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2. Berlin-Reise / 2000

#2.32 (C) | Telefongespräche zwischen Berlin und Hamburg über Sauerbraten

Dorothee: Ich hab’ noch nie Sauerbraten gemacht, ich weiß gar nicht, wie das geht.
––Ich: Dann lass es doch, mach doch was anderes!
Dorothee: Nein, Harry hat sich so sehr etwas Deutsches gewünscht. Das kriegt er sonst nie. International isst er ja immer.
––Ich: Dann mach doch Kasseler!
Dorothee: Nein, Kasseler hab’ ich letztes Jahr schon für ihn gemacht. Mein Kasseler ist gut, nicht? Alle sind immer ganz begeistert von meinem Kasseler. Mit Sauerkraut.
––Ich: Na, dann wird Harry sicher gern noch mal Kasseler bei dir essen.
Dorothee: Nein, er will doch Sauerbraten. Das weiß ich, er hat es sich gewünscht. Ich hab’ gar kein Rezept dafür.
––Ich: Also, ich kann mal nachsehen bei mir, ich hab’ so ein Schulkochbuch, noch von Roland, da ist Sauerbraten bestimmt drin, aber ich weiß, du kriegst das auch fertig mariniert beim Schlachter, sieht immer so grau aus in der Vitrine, wahrscheinlich vom Essig …
Dorothee: Nein, nein, das muss ich schon selber machen. Ich habe einen sehr guten Fleischer hier bei mir, fabelhaft ist der. Der weiß bestimmt, wie man Sauerbraten macht, der weiß überhaupt alles.
––Ich: Dann hat der bestimmt auch Sauerbraten. Schon fertig, mein’ ich.
Dorothee: Nein, den mach’ ich selber. Was gibt man denn dazu?
––Ich: Äh … Rosenkohl, vielleicht?
Dorothee: Kohl mag ich nicht, das riecht immer so.
––Ich: Rosenkohl finde ich sehr gut zu Rind, auch wenn es sauer ist, Rosenkohl passt auch zur Jahreszeit.
Dorothee: Ich guck’ noch mal. Und Klöße. Klöße gehören dazu. Ja.
––Ich: Ist richtig. Ich mag Klöße nicht, die kleben immer so am Gaumen.
Dorothee: Kartoffelklöße.
––Ich: Ja, keine Semmelknödel.
Dorothee: Nein, aus Kartoffeln, gekochten Kartoffeln.
––Ich: Nicht aus rohen!
Dorothee: Unsere Köchin machte wunderbare Klöße.
––Ich: In Thüringen macht man sie halb aus rohen, halb aus gekochten Kartoffeln.
Dorothee: Es gibt sie ja auch fertig, aber die nehm’ ich nicht. Die Soße ist wichtig. Die Soße ist ganz wichtig! Kohl gefällt mir nicht. Ich frag’ noch mal.

Vier Tage und Gespräche später.

Dorothee: Ja, also, ich hab’ mich jetzt umgehört. Meine Freunde sagen: Rosenkohl, der aus Brüssel.
––Ich: Ach! Aber man kann ihn auch hier kaufen.
Dorothee: Das weiß ich doch. ‚Brussels sprouts‘. Du weißt doch, wie ich es meine. Kohl riecht immer so in der Wohnung. Ich weiß immer noch nicht, wie ich die Marinade machen soll.
––Ich: Ja, also, mit Essig … und Lorbeerblättern, denke ich.
Dorothee: Ich liebe Lorbeer! Unsere Köchin hat an alles Lorbeer getan, das gibt so einen ganz besonderen Geschmack. Wann kommst du denn an? Ich hatte eigentlich gedacht, wir könnten das zusammen vorbereiten, ja.
––Ich: Also, Dorothee, ich kann den Sauerbraten auch hier machen. Ich mach’ das hier und bring’ ihn dir einfach mit. Ich hab’ zwar noch nie Sauerbraten gemacht, aber ich krieg’ das schon hin.
Dorothee: Nein, das will ich auf gar keinen Fall. Das ist doch mein Sauerbraten, und du bist ja auch gar nicht da. Du gehst ja zu deiner Verwandten.
––Ich: Na ja, ich würde ihn dir trotzdem nicht in Salzsäure legen.
Dorothee: Red nicht so! Das mach’ ich allein! Ich frag’ mal meinen Fleischer. Harry liegt die ganze Zeit im Bett in Paris. Er hat Grippe. Es ist noch ganz ungewiss, ob er überhaupt fliegen kann. Die Klöße kann man auch fertig kaufen, aber die sind irgendwie anders, das merkt man gleich, dass die nicht selbst gemacht sind. Ist auch nicht so schwierig, Klöße zu machen.

