Mittwoch, 10. August
Ach nee! Das Wetter war schlecht und machte so meinen Plan zunichte, im Liegestuhl ausgestreckt, abwechselnd die ‚Weltgeschichte to go‘ und die Umherwandelnden zu verfolgen: mit neidischem Blick, aber entspannter Seele. Da musste ich mir stattdessen etwas Raffinierteres ausdenken und tat das auch: ein Ausflug nach Pitigliano. Den macht nicht jeder; denn selbst wenn er derart gebildet ist, dass er Venedig von Florenz unterscheiden kann, sogar schon auf Fotos, dann muss er noch lange nicht wissen, was es mit Pitigliano auf sich hat. Ich dagegen weiß das: Wenn wir, von Norden kommend, über Orvieto nach Saturnia oder ans Meer fuhren, dann thronte es da immer ausgesprochen dekorativ oben am Hang; nun bot sich die Gelegenheit, es bei kühlem Nebel mal so richtig zu besichtigen.
Bilder (2): gemeinfrei
Pitigliano liegt genau wie Saturnia im Stammland der Etrusker auf einem Tuffsteinfelsen. Der Tuff wurde in Ziegelform aus dem Fels geschnitten: Plattenbau der Antike. Die Etrusker gruben Wegesysteme in den Stein und hatten ausgeklügelte Entwässerungssysteme. So etwas steht nicht in ‚Weltgeschichte to go‘, und erst recht nicht das, was auch ich nicht über Pitigliano wusste. Erste schriftliche Erwähnung 1061; weiterer Verlauf ähnlich wie Saturnia: Im 13. Jahrhundert im Besitz der Aldobrandeschi; 1293 an die Orsini; Anfang des 17. Jahrhunderts an die Medici; ab Mitte 19. Jahrhundert Teil des Königreichs Italien. Zurzeit 3 118 Einwohner. Mit ‚Amazon‘ kann ich behaupten: ‚Den Rest werden Sie nicht vermissen.‛ Höchstens, dass Juden im 16. Jahrhundert in Pitigliano Zuflucht vor Verfolgung und Vertreibung fanden. Die Synagoge und das jüdische Viertel, selbstbewusst ‚Klein-Jerusalem‘ genannt, sind gut in Schuss und freuen sich über Besucher, heißt es. Vertreibung, Verfolgung – das Herdentier Mensch schafft es, sich seine Abscheu vor Fremdem auch heute noch ganz kosmopolitisch mit Smartphone und Internet zu bewahren.
Wir fuhren am Golfplatz vorbei durch die Ebene. Dass ich Golf nicht mag, kann ich damit begründen, dass es mir zu snobistisch sei – eine Ausrede, die ich beim Fußball leider nicht habe. Einen kleinen Ball auf großen Umwegen in ein Loch zu bugsieren, hat mich schon entsetzlich gelangweilt, als ich Anfang der Sechzigerjahre meinen Vater als Caddy begleitet habe. Noch viel früher, 1951, hatte ich mich sehr unbeliebt gemacht, als meine Eltern mich zum Tennis-Turnier bei Rot-Weiß mitnahmen und ich mich mit dem Rücken zum Platz setzte, um deutlich zu machen, was das Spiel mich anging. Da setzte es auf dem Rückweg Prügel, und ich machte mir in die Hosen. Näher hat mich das sportlichen Ereignissen auch nicht gebracht. Eigentlich liebte ich es nur, bei meinem Vater auf dem Schoß zu sitzen, wenn er die Beine hin und her bewegte und deklamierte: „Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er. Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben …“, was ja auch nicht gerade aufbauend klingt, mich aber nicht störte. Mehr Leibesübungen brauchte ich nicht.
Wenn heute fremde Leute unterschiedlicher Nationalität auf ein bis zwei Tore zielen, finde ich das immer noch nicht spannend, aber weil alle anderen das großartig finden, muss ich mir anhören, dass der Schiedsrichter mit der Gelben Karte für Ptsvevicy ganz klar überzogen hat, aus Niedertracht, und dass Rinaldo Rinaldini vor zwei Jahren doch noch ein paar mehr Steuern hinterzogen hat als vermutet, aus Geschäftssinn. Aber unter uns: Die Athleten wissen ja oft gar nicht, was ihre Manager da machen, genauso wenig wie der Führer etwas von KZs gewusst hat. Sie wollen nur spielen, die Ballkünstler, und alle interessiert’s. Mich nicht. Für Körperbetätigungen habe ich mich nie besonders erwärmt, ausgenommen für Sex, aber auch da bloß für meinen eigenen. Vorbei, vorbei. Müßige Gedanken während beschaulicher Fahrt.
Foto: Privatarchiv H. R.
Außen kross und innen blutig | #78Ein Ausflug in Vergangenheit und Gegend | #80
Wie hat es Fussball eigentlich zum Volkssport gebracht? Die Frage hat mich schon immer fasziniert. Ich will ja gar kein Fussballer- oder Fussballfan-Dissing machen, jeder wie er will, aber es gibt doch ohne Frage spannendere Sportarten. Wobei, die Amerikaner haben es mit ihrem Baseball ja auch nicht besser…
Die Abscheu vor dem Fremden bewahrt man sich mit dem Smartphone?! Wie kommt denn nun bitte diese Schlussfolgerung zustande?
Naja, das Internet ermöglicht doch viel eher Neues kennen zu lernen als Ressentiments zu schüren. Wir sind, zumindest potentiell, viel besser informiert und vernetzt als früher. Wer natürlich in seiner kleinen, abgeschiedenen, ängstlichen Welt bleiben möchte und alles Fremde verneint findet auf sozialen Netzwerken selbstverständlich easy Gleichgesinnte. Da kann aber das Internet nichts dafür.
Wie Stefan Pfleiderer sagt: Wir wollen das Smartphone / Internet nutzen, um Neues zu erfahren. Wenn man es darauf anlegt, kann man sich aber auch mittels fake-news seine Vorurteile bestätigen lassen. Es gibt praktisch keine Errungenschaft, die nicht auch in ihr Gegenteil verkehrt werden kann: in der Religion, im Krieg, im Sex …
Fake News ist ja gerade ein großes und nicht zu unterschätzendes Thema. Leichtgläubigkeit, Naivität und Dummheit spielen den entsprechenden Quellen dabei natürlich gleich in die Hände. Ich würde den Zusammenhang umkehren. Wir nutzen das Internet nicht um unsere Vorurteile zu bestätigen, das Internet (bzw. die Fake News-Streuer) nutzen die Dummheit der Menschen um ihre Agenda zu stärken.
Auch wenn ich Ihre Spitze gegen den ein oder anderen Fußball-Millonär mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nehme, glaube ich trotzdem, dass viele Spieler mit dem ganzen finanziellen Drumherum überfordert sind. Ich will gar nicht unterstellen, dass alle Fußballer dumm sind, aber viele sagen wahrscheinlich ‚ja‘ zu was auch immer ihnen empfohlen wird ohne sich über mögliche Konsequenzen zu informieren. Unwissen schützt natürlich nicht vor Fehlern und ist auch sicher keine Entschuldigung.