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In der Blase  —   Süd nach Südwest

#40 – Mein Ruf

Fortsetzung 1975:

In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernde Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen. Und dieses ‚Irgendetwas‘ war mit Neugier verbrämte Geilheit.

Foto: Privatarchiv H. R.

Ich landete in einem Club, in dem die Gäste die Schönheit der Einrichtung ausmachten. Hungrig und unschlüssig stand ich am Büfett, aber das Angebot, obwohl nahezu unter sich, forderte seinen Preis. Das war natürlich ein Schock. Ich zahl’ doch nicht! Mein Ruf und so weiter. Die wunderschönen, stolzen Römer, so stolz, dass sie sich lieber bezahlen lassen und ‚normal‘ vorkommen, als etwas umsonst zu tun, was ihnen dann doch Spaß macht. Deren Ruf und so weiter. Ich rechnete im Stillen schon mit finanziellen Offerten an mich, aber nein, Angebote nur von Ausstellern, ich war sofort als Käufer enttarnt.

Fotos (2): Privatarchiv H. R.

Geld, auch wenn man es nicht hat, wirkt ernüchternd. Und meine romantischen Vorstellungen von Glutäugigkeit, Sehnigkeit und Cäsarentum passten nicht recht zu dieser geschäftstüchtigen Willigkeit. Ich hatte baden wollen in einem Meer von ‚Mann‘, und stattdessen war ich nur an den Schnellimbiss am Strandweg geraten.

Fotos (3): Privatarchiv H. R.

Nun half allerdings auch, dass ich wie üblich nur das Geld für zwei Drinks bei mir hatte. Das hielt mir nach einer Weile ihre Leiber vom Leibe, auch wenn sie traurig schienen. Verständlich, schwul oder nicht schwul. – Es schläft sich schon netter mit mir als mit einem zahlungskräftigen Fettwanst. Die Touristen, wenig ehrbare Kaufmänner, kicherten mir ihr Einverständnis zu und fragten mich: „Why not join our party?“ Aber ich machte mich wieder mal auf dem verkehrten Bein gemein und ließ mir auf dem Klo die Tarife erklären. 20.000 Lire galt wohl als Einheitspreis. Womöglich gewerkschaftlich abgesichert. Ich hatte nicht mal 2.000 – und hätte ich sie gehabt, hätte ich sie nicht ausgegeben.

Ich ging, aber ein besonders glutäugiger, besonders sehniger, besonders Cäsarischer kam hinter mir her und nahm mich am Arm. Ich fühlte mich mehr als nur an den Arm gefasst, und unangenehm war es mir auch nicht. Er wollte mir das Geld stunden. Morgen könnte ich zahlen. Unter Freunden gelte ein Wort. Er nahm meine Hand und schüttelte sie. Offenbar waren wir handelseinig geworden. Aber ich hatte doch noch gar nichts gesagt. Vielleicht, wie ich nichts gesagt hatte …

Foto: Kyle Killam/Pexels

Ich war gerührt, von diesem Vertrauen. Aber vor allem war ich natürlich geil. Und während in meinem Hotelzimmer schon mein Freund von der Fraulichkeit der Serviererin träumen mochte und der Cäsarische bei redlichen Leuten zur Untermiete wohnte, fanden wir uns schließlich im Park der Villa Borghese wieder.

Foto: Poznukhov Yuriy/Shutterstock

Na, Rom wird auch darüber hinwegkommen, ich schon schwerer. Die Art, wie er sich abfertigen ließ, die aufmerksame Unbeteiligtheit entsetzte mich. Aber ich fand keinen Weg, ihn aufzutauen oder selbst aufzuhören.

Foto: Igor Normann/Shutterstock

Pinienduft tränkte die Nacht. Eine Flasche ‚Victor‘ sinnlos verschwendet. Entgeistert und elektrisiert nahm ich mir, wofür ich bezahlen sollte. Und er wachte über mein Tun und das der Polizeistreife.

Foto: Roxanne Shewchuk/Pexels

Am nächsten Tag sollte ich ihm das Geld in den Club bringen. Zunächst aber brachte er mich zum Hotel. Der Portier schloss schon auf, als er noch mit mir verhandelte. Bei Licht besehen war das Cäsarenhafte vielleicht nur eine eigenwilligere Variante des Stricherhaften. Der Portier muffelte schlaftrunken an der Tür. Mein Ruf, mein Ruf.

