Weite Reisen



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#1 – Ein Anfang

PROLOG: Manchmal gab es abends bei uns etwas, das ‚strammer Max‘ hieß. Eingeweihte wissen, dass es sich dabei um nichts Sexuelles handelt, sondern um ein Setzei, auch ‚Spiegelei‘ genannt, das auf einem Bett von kleingehacktem rohen Schinken ruht, der seinerseits auf einer butterbestrichenen Graubrotscheibe verteilt worden ist.

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#2 – Ein Umzug

Als mein Vater sich beruflich verbesserte und wir 1953 nach Hamburg zogen, war meine Mutter froh. Ich nicht. Irene war ungern eingeschlossen in Westberlin, ich war wenig veränderungswütig. Half nichts. Von nun an bewohnten wir statt einer spannenden Ruine eine langweilige Doppelhaushälfte ...

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#3 – Ein Abschiedsbrief

So, und jetzt hole ich noch etwas weiter aus: Über die Weihnachtsfeierlichkeiten von 1970 am Klein Flottbeker Weg habe ich sehr ausführlich geschrieben. Es ist der einzige Bericht, den ich jemals über diese ‚alle Jahre wieder‘ aufwühlende, abstumpfende Zeit geschrieben habe.

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#4 – Der weiße Knopf

Zunächst einmal musste ich mit dem versteckten weißen Knopf am Briefkasten die Gartenpforte öffnen. Der Knopf war neu. Er stellte zweifellos ein Sicherheitsrisiko dar, aber da das Klingeln an der Pforte nicht zu hören ist, weder wenn es Guntram und Irene gilt, die sich in ihrem Schlafbereich bis zur Erschöpfung hin ausruhen, noch wenn an der anderen Pforte ich gemeint bin ...

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#5 – Was dann kommt

Die zwei Tennisplätze rechts deuten eine vornehme Villengegend an, links leben die Eltern des Delikatessen-Händlers Blohm aus Pöseldorf (‚Broders Delikatessen‘). Obwohl seine Waren als gut und teuer gelten, haben sich zwei ‚Grammophon‘-Sekretärinnen dort beim Mittagstisch über Fisch mit einer für sie inakzeptablen Fettschicht unter der blassen Haut entsetzt.

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#6 – Lasch statt fromm

Östlich unserer Vierstraßenkreuzung begann stadteinwärts der Othmarscher Kirchenweg. Er führte an der Christuskirche vorbei, die mit ihrem spitzen Glockenturm erhöht in einem kleinen Park liegt, zu den Bauernhöfen, die sich bis Ottensen erstreckten, wo es dann, am anderen Ende des kopfsteingepflasterten Othmarscher Kirchenweges, ernst wurde mit der Vorstadt ...

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#7 – Immer geradeaus

Der Taxusweg ist wirklich ein Phänomen, denn er verfügt neben seinem namenlosen Zugang zum jetzigen Halbmondsweg außerdem über einen Fußgänger-Durchgang zur Elbchaussee. Links vom Rosenplatz in seiner Mitte leistet er sich einen weiteren Zugang: zur Bernadottestraße.

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#8 – Maßnahmen

Nie werde ich vergessen, dass meine Mutter mich mit dem Liebermann-Ausspruch zur ‚Machtergreifung‘ beeindruckte: „Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.“ Ich hatte sofort Verständnis dafür, dass jemand seinen mangelnden Appetit beklagte, denn das war ja auch mein Problem.

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#9 – Die Prachtstraße

Es ist ja so: Erst kommt die Elbe – Connaisseure genießen, dass sie von Osten nach Westen fließt –, dann kommt logischerweise die Elbchaussee, parallel dazu als Nächstes die Bernadottestraße, die zwar, nordsüdlich gesehen, nicht wesentlich später (örtlich gemeint) als die Elbchaussee anfängt, aber doch wesentlich eher aufgibt

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#10 – PLATZ 3: DIE SCHULE

Da, wo die Waitzstraße aufhört, Einkaufsstraße zu sein, steht ein Gebäudekomplex aus dem Jahr 1898, pompös mit Wandelhalle. Das war 1953, als wir nach Hamburg zogen, das ‚Bertha-Lyzeum‘, eine Höhere Mädchenschule. Eigentlich. Aber Raum war knapp, Kinder gab es reichlich.

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#11 – PLATZ 2: DIE KIRCHE a) Kommunion

Von unserer Haustür aus war es nach rechts noch näher zur Christuskirche als nach links zur Grundschule, nur hatte ich nichts davon. Ich war ja katholisch.

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#12 – PLATZ 2: DIE KIRCHE b) Beichte

Silvester wurden mir Lustigkeiten untersagt: Pietät. Raketen mochte ich sowieso nicht, aber das Tischfeuerwerk vermisste ich und den kleinen Zylinder, aus dem eine Riesenmenge graues Zeug wurstartig herausquoll, wenn man ihn anzündete. Manche nannten ihn ‚Kackhut‘.

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#13 – PLATZ 2: DIE KIRCHE c) Out of Othmarschen

Frau Wieman konnte es nicht ausstehen, wie der Pfarrer von St. Paulus-Augustinus von seiner Kanzel herabschimpfte. Ich fand Pastor Nebelings Tiraden immer sehr unterhaltsam, zumal ich sie mir nicht zu eigen machte.

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#14 – PLATZ 1: DAS KINO

In den frühen 70er-Jahren fuhren wir samstags oft in die Innenstadt und sahen die Filme in einem der ‚Erstaufführungstheater‘. Anschließend gingen wir essen – nach Möglichkeit passend zum Drehort des Films. Deshalb gab es oft Steak, immer mal wieder Froschschenkel oder Saltimbocca, aber nie Eisbein. Wir, das waren damals Harald, Silke, Esther und ich.

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#15 – Frühlingserwachen

Zurück in die letzte Märzwoche 2000: Guntram konnte sein samstägliches Tatar nicht mehr selber holen, und ich hatte mir am Freitagabend vor dem Schlafengehen in den Kopf gesetzt, ihn am nächsten Morgen in dem nagelneuen Rollstuhl an die Stätte seiner ehemaligen Einkäufe zu fahren.

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#16 – Etwas pikanter

Wir waren vor dem Fleischereibetrieb ‚Am Teich‘ angelangt. Dort, wo die Schlachtware teurer ist, aber der Meister grinsend behauptet: „Meine Rinder kenn’ ich beim Namen“, und er sagt es so, dass man nicht weiß, ob es ein Scherz, eine Lüge oder die Wahrheit ist.

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#17 – Nebenstraßen

Isabelle war, während sie studierte, ganz sicher gewesen, dass sie nie heiraten würde. Aber dann war Eduard so ganz anders gewesen als alle die, die sie nie in Betracht gezogen hatte: Er war zuverlässig, unnachgiebig und hinreißend. Wer kann dazu schon Nein sagen?

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#18 – Lebensversicherung

Wir überquerten die Bernadottestraße, ich schob Guntram in den Taxusweg. Von nun an würde der Rückweg wie der Hinweg verlaufen. Irene ging so schleppend, wie es das Schieben des Rollstuhls gebot, und dabei fühlte sie sich – vielleicht zum ersten Mal – so alt, wie sie war.

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#19 – Wie ich lebe

Es gibt so viele einmalige Augenblicke in meinem Leben, schade, dass es, als Ganzes gesehen, bisher so nichtssagend geblieben ist. Die radikalste Art, nicht zu leben, ist es, zu sterben.

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#20 – Am Küchentisch

Nudeln von gestern, tiefgefrorene ‚Chicken Wings‘, Dosen mit Serviervorschlägen auf dem Etikett – natürlich ist Spontaneität das Erstrebenswerteste, aber wie soll man die planen? Man will doch planen! Da sagt man sich: ‚Jetzt will ich geil sein!‘ ...

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#21 – Himbeerjogurt

Nun kommt die erste wirkliche Entscheidung des Tages: Was mache ich aus diesem Nachmittag meines Lebens? Zur Auswahl stehen: schreiben, an meinen alten Filmen arbeiten, schlafen, wegträumen, ‚Spiegel‘ lesen und telefonieren. Wie seit jeher.

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#22 – Abendprogramm

Wenn ich von meinem sogenannten Mittagsschlaf aufwache, ist es meist so gegen sechs. Ich habe also noch Zeit, in knapperer Form das zu tun, was ich sonst länger getan hätte: schreiben, lesen, telefonieren ...

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#23 – Abseits der Überholspur

Es kommt vor, dass ich nicht nur ein anderes Programm, sondern dass ich überhaupt nicht fernsehe. Was immer ich tue, habe ich dann getan. Unkorrigierbarkeit hat etwas Faszinierendes.

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#24 – Im Schauspielhaus

So oder so oder so, irgendwann gehe ich ins Bett, na ja, ich schwanke mehr. Da liege ich dann und denke meinen Gedanken hinterher. Ich will etwas, was ich nicht kann, oder ich kann etwas, was ich nicht will ...

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#25 – Nach vorn sehen und nach hinten

Inzwischen hatte ich Guntram auf unserem Weg vom Fleischer ‚Am Teich‘ das namenlose Straßenstück rechts vom Taxusweg entlanggerollt. Wo kein Briefkasten und keine Eingangspforte ist, da sind Namen überflüssig.

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#26 – Die Anrede

Guntram saß im Rollstuhl und sah die Pforte immer näherkommen; es war wie der Blick durch eine Kamera, die aus dramaturgischen Gründen auf einen in der Handlung bedeutsamen Gegenstand zufährt, auf einem Podest mit Rädern. „Ob ich noch jemals nach Meran kommen werde?“, fragte Guntram leise. „Bestimmt“, sagte Irene. Sie log.

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#27 – Am Teich

Herr Mohrenhaupt war Dekorateur, ein Beruf, der sich mir nicht sofort erschloss, obwohl ich meine Mutter gleich nach unserem Umzug zu ihm begleitet hatte, als sie sich darüber beschweren wollte, dass die Gardinen zu kurz waren.

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#28 – Film und Frau

Neben Bäcker Mielke befand sich etwas außerordentlich Interessantes. Dort drinnen roch es seltsam künstlich, und es sah dort noch unordentlicher aus als in meinen Schränken. An Silvester bekam Bernie, Kathrins größerer Bruder, etwas Geld, und dann kaufte er Raketen.

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#29 – Lügen

Ich öffne die Pforte, sie geht nach außen auf, ich muss Guntrams Rollstuhl wieder ein Stück zurückschieben, es gibt einen Ruck am Kantstein. „Ach, Gott, nein, Kinder“, schreit Guntram, „nun sagt doch mal selber: Muss das denn noch sein!“ Guntrams Erinnerungen decken sich nicht mit seiner Wirklichkeit.

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Am Teich

#30 – Epilog

Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass ich diesen Brief – damals wie üblich an meinen Freund Pali – geschrieben habe. Pali war es gewohnt, an meinen Briefen eine ganze Nacht lang zu lesen, zu lachen, zu weinen, pausenlos zu rauchen und sich aufbrausend über mich zu ärgern.

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Atlantische Turbulenzen

Aus gegebenem Anlass greife ich mal wieder in meine Schatztruhe. Dabei kommt die Beschreibung einer Reise nach Nord- und Südamerika zum Vorschein. Wie immer mischt sich sofort Unerwartetes mit Unerträglichem.

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Atlantische Turbulenzen

#1 – Atlantische Turbulenzen

Trump, Kim Jong-un und Putin beschäftigen uns ja eigentlich schon genug. Trotzdem kommen die Probleme von Großbritannien, Syrien und Afghanistan dazu. Obendrauf Dieselskandal, Umweltzerstörung und Europakrise. Reicht es nun?

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Atlantische Turbulenzen

#2 – Frankfurt

Als die Abfertigung durchgestanden war, wandte ich mich schüchtern an eine der Stewardessen und fragte, ob ich denn wohl auch hier per Lautsprecher erfahren würde, wann ich nach New York dürfte. Das geinge manchmal ganz schnell, erwiderte sie. Aber die Maschine würde nicht ohne mich fliegen, beharrte ich kämpferisch, denn ich habe Gepäck aufgegeben. Darin könne eine Bombe sein.

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#3 – New York (1)

Die Passkontrolle nahm ich mit weltmännischer Geschwindigkeit, dann stand ich zwanzig Minuten nach einem Gepäckkarren an, immer in der Angst, dass mein Gepäck inzwischen flöten geht, was ja das Anstellen nach dem Karren zur Sinnlosigkeit verdammt hätte. Auch diese war, wie so viele Sorgen, unbegründet. Mein Gepäck hatte gar keine Möglichkeit, flöten zu gehen, und niemand mit ihm, weil es einfach gar nicht erst kam.

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Atlantische Turbulenzen

#4 – New York (2)

Am Gate 18 standen zwar keine Abflugzeiten nach irgendwohin, dafür aber jede Menge Menschen. Mit einer gewissen hysterischen Schärfe in der Stimme und wie der Landessprache nicht mächtig schrie ich eine rumstehende Uniformierte an: „Boston? Boston!“ und sie, ebenfalls sprachunfähig, wies stumm auf die Schlange. Ich erwog, mich aufzuregen ...

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Atlantische Turbulenzen

#5 – Boston (1)

Es schaukelte und hoppelte, und obwohl ich mir beschwörend eingeredet hatte, dass ich zu müde und erschöpft sei, um mich noch über irgendetwas aufzuregen, regte ich mich ganz schrecklich auf.

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Atlantische Turbulenzen

#6 – Boston (2)

Ich stieg also zehn vor acht vor der Symphony Hall in eine Taxe, nachdem ich Ozawas Entzücken über die erfolgreich verlaufene Nachaufnahme geteilt und mit ihm für den nächsten Tag, 19 Uhr, eine Verabredung getroffen hatte. „To the ‚Four Seasons‘ and then to the ‚Chart-House‘“, bat ich. Ich hatte keine Ahnung, wo das ‚Four Seasons‘ war ...

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#7 – Boston (3)

Pünktlich um neun waren wir zur Stelle, Gidon mitsamt seinem wiedergewonnenen Appetit auch. Seit dem Nachtisch vom Vorabend hatte der ihn nicht mehr verlassen und während er darüber klagte, dass er kein Auge zugedrückt habe und die Welt auch sonst scheußlich sei, verdrückte er mehrere Eier mit Schinken, ohne darüber Brötchen, Käse oder Marmelade zu vergessen. Das mit dem zugedrückten Auge hatte noch eine besondere Bewandtnis, die seinen Weltschmerz sichtlich steigerte ...

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#8 – Houston (1)

In Houston kam außer mir zwar mein Koffer an, aber weder mein Anzugsack noch Bill war da. In meinem Anzugsack waren alle Hosen, Hemden und Schuhe, in Bill lag meine Hoffnung auf ein Bett für die Nacht begründet.

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#9 – Houston (2)

Ich war wütend auf mich, dass ich statt Vorfreude Abschiedstrauer empfand. Bill war wütend auf sich, weil er seine Sonnenbrille im Auto vergessen hatte.

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#10 – Caracas (1)

Weil wir noch Geld wechselten, waren wir danach ganz am Ende der Schlange bei der Passkontrolle. Um völlig reguläre Dollarnoten zu tauschen, mussten wir die Pässe zeigen und Formulare wurden umständlich ausgefüllt. Ich mokierte mich ...

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#11 – Caracas (2)

Für die Morgentoilette braucht Bill etwa 60 Minuten, von denen er dreißig unter der Dusche zubringt, danach ist er so ausgelaugt, dass er sich zehn Minuten cremen muss, dann geht es weiter.

