Krakenimages.com (oberkörperfreier Mann)
Sexualorgane ohne interessantes Beiwerk sind nun wirklich nicht besonders anziehend. Es muss schon je nach Vorliebe der entsprechende Mann oder die entsprechende Frau zum Knistern dabei sein.
Es gibt so Wörter, die ich kaum aussprechen kann. Beim Tippen geht es irgendwie. – Ist bei vergewaltigenden Soldaten wirklich „Vorliebe“ für „die entsprechende Frau“ dabei? Ich glaube nicht mal, dass es Machtbewusstsein ist. Es ist, frei nach Goethe: „Hier bin ich Unmensch, hier darf ich’s sein.“
Die ‚Vorliebe‘ finde ich auch etwas romantisiert. Schön wärs. Aber oft genug geht es wirklich nur um das Befriedigen der eigenen Lust. Da ist der Partner fast egal.
rüdiger langemeyer meinte vielleicht auch einfach nur die biologischen zeichnungen oben…
Na die sind ganz bestimmt nicht als Stimulation gedacht.
Nein, sondern, um zu untermauern, dass es das nicht sein kann.
Vierfachmedikation inkl. zweier Schlaftabletten?! Das ist beachtlich. Wenn ich ganz selten mal eine(!) Schlaftablette nehme, bin ich in der Regel noch am nächsten Tag zu nichts zu gebrauchen.
Steigern Sie Woche für Woche! Nach einem halben Jahr stehen Sie sicher auch nach vier Tabletten am Morgen problemlos auf. Eventuell in der Entzugsanstalt.
Manche Ferkelei ist wohl auch den kleinen Familienzwist wert. Das muss man einfach hinnehmen.
In Rinkes Mailand-Geschichte stimmt das. Es gibt aber auch Ferkeleien, die man am nächsten Morgen eher bereut.
An eine „Ferkelei“ kann ich mich nicht erinnern.
„Schmutzig, klebrig, verdreckt, schmierig“ passt wirklich nicht so richtig zu der Geschichte bzw. dem Erlebnis.
Wollen wir nicht alle das Besondere? Zumindest unsere eigene Vorstellung davon?
Ja, wahrscheinlich. Auch wenn ich mich in meinem Text ein bisschen lustig darüber mache.
Gab es nicht mal irgendwo eine Studie mit dem Ergebnis, dass wir eigentlich am liebsten so sein wollen wie alle anderen? Ich bin nicht mehr ganz sicher, wo bzw. in welchem Zusammenhang ich das gelesen habe.
Da, wo es wichtig ist, nicht aufzufallen, wollen wir wie alle anderen sein. Da, wo es wichtig ist, sich durchzusetzen, wollen wir sehr gern auffallen.
Jetzt ist es auch schon wieder 6 Jahre her, dass „Wetten dass?!“ aus dem Fernsehprogramm verschwunden ist. Von Frank Elstner ganz zu schweigen. Die Zeit vergeht wirklich immer schneller.
… nicht für die, die unter zwanzig sind.
Die Unter-zwanzig-jährigen kennen sicher auch Wetten dass nicht mehr. Dafür kennen sie schon Greta und den Klimawandel und Corona natürlich auch.
Ich habe zuhause seit mittlerweile zwei Jahren kein Fernsehgerät mehr. Wenn ich ab und an meine Eltern besuche und sehe wie uninteressanter das Programm weiterhin wird, bin ich ziemlich froh über die Entscheidung. Die GEZ lohnt sich ja eigentlich fast nur noch für die Nachrichten.
Besser war das Programm nie. Die Zuschauer waren anspruchsloser. Die blödesten Dubrigde-Krimis waren Straßenfeger.
Das mag natürlich stimmen. Ich würde behaupten es war nicht unbedingt besser, aber oft eine Spur charmanter.
350,00 DM ist ein stattlicher Preis für einen Pullover. Aber alles was einen froh macht lohnt sich ja in der Regel, unabhängig vom ausgegebenen Geld.
Das ist die jugendliche Hemmungslosigkeit von der im letzten Abschnitt die Rede war 😉
Von dieser jugendlichen Hemmungslosigkeit war offenbar auch noch meine mich bestärkende, tablettenselige Mutter ergriffen.
Haha, Anfälle von Jugendlichkeit im Alter machen immer besonders Spaß!
Mein Gott, wie lange habe ich Jennifer Rush nicht gehört und gesehen! In meiner Jugend fand ich sie mal sehr toll.
Bei Wetten dass..? war sie 1985 übrigens auch 😉
https://www.youtube.com/watch?v=EamcY7B6cpM
1984, aus dem dieser Brief stammt, war ihr Jahr. Die Songs stimmen immer überein mit den Jahren der Texte.
Daraus spricht die Liebe zum Detail. So und nicht anders kennt man es ja vom Blog.