Drei Tage später.

––Ich: Kommt Harry denn nun?
Dorothee: Ja, also, er ist schon da, er ist früher geflogen und er ist ganz unglücklich, das Hotel, das ist … Weißt du, erst geht keiner ran, und dann wollen sie einem nicht die Durchwahl geben. Macht einen ganz schlechten Eindruck. Ich glaube, die bezahlen das für ihn, er lässt sich da einladen. Das Orchester. Na, ich sag’ dazu nichts. Es kommen jetzt also Freunde von mir, die du nicht kennst, und noch die Tochter meiner Freundin aus Bergamo. Ich habe Eckhardts gefragt, aber die sind natürlich auch bei Rihm. Alle sind bei Rihm, ich hab’ das Harry gleich gesagt, aber er wollte ja nicht hin. Wenn er wieder diesen Sebastian mitbringt, das will ich nicht, er kommt immer mit diesem Sebastian.
––Ich: Kenn’ ich nicht.
Dorothee: Doch, natürlich! Der ist doch immer dabei. Schon bei Bernstein war der immer hinten in der Garderobe, und im Hotel auch; also, ich will das gar nicht wissen. Der ist ein Freund von dem Mauermann-Sohn. Und der ist immer dabei, überall ist der dabei. Aber ich hab’ nicht genug Stühle.
––Ich: Und der Sauerbraten?
Dorothee: Mein Fleischer hat gesagt, der muss länger liegen, der macht das jetzt für mich, aber ich glaube, es ist zu wenig. Ich habe gerade ein Stück nachbestellt. Und Rosinensoße. Rosinensoße gehört dazu. Das ist überhaupt der Schlager! Ich mach’ Rotkohl und Dörrobst.
––Ich: Du meinst Backobst.
Dorothee: Na ja, dieses Trockenobst aus dem Reformhaus, das wird dann eingeweicht.

Drei Stunden vor dem Eintreffen der Gäste.

Dorothee: Ach, gut, dass du anrufst, wie war die Reise, ich hab’ jetzt gar keine Zeit, meine Hilfe ist gerade gekommen. Es gibt Kartoffelklöße, die kriegst du nur beim Schlachter, steht auch ‚Schlachter‘ drauf, die sind nicht so wie diese fertig gekauften, die wirft man dann ins Wasser, und die sind sehr gut, aber der Sauerbraten … Ich bin gar nicht zufrieden.
––Ich: Er sieht grau aus.
Dorothee: Schrecklich!
––Ich: Das kommt von der Marinade. Wenn du ihn schmorst, wird er braun. Aber auf kleiner Flamme, ziemlich lange.
Dorothee: Ja, das weiß ich. Ich kann auch kochen. Also, es gibt Rosinensoße, die Klöße, Rotkohl und dieses Obst, das passt sehr gut dazu, aber der Braten, ich glaube, der wird nichts. Ich bin ganz unglücklich.
––Ich: Aber sag das nicht gleich allen! Sag gar nichts, dann merkt niemand was!
Dorothee: Vorher mach’ ich meine Tomatensuppe. Die kennst du ja auch, aus frischen Tomaten, die ist immer ein Bomben-Erfolg.
––Ich: Ich hab’ gerade mit Harry telefoniert. Er sagt, er wollte dich aufziehen und hätte dir gestern Nachmittag gesagt, dass er schon am Abend im Restaurant Sauerbraten essen würde.
Dorothee: Was?! Hast du ihm gesagt, dass ich Sauerbraten mache? Ach! Das sollte doch eine Überraschung sein, die ist nun hin. Also, weißt du!
––Ich:Dorothee! Er hat mir gesagt, dass er das zu dir gesagt hat. Ich hab’ ihm überhaupt nichts erzählt. Er hat es zu dir gesagt, nicht ich zu ihm.
Dorothee: Das mag sein, ich versteh’ ihn auch manchmal so schlecht, und am Telefon, da nuschelt er so, da versteh’ ich manchmal ganze Sätze nicht, aber der Sauerbraten, der wird nichts, ich weiß das, der Fleischer, ich bin sehr enttäuscht. Also, ich muss mich jetzt kümmern, ja.