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#12 – Caracas (3)

„Och, wir hatten keinen Sex.“ – Natürlich nicht, danach hätte ich ja so auch nicht gefragt. Ach so, die Disco war ganz gut.

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#13 – Caracas (4)

Gegen acht kam Bill zurück, tütenbepackt, und sagte mit grimmiger Genugtuung: „Jetzt weiß ich es: Sie geben keine Nachrichten weiter. Ich habe dreimal von unterwegs angerufen und Nachrichten hinterlassen, aber keine ist da. Abel wird es längst versucht haben.“

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#14 – Caracas (5)

Abel wartete schon, als wir im Hotel zurück waren. Ich unterdrückte eine leichte Müdigkeit, weil ich mir das, was Abel zu bieten haben würde, nicht entgehen lassen wollte.

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#15 – Caracas (6)

Als ich irgendwann in der Nacht aufwachte, merkte ich, dass Bill gekommen sein musste, denn es brannte Licht im Bad. Nach einer Weile fand ich, dass er so lange aber nicht geräuschlos an sich putzen und pudern konnte. Tat er auch nicht.

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#16 – Caracas (7)

Jeden Abend kann man nicht kneifen. Ich bin zwar nicht essen gegangen, aber ich habe mir ein Clubsandwich aufs Zimmer bestellt, die köstlichste Mahlzeit, seit ich in Südamerika bin, ich hatte das nicht für möglich gehalten. Nun werde ich doch noch mal runtergehen in den Club, um mich deprimieren zu lassen – oder auch nicht.

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#17 – Caracas (8)

Gegen drei lief ich wieder zurück, denn es hatte angefangen in Strömen zu gießen: im April! In Caracas!! Bloß um mich zu demütigen!!! Bill lag da wie tot, und ich stellte fest, dass er eine halbe Flasche Rum ausgetrunken hatte.

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#18 – Caracas (9)

Bill kam wirklich überraschend früh, schon kurz vor zwölf, ich war noch wach. Aber wie ich erst später erfuhr, drängten ihn weder Einsicht noch Müdigkeit, sondern das völlig Un- oder jedenfalls nur von mir Erwartete war eingetreten: Romolo.

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#19 – Caracas (10)

Gegen vier war Bill noch nicht zurück, ich aber darmhalber schon zweimal aufgestanden. Die drakonischen Gepflogenheiten des venezolanischen Flugverkehrs zwangen uns, um fünf Uhr am Airport zu erscheinen, damit wir um sieben Uhr fliegen konnten. Gegen viertel nach vier stieß ich an der Klotür mit Bill zusammen. Er war ziemlich betrunken und gab selbst "a lot of" Cuba libres zu. "Good bye, Scheißland Venezuela", schrie er ...

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#20 – Houston (3)

Als wir am Parkplatz angekommen waren, sagte Bill: „Look“, nahm alle Bolivar-Münzen, die er noch hatte, und schmiss sie mit theatralischer Geste über den Zaun von sich, mit sicher entgegengesetzten Wünschen von Rom-Touristen, die Lire-Münzen am Trevi-Brunnen über ihre linke Schulter werfen. Später, zu Hause, zerrte er noch ein Sweatshirt von seinem vorigen Venezuela-Aufenthalt aus dem Schrank und ließ es angeekelt in den Mülleimer fallen.

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#21 – Houston (4)

Nun war es Nacht, und Texas stellte in fast obszön anmutender Geste den Sternenhimmel zur Schau, den ich in den Tropen erwartet, aber wegen des Smogs nicht zu sehen bekommen hatte. Wir zogen durch die Bars. Im wahrsten Sinne des Wortes: rein, durch, raus – grußlos, drinklos.

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#22 – New York (3)

Von da an ging alles glatt. Die Maschine wurde pünktlich abgerufen, die Stewardess begrüßte mich begeistert, ich glaube, sie hat mich umarmt, ob sie mich geküsst hat, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls setzte sie sich gleich neben mich, während die Passagiere der Econony Class stumm wie Büßer an uns vorbeipilgerten. Ich wartete auf einen Heiratsantrag ...

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#23 – Hamburg (3)

Der Abflug war pünktlich, ich hatte den schönsten Platz im ganzen Flugzeug und niemanden neben mir. Ich bin angstlos. Ich fliege angstlos. Bill hat mir erzählt, wenn Fassbinder ein neues Drehbuch schrieb, habe er immer einen Langstreckenflug hin und zurück gebucht, weil er nirgendwo sonst die Ruhe zum Schreiben gehabt und empfunden hätte.

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#24 – Zusammenfassung einer Reise

Für ganz Mutige hier noch eine zeitüberbrückende Zusammenfassung der Reise in zwei Teilen:

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DIE ELF

Zweiter Weltkrieg. Ein katholischer Nazi – eine polnische Jüdin. Er überlebt im Schützengraben. Sie überlebt im Berliner Versteck. Er macht ihr ein Kind und kommt ins Gefängnis. Er kommt wieder frei und heiratet sie. Das Kind bin ich, die personifizierte Wiedergutmachung. Ein Leben ohne Gewissensbisse.

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‚DIE ELF‘ – Leben ohne Gewissensbisse

Zweiter Weltkrieg. Ein katholischer Nazi – eine polnische Jüdin. Er überlebt im Schützengraben. Sie überlebt im Berliner Versteck. Er macht ihr ein Kind und kommt ins Gefängnis. Er kommt wieder frei und heiratet sie. Das Kind bin ich, die personifizierte Wiedergutmachung. Ein Leben ohne Gewissensbisse.

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#0.1 | Kampfansage

19. Juni 2023: mein Geburtstag. Mein Gott! Siebenundsiebzig! Unser aller Gott. Niemandes Gott. Ein Mas‚gott‘chen vielleicht. – Kalauer sind okay, aber abergläubig bin ich nicht.

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#1.1 | Der liebe Gott und das schwarze Loch

Als Gott die Erde in sechs Tagen erschuf und am siebten ausruhte, war die Welt noch in Ordnung. Inzwischen müssen wir uns, falls wir nicht lieber blöde bzw. bildungsfern bleiben wollen, mit dem Urknall und seinen Folgen auseinandersetzen.

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#1.2 | Begehrliche Blicke als Straftatbestand

Zuerst haben die Zweibeiner auch nicht viel schlimmer gewütet als später die Heuschrecken, nicht mal, als Homo erectus schon das Feuer nutzte, um andere Geschöpfe zu braten oder zu verscheuchen. Aber nach und nach haben die Menschen ihr Potenzial potenzartig gesteigert, sodass wir heute da sind, wo wir sind. Noch verheerenderen Einfluss nahmen nur die Cyanobakterien.

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#2.1 | Umbenennungen

Irena hatte den Krieg überlebt und war weder ins KZ geworfen noch vergewaltigt worden. Nur aus ihrem polnischen ‚A‘ war ein deutsches ‚E‘ geworden: Irene.

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#3.1 | Was normal ist und was nicht

An den Geburtstag selbst erinnere ich mich nicht. Später habe ich mich gern als Außenseiter stilisiert, weil ich keine Tore schießen konnte. Noch heute träume ich, dass ich nach dem Ball trete und ihn nicht treffe.

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#3.2 | Keine Asche-Wurst an Silvester

An meinem elften Geburtstag war ich in der sechsten Klasse: Mitschülerinnen, die meinem ‚Café zur schönen Aussicht‘ im Birnbaum gegenüber aufgeschlossen gewesen waren, hatte ich schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr ...

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#3.3 | Acht Kostbarkeiten statt Gefängnis

Damals werde ich die Jahre wohl anders untergliedert haben, aber heute kann ich sie mir am besten daran merken, wie ich die Sommerferien verbrachte. Wo meine Mutter sich ihre Anregungen für die Reisen holte, weiß ich nicht. Für den Aufenthalt in Juan-les-Pins mit meinem Vater vielleicht in der ‚Vogue‘, für die Ferien mit mir sechs Wochen später sicher nicht.

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#3.4 | Ahnungen und Gewissheiten

Am nächsten Tag fuhren wir über den Großglockner. War sehr hoch. Damals erkannte ich, dass mir blumige Täler mehr liegen als majestätische Höhen. Trotzdem posierte ich dort oben (un?)befangen vor Guntrams Kamera: mit Vaters Hut und meinem Limonadenglas ...

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#3.5 | Zu weit gegangen

Kurz vor meinem elften Geburtstag gönnten sich meine Eltern eine kleine Erholung von mir. Ende Mai sonnten sie sich auf Capri. Meine Großmutter war in Berlin von Guntrams Fahrer abgeholt worden, um das zu leisten, was sie unter Betreuung verstand. In dieser Zeit fand in meiner Schule eine Impfaktion statt: Tetanus.

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#4.1 | Ein Satz reicht

Mein Geburtstag 1968. An den erinnere ich mich ganz genau: Harald, Hans-Dieter und ich saßen in der Loggia, und Irene hatte eine Matjes-Platte vorbereitet.

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#4.2 | Leben in der Bude

Harald, Hans-Dieter und ich waren sehr verschieden. Unsere Elternhäuser und unsere Charaktere waren sehr verschieden. Wieso es trotzdem mit uns klappte, ist mir ein Rätsel.

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#4.3 | Doppeltes Pech

Nach unserer langen Dreierreise durch Italien studierten Harald und Hans-Dieter weiter. Ich bewarb mich bei der neu gegründeten Filmhochschule in München und fiel durch.

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#5.1 | Wider die kulturelle Aneignung!

Elf Jahre – das ist schon eine lange Zeit! Vielleicht nicht so sehr im Schatten einer Burg zwischen dem Jahr 1000 und dem Jahr 1011, aber mein Leben zwischen 1968 und 1979, das war komplett anders geworden.

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#5.2 | Ich werde mein Bruder

Meine vielen Reisen hingen mit dem Beruf zusammen, den ich inzwischen – ‚ausübte‘ ist das richtige Wort; ich übte aus, wie weit man gehen kann: in den Straßen von New York, bei Verhandlungen mit Agenten, in der Beeinflussung von Künstlern.

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#5.3 | Ereignislosigkeit als Ziel?

Im November 1975 lernte ich bei Karajan-Aufnahmen in der Berliner Philharmonie Roland kennen, allerdings nicht im Konzertsaal, sondern anschließend im Clublokal: ‚Gay‘.

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#6.1 | Tränen

Ein schlimmer Geburtstag. Roland hatte Aids. Wir saßen zu viert in der Loggia bei meinen Eltern. Hinten im Garten mähte noch der Gärtner. Prosecco und Prosciutto. Ein provisorisches Glück: Notbehelf mit Melone.

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#7.1 | Trinken macht nicht durstig

Spätestens seit ich elf war, kannte ich die meistgehörten Schlager des Jahres und war schon längst vor dem Abitur mit allen internationalen Top-Hits vertraut. Mit Harald gemeinsam hatte ich in den Sechziger- und Siebzigerjahren das jeweilige Musikangebot abgekostet: toll – unerheblich – grässlich.

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#7.2 | Wie das Leben weitergeht

Schon im Jahr nach Rolands Tod sah ich keinen Sinn mehr darin, mit meinen Musikkenntnissen Geld zu verdienen und kündigte. Was genau ich mir damals mit Mitte vierzig vorstellte, dessen bin ich mir nicht sicher.

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#8.1 | Mit der Gabel, mit den Händen

Da habe ich keine Gedächtnislücken. Ich habe ein großes Fest veranstaltet und alle Freunde und Verwandte in den Othmarscher ‚Röperhof‘ eingeladen. Gibt’s sogar als Film.

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#8.2 | Glück gehabt. Angeblich!

Früher saß ich mit Block und Filzstift vor einem Café oder Schreibtisch und schrieb mit lockerer Hand Seite um Seite. Meine Handschrift fehlt mir.

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#9.1 | Mitleid mit den Reichen

Ein stiller Geburtstag. Keine Gäste. Nur Silke und ich in Meran. Mit Joy aus Griechenland. Sie kocht und betreut mich, seit Rafał weg ist.

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#9.2 | Missverständnisse

Mit achtzehn schwärmte ich von der Vergangenheit weitaus mehr als von der Zukunft. Inzwischen sehe ich alle Defizite der Vergangenheit.

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#9.3 | Was sich lohnt

Wer statt zu meckern lieber behauptet, etwas für die Gemeinschaft tun zu wollen, der/die will seine Untertanen/Wähler meistens – auch oder nur – beeinflussen. ‚Gestalten wollen‘ nennen die Wohltäter das.

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#9.4 | Alles Schlechte zum Geburtstag

Die Wirklichkeit zu erkennen ist nötig und unmöglich: Der Standpunkt macht’s. Wenn ich halbwegs bei Verstand bin und sehe, wie es zugeht, will ich entweder etwas verändern oder daran arbeiten, dass die anderen nicht merken, wie es zugeht, damit sie meine gesicherte Position nicht infrage stellen.

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0. Vorwort

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‚DIE ELF‘ – Leben ohne Gewissensbisse

Zweiter Weltkrieg. Ein katholischer Nazi – eine polnische Jüdin. Er überlebt im Schützengraben. Sie überlebt im Berliner Versteck. Er macht ihr ein Kind und kommt ins Gefängnis. Er kommt wieder frei und heiratet sie. Das Kind bin ich, die personifizierte Wiedergutmachung. Ein Leben ohne Gewissensbisse.

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#0.1 | Kampfansage

19. Juni 2023: mein Geburtstag. Mein Gott! Siebenundsiebzig! Unser aller Gott. Niemandes Gott. Ein Mas‚gott‘chen vielleicht. – Kalauer sind okay, aber abergläubig bin ich nicht.

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1. Kapitel: MINUS ELF

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#1.1 | Der liebe Gott und das schwarze Loch

Als Gott die Erde in sechs Tagen erschuf und am siebten ausruhte, war die Welt noch in Ordnung. Inzwischen müssen wir uns, falls wir nicht lieber blöde bzw. bildungsfern bleiben wollen, mit dem Urknall und seinen Folgen auseinandersetzen.

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#1.2 | Begehrliche Blicke als Straftatbestand

Zuerst haben die Zweibeiner auch nicht viel schlimmer gewütet als später die Heuschrecken, nicht mal, als Homo erectus schon das Feuer nutzte, um andere Geschöpfe zu braten oder zu verscheuchen. Aber nach und nach haben die Menschen ihr Potenzial potenzartig gesteigert, sodass wir heute da sind, wo wir sind. Noch verheerenderen Einfluss nahmen nur die Cyanobakterien.

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2. Kapitel: NULL

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#2.1 | Umbenennungen

Irena hatte den Krieg überlebt und war weder ins KZ geworfen noch vergewaltigt worden. Nur aus ihrem polnischen ‚A‘ war ein deutsches ‚E‘ geworden: Irene.

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3. Kapitel: PLUS ELF

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#3.1 | Was normal ist und was nicht

An den Geburtstag selbst erinnere ich mich nicht. Später habe ich mich gern als Außenseiter stilisiert, weil ich keine Tore schießen konnte. Noch heute träume ich, dass ich nach dem Ball trete und ihn nicht treffe.

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#3.2 | Keine Asche-Wurst an Silvester

An meinem elften Geburtstag war ich in der sechsten Klasse: Mitschülerinnen, die meinem ‚Café zur schönen Aussicht‘ im Birnbaum gegenüber aufgeschlossen gewesen waren, hatte ich schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr ...