Foto: Privatarchiv H. R.

Entsprechend schlief ich. Bis neun, dann klingelte das Telefon. „Your friend is waiting downstairs“. Im Englischen klingt das Gott sei Dank etwas unpersönlicher als im Italienischen.

‚My friend‘ guckte ziemlich fordernd. Ich hatte noch 20.000 Lire in meiner Schublade gefunden, die ich diskret in einem Briefumschlag bei mir führte, ein gönnerhaftes Trinkgeld. Dummerweise zerrte ich ihn vor die Tür. Er merkte, dass es mir peinlich war, und forderte glatt 10.000 mehr. Bei den Diensten! Das müsse ich verstehen! Seine Schuhe seien völlig verschmutzt gewesen. Ich lehnte ab. Er zeterte. Die Leute gingen um uns rum. Ich spürte, wie er sich aufplusterte, um mir eine öffentliche Szene zu machen. Mir gefror das Blut. Ich hastete nach oben in unser Zimmer. Mein Freund stand gerade auf und sagte, dass es heiß sei. Ich zitterte. Aus irgendeiner Tasche fingerte ich noch 10.000 Lire. Erpresst, ausgenutzt, blamiert, verkauft, verraten.

‚My friend‘ unterhielt sich mit dem Portier, lässig über den Tresen gelehnt. Unwillig folgte er mir nach draußen. Mein Mund war so trocken, dass ich kaum stammeln konnte. Brauchte ich auch nicht. Er war zufrieden.
––„Sta notte fasciamo l’amore senza soldi. Solo come amici.“
––Ja von wegen! Die Einnahmequelle war versiegt. Ich trennte mich von ihm, ging aber die Straße entlang, nicht zurück ins Hotel.
––„Dove vai?“, fragte er noch.
––„Soltanto una passegiata.“ Ich kostete sein Misstrauen aus.
––„Ciao amico!“
––„Ciao!“
––An der nächsten Ecke grinste der Nächste, aber ich war erst mal bedient. So sehr, dass ich die ‚Affäre‘ zunächst mal aufschrieb und dann am Nachmittag, als ich mich halbwegs beruhigt hatte, meinem Freund gestand.

Foto: Privatarchiv H. R.

„Tja“, sagte er nachsichtig genüsslich, denn schließlich hatte er seine Frauliche nicht bekommen, „Nutten und Stricher zahlt man eben vorher.“
––Da hatten mich die Hunde aber wieder ganz schön angepisst.

Foto: Privatarchiv H. R.

Rückweg vom Club, Sardinien. Die Straße war nicht asphaltiert. Der Wagen ruckelte über den Schotter und hupfte über die Schlaglöcher. Wir wurden hin und her geworfen. Ich saß in der Mitte, Marcello neben mir, ich hatte den Arm Halt suchend um seine Schulter gelegt. Ich hätte sie alle haben wollen, also keinen wirklich. Sie schwitzten und lachten. Der Schweiß von Menschen, auf die ich geil bin, macht mir nichts aus. Menschen, die ich liebe, habe ich lieber frisch gewaschen und keimfrei.

Foto: Privatarchiv H. R.

Seltsam, zwei Tage nach meinem römischen Einkauf saß ich auf der Via Veneto und die von mir kurzfristig erworbene Ware streifte vorüber. Gefräßig, ein Raubtier, das nichts wittert. Ich glaube, er hat mich nicht gesehen. Ich war nicht allein. Er war allein. Ich spürte keine Gemeinsamkeit mehr zwischen ihm und mir. Lachen musste ich doch. Ein Triumph. Und dann sah ich zur Seite in das Gesicht neben meinem. Sanft, zärtlich und selbst im Hunger noch edel. Ich war glücklich, denn wir waren uns nicht nur begegnet, wir hatten uns gefunden. Ich war mit ihm in sein Hotel gegangen. Den Pass hatte ich beim Portier gelassen.

Foto: Privatarchiv H. R.