Abruptes Auflegen des Hörers. Das bin ich gewohnt. Dorothee ruft an und sagt: ‚Ich hör’ überhaupt nichts mehr von dir!‘ Dann redet sie fünfunddreißig Minuten und verabschiedet sich so brüsk, dass sich der Kreis des schlechten Gewissens vom Nicht-Angerufen-Haben bis zum 35-minütigen Diebstahl ihrer Zeit schließt. Aber ich will gerecht sein: Manchmal ruft sie auch drei Tage später wieder an und sagt: ‚Entschuldige bitte, dass du so lange nichts von mir gehört hast, aber es ging mir gar nicht gut, ich musste jeden Morgen um fünf aufstehen und in die Charité, die Züge verkehren doch nicht zwischen Savignyplatz und Friedrichstraße, Püppi war hier, aus Italien, hat bei mir geschlafen, ich hab’ jeden Tag für ihn gekocht, und ich glaube, die Ausstellung heute Abend sag’ ich ab, obwohl sie mich sehr interessiert, aber ich habe schon gestern in der Musik-Hochschule gemerkt, dass ich nach der Pause nicht mehr aufnahmefähig war.‘

Dieses Mal war ich aber an der Reihe. Ich musste doch wissen, wie denn nun Dorothees Sauerbraten angekommen war. Ich griff zum Hörer.
„Ja, du hast es sicher schon von Harry gehört“, nörgelte Dorothee auf ihre charakteristische, leicht gepresste Art.
„Nein“, sagte ich, „ich hab’ noch gar nicht mit ihm gesprochen. Ich seh’ ihn nachher zum Mittag.“
„Ja, also“, Dorothee quetschte den letzten Saft aus ihrer Stimme, „er ist nicht gekommen.“
„Was?!“ Nun war ich so fassungslos wie Dorothee über mein Linksliegenlassen der Biennale.
„Ja, er hat erst zehn vor sieben abgesagt. Er sei krank. Ich will das auch gar nicht werten. Du weißt, ich hatte immer ein Problem mit Harry, schon von Anfang an, und das ist eben so. Das ist so. Und … ja.“
„Und was?“
„Ja, wir waren dann zu fünft, und der Abend war ganz nett. Aber der Sauerbraten ist nichts geworden. Ich wusste es ja gleich. Es ist noch so viel übrig. Wir essen den dann zusammen. Wann kommst du denn? Also, so schlecht ist er auch nicht, und der Rotkohl ist ausgezeichnet.“

Titelbild mit Material von Gabor Tinz/Shutterstock

23 Kommentare zu “#2.32 (C) | Telefongespräche zwischen Berlin und Hamburg über Sauerbraten

      1. Sauerbraten ist lecker. Aber ich mache immer Semmeknödel dazu. Natürlich selbstgemacht. Geht ja schnell.

      1. Das ist ja wie mit allem: Man muss es selbst nicht tun, wenn es einem nicht passt.

      2. Na und wenn man sich selbst an Regeln hält und andere dabei erwischt, dass sie es nicht tun, na dann ist aber die Hölle los.

  1. Sauerbraten ist doch immer ein wenig gräulich. Oder ist das nur, weil ich noch nie wirklich guten gegessen habe?

  2. Ich höre von meinen Eltern immer, dass gekaufte Klöße genauso schmecken wie selbstgemachte. Dabei ist das doch ein riesiger Unterschied.

      1. Merke: selbst gemacht kann besser oder schlechter schmecken als gekauft. Kommt auf den Laden und auf den Koch an (geschlechtsneutral).

      2. Wer faul ist muss ja auch nicht die Knödel von Pfanni nehmen, sondern kann alternativ zum Metzger des Vertrauens gehen…

      3. Sauerbraten mit Klößen und Rotkohl vom Lieferdienst ….. ich würde es wirklich nicht probieren wollen.

  3. Also wenn Gäste so kurzfristig absagen, dann waren die bei mir das letzte Mal eingeladen. Das geht doch wirklich nicht. Dem Gastgeber gegenüber ist das doch wirklich unglaublich respektlos.

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