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#3.3 | Acht Kostbarkeiten statt Gefängnis

Damals werde ich die Jahre wohl anders untergliedert haben, aber heute kann ich sie mir am besten daran merken, wie ich die Sommerferien verbrachte. Wo meine Mutter sich ihre Anregungen für die Reisen holte, weiß ich nicht. Für den Aufenthalt in Juan-les-Pins mit meinem Vater vielleicht in der ‚Vogue‘, für die Ferien mit mir sechs Wochen später sicher nicht.

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#3.4 | Ahnungen und Gewissheiten

Am nächsten Tag fuhren wir über den Großglockner. War sehr hoch. Damals erkannte ich, dass mir blumige Täler mehr liegen als majestätische Höhen. Trotzdem posierte ich dort oben (un?)befangen vor Guntrams Kamera: mit Vaters Hut und meinem Limonadenglas ...

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#3.5 | Zu weit gegangen

Kurz vor meinem elften Geburtstag gönnten sich meine Eltern eine kleine Erholung von mir. Ende Mai sonnten sie sich auf Capri. Meine Großmutter war in Berlin von Guntrams Fahrer abgeholt worden, um das zu leisten, was sie unter Betreuung verstand. In dieser Zeit fand in meiner Schule eine Impfaktion statt: Tetanus.

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4. Kapitel: ZWEIUNDZWANZIG

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#4.1 | Ein Satz reicht

Mein Geburtstag 1968. An den erinnere ich mich ganz genau: Harald, Hans-Dieter und ich saßen in der Loggia, und Irene hatte eine Matjes-Platte vorbereitet.

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#4.2 | Leben in der Bude

Harald, Hans-Dieter und ich waren sehr verschieden. Unsere Elternhäuser und unsere Charaktere waren sehr verschieden. Wieso es trotzdem mit uns klappte, ist mir ein Rätsel.

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#4.3 | Doppeltes Pech

Nach unserer langen Dreierreise durch Italien studierten Harald und Hans-Dieter weiter. Ich bewarb mich bei der neu gegründeten Filmhochschule in München und fiel durch.

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5. Kapitel: DREIUNDDREISSIG

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#5.1 | Wider die kulturelle Aneignung!

Elf Jahre – das ist schon eine lange Zeit! Vielleicht nicht so sehr im Schatten einer Burg zwischen dem Jahr 1000 und dem Jahr 1011, aber mein Leben zwischen 1968 und 1979, das war komplett anders geworden.

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#5.2 | Ich werde mein Bruder

Meine vielen Reisen hingen mit dem Beruf zusammen, den ich inzwischen – ‚ausübte‘ ist das richtige Wort; ich übte aus, wie weit man gehen kann: in den Straßen von New York, bei Verhandlungen mit Agenten, in der Beeinflussung von Künstlern.

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#5.3 | Ereignislosigkeit als Ziel?

Im November 1975 lernte ich bei Karajan-Aufnahmen in der Berliner Philharmonie Roland kennen, allerdings nicht im Konzertsaal, sondern anschließend im Clublokal: ‚Gay‘.

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6. Kapitel: VIERUNDVIERZIG

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#6.1 | Tränen

Ein schlimmer Geburtstag. Roland hatte Aids. Wir saßen zu viert in der Loggia bei meinen Eltern. Hinten im Garten mähte noch der Gärtner. Prosecco und Prosciutto. Ein provisorisches Glück: Notbehelf mit Melone.

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7. Kapitel: FÜNFUNDFÜNFZIG

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#7.1 | Trinken macht nicht durstig

Spätestens seit ich elf war, kannte ich die meistgehörten Schlager des Jahres und war schon längst vor dem Abitur mit allen internationalen Top-Hits vertraut. Mit Harald gemeinsam hatte ich in den Sechziger- und Siebzigerjahren das jeweilige Musikangebot abgekostet: toll – unerheblich – grässlich.

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#7.2 | Wie das Leben weitergeht

Schon im Jahr nach Rolands Tod sah ich keinen Sinn mehr darin, mit meinen Musikkenntnissen Geld zu verdienen und kündigte. Was genau ich mir damals mit Mitte vierzig vorstellte, dessen bin ich mir nicht sicher.

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8. Kapitel: SECHSUNDSECHZIG

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#8.1 | Mit der Gabel, mit den Händen

Da habe ich keine Gedächtnislücken. Ich habe ein großes Fest veranstaltet und alle Freunde und Verwandte in den Othmarscher ‚Röperhof‘ eingeladen. Gibt’s sogar als Film.

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#8.2 | Glück gehabt. Angeblich!

Früher saß ich mit Block und Filzstift vor einem Café oder Schreibtisch und schrieb mit lockerer Hand Seite um Seite. Meine Handschrift fehlt mir.

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9. Kapitel: SIEBENUNDSIEBZIG

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#9.1 | Mitleid mit den Reichen

Ein stiller Geburtstag. Keine Gäste. Nur Silke und ich in Meran. Mit Joy aus Griechenland. Sie kocht und betreut mich, seit Rafał weg ist.

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#9.2 | Missverständnisse

Mit achtzehn schwärmte ich von der Vergangenheit weitaus mehr als von der Zukunft. Inzwischen sehe ich alle Defizite der Vergangenheit.

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#9.3 | Was sich lohnt

Wer statt zu meckern lieber behauptet, etwas für die Gemeinschaft tun zu wollen, der/die will seine Untertanen/Wähler meistens – auch oder nur – beeinflussen. ‚Gestalten wollen‘ nennen die Wohltäter das.

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#9.4 | Alles Schlechte zum Geburtstag

Die Wirklichkeit zu erkennen ist nötig und unmöglich: Der Standpunkt macht’s. Wenn ich halbwegs bei Verstand bin und sehe, wie es zugeht, will ich entweder etwas verändern oder daran arbeiten, dass die anderen nicht merken, wie es zugeht, damit sie meine gesicherte Position nicht infrage stellen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.1 | Nichts Besonderes

Eine Schar Kinder läuft über das Feld, barfuß, mit bunten Kerzen. Der Wind bläst die Lichter aus. Sie wirbeln auseinander. Fühlst du dein Herz klopfen?

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.2 | Auch nichts Besonderes

Der Brief war fertig. Im Netz: War er die Spinne oder die Fliege? Sie zog die Blätter heraus, entfernte das Kohlepapier und legte den Brief und die Kopien in die Unterschriftenmappe, dann spannte sie den nächsten Bogen ein. Augen zu, einfach abschalten und losschießen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.3 | Überhaupt nichts Besonderes

Punkt zwölf stand Frau Kleide in der Tür: „Kommst du?“ Er brütete über den Unterlagen. Sie sah auf die Uhr: „Ist es schon wieder so weit?“ Die Seite müsste er fotokopieren. Ein wenig erschrak sie über das Fortschreiten der Zeit.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.4 | Wieder nichts Besonderes

Sie lief die Mönckebergstraße entlang. Er saß in der Mensa. Ein azurblauer Kaschmir-Pullover in einem der Schaufenster gefiel ihr. Gulasch, er kaute lustlos. Sie blieb stehen. Widerwillig stocherte er mit der Gabel zwischen den Fleischbrocken herum. Den könnte sie sich eigentlich leisten.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.5 | Immer noch nichts Besonderes

Im Café traf er ein paar Freunde. Dann ging sie zu Frau Kleide, wegen Gutzenka. Sie redeten übers Studium. Frau Kleide fragte: „Finden Sie wirklich, dass er gut aussieht?“ Er hatte die meisten Scheine; für die Anzahl seiner Semester war er ziemlich weit.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.6 | Ausgefallen!

Es war kurz vor acht, und er war leicht betrunken. Sie war erschöpft nach Hause gekommen und hatte sich gleich hingelegt. Ein Drittel der Whiskyflasche war ausgetrunken. Jetzt wachte sie auf. Als ob er es nötig hatte, sich Mut zu machen! Sie sah auf die Uhr und erschrak.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.01 | Worum es geht

Die schwer zu beantwortende Frage: Ist dem Leben mit irgendwelchen Moralvorstellungen beizukommen? Nehmen wir zum Beispiel einen Mann von 34, Hans Schmidt, oder wenn das zu billig klingt, meinetwegen Gregor Sollendorf. Der Nachname klingt ein bisschen ambitioniert, aber – macht nichts, er kommt nur einmal vor.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.02 | Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn

Sie sagen wieder lange Zeit nichts. „Ist es Ihnen recht, wenn ich das Fenster aufmache?“, fragt Mark kurz vor Hannover. Es ist schon sehr heiß im Wagen. „Ja sicher.“ Gregor hat einen Entschluss gefasst. Er sieht dem Jungen zu, wie er das Fenster runterkurbelt: Das knappe weiße Hemd bringt den Oberkörper gut heraus: sehnig, fest, geschmeidig.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.03 | Rollentausch

Bei Kassel müssen sie tanken. „Soll ich mal fahren?“, fragt Mark. „Kennen Sie den Wagen?“, fragt Gregor zurück. „Ja, so ziemlich.“ Gregor lächelt skeptisch. „Was heißt das? Sie haben ihn schon mal an der Kreuzung vorbeifahren gesehen?“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.04 | Im Stau

Der Wagen fährt langsamer, noch langsamer, steht. Gregor öffnet die Augen. „Schlange“, sagt Mark. „So weit man sehen kann Autos.“ Gregor richtet sich auf: Beide Spuren sind verstopft. „Wir hätten früher fahren sollen“, sagt Mark. „Ich hab’ fast ’ne Stunde auf dich gewartet.“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.05 | Roadmovie

„Die Tankstelle hinter Rastatt hat eine Raststätte“, sagt Mark. „Das beflügelt wohl dein Texterhirn, ist aber, wie das meiste in der Werbung, falsch!“, berichtigt ihn Gregor. „Es handelt sich hier um eine Imbissstube.“ Sie gehen hinein. Mehr ist es wirklich nicht.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.06 | Hart an der Grenze

Eine Weile lang sagen sie nichts. „Freiburg“, eröffnet Mark das Gespräch wieder, als sie an der Ausfahrt vorbeifahren. Der Himmel hat sich bewölkt. Kleine, harmlose Schäfchenwolken. „Ja, wir sind bald an der Grenze“, sagt Gregor. „Ich hoffe, dein Pass ist nicht abgelaufen.“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.07 | Des Knaben Wunderhorn

Sie umgehen Luzern. Als sie auf den See stoßen, hat die Dämmerung eingesetzt. Zum ersten Mal die Berge. Blau, steil. Die Häuser mit den tief gezogenen Dächern. Zypressen. Eine Ahnung von Süden. Still das Wasser. Die Fähre malt zwei Linien.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.08 | Mehr wissen

Sie sitzen in der Gaststube. Holz und Zinn und Steingut. Gläser stehen vor ihnen. Teller. Um sie herum sind Menschen, ist matte Beleuchtung. Geschäftigkeit und Lachen. Weil alles fremd ist, gehören sie zusammen. Sie essen. Hungrig und doch stockend. Hier und jetzt haben sie nur sich.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.09 | Tunnelblick

Sie gehen zusammen in den Frühstücksraum. Sie trinken Kaffee und essen Brötchen. Die Brötchen sind kross. Die Marmelade ist gut. Frauen sitzen in Kostümen, Männer in Jacken ohne Kragen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.10 | Grandhotel

Draußen ist es hell. Sehr hell. Erwartet und überraschend zugleich. Gregor fährt den Wagen von der Rampe. Abwärts. Italien entsteht. Der Stil der Häuser, die Aufschriften. Erste staubige Palmen. Sie gleiten hinein in das Paradies der Urlaubsziele und Ruhesitze.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.11 | Abseits der Moral

Mark gibt Iris einen Kuss und geht mit Gregor hinaus. Iris steht wie angewurzelt. Sie gehen zum Auto. Mark stockt plötzlich und nimmt Gregors Arm. „Ich habe gar keinen Führerschein“, sagt er. Gregor starrt ihn an. „Was?!“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.1 | Zigeuner-Party

„Hast du etwa gern Männer um dich, die am ganzen Körper behaart sind?“, fragte Frau Benedikt ihren Besucher. Sie hatte Christoph mit dieser Frage nur beeinflussen wollen: Er sollte finden, dass sie den Gärtner zu Recht gewechselt hatte. Und so glaubte ihr Gast, sich die Antwort besser zu versagen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.2 | Mut machen

Sie lagen nebeneinander auf Liegestühlen und hatten die Augen geschlossen. Die Sonne brannte Christoph wie das hitzige Scheuern eines aufgeregten Körpers. Sie biss ihm ins Gesicht und glühte auf seinen Beinen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.3 | An der Leine

Plötzlich hatte Chico zu knurren angefangen. Ein langgezogener, aufdringlicher Laut, der in heftiges Bellen überging. Christoph drehte sich um, und in zwei Sätzen war der Hund bei ihm, sprang an seinen Beinen hoch und leckte ihm über die Oberschenkel.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.4 | Personal

Ein Mann kam ums Haus, nickte Christoph zu und sagte etwas auf Spanisch. Er war etwa dreißig, hatte ein freundliches, unbedeutendes Gesicht und eine gedrungene Gestalt. Sein Arbeitsanzug ließ darauf schließen, dass er Handwerker war.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.5 | Brandung

Christoph war jetzt allein. Die Sonne stach. Die Luft war reglos. Die Erde fieberte. Christoph atmete die Hitze ein. Seine Haut brannte. Von den Mimosensträuchern quoll ein weicher, einschmeichelnder Geruch herüber. Irgendetwas wie Gefräßigkeit lagerte oberhalb der Palmen und Ziegel ...

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.6 | Dunkler Fleck

Aus Carolas Schlafzimmer drang ein kurzes Lachen, etwas nervös, etwas unecht. Christoph klopfte vorsichtig. „Christoph?“ „Ja.“ „Komm rein!“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.7 | Spielen

„Nein, vielen Dank, wirklich nicht! Ich krieg’ keinen Bissen mehr runter. Es war wirklich ausgezeichnet, aber jetzt muss ich aufhören, sonst schlafe ich ein.“ Carola lächelte geschmeichelt. Der Kerzenschimmer und das Alter gaben ihr etwas Geheimnisvolles; ein Zauber, der besonders an Abenden wie diesem zur Geltung kam und von vier Gläsern Sangria eher gedämpft als unterstrichen wurde.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.1 | Eine Seereise

Da war es wieder und plötzlich ganz dicht unter ihr: das Meer. Anette stand über die Reling gebeugt und starrte auf das Wasser, das in leichter Unruhe vibrierte: ein mildes Auf und Ab, das sie verwirrte, ohne ihr näher zu kommen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.2 | An Deck

„Was soll ich machen?“, fragte Anette. „Soll ich auf Ihr Spiel eingehen?“ Er sah sanft aus. Hinter der Offenheit seines Gesichts lag der Ernst, mit dem man ein Geheimnis hütet – sein eigenes und das der anderen. Der Wille zu schützen, das Wissen, schutzlos zu sein. Gefährdung und Zerbrechlichkeit strömen eine eigenartige Kraft aus, vielleicht ist es auch nur ein Reiz.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.3 | Identitäten

Die Musik hatte ausgesetzt. Klatschen und der Lärm, den Fröhlichkeit verursacht, unverdaute Rückstände von Freude. ‚Luxusschiff‘, dachte Anette, ‚Traumjacht, Musikdampfer, Fähre zur Unterwelt.‘ – „Ich habe keine Lust mehr“, sagte sie. Er riss den Kopf herum. „Wozu?“, fragte er scharf.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.4 | In der Kabine

„Ich habe die Grenze erreicht“, sagte Andreas. „Ich bin über alle Schatten gesprungen. Ich habe einen Gehirntumor. Unheilbar. Operation wäre zwecklos. – Klingt furchtbar, nicht?