Er reiste mit einem österreichischen Fremdenpass. Seinen richtigen Pass hatte die neue portugiesische Regierung nicht verlängert. Die Bedingung wäre gewesen, dass er vorher zurückgeht nach Portugal. Das aber hätte Militärdienst bedeutet. Er ist Pazifist. So lebt er in Wien. Als Komponist und nebenbei, um Geld zu verdienen, arbeitet er in einer Boutique. Wenn alle dächten und handelten wie er, müssten die Staaten zusammenbrechen. Wenn es keine Menschen wie ihn gäbe, hoffe ich, auch. Warum riskiere ich nicht, zu sein wie er? Warum bin ich so eingekeilt und vorgefertigt? Verdiene ich dadurch mehr? Habe ich mehr Sicherheit? Und ist das wichtig? Ich frage es ihn nicht, vielleicht könnte ich es auch nicht ausdrücken. Italienisch ist eine hinreißende Sprache für Verliebte. Aber zur Auseinandersetzung über Lebensphilosophien fehlt mir zumindest der Wortschatz.

Foto: Privatarchiv H. R.

Am nächsten Morgen brachte uns das Zimmermädchen das Frühstück und strahlte. Früher war ich bei solchen Gelegenheiten immer leicht geniert. – Aber: Ist der Ruf erst ruiniert, hat man tatsächlich Chancen, vorübergehend glücklich zu werden. Mein Freund. Mein Freund? Übermorgen wirst du wieder in Wien sein. Ich möchte dich gerne vermissen, wenn du weg bist. Alles an dir.

Foto: Privatarchiv H. R. | Titelillustration mit Bildmaterial von Shutterstock: WAYHOME studio (Mann), Nattasid Thapsang (Hand)

27 Kommentare zu “#40 – Mein Ruf

  1. Und schon wieder eine dieser überraschenden Begegnungen. Diese frühe Zeit in Italien scheint wirklich unglaublich aufregend gewesen zu sein.

    1. Ich wollte gerade sagen für 30.000 würde man doch etwas mehr Comfort als den Stadtpark erwarten, aber Google sagt mir, dass das heutzutage „nur“ ungefähr 15€ wären…

    1. Nein! Etwas ganz anderes. Die Hunde pinkeln geringschätzig, weil sie riechen: Der hat nix. Das hat nur was mit Geld zu tun. Gelte ich dagegen sowieso als Schlampe (arm oder reich), dann kann ich mich auch so benehmen, ohne dass mein Ruf noch weiter in den Keller geht.

  2. Aufmerksame Unbeteiligtheit … das klingt mir zu professionell. Und hat bei mir leider nie lange die Geilheit aufrechthalten können.

      1. Ahhh und ich dachte dieser gelangweilte Blick ist nur Fassade und später kommt doch die Leidenschaft zu Tage…

      2. Ich glaube das kommt ein bisschen darauf an, unter welchen Umständen man auf diesen gelangweilten Blick trifft.

  3. Diese Taktik mit dem Geld für zwei Drinks werde ich mir echt mal merken. Auch wenn’s in dieser speziellen Geschichte doch zu ein paar Komplikationen gekommen ist. Die Idee ist trotzdem gut.

      1. Übrigens auch ein Gewerbe, welches von Corona besonders betroffen ist.

    1. Die Methode mit dem knappen Geld in der Tasche praktiziere ich seit vielen Jahren. Allerdings steckt in der Schuhsohle ein SOS Kreuzer, der einem im Notfall den Kopf aus der Schlinge zieht.
      Altersweisheit !

  4. Wenn ich mal im Hotelzimmer vom Room Service überrascht werde habe ich eigentlich eher das Gefühl, dass das Zimmermädchen oder der Zimmerjunge geniert ist.

  5. Schnellimbisse fand ich immer ziemlich unbefriedigend. Da kann man sich lieber selbst einen runter holen und spart sich den gelangweilten Blick des Gegenübers.

  6. Ich habe vor allem Menschen, die ich nicht leiden kann, gerne keim- und geruchsfrei. Je näher man sich ist, desto weniger macht mir Schweiß etwas aus.

    1. Schweiß ist ja auch nicht gleich Schweiß. Man sagt ja nicht umsonst man muss sich gegenseitig riechen können 😉

    1. Na wenn niemand mehr in den Krieg zieht, dann gibt es auch keine Kriege. Das Problem bei solchen Gedankenspielen ist aber natürlich immer, dass die Theorie schon nicht mehr funktioniert, sobald eine Person nicht mitspielt.

  7. Herr Rinke, ich vermisse Sie! Neben den eigentlichen Texten sind ihre Kommentare und Antworten immer besonders unterhaltsam 😉

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