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.5 | Die Überschrift

Sie wollte eine Beruhigungspille nehmen und griff, immer noch benebelt von der Schlaftablette, in die Nachttischschublade. Ihre Finger fühlten Papier. Ein Zucken durchlief ihren ganzen Körper. Sie sprang auf, riss das Paket heraus und zerrte an dem Umschlag. Es war ein Stoß Papier.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

4.6 | Resümee

Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei. Den Musik-Boxen fehlt der letzte Groschen. Der Schnaps ist alle. Ich hau’ mich in die Falle.

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Kapitel 1: Ein Stell-dich-ein

Die erste von vier Begegnungen im Sommer 1972

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.1 | Nichts Besonderes

Eine Schar Kinder läuft über das Feld, barfuß, mit bunten Kerzen. Der Wind bläst die Lichter aus. Sie wirbeln auseinander. Fühlst du dein Herz klopfen?

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.2 | Auch nichts Besonderes

Der Brief war fertig. Im Netz: War er die Spinne oder die Fliege? Sie zog die Blätter heraus, entfernte das Kohlepapier und legte den Brief und die Kopien in die Unterschriftenmappe, dann spannte sie den nächsten Bogen ein. Augen zu, einfach abschalten und losschießen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.3 | Überhaupt nichts Besonderes

Punkt zwölf stand Frau Kleide in der Tür: „Kommst du?“ Er brütete über den Unterlagen. Sie sah auf die Uhr: „Ist es schon wieder so weit?“ Die Seite müsste er fotokopieren. Ein wenig erschrak sie über das Fortschreiten der Zeit.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.4 | Wieder nichts Besonderes

Sie lief die Mönckebergstraße entlang. Er saß in der Mensa. Ein azurblauer Kaschmir-Pullover in einem der Schaufenster gefiel ihr. Gulasch, er kaute lustlos. Sie blieb stehen. Widerwillig stocherte er mit der Gabel zwischen den Fleischbrocken herum. Den könnte sie sich eigentlich leisten.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.5 | Immer noch nichts Besonderes

Im Café traf er ein paar Freunde. Dann ging sie zu Frau Kleide, wegen Gutzenka. Sie redeten übers Studium. Frau Kleide fragte: „Finden Sie wirklich, dass er gut aussieht?“ Er hatte die meisten Scheine; für die Anzahl seiner Semester war er ziemlich weit.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

1.6 | Ausgefallen!

Es war kurz vor acht, und er war leicht betrunken. Sie war erschöpft nach Hause gekommen und hatte sich gleich hingelegt. Ein Drittel der Whiskyflasche war ausgetrunken. Jetzt wachte sie auf. Als ob er es nötig hatte, sich Mut zu machen! Sie sah auf die Uhr und erschrak.

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Kapitel 2: Lift nach Lugano

Die zweite von vier Begegnungen im Sommer 1972

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.01 | Worum es geht

Die schwer zu beantwortende Frage: Ist dem Leben mit irgendwelchen Moralvorstellungen beizukommen? Nehmen wir zum Beispiel einen Mann von 34, Hans Schmidt, oder wenn das zu billig klingt, meinetwegen Gregor Sollendorf. Der Nachname klingt ein bisschen ambitioniert, aber – macht nichts, er kommt nur einmal vor.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.02 | Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn

Sie sagen wieder lange Zeit nichts. „Ist es Ihnen recht, wenn ich das Fenster aufmache?“, fragt Mark kurz vor Hannover. Es ist schon sehr heiß im Wagen. „Ja sicher.“ Gregor hat einen Entschluss gefasst. Er sieht dem Jungen zu, wie er das Fenster runterkurbelt: Das knappe weiße Hemd bringt den Oberkörper gut heraus: sehnig, fest, geschmeidig.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.03 | Rollentausch

Bei Kassel müssen sie tanken. „Soll ich mal fahren?“, fragt Mark. „Kennen Sie den Wagen?“, fragt Gregor zurück. „Ja, so ziemlich.“ Gregor lächelt skeptisch. „Was heißt das? Sie haben ihn schon mal an der Kreuzung vorbeifahren gesehen?“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.04 | Im Stau

Der Wagen fährt langsamer, noch langsamer, steht. Gregor öffnet die Augen. „Schlange“, sagt Mark. „So weit man sehen kann Autos.“ Gregor richtet sich auf: Beide Spuren sind verstopft. „Wir hätten früher fahren sollen“, sagt Mark. „Ich hab’ fast ’ne Stunde auf dich gewartet.“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.05 | Roadmovie

„Die Tankstelle hinter Rastatt hat eine Raststätte“, sagt Mark. „Das beflügelt wohl dein Texterhirn, ist aber, wie das meiste in der Werbung, falsch!“, berichtigt ihn Gregor. „Es handelt sich hier um eine Imbissstube.“ Sie gehen hinein. Mehr ist es wirklich nicht.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.06 | Hart an der Grenze

Eine Weile lang sagen sie nichts. „Freiburg“, eröffnet Mark das Gespräch wieder, als sie an der Ausfahrt vorbeifahren. Der Himmel hat sich bewölkt. Kleine, harmlose Schäfchenwolken. „Ja, wir sind bald an der Grenze“, sagt Gregor. „Ich hoffe, dein Pass ist nicht abgelaufen.“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.07 | Des Knaben Wunderhorn

Sie umgehen Luzern. Als sie auf den See stoßen, hat die Dämmerung eingesetzt. Zum ersten Mal die Berge. Blau, steil. Die Häuser mit den tief gezogenen Dächern. Zypressen. Eine Ahnung von Süden. Still das Wasser. Die Fähre malt zwei Linien.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.08 | Mehr wissen

Sie sitzen in der Gaststube. Holz und Zinn und Steingut. Gläser stehen vor ihnen. Teller. Um sie herum sind Menschen, ist matte Beleuchtung. Geschäftigkeit und Lachen. Weil alles fremd ist, gehören sie zusammen. Sie essen. Hungrig und doch stockend. Hier und jetzt haben sie nur sich.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.09 | Tunnelblick

Sie gehen zusammen in den Frühstücksraum. Sie trinken Kaffee und essen Brötchen. Die Brötchen sind kross. Die Marmelade ist gut. Frauen sitzen in Kostümen, Männer in Jacken ohne Kragen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.10 | Grandhotel

Draußen ist es hell. Sehr hell. Erwartet und überraschend zugleich. Gregor fährt den Wagen von der Rampe. Abwärts. Italien entsteht. Der Stil der Häuser, die Aufschriften. Erste staubige Palmen. Sie gleiten hinein in das Paradies der Urlaubsziele und Ruhesitze.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

2.11 | Abseits der Moral

Mark gibt Iris einen Kuss und geht mit Gregor hinaus. Iris steht wie angewurzelt. Sie gehen zum Auto. Mark stockt plötzlich und nimmt Gregors Arm. „Ich habe gar keinen Führerschein“, sagt er. Gregor starrt ihn an. „Was?!“

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Kapitel 3: Vorsicht, zärtlicher Hund!

Die dritte von vier Begegnungen im Sommer 1972

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3.1 | Zigeuner-Party

„Hast du etwa gern Männer um dich, die am ganzen Körper behaart sind?“, fragte Frau Benedikt ihren Besucher. Sie hatte Christoph mit dieser Frage nur beeinflussen wollen: Er sollte finden, dass sie den Gärtner zu Recht gewechselt hatte. Und so glaubte ihr Gast, sich die Antwort besser zu versagen.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.2 | Mut machen

Sie lagen nebeneinander auf Liegestühlen und hatten die Augen geschlossen. Die Sonne brannte Christoph wie das hitzige Scheuern eines aufgeregten Körpers. Sie biss ihm ins Gesicht und glühte auf seinen Beinen.

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3.3 | An der Leine

Plötzlich hatte Chico zu knurren angefangen. Ein langgezogener, aufdringlicher Laut, der in heftiges Bellen überging. Christoph drehte sich um, und in zwei Sätzen war der Hund bei ihm, sprang an seinen Beinen hoch und leckte ihm über die Oberschenkel.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.4 | Personal

Ein Mann kam ums Haus, nickte Christoph zu und sagte etwas auf Spanisch. Er war etwa dreißig, hatte ein freundliches, unbedeutendes Gesicht und eine gedrungene Gestalt. Sein Arbeitsanzug ließ darauf schließen, dass er Handwerker war.

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.5 | Brandung

Christoph war jetzt allein. Die Sonne stach. Die Luft war reglos. Die Erde fieberte. Christoph atmete die Hitze ein. Seine Haut brannte. Von den Mimosensträuchern quoll ein weicher, einschmeichelnder Geruch herüber. Irgendetwas wie Gefräßigkeit lagerte oberhalb der Palmen und Ziegel ...

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3.6 | Dunkler Fleck

Aus Carolas Schlafzimmer drang ein kurzes Lachen, etwas nervös, etwas unecht. Christoph klopfte vorsichtig. „Christoph?“ „Ja.“ „Komm rein!“

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Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei

3.7 | Spielen

„Nein, vielen Dank, wirklich nicht! Ich krieg’ keinen Bissen mehr runter. Es war wirklich ausgezeichnet, aber jetzt muss ich aufhören, sonst schlafe ich ein.“ Carola lächelte geschmeichelt. Der Kerzenschimmer und das Alter gaben ihr etwas Geheimnisvolles; ein Zauber, der besonders an Abenden wie diesem zur Geltung kam und von vier Gläsern Sangria eher gedämpft als unterstrichen wurde.

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Kapitel 4: Die letzte Geschichte

Die letzte von vier Begegnungen im Sommer 1972

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4.1 | Eine Seereise

Da war es wieder und plötzlich ganz dicht unter ihr: das Meer. Anette stand über die Reling gebeugt und starrte auf das Wasser, das in leichter Unruhe vibrierte: ein mildes Auf und Ab, das sie verwirrte, ohne ihr näher zu kommen.

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4.2 | An Deck

„Was soll ich machen?“, fragte Anette. „Soll ich auf Ihr Spiel eingehen?“ Er sah sanft aus. Hinter der Offenheit seines Gesichts lag der Ernst, mit dem man ein Geheimnis hütet – sein eigenes und das der anderen. Der Wille zu schützen, das Wissen, schutzlos zu sein. Gefährdung und Zerbrechlichkeit strömen eine eigenartige Kraft aus, vielleicht ist es auch nur ein Reiz.

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4.3 | Identitäten

Die Musik hatte ausgesetzt. Klatschen und der Lärm, den Fröhlichkeit verursacht, unverdaute Rückstände von Freude. ‚Luxusschiff‘, dachte Anette, ‚Traumjacht, Musikdampfer, Fähre zur Unterwelt.‘ – „Ich habe keine Lust mehr“, sagte sie. Er riss den Kopf herum. „Wozu?“, fragte er scharf.

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4.4 | In der Kabine

„Ich habe die Grenze erreicht“, sagte Andreas. „Ich bin über alle Schatten gesprungen. Ich habe einen Gehirntumor. Unheilbar. Operation wäre zwecklos. – Klingt furchtbar, nicht?

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4.5 | Die Überschrift

Sie wollte eine Beruhigungspille nehmen und griff, immer noch benebelt von der Schlaftablette, in die Nachttischschublade. Ihre Finger fühlten Papier. Ein Zucken durchlief ihren ganzen Körper. Sie sprang auf, riss das Paket heraus und zerrte an dem Umschlag. Es war ein Stoß Papier.

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4.6 | Resümee

Die Zeit der Ringelblumen ist vorbei. Den Musik-Boxen fehlt der letzte Groschen. Der Schnaps ist alle. Ich hau’ mich in die Falle.

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Europa im Kopf

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Europa im Kopf

#1.1 Selbstmord oder Selbstbetrug

Die Idee von Europa als Einheit ist nicht neu. Caesar hatte sie schon, Napoleon auch und Hitler erst recht: alles am Ende scheiternde Eroberungskriege von Diktatoren. Karl der Große bekam das Konzept am besten in den Griff, das ist allerdings über 1 200 Jahre her, und eine Union gleichberechtigter Partner war sein Reich genauso wenig, wie es von den Römern oder den Faschisten geplant war. Im Übrigen ging es durch die Jahrhunderte eher um Abgrenzung: Katholiken gegen Protestanten, Franzosen gegen Preußen, Deutsche gegen den Rest der Welt.

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Europa im Kopf

#1.2 Polizistenmord oder Freispruch

Als wir die Reise am Sonntag, dem 2. August 2015, erwartungsfroh antraten, schien zum ersten Mal seit Langem plötzlich wieder die Sonne. Überrascht waren wir trotzdem nicht: Wir hatten den Wetterbericht gelesen.

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Europa im Kopf

#1.3 Ohne Feuer kein Ruhm

Zehn Jahre später kaufte sich Guntram einen neuen Mercedes und gab mir seinen alten. Nochmal zehn Jahre später, Roland war schon tot, kaufte sich Guntram wieder einen neuen Mercedes und gab mir wieder seinen alten. Mit dem fuhren Silke und ich gerade eines Vormittags über Weimar nach Meran, Guntram war inzwischen ebenfalls tot, als die frisch inspizierte Limousine bei Erfurt stehen blieb und nicht weiterwollte.

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Europa im Kopf

#1.4 Der zahme Westen

Silke fand – nach kurzer Bestürzung im Hirn – im aufgeweckten Netz als Ersatz für die Pension ‚Dittberner‘ das Hotel ‚The Dude‘, und wir fanden es nach einigen Navi-Umwegen auch und angenehm dort. Das Hotel behauptet ‚Mitte‘ zu sein, na ja, es liegt im allerletzten Abschnitt der prolligen Köpenicker Straße, unmittelbar vor Kreuzberg, aber man ist schnell an der Spree und an der Schloss-Attrappe und wird freundlich bedient. Wie immer bekam ich ein Zimmer neben dem Fahrstuhl, aber es war das einzige Mal auf der Reise, dass ich deswegen Raum und Stockwerk wechselte.

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Europa im Kopf

#1.5 Einzelkind

Seit der Einschulung war Detlev Fuhrmann mein bester Freund. Er war verwegen und schlug alle zusammen, die mich auch nur schief anguckten. Außerdem fiel er vom Steg in den See, und es war hilfreich für ihn, dass ich besser schreien als prügeln konnte. Seine Mutter hieß Hella und hatte, dazu passend, ein Lampengeschäft am Kurfürstendamm.

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#1.6 Berlin im Kopf

Berlin: Blut und Boden hatten in diesem viele Jahrtausende lang unbehausten Landstrich gerade wieder mal versagt. Trotzdem waren Ende der Vierzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts noch etliche Zeitzeugen, zu denen ich ja nun auch demnächst gehören würde, vorhanden: solche, die sich als Nachfolger der trutzigen Germanen fühlten, und solche, die sich wie lebenserneuernde Sozialisten vorkamen. Sie alle wollten aus den Reichstrümmern ihre jeweilige – alte oder neue – Welt aufbauen.

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#1.7 Das Tor zur Welt

Um mein Verhalten nicht nur zu erwähnen, sondern auch zu rechtfertigen, muss ich noch früher einsetzen, kurz nach dem Eisprung: Ich bin kein Kriegskind. Ich wurde somit von Hitler nicht mehr als Ersatz für die Gefallenen benötigt. Meine Mutter war sowohl ledig als auch staatenlos. Eine Abtreibung wäre also eigentlich in unser aller Sinne gewesen.

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#1.8 Altklug, heimtückisch, aufgewühlt

Unsere Haushälterin war zunächst Maria Bartsch aus Breslau gewesen. Sie wechselte dann aber zu Knapps in die Nachbarvilla, die unzerbombt war und immer noch steht. Frau Knapp hatte uns Maria auf die mieseste Weise, die es gibt, weggestohlen: Sie zahlte mehr. Kein Wunder, ihrem Mann gehörte am Kurfürstendamm der ‚Gloria-Palast‘, in dem sagenumwobene Filme wie ‚Die Sünderin‘ Premiere feierten. Ich meine: ‚Gloria!-Palast!‘ Gegen so etwas konnte man mit einem zerflickten Haus wie unserem natürlich nicht ankommen, und deshalb übernahm die achtzehnjährige, preiswerte Annemarie aus Paulinenaue Marias Aufgaben.

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#1.9 Kommunion mit Brausepulver

Heulend nahm ich drei Monate später Abschied von Berlin: Veränderungen war ich ja seit dem Mutterleib abhold und wollte nichts, schon gar nicht nach Hamburg. Wieder einmal waren es Ottos, die wohltuend in mein Leben eingriffen, indem sie mir versicherten, dass es zwischen Hamburg und Berlin einen Tunnel gäbe. Er führe unter der Elbe hindurch, und das sei wirklich so, denn sie selbst seien da auch schon mal durchgefahren.

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#1.10 Geburtstag mit Einstein

Das Schildhorn, diese Landzunge, die in die Havel ragt, gehört zu meinen Lieblingsplätzen, seit ich das erste Mal dort war. Das war am 3. September 1987 gewesen: Ich war aus Wien eingetroffen, hatte mein Gepäck in der ‚Kempinski‘-Halle zurückgelassen und war mit Michael Zachow und seinem Freund, dem Architekten Jürgen Haug, herausgefahren aus der Stadt. Beide kannte ich durch Roland. Es war ein Abend wie Anfang August: Kähne in der Abendsonne, Lachen in der Luft. Junge Menschen, volle Tische, gutes Essen. Meine erste Reise seit Rolands Lungenoperation, der Anfang vom Ende. Vor zehn Wochen hatten wir damals an meinem Geburtstag auf dem Haveldampfer ‚Großer Kurfürst‘ Würstchen gegessen. Inzwischen war die Welt eingestürzt.

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#1.11 Verschlungene Pfade

Aufwachen ist nichts, was mir gefällt. Ich genieße meine fast immer komplizierten und meist furchtbaren Träume – natürlich erst hinterher, wenn ich mich dafür bewundere, so kompliziert geträumt zu haben, und mich beruhige, dass das wahre Leben ja nicht ganz so furchtbar ist wie meine Träume. Ich war ein verschrecktes Kind, das, wenn überhaupt, nur mit Lampenlicht schlafen konnte und die Helligkeit des Morgens ängstlich herbeisehnte.

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#1.12 Potsdam im Sitzen

Silke eilte voraus zum Anleger, löste die vorbestellten Billetts und erwartete uns vor einem der Schiffe, vermutlich unserem. Martin zuckelte wieder mal hinterher, aber selbst er bekam noch einen der letzten Plätze an Deck. Es war richtig heiß, ‚warm‘ wäre das verkehrte Wort gewesen. Die Leute sahen aus, wie man das auf Ausflugsdampfern gewohnt ist, und fingen bald an, Bier zu bestellen.

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#1.13 Etwas erleben

Als besonders gut und schön gelegen hatte ich das ‚Katz Orange‘ ergoogelt. Dahin fuhren wir nun nicht. Man hatte Silke dort vor vierzehn Tagen einen Tisch um sieben oder um halb neun angeboten. Solche Einschränkungen kann ich nicht besser ausstehen als Frühstücksbuffets. Da gefiel mir das ‚Brecht’s‘ dann schon besser.

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#1.14 Die ganze Zeit

Viertel nach neun klopfte Rafał an die ‚Dude‘-Tür: „Alles gut?“, fragt er jeden Morgen, und jedes Mal möchte ich antworten: „Nein. Sieh dir die Welt doch an! Nichts ist gut!“, und jeden Morgen antworte ich: „Ja“.

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#1.15. „Lebensort Vielfalt“

Es war wieder Morgen, und ich sah auf die Stadt, mein Stück Stadt: erst von oben aus dem Mansardenfenster im vierten Stock, dann auf der Straße, auf dem Stuhl vor dem ‚Dude‘. Früher gehörte mir die ganze Welt, jetzt muss ich mich mit dem Ausschnitt begnügen, den meine Beine meinen Augen gestatten.

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#1.16 Siebzehn Stationen bis zur kleinen Ewigkeit

1969 waren meine Mitlehrlinge und ich am freien 1. Mai abenteuerlustig und deshalb fuhren wir zu fünft mit unserem Schönsten: Achim Hauenschild und seinem Auto über den Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße nach Ostberlin. Das Wetter war schlecht, die Parade war vorbei, die Innenstadt wirkte ausgestorben. Ich schlug vor, nach Köpenick zu fahren; das war, wegen des Hauptmanns, der einzige Ost-Stadtteil, dessen Namen ich kannte. Ich kam mir fremd vor wie in Nigeria ...

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#1.17 Vom kulinarischen Mosaik zu den sauren Gurken

Das ‚NENI‘ ist sehr angesagt und rühmt sich eines großartigen Blickes über Berlin. Das stimmt schon, allerdings ist die Silhouette von Berlin nicht besonders großartig, und von da aus schon gar nicht. Tische und Stühle vermitteln den Eindruck eines skandinavischen Kindergartens, was in mir aber keine Großvatergefühle weckte. Wir saßen in der Mitte, konnten in alle Richtungen nach draußen gucken, den Lärm genießen und die Speisekarten studieren. Zum Essen und Konzept vom ‚NENI‘ Berlin gehört immer der ‚teilende, leidenschaftliche Moment‘, las ich.

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#2.1 Elbsand und Alsterwasser

Bisher war ich nur selten in Sachsen gewesen und ausschließlich in Leipzig, zuerst 1997 mit meiner Cousine Marina und deren Mann Florian. Wir besuchten da auf einen Nachmittag ihren mittleren Sohn ‚Nicki‘, der sich aber mit seinem Vater so in die Haare kriegte, dass wir zum Abendessen schon wieder auf dem Gendarmenmarkt saßen.

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#2.2 Die entmachtete Vergangenheit

Für den Samstagabend hatte ich ursprünglich das prominente ‚Taschenbergpalais‘ vorgesehen, schon um Silke wieder mal was ohne Papierservietten zu bieten. Es behauptet von sich, es sei ‚Treffpunkt für Feinschmecker und Liebhaber internationaler Tafelkultur: Das Restaurant ‚Intermezzo‘ überzeugt mit bodenständiger Eleganz und raffinierter Einfachheit‘. Kann man mehr verlangen?

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#2.3 Der Gedanke ersetzt die Tat

Giuseppe kam als Erster, dann auch Rafał und schließlich Silke: Mit Kleid kann man sich ja viel effektvoller aufbrezeln als mit Hemd und Hose, und mit einer alterslosen Dame als Gallionsfigur oder im Schlepptau macht man ohnehin mehr her, als drei Kerle unterschiedlichen Alters das von sich aus vermögen. Martin hatte Ausgang.

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#2.4 Plan B

Am Sonntag fiel die Dampferfahrt die Elbe herauf ins Elbsandsteingebirge nicht ins Wasser, sondern, im Gegenteil, aus, weil die Elbe ausgefallen war. Das wussten wir schon seit Samstagmittag, so dass ich bereits einen Elb-Ersatzplan hatte schmieden können, der Martin enger einband.

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#2.5 Schlechtes Benehmen in feiner Umgebung

Das Wetter war ja schön, und so hatte der Tag es verdient, ebenfalls eine schöne Pause zu erhalten. Die bekam er schließlich auch: Schloss Pillnitz an den Weinbergen. Dass es die ehemalige Sommerresidenz Friedrich Augusts des Gerechten war und heute die größte chinoise Schlossanlage Europas ist, wusste ich nicht, war aber sowieso weder mit gerechten Augusten noch mit chinoisen Anlagen so richtig vertraut, nicht mal in chinesische Wertpapiere habe ich Vertrauen.

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#3.1 Aussteigen oder sitzen bleiben

Zum ersten Mal in meinem Leben in Böhmen. Nostalgiker nennen es noch Tschechoslowakei. Sudetendeutsche Landsmannschaften und Egerländer Blaskapellen mussten wir ja bei unserem Einmarsch nicht mehr befürchten; wir alle fühlen uns solchem Brauchtum gegenüber nicht gewachsen. Mir war aber etwas ähnlich Schlimmes eingefallen: Theresienstadt, weil es an der Strecke liegt.

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#3.2 Was kein Prager missen möchte

Im Osten herrschte bis 1989 die Partei, aber nicht durchgehend Ruhe. Am 16. Januar 1969 verbrannte sich der tschechoslowakische Student Jan Palach selbst und lief in Flammen stehend vom Nationalmuseum auf den Wenzelsplatz. Auf dem saßen wir nun, doch statt des Atems der Geschichte wehten in der Nachmittagshitze leicht bekleidete Gestalten an uns und unseren Drinks vorbei. Der Unterschied zu 16.00 Uhr auf der Reeperbahn war nicht gravierend, musste ich mir eingestehen.

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#3.3 Schleusenfahrt mit Belustigung

Morgens schließe ich mich ja immer aus und fühle mich auch so: ausgeschlossen. Dabei könnte ich das ändern und zum Frühstücksbüffet pilgern. Ausgeschlossen! Wenn Rafał an meine Tür klopft, hat Silke schon einen Espresso nebst einem vanillelosen Croissant zu sich genommen, Rafał wenig, Giuseppe viel, und Martin schläft noch. So stelle ich mir das vor, wissen tue ich nur, dass ich kraus geträumt habe und dass ich Leibschmerzen habe, unten rechts ...

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#3.4 Im ‚Parnas‘

Erfreulicherweise war das Mittagessen ausgefallen. Nachmittags durchstreift Rafał gern mit Silke die Boutiquen, nachts die Bars lieber mit Giuseppe. Ich ging in mein Zimmer und übte im Hellgrünen eifrig am Anfängerkurs der schwierigen Disziplin ‚Appetit haben‘.

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#3.5 Im hängenden Café

Silkes und mein Arbeitstag begann um 11.00 Uhr mit einer weiteren Rikscha-Fahrt; Velotaxi heißen diese Folterinstrumente hier. Die anderen drei waren schon mit Sightseeing beschäftigt. Dem höchst unattraktiven, charmelosen, aber pünktlichen Folterknecht schärfte ich in meinem besten Englisch ein, dass wir nicht die Neustadt, sondern die Altstadt und die andere Seite sehen möchten, was für ihn lästig, aber unvermeidlich war. So ruckelte er uns über Straßen und Plätze, dass mir Hören und Sehen verging.

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#3.6 Ein unvermeidlicher Schlenker

Der Donnerstag war als Reisetag vorgesehen. Doch als dann um zehn Uhr wirklich alles Gepäck auf die beiden Wagen verteilt war, kamen mir Zweifel. In anderthalb Stunden würden wir in Brünn sein. Was gab es da wohl zu erleben? Wenig, vermutete ich. Karlsbad war doch nach Prag der bekannteste Ort in Tschechien. Ein kleiner Abstecher wäre ja wohl drin.

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#4.1 In den Kulissen verspielter Stücke

Diese Strecke war ich erst ein Mal im Leben aus Wien heraus- und dann wieder nach Wien zurückgefahren: mit Hanns und Franz. Die Nacht war fast schlaflos gewesen, in den Privaträumen des Opernintendanten Egon Seefehlner, in einer Abstellkammer, in die ich mich mit jemandem zurückgezogen hatte, auf den ich unmöglich hatte verzichten können.

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#4.2 Ausgaloppiert

Vor dem ‚Imperial‘ wartete Martin mit der Kamera. Ich gab mir Mühe, ungekünstelt auszusteigen, so wie man eben im Jahr 2015 seine Kutsche verlässt, mit einem Bein, auf das man sich verlassen kann, und einem, das dazu neigt, seinem Besitzer Streiche zu spielen.

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#4.3 Heiße Nächte, kalter Dreck

Freitagnacht in Wien: Das hatte immer mit einem Essen begonnen, manchmal war ich eingeladen gewesen, oft hatte ich gezahlt, immer auf Geschäftskosten. Mal mit Künstlern, mal mit Lebenskünstlern – gehörte ich selbst zu einer von beiden Gruppen? Danach, wenn es früh genug war, noch woanders hin, sonst gleich in den ‚Stiefelknecht‘; Name war Programm, so dass ich mich auch hier als Außenseiter fühlen konnte.

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#4.4 Über den Naschmarkt fahren

Rafał hatte unter Tag frei. Ein Freundespaar war seinetwegen vom Attersee zurückgekehrt, am Abend wollten wir uns alle beim Heurigen treffen. Ich sah aus meinem hohen Fenster, wie Rafał über die Straße ging und wie er in der Ferne die beiden Schwuchteln begrüßte, ...

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#4.5 Ein Interview im Nirgendwo

Pünktlich um 12 Uhr waren wir da. Die Stühle standen auf den Tischen, draußen, aber drinnen auch. Im ‚Otto e Mezzo‘ brannte kein Licht, die Tür war verschlossen. Wie üblich hatte ich mein Handy nicht dabei.

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#4.6 Was sein könnte und was nicht

Silke und Giuseppe trafen im Restaurant ein, kaum dass Glavinic und ich saßen. Nur höhere Gewalt kann Silke unpünktlich machen. Ich sah über den Platz, den ‚Rilkeplatz‘, kein eindrucksvolles, kein störendes Stück Wien, und bestellte ‚dalmatinischen Prosciutto mit Schafskäse‘, da konnte nichts schiefgehen.

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#4.7 Zwei brechen ab, drei brechen auf

Martin kam, um unser beschauliches Mittagessen zu stören. Ein Oligarch im weißen Bademantel hatte sich seinerseits durch die Drohne gestört gefühlt und seine Bodyguards angewiesen, dem Treiben Einhalt zu gebieten.

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#5.1 In Sackgassen

Beide waren wir kleiner gewesen, als wir uns kennenlernten: Meran und ich. Meran hatte noch keine Vorstadthäuser, ich noch keine Barthaare. 1954, ich war acht. Zum ersten Mal in den Bergen. Ich mochte sie lieber als die graue Nordsee der vergangenen Jahre und genauso gern wie die Adria, von der wir gerade kamen.

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#5.2 Gedanken, Gefühle, Geschichte

Selbstverständlich waren auch die beiden Meran-Tage voll durchgeplant. Eigentlich dienten sie nur dazu, die Herbstgarderobe nicht nach Restitalien weiterschleppen zu müssen, sondern sie dort lassen zu können, wo sie ab Oktober gebraucht würde.

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#5.3 Verführung

Um zehn Uhr hatte sich Rafał vor Ort davon überzeugt, dass Silke nicht bereit war aufzustehen, und auch Martin hatte er im Ort nicht aufgespürt. Ich rief Giuseppe an und teilte ihm mit, wir würden uns ein wenig verspäten, übrigens seien wir nur zu zweit.

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#6.1 Posieren oder abtauchen

Der ‚Exhibitionist‘ kam in Sicht. So habe ich die Statue des Generals Gaetano Giardino getauft. Er hat sich im ersten Weltkrieg Ruhm erworben, steht am Ende der nach ihm benannten Straße auf dem Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen und blickt über die Schlucht zu seinen Füßen hinweg in die letzten Berge der Alpen.

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#6.2 Aufklärung

Nachmittags zeigten Giuseppe und ich Rafał Bassano aus dem Blickwinkel des gusseisernen Generals. Ich hatte mal, zu Lebzeiten der Tata, die Idee, für ein Jahr nach Bassano zu ziehen und fließend Italienisch zu lernen.

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#6.3 In richtig feiner Umgebung

Wir waren um acht die ersten Gäste, aber der lang gestreckte Raum füllte sich schnell. Alle waren elegant gekleidet und sahen aus, wie man es aus Lifestyle-Magazinen kennt, die Wissbegierige beim Friseur durchblättern, um das Lebensgefühl von Frauen zu ergründen ....

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#6.4 Im Banne der geistigen Schamlosigkeit

Zusammen mit meinem Gin Tonic kamen sehr interessante Wolken. Wie immer kippte ich das Eis weg; in einem Garten geht das fast unauffällig. Eis verwässert den Drink und schadet dem Magen.

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#6.5 Karriere ohne Gift

1972 hatten Pali und ich also noch bei Frau Kopp geschlafen, und auch Irene nächtigte dort, als Harald und ich 1975 aus Rom eintrafen. Irene hatte sich mit Pali als Schwiegersohn abgefunden, zumal er über die Westberliner Theaterszene noch etwas besser Bescheid wusste als sie selbst.

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#6.6 Lido

Am Abend gingen wir in die ‚Favorita‘. Es war einfach toll. Diese Ausgelassenheit der Gutgekleideten, eine Stimmung, die als Wortschwall zur Terrassendecke aufstieg und in die Teller mit Scampi und Cozze zurückregnete wie Zitronensaft, so empfand ich es.

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#6.7 Venedig satt

War es eine gute Idee, ausgerechnet den Sonntag für den Venedig-Ausflug vorzusehen? In all den Jahren sind wir frühestens gegen vier aufgebrochen, um nicht eher am ehrwürdigen, verhunzten Gestade anzulegen, als bis zumindest die Tagestouristen das Weite des Vorlandes gesucht und zweifellos auch gefunden hatten.

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#6.8 Abhängig sein

Am Montag war schlechtes Wetter. In Meran auch. Martin filmte nicht, sondern fuhr gleich zurück nach Hamburg. Unterwegs bekam er Fieber und legte sich eine Woche lang ins Bett. „La Perla!“, sagte Rafał.

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#6.9 Rausgeschmissen

Am Dienstag ging ich frühstücken. Na und? Erstens mag ich nicht, dass etwas zum Dogma wird, und zweitens liebte ich immer schon dieses ganz dünn geschnittene Weißbrot, das der Hungrige elektrisch-mechanisch durch eine glühende Vorrichtung transportieren lässt, die aus der blassen Scheibe einen dunkelblonden Toast macht ...

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#7.1 Hilfreiche Überwachung

Am Mittwoch reisten wir bei durchweg wolkenfreiem Himmel mit Schiff und Auto vom Lido an den letzten Ort unserer Reise – der längste Aufenthalt, die reinste Entspannung –: Sirmione. Mittwoch bis Mittwoch.

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#7.2 Im Blickfeld

Gegen halb sieben ist aus dem Geschubse in den engen Gassen schon ein erwartungsfreudiges Gedränge geworden, und man findet sogar einen freien Tisch in der ersten oder zweiten Reihe des beliebtesten Cafés an der Piazzetta.

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#7.3 Unten Löwe, oben Raubvogel

Wir gingen in mein Lieblingslokal ‚Il Grifone‘ – zu Deutsch: der Greif –, ein Geschöpf, das – wie Sirmione – im zweiten Jahrtausend vor Christus erstmals erwähnt wird, und zwar in Syrien, dem Land, das ja im Augenblick wieder die Welt und seine Einwohner verstört.

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#7.4 Ein Irrtum nach dem anderen

Auf der Piazzetta trinkt Silke meist Sanbittèr, Rafał immer Aperol Spritz, Carsten manchmal auch, und ich trinke immer Negroni ohne Eis. Von Schluck zu Schluck hoffe ich darauf, dass endlich ein Leeregefühl im Magen oder ein Lustgefühl, den Gaumen zu reizen, einsetzt.

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#7.5 Kopf hoch, Blick zur Seite!

Dienstag der erste September, der letzte Tag der Reise. Von der Havel am ersten Berliner Tag über die Brenta in Bassano hatten wir unsere Zeit überwiegend am Wasser zugebracht; bloß dass Dresden an einem Fluss liegen soll, hatte sich uns nicht erschlossen. Aber, halb so wild: Wir kannten die Elbe ja aus Hamburg.

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#8.1 Erster Weltkrieg, letzter Versuch

Dann waren wir wieder im Trentino, noch am See, aber schon auf K.-u.-k.-Gebiet. Wenn die ‚Strada Statale 45bis‘ und das Navi den Autolenker von himmlischen Höhen hinabschicken nach Riva, dann muss er sich auf andrängende Touristenschwärme gefasst machen.

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#8.2 Im übergeordneten Sinne

Für diesen Aufenthalt hatten wir uns vorgenommen, wieder mehr spazieren zu gehen. Im Sommer hatten wir überwiegend träge im Garten gelegen, ich hatte gelesen und geschrieben, statt die Beine zu bewegen und mein Herz von den Schönheiten der Natur bewegen zu lassen.

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#8.3 Möglichst nicht ermordet werden

Gleich zu Beginn der Reise galt es, eine dramatische personelle Entscheidung durchzusetzen: Bei meinen Eltern waltet Frau Resi mit ihrem sardischen Gatten Fausto. In meiner Wohnung säubert traditionsgemäß Maria, ihr Mann Toni mäht den Rasen.

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#8.4 Wie es im Paradies so zugeht

Mit Rücksicht darauf, dass du schon immer ein unmoralischer Mensch warst und mit zunehmendem Alter immer mehr wirst, beende ich mein seichtes Sonntagsgeplänkel und komme zum Ernst des Wochentäglichen ...

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#8.5 Silke soll was zu essen kriegen

Da meine Mittagsschläfe lang sind und ich ja auch meine Stimme für die abendliche Lyriklesung schulen muss, komme ich nur selten früher in meinem Elternhaus an, als ich den Aufschnitt aus dem Kühlschrank zu nehmen habe. An solch raren Tagen erklimme ich dann die Treppe zum ersten Stock, von wo her ich erregtes Stimmengewirr wahrnehme ...

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#8.6 Porsche für Südtirol

Von da an lief alles nach Plan, also nicht erzählenswert. Wir liefen mit Silke den Tappeinerweg entlang und aßen im Garten von ‚Schloss Labers‘, mit Blick auf Meran.

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#8.7 Die Verantwortung der Kassiererin

‚Unterwegs‘ zu sein bedeutete, als wir Anfang August in der Freien und Hansestadt Hamburg auf Reisen gingen, etwas ganz anderes als jetzt, da wir in der österreichisch-italienischen Welt Merans eingetroffen sind. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich verschwenderisch gewesen, doch leider hatte ich das nicht mal angemessen genießen können. Wieso nicht? Sollte da womöglich etwas Freudlos-Protestantisches in mir schlummern? Mein Stammbaum sagte: „Nein“. Ich sagte: „Mein Preußentum ist schuld.“ Shopping-Queen werde ich wohl nie.

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#8.8 Mehr oder weniger

Torsten aus Osnabrück, von dessen versautem Vorschlag mir Rafał geflissentlich berichtet hatte, ging mich wenig an. Vorbei. Bernstein wollte am Morgen immer genau wissen, wer wie die Nacht mit wem verbracht hatte.

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#8.9 Die Menschen und ihre Götter

Während ich das schreibe, höre ich die Abendglocken aller drei Kirchen läuten: ein vertrauter Klang, der nicht fordert, jedenfalls mich nicht, nicht mehr. Mich ruft kein Muezzin zum Gebet, aber ich sehe ein, dass Menschen, denen es weniger gut geht als mir, mit Geboten und Verboten besänftigt werden müssen, damit sie ihr Schicksal ertragen ...

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1. Kapitel: Preußen

Die Idee von Europa als Einheit ist nicht neu. Caesar hatte sie schon, Napoleon auch und Hitler erst recht: alles am Ende scheiternde Eroberungskriege von Diktatoren. Karl der Große bekam das Konzept am besten in den Griff, das ist allerdings über 1 200 Jahre her, und eine Union gleichberechtigter Partner war sein Reich genauso wenig, wie es von den Römern oder den Faschisten geplant war.

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#1.1 Selbstmord oder Selbstbetrug

Die Idee von Europa als Einheit ist nicht neu. Caesar hatte sie schon, Napoleon auch und Hitler erst recht: alles am Ende scheiternde Eroberungskriege von Diktatoren. Karl der Große bekam das Konzept am besten in den Griff, das ist allerdings über 1 200 Jahre her, und eine Union gleichberechtigter Partner war sein Reich genauso wenig, wie es von den Römern oder den Faschisten geplant war. Im Übrigen ging es durch die Jahrhunderte eher um Abgrenzung: Katholiken gegen Protestanten, Franzosen gegen Preußen, Deutsche gegen den Rest der Welt.

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#1.2 Polizistenmord oder Freispruch

Als wir die Reise am Sonntag, dem 2. August 2015, erwartungsfroh antraten, schien zum ersten Mal seit Langem plötzlich wieder die Sonne. Überrascht waren wir trotzdem nicht: Wir hatten den Wetterbericht gelesen.

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#1.3 Ohne Feuer kein Ruhm

Zehn Jahre später kaufte sich Guntram einen neuen Mercedes und gab mir seinen alten. Nochmal zehn Jahre später, Roland war schon tot, kaufte sich Guntram wieder einen neuen Mercedes und gab mir wieder seinen alten. Mit dem fuhren Silke und ich gerade eines Vormittags über Weimar nach Meran, Guntram war inzwischen ebenfalls tot, als die frisch inspizierte Limousine bei Erfurt stehen blieb und nicht weiterwollte.

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#1.4 Der zahme Westen

Silke fand – nach kurzer Bestürzung im Hirn – im aufgeweckten Netz als Ersatz für die Pension ‚Dittberner‘ das Hotel ‚The Dude‘, und wir fanden es nach einigen Navi-Umwegen auch und angenehm dort. Das Hotel behauptet ‚Mitte‘ zu sein, na ja, es liegt im allerletzten Abschnitt der prolligen Köpenicker Straße, unmittelbar vor Kreuzberg, aber man ist schnell an der Spree und an der Schloss-Attrappe und wird freundlich bedient. Wie immer bekam ich ein Zimmer neben dem Fahrstuhl, aber es war das einzige Mal auf der Reise, dass ich deswegen Raum und Stockwerk wechselte.

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Seit der Einschulung war Detlev Fuhrmann mein bester Freund. Er war verwegen und schlug alle zusammen, die mich auch nur schief anguckten. Außerdem fiel er vom Steg in den See, und es war hilfreich für ihn, dass ich besser schreien als prügeln konnte. Seine Mutter hieß Hella und hatte, dazu passend, ein Lampengeschäft am Kurfürstendamm.

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Berlin: Blut und Boden hatten in diesem viele Jahrtausende lang unbehausten Landstrich gerade wieder mal versagt. Trotzdem waren Ende der Vierzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts noch etliche Zeitzeugen, zu denen ich ja nun auch demnächst gehören würde, vorhanden: solche, die sich als Nachfolger der trutzigen Germanen fühlten, und solche, die sich wie lebenserneuernde Sozialisten vorkamen. Sie alle wollten aus den Reichstrümmern ihre jeweilige – alte oder neue – Welt aufbauen.

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Um mein Verhalten nicht nur zu erwähnen, sondern auch zu rechtfertigen, muss ich noch früher einsetzen, kurz nach dem Eisprung: Ich bin kein Kriegskind. Ich wurde somit von Hitler nicht mehr als Ersatz für die Gefallenen benötigt. Meine Mutter war sowohl ledig als auch staatenlos. Eine Abtreibung wäre also eigentlich in unser aller Sinne gewesen.

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Unsere Haushälterin war zunächst Maria Bartsch aus Breslau gewesen. Sie wechselte dann aber zu Knapps in die Nachbarvilla, die unzerbombt war und immer noch steht. Frau Knapp hatte uns Maria auf die mieseste Weise, die es gibt, weggestohlen: Sie zahlte mehr. Kein Wunder, ihrem Mann gehörte am Kurfürstendamm der ‚Gloria-Palast‘, in dem sagenumwobene Filme wie ‚Die Sünderin‘ Premiere feierten. Ich meine: ‚Gloria!-Palast!‘ Gegen so etwas konnte man mit einem zerflickten Haus wie unserem natürlich nicht ankommen, und deshalb übernahm die achtzehnjährige, preiswerte Annemarie aus Paulinenaue Marias Aufgaben.

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Heulend nahm ich drei Monate später Abschied von Berlin: Veränderungen war ich ja seit dem Mutterleib abhold und wollte nichts, schon gar nicht nach Hamburg. Wieder einmal waren es Ottos, die wohltuend in mein Leben eingriffen, indem sie mir versicherten, dass es zwischen Hamburg und Berlin einen Tunnel gäbe. Er führe unter der Elbe hindurch, und das sei wirklich so, denn sie selbst seien da auch schon mal durchgefahren.

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Das Schildhorn, diese Landzunge, die in die Havel ragt, gehört zu meinen Lieblingsplätzen, seit ich das erste Mal dort war. Das war am 3. September 1987 gewesen: Ich war aus Wien eingetroffen, hatte mein Gepäck in der ‚Kempinski‘-Halle zurückgelassen und war mit Michael Zachow und seinem Freund, dem Architekten Jürgen Haug, herausgefahren aus der Stadt. Beide kannte ich durch Roland. Es war ein Abend wie Anfang August: Kähne in der Abendsonne, Lachen in der Luft. Junge Menschen, volle Tische, gutes Essen. Meine erste Reise seit Rolands Lungenoperation, der Anfang vom Ende. Vor zehn Wochen hatten wir damals an meinem Geburtstag auf dem Haveldampfer ‚Großer Kurfürst‘ Würstchen gegessen. Inzwischen war die Welt eingestürzt.

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Aufwachen ist nichts, was mir gefällt. Ich genieße meine fast immer komplizierten und meist furchtbaren Träume – natürlich erst hinterher, wenn ich mich dafür bewundere, so kompliziert geträumt zu haben, und mich beruhige, dass das wahre Leben ja nicht ganz so furchtbar ist wie meine Träume. Ich war ein verschrecktes Kind, das, wenn überhaupt, nur mit Lampenlicht schlafen konnte und die Helligkeit des Morgens ängstlich herbeisehnte.

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Silke eilte voraus zum Anleger, löste die vorbestellten Billetts und erwartete uns vor einem der Schiffe, vermutlich unserem. Martin zuckelte wieder mal hinterher, aber selbst er bekam noch einen der letzten Plätze an Deck. Es war richtig heiß, ‚warm‘ wäre das verkehrte Wort gewesen. Die Leute sahen aus, wie man das auf Ausflugsdampfern gewohnt ist, und fingen bald an, Bier zu bestellen.

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Als besonders gut und schön gelegen hatte ich das ‚Katz Orange‘ ergoogelt. Dahin fuhren wir nun nicht. Man hatte Silke dort vor vierzehn Tagen einen Tisch um sieben oder um halb neun angeboten. Solche Einschränkungen kann ich nicht besser ausstehen als Frühstücksbuffets. Da gefiel mir das ‚Brecht’s‘ dann schon besser.

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#1.14 Die ganze Zeit

Viertel nach neun klopfte Rafał an die ‚Dude‘-Tür: „Alles gut?“, fragt er jeden Morgen, und jedes Mal möchte ich antworten: „Nein. Sieh dir die Welt doch an! Nichts ist gut!“, und jeden Morgen antworte ich: „Ja“.

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#1.15. „Lebensort Vielfalt“

Es war wieder Morgen, und ich sah auf die Stadt, mein Stück Stadt: erst von oben aus dem Mansardenfenster im vierten Stock, dann auf der Straße, auf dem Stuhl vor dem ‚Dude‘. Früher gehörte mir die ganze Welt, jetzt muss ich mich mit dem Ausschnitt begnügen, den meine Beine meinen Augen gestatten.

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#1.16 Siebzehn Stationen bis zur kleinen Ewigkeit

1969 waren meine Mitlehrlinge und ich am freien 1. Mai abenteuerlustig und deshalb fuhren wir zu fünft mit unserem Schönsten: Achim Hauenschild und seinem Auto über den Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße nach Ostberlin. Das Wetter war schlecht, die Parade war vorbei, die Innenstadt wirkte ausgestorben. Ich schlug vor, nach Köpenick zu fahren; das war, wegen des Hauptmanns, der einzige Ost-Stadtteil, dessen Namen ich kannte. Ich kam mir fremd vor wie in Nigeria ...

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#1.17 Vom kulinarischen Mosaik zu den sauren Gurken

Das ‚NENI‘ ist sehr angesagt und rühmt sich eines großartigen Blickes über Berlin. Das stimmt schon, allerdings ist die Silhouette von Berlin nicht besonders großartig, und von da aus schon gar nicht. Tische und Stühle vermitteln den Eindruck eines skandinavischen Kindergartens, was in mir aber keine Großvatergefühle weckte. Wir saßen in der Mitte, konnten in alle Richtungen nach draußen gucken, den Lärm genießen und die Speisekarten studieren. Zum Essen und Konzept vom ‚NENI‘ Berlin gehört immer der ‚teilende, leidenschaftliche Moment‘, las ich.

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2. Kapitel: Sachsen

Bisher war ich nur selten in Sachsen gewesen. Dabei kommt Sachsen in meiner Familiengeschichte durchaus eine gewisse Bedeutung zu. Mein väterlicher Großvater Reinhold wurde Kommandeur in Wurzen, wo seine Frau Maria alle vier Söhne zur Welt brachte. Dann kam der Erste Weltkrieg – und die Familie meines Vaters lebte verstreut zwischen Front, Essen, Harz und Südtirol, bevor Anfang der Zwanzigerjahre alle in Berlin wieder zusammenfanden: national-konservativ, katholisch, standesbewusst …

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#2.1 Elbsand und Alsterwasser

Bisher war ich nur selten in Sachsen gewesen und ausschließlich in Leipzig, zuerst 1997 mit meiner Cousine Marina und deren Mann Florian. Wir besuchten da auf einen Nachmittag ihren mittleren Sohn ‚Nicki‘, der sich aber mit seinem Vater so in die Haare kriegte, dass wir zum Abendessen schon wieder auf dem Gendarmenmarkt saßen.

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#2.2 Die entmachtete Vergangenheit

Für den Samstagabend hatte ich ursprünglich das prominente ‚Taschenbergpalais‘ vorgesehen, schon um Silke wieder mal was ohne Papierservietten zu bieten. Es behauptet von sich, es sei ‚Treffpunkt für Feinschmecker und Liebhaber internationaler Tafelkultur: Das Restaurant ‚Intermezzo‘ überzeugt mit bodenständiger Eleganz und raffinierter Einfachheit‘. Kann man mehr verlangen?

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#2.3 Der Gedanke ersetzt die Tat

Giuseppe kam als Erster, dann auch Rafał und schließlich Silke: Mit Kleid kann man sich ja viel effektvoller aufbrezeln als mit Hemd und Hose, und mit einer alterslosen Dame als Gallionsfigur oder im Schlepptau macht man ohnehin mehr her, als drei Kerle unterschiedlichen Alters das von sich aus vermögen. Martin hatte Ausgang.

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#2.4 Plan B

Am Sonntag fiel die Dampferfahrt die Elbe herauf ins Elbsandsteingebirge nicht ins Wasser, sondern, im Gegenteil, aus, weil die Elbe ausgefallen war. Das wussten wir schon seit Samstagmittag, so dass ich bereits einen Elb-Ersatzplan hatte schmieden können, der Martin enger einband.

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#2.5 Schlechtes Benehmen in feiner Umgebung

Das Wetter war ja schön, und so hatte der Tag es verdient, ebenfalls eine schöne Pause zu erhalten. Die bekam er schließlich auch: Schloss Pillnitz an den Weinbergen. Dass es die ehemalige Sommerresidenz Friedrich Augusts des Gerechten war und heute die größte chinoise Schlossanlage Europas ist, wusste ich nicht, war aber sowieso weder mit gerechten Augusten noch mit chinoisen Anlagen so richtig vertraut, nicht mal in chinesische Wertpapiere habe ich Vertrauen.

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3. Kapitel: Böhmen

Zum ersten Mal in meinem Leben in Böhmen. Nostalgiker nennen es noch ‚Tschechoslowakei‘. Sudetendeutsche Landsmannschaften und Egerländer Blaskapellen mussten wir ja bei unserem Einmarsch nicht mehr befürchten; wir alle fühlen uns solchem Brauchtum gegenüber nicht gewachsen. Mir war aber etwas ähnlich Schlimmes eingefallen: Theresienstadt.

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#3.1 Aussteigen oder sitzen bleiben

Zum ersten Mal in meinem Leben in Böhmen. Nostalgiker nennen es noch Tschechoslowakei. Sudetendeutsche Landsmannschaften und Egerländer Blaskapellen mussten wir ja bei unserem Einmarsch nicht mehr befürchten; wir alle fühlen uns solchem Brauchtum gegenüber nicht gewachsen. Mir war aber etwas ähnlich Schlimmes eingefallen: Theresienstadt, weil es an der Strecke liegt.

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#3.2 Was kein Prager missen möchte

Im Osten herrschte bis 1989 die Partei, aber nicht durchgehend Ruhe. Am 16. Januar 1969 verbrannte sich der tschechoslowakische Student Jan Palach selbst und lief in Flammen stehend vom Nationalmuseum auf den Wenzelsplatz. Auf dem saßen wir nun, doch statt des Atems der Geschichte wehten in der Nachmittagshitze leicht bekleidete Gestalten an uns und unseren Drinks vorbei. Der Unterschied zu 16.00 Uhr auf der Reeperbahn war nicht gravierend, musste ich mir eingestehen.

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#3.3 Schleusenfahrt mit Belustigung

Morgens schließe ich mich ja immer aus und fühle mich auch so: ausgeschlossen. Dabei könnte ich das ändern und zum Frühstücksbüffet pilgern. Ausgeschlossen! Wenn Rafał an meine Tür klopft, hat Silke schon einen Espresso nebst einem vanillelosen Croissant zu sich genommen, Rafał wenig, Giuseppe viel, und Martin schläft noch. So stelle ich mir das vor, wissen tue ich nur, dass ich kraus geträumt habe und dass ich Leibschmerzen habe, unten rechts ...

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#3.4 Im ‚Parnas‘

Erfreulicherweise war das Mittagessen ausgefallen. Nachmittags durchstreift Rafał gern mit Silke die Boutiquen, nachts die Bars lieber mit Giuseppe. Ich ging in mein Zimmer und übte im Hellgrünen eifrig am Anfängerkurs der schwierigen Disziplin ‚Appetit haben‘.

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#3.5 Im hängenden Café

Silkes und mein Arbeitstag begann um 11.00 Uhr mit einer weiteren Rikscha-Fahrt; Velotaxi heißen diese Folterinstrumente hier. Die anderen drei waren schon mit Sightseeing beschäftigt. Dem höchst unattraktiven, charmelosen, aber pünktlichen Folterknecht schärfte ich in meinem besten Englisch ein, dass wir nicht die Neustadt, sondern die Altstadt und die andere Seite sehen möchten, was für ihn lästig, aber unvermeidlich war. So ruckelte er uns über Straßen und Plätze, dass mir Hören und Sehen verging.

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#3.6 Ein unvermeidlicher Schlenker

Der Donnerstag war als Reisetag vorgesehen. Doch als dann um zehn Uhr wirklich alles Gepäck auf die beiden Wagen verteilt war, kamen mir Zweifel. In anderthalb Stunden würden wir in Brünn sein. Was gab es da wohl zu erleben? Wenig, vermutete ich. Karlsbad war doch nach Prag der bekannteste Ort in Tschechien. Ein kleiner Abstecher wäre ja wohl drin.

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4. Kapitel: Österreich

Im Fiaker fast herrschaftlich durch Wien. Mein Wien war das eher nicht. Mein Wien habe ich, immer in Eile, manchmal nur von mir selbst gehetzt, im Sturmschritt durchlaufen. Vom ‚Sacher‘ zu ‚Dehmel‘, vom Konzerthaus zum Musikverein, von der Oper zur Burg. Und dann wieder saß ich stundenlang im Kaffeehaus, im Tonstudio, im Schneideraum. Zeitweise hatte ich engere Freunde in Wien als in Hamburg, so schien es mir.

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#4.1 In den Kulissen verspielter Stücke

Diese Strecke war ich erst ein Mal im Leben aus Wien heraus- und dann wieder nach Wien zurückgefahren: mit Hanns und Franz. Die Nacht war fast schlaflos gewesen, in den Privaträumen des Opernintendanten Egon Seefehlner, in einer Abstellkammer, in die ich mich mit jemandem zurückgezogen hatte, auf den ich unmöglich hatte verzichten können.

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#4.2 Ausgaloppiert

Vor dem ‚Imperial‘ wartete Martin mit der Kamera. Ich gab mir Mühe, ungekünstelt auszusteigen, so wie man eben im Jahr 2015 seine Kutsche verlässt, mit einem Bein, auf das man sich verlassen kann, und einem, das dazu neigt, seinem Besitzer Streiche zu spielen.

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#4.3 Heiße Nächte, kalter Dreck

Freitagnacht in Wien: Das hatte immer mit einem Essen begonnen, manchmal war ich eingeladen gewesen, oft hatte ich gezahlt, immer auf Geschäftskosten. Mal mit Künstlern, mal mit Lebenskünstlern – gehörte ich selbst zu einer von beiden Gruppen? Danach, wenn es früh genug war, noch woanders hin, sonst gleich in den ‚Stiefelknecht‘; Name war Programm, so dass ich mich auch hier als Außenseiter fühlen konnte.

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#4.4 Über den Naschmarkt fahren

Rafał hatte unter Tag frei. Ein Freundespaar war seinetwegen vom Attersee zurückgekehrt, am Abend wollten wir uns alle beim Heurigen treffen. Ich sah aus meinem hohen Fenster, wie Rafał über die Straße ging und wie er in der Ferne die beiden Schwuchteln begrüßte, ...

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#4.5 Ein Interview im Nirgendwo

Pünktlich um 12 Uhr waren wir da. Die Stühle standen auf den Tischen, draußen, aber drinnen auch. Im ‚Otto e Mezzo‘ brannte kein Licht, die Tür war verschlossen. Wie üblich hatte ich mein Handy nicht dabei.

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#4.6 Was sein könnte und was nicht

Silke und Giuseppe trafen im Restaurant ein, kaum dass Glavinic und ich saßen. Nur höhere Gewalt kann Silke unpünktlich machen. Ich sah über den Platz, den ‚Rilkeplatz‘, kein eindrucksvolles, kein störendes Stück Wien, und bestellte ‚dalmatinischen Prosciutto mit Schafskäse‘, da konnte nichts schiefgehen.

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#4.7 Zwei brechen ab, drei brechen auf

Martin kam, um unser beschauliches Mittagessen zu stören. Ein Oligarch im weißen Bademantel hatte sich seinerseits durch die Drohne gestört gefühlt und seine Bodyguards angewiesen, dem Treiben Einhalt zu gebieten.

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5. Kapitel: Südtirol

Beide waren wir kleiner gewesen, als wir uns kennenlernten: Meran und ich. Meran hatte noch keine Vorstadthäuser, ich noch keine Barthaare. 1954, ich war acht. Zum ersten Mal in den Bergen. Ich mochte sie lieber als die graue Nordsee der vergangenen Jahre und genauso gern wie die Adria. Trotzdem mussten Meran und ich zwölf Jahre warten, bis wir uns wiedersahen, doch von da an sahen wir uns Jahr für Jahr.

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#5.1 In Sackgassen

Beide waren wir kleiner gewesen, als wir uns kennenlernten: Meran und ich. Meran hatte noch keine Vorstadthäuser, ich noch keine Barthaare. 1954, ich war acht. Zum ersten Mal in den Bergen. Ich mochte sie lieber als die graue Nordsee der vergangenen Jahre und genauso gern wie die Adria, von der wir gerade kamen.

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#5.2 Gedanken, Gefühle, Geschichte

Selbstverständlich waren auch die beiden Meran-Tage voll durchgeplant. Eigentlich dienten sie nur dazu, die Herbstgarderobe nicht nach Restitalien weiterschleppen zu müssen, sondern sie dort lassen zu können, wo sie ab Oktober gebraucht würde.

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#5.3 Verführung

Um zehn Uhr hatte sich Rafał vor Ort davon überzeugt, dass Silke nicht bereit war aufzustehen, und auch Martin hatte er im Ort nicht aufgespürt. Ich rief Giuseppe an und teilte ihm mit, wir würden uns ein wenig verspäten, übrigens seien wir nur zu zweit.

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6. Kapitel: Veneto

Der Exhibitionist kam in Sicht. So habe ich die Statue des Generals Gaetano Giardino getauft. Er hat sich im Ersten Weltkrieg Ruhm erworben, steht am Ende der nach ihm benannten Straße auf dem Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen und blickt über die Schlucht zu seinen Füßen hinweg in die letzten Berge der Alpen.

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#6.1 Posieren oder abtauchen

Der ‚Exhibitionist‘ kam in Sicht. So habe ich die Statue des Generals Gaetano Giardino getauft. Er hat sich im ersten Weltkrieg Ruhm erworben, steht am Ende der nach ihm benannten Straße auf dem Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen und blickt über die Schlucht zu seinen Füßen hinweg in die letzten Berge der Alpen.

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#6.2 Aufklärung

Nachmittags zeigten Giuseppe und ich Rafał Bassano aus dem Blickwinkel des gusseisernen Generals. Ich hatte mal, zu Lebzeiten der Tata, die Idee, für ein Jahr nach Bassano zu ziehen und fließend Italienisch zu lernen.

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#6.3 In richtig feiner Umgebung

Wir waren um acht die ersten Gäste, aber der lang gestreckte Raum füllte sich schnell. Alle waren elegant gekleidet und sahen aus, wie man es aus Lifestyle-Magazinen kennt, die Wissbegierige beim Friseur durchblättern, um das Lebensgefühl von Frauen zu ergründen ....

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#6.4 Im Banne der geistigen Schamlosigkeit

Zusammen mit meinem Gin Tonic kamen sehr interessante Wolken. Wie immer kippte ich das Eis weg; in einem Garten geht das fast unauffällig. Eis verwässert den Drink und schadet dem Magen.

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#6.5 Karriere ohne Gift

1972 hatten Pali und ich also noch bei Frau Kopp geschlafen, und auch Irene nächtigte dort, als Harald und ich 1975 aus Rom eintrafen. Irene hatte sich mit Pali als Schwiegersohn abgefunden, zumal er über die Westberliner Theaterszene noch etwas besser Bescheid wusste als sie selbst.

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#6.6 Lido

Am Abend gingen wir in die ‚Favorita‘. Es war einfach toll. Diese Ausgelassenheit der Gutgekleideten, eine Stimmung, die als Wortschwall zur Terrassendecke aufstieg und in die Teller mit Scampi und Cozze zurückregnete wie Zitronensaft, so empfand ich es.

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#6.7 Venedig satt

War es eine gute Idee, ausgerechnet den Sonntag für den Venedig-Ausflug vorzusehen? In all den Jahren sind wir frühestens gegen vier aufgebrochen, um nicht eher am ehrwürdigen, verhunzten Gestade anzulegen, als bis zumindest die Tagestouristen das Weite des Vorlandes gesucht und zweifellos auch gefunden hatten.

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#6.8 Abhängig sein

Am Montag war schlechtes Wetter. In Meran auch. Martin filmte nicht, sondern fuhr gleich zurück nach Hamburg. Unterwegs bekam er Fieber und legte sich eine Woche lang ins Bett. „La Perla!“, sagte Rafał.

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#6.9 Rausgeschmissen

Am Dienstag ging ich frühstücken. Na und? Erstens mag ich nicht, dass etwas zum Dogma wird, und zweitens liebte ich immer schon dieses ganz dünn geschnittene Weißbrot, das der Hungrige elektrisch-mechanisch durch eine glühende Vorrichtung transportieren lässt, die aus der blassen Scheibe einen dunkelblonden Toast macht ...

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7. Kapitel: Lombardei

Die Geschichte der Halbinsel Sirmione geht auf das zweite Jahrtausend vor Christus zurück, wer kann damit schon konkurrieren? Zur Zeit der Römer war die Halbinsel ein Ferienort höhergestellter Familien, die sicher nie heizten, also noch jetzt genau das Richtige für uns, und so lernte Rafał nun, über Roland und mich als Zwischenträger, von einem venezianischen, vielleicht längst verblichenen Koch die Schönheiten der Burg und der Altstadt kennen. Meinen Eltern hatten wir Sirmione schon 1982 gezeigt und es von da an als festen Programmpunkt vereinnahmt.

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#7.1 Hilfreiche Überwachung

Am Mittwoch reisten wir bei durchweg wolkenfreiem Himmel mit Schiff und Auto vom Lido an den letzten Ort unserer Reise – der längste Aufenthalt, die reinste Entspannung –: Sirmione. Mittwoch bis Mittwoch.

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#7.2 Im Blickfeld

Gegen halb sieben ist aus dem Geschubse in den engen Gassen schon ein erwartungsfreudiges Gedränge geworden, und man findet sogar einen freien Tisch in der ersten oder zweiten Reihe des beliebtesten Cafés an der Piazzetta.

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#7.3 Unten Löwe, oben Raubvogel

Wir gingen in mein Lieblingslokal ‚Il Grifone‘ – zu Deutsch: der Greif –, ein Geschöpf, das – wie Sirmione – im zweiten Jahrtausend vor Christus erstmals erwähnt wird, und zwar in Syrien, dem Land, das ja im Augenblick wieder die Welt und seine Einwohner verstört.

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#7.4 Ein Irrtum nach dem anderen

Auf der Piazzetta trinkt Silke meist Sanbittèr, Rafał immer Aperol Spritz, Carsten manchmal auch, und ich trinke immer Negroni ohne Eis. Von Schluck zu Schluck hoffe ich darauf, dass endlich ein Leeregefühl im Magen oder ein Lustgefühl, den Gaumen zu reizen, einsetzt.

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#7.5 Kopf hoch, Blick zur Seite!

Dienstag der erste September, der letzte Tag der Reise. Von der Havel am ersten Berliner Tag über die Brenta in Bassano hatten wir unsere Zeit überwiegend am Wasser zugebracht; bloß dass Dresden an einem Fluss liegen soll, hatte sich uns nicht erschlossen. Aber, halb so wild: Wir kannten die Elbe ja aus Hamburg.

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8. Kapitel: Trentino/Alto Adige

Nun waren wir wieder im Trentino, noch am See, aber schon auf K.-u.-k.-Gebiet. Wenn die ‚Strada Statale 45bis‘ und das Navi den Autolenker von himmlischen Höhen hinabschicken nach Riva, dann muss er sich auf andrängende Touristenschwärme gefasst machen. Dem gilt es schnellstmöglich zu entkommen, und zwar nicht südlich nach Malcesine, wo selbst Goethe seit 1786 nicht mehr gewesen ist, sondern nördlich, die Passstraße hinauf Richtung oberes Etschtal, italienisch: Alto Adige.

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#8.1 Erster Weltkrieg, letzter Versuch

Dann waren wir wieder im Trentino, noch am See, aber schon auf K.-u.-k.-Gebiet. Wenn die ‚Strada Statale 45bis‘ und das Navi den Autolenker von himmlischen Höhen hinabschicken nach Riva, dann muss er sich auf andrängende Touristenschwärme gefasst machen.

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#8.2 Im übergeordneten Sinne

Für diesen Aufenthalt hatten wir uns vorgenommen, wieder mehr spazieren zu gehen. Im Sommer hatten wir überwiegend träge im Garten gelegen, ich hatte gelesen und geschrieben, statt die Beine zu bewegen und mein Herz von den Schönheiten der Natur bewegen zu lassen.

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#8.3 Möglichst nicht ermordet werden

Gleich zu Beginn der Reise galt es, eine dramatische personelle Entscheidung durchzusetzen: Bei meinen Eltern waltet Frau Resi mit ihrem sardischen Gatten Fausto. In meiner Wohnung säubert traditionsgemäß Maria, ihr Mann Toni mäht den Rasen.

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#8.4 Wie es im Paradies so zugeht

Mit Rücksicht darauf, dass du schon immer ein unmoralischer Mensch warst und mit zunehmendem Alter immer mehr wirst, beende ich mein seichtes Sonntagsgeplänkel und komme zum Ernst des Wochentäglichen ...

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#8.5 Silke soll was zu essen kriegen

Da meine Mittagsschläfe lang sind und ich ja auch meine Stimme für die abendliche Lyriklesung schulen muss, komme ich nur selten früher in meinem Elternhaus an, als ich den Aufschnitt aus dem Kühlschrank zu nehmen habe. An solch raren Tagen erklimme ich dann die Treppe zum ersten Stock, von wo her ich erregtes Stimmengewirr wahrnehme ...

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#8.6 Porsche für Südtirol

Von da an lief alles nach Plan, also nicht erzählenswert. Wir liefen mit Silke den Tappeinerweg entlang und aßen im Garten von ‚Schloss Labers‘, mit Blick auf Meran.

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#8.7 Die Verantwortung der Kassiererin

‚Unterwegs‘ zu sein bedeutete, als wir Anfang August in der Freien und Hansestadt Hamburg auf Reisen gingen, etwas ganz anderes als jetzt, da wir in der österreichisch-italienischen Welt Merans eingetroffen sind. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wirklich verschwenderisch gewesen, doch leider hatte ich das nicht mal angemessen genießen können. Wieso nicht? Sollte da womöglich etwas Freudlos-Protestantisches in mir schlummern? Mein Stammbaum sagte: „Nein“. Ich sagte: „Mein Preußentum ist schuld.“ Shopping-Queen werde ich wohl nie.

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#8.8 Mehr oder weniger

Torsten aus Osnabrück, von dessen versautem Vorschlag mir Rafał geflissentlich berichtet hatte, ging mich wenig an. Vorbei. Bernstein wollte am Morgen immer genau wissen, wer wie die Nacht mit wem verbracht hatte.

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#8.9 Die Menschen und ihre Götter

Während ich das schreibe, höre ich die Abendglocken aller drei Kirchen läuten: ein vertrauter Klang, der nicht fordert, jedenfalls mich nicht, nicht mehr. Mich ruft kein Muezzin zum Gebet, aber ich sehe ein, dass Menschen, denen es weniger gut geht als mir, mit Geboten und Verboten besänftigt werden müssen, damit sie ihr Schicksal ertragen ...

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Fast am Ziel

‚Fast am Ziel – 99 Umwege‘ zeigt Hanno Rinke mit Leidensgenossen unterwegs durch Zeit und Raum. (PROLOG) Es gibt einen Intelligenztest: Futter liegt hinter einer kurzen Glaswand. Die meisten Tiere stoßen mit der Schnauze immer wieder gegen die Wand, statt um sie herum zu laufen. Nur wenige Arten erkennen, dass sie sich entfernen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Einsichtiges Verhalten setzt die Fähigkeit voraus, in ungewohnten Situationen durch Umwege zum Erfolg zu kommen. Wer die kerzengerade Strecke sucht, wer in Gedanken und Gefühlen Abschweifungen sieht, wer Erinnerungen als Ballast empfindet, der sollte einen anderen Reiseführer wählen. Hier läuft das so: Der Weg ist die Richtung. Der Umweg ist das Ziel.

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Fast am Ziel

Einrede statt Ausrede | Fast am Ziel

‚Ich‘ zu schreiben, entspricht dem Zeitgeist. Man sagt nicht mehr ‚man‘: klingt irgendwie frauenfeindlich. Außerdem habe ich alles, was ich behaupte, ja auch wirklich erlebt. Zumindest im Kopf. Kein fake!

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Fast am Ziel

Unweg statt Umweg | #1

Im vorigen Jahr haben wir eine Reise gemacht, die das neue Auto auf die Probe stellen sollte: Ein Mercedes, der noch nicht wie ein Tesla mit Autopilot fuhr, aber dafür war ja Rafał da. Ich saß neben ihm, Silke und Giuseppe saßen hinten ...

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Ins Wasser gefallen | #2

Am nächsten Vormittag waren wir im Wedding. Bei ALEKS & SHANTU in der Müllerstraße. Dort lernte ich Tobi kennen, der seither meine Homepage betreut und sich ausdenken muss, wie das hier ins Netz gelangt.

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Tote Oma mit Schlossblick | #3

Am Mittwoch war das Wetter auch nicht besser, aber wir wollten sowieso abreisen: nach Halle! Also nicht wirklich, aber es mal kurz ansehen, das wollte ich. Die beiden ältlichen Kommissare des Hallenser ‚Polizeiruf 110‘ (die ehemalige DDR-Antwort auf den ARD-‚Tatort‘) ziehe ich mir auch in den Wiederholungen masochistisch gern rein und rede mir ein: Das ist jetzt meine Altersklasse und mein Niveau, und dabei komme ich mir vor wie ein schwanzschlaffer Rentner, der sich nur noch zu gebisslosen Nutten traut.

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„Mit dem Tick Raffinesse“ | #4

Am frühen Morgen ging Silke in ihr Bad. Als sie es wieder verlassen wollte, bedachte sie nicht die drei Stufen, die den sanitären vom Schlafbereich trennten und stürzte abwärts. Ihr rechter Fuß war schlimm verstaucht und machte ihr zunehmend zu schaffen. Eine Stadtbesichtigung aus dem Autofenster war nicht nur durch den beruhigten Verkehr erschwert, sondern wegen der aufgebrachten Katholiken nahezu unmöglich. Immerhin sahen wir jenseits der gläubigen Menge den Neubau der Paulinerkirche, der dem Original glaubwürdig nachempfunden ist.

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Kröte, Gaul und Sushi | #5

Am nächsten Morgen war das Wetter nicht mehr ganz so gut, und während Rafał unser Gepäck aus den Zimmern holte – im Unterschied zu Grandhotels gibt es in ‚Romantik-­Hotels‘ stimmungsvollerweise keine Gepäckträger –, beschwerten sich zwei Autofahrer, dass sie nicht an unserem vor der Eingangstür wartenden Mercedes vorbei kämen. Rafał wurde zum ersten Mal ungehalten und wies die zeternden Franken darauf hin, dass er vor dem Hoteleingang richtig stand, verkehrt stand das Auto daneben, am Dorfbrunnen. Wohl wahr, vorbei kam trotzdem niemand.

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Ziele, Ideale und was davon bleibt | #6

Nun beginnt also die erste Ruhephase. Ist das erholsam oder anstrengend? Früher wollte ich an jedem Morgen wissen: Ich bin verantwortlich für etwas, ich muss nach London fliegen, ich muss ein Meeting vorbereiten oder ich muss einen Vortrag halten. Wofür steht man denn sonst überhaupt auf? Heute schlafe ich schon schlecht, wenn ich um elf einen Friseurtermin habe. Aufstehen ist jetzt eine unangenehme Unterbrechung meiner meist unangenehmen Träume, deren Charme ausschließlich in ihrer Konsequenzlosigkeit besteht.

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Aufgaben aufgeben | #7

So, nun also die ersehnte Zeit der Aufgabenlosigkeit. Die macht ja fast jeden verrückt. Rafał war davon am wenigsten betroffen, weil er den Haushalt führen und kochen musste. Ich, der ich immer schon sehr liederlich, aber recht rezeptfreudig war, redete ihm kaum in die Kochwäsche rein, machte aber allmorgendlich für das Mittagessen Vorschläge, die zu meiner Freude als Weisungen ausgelegt wurden.

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Ende der Einsamkeit | #8

Als Erste kam Susi. Am Sonntag. Sechzehn Tage nach uns. Susi fügt sich gut ein, und wenn sie das nicht kann oder will, bleibt sie für sich. Wir kennen uns seit 1969, haben also schon viele Tote gemeinsam. Aus Solidarität oder Ehrgeiz schloss sich Susi meiner bereits seit einer Woche durchgehaltenen Abstinenz an, machte allerdings meine Quarkdiät nicht mit.

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Ein abgeschaffter Feiertag | #9

Die längste Zeit meines Lebens war das ein Feiertag gewesen: der Tag der deutschen Einheit, an die niemand mehr glaubte. Als sie dann doch kam, wurde er abgeschafft. Seither liegt mein Geburtstag etwas ungeschützt irgendwo in der Woche, was aber nicht so schlimm ist, weil ich gleichzeitig aufhörte, ins Büro zu gehen.

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Lebende und Unsterbliche | #10

Alle saßen pünktlich in den Autos, für die sie eingeteilt waren. Rafał fuhr mit Bo, Ingrid und mir vorneweg und verzichtete wegen seiner guten Ortskenntnisse auf die Navigatorin, was uns und die anderen drei Autos hinter unseren Rücken mehrfach durch Algund führte. An der ewig selben ewig roten Ampel machten wir uns Mut, die Nachzügler würden das bestimmt für eine Ortsbesichtigung halten, dann kamen wir doch nach Töll, wobei Rafał unentwegt den Rückspiegel anschrie, warum Giuseppe so langsam führe.

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Fünf Sterne unter grauem Himmel | #11

Siebzig zu werden ist kein Ruhmesblatt, seit es Antibiotika gibt. Bedeutende Menschen haben dieses Alter zuvor nicht erreicht, längst Vergessene haben es seither weit übertroffen. Ich liege wie üblich im Mittelfeld dazwischen, habe also eine noch mindestens so glorreiche Zukunft, wie Honecker sie der DDR zum vierzigsten Jubiläum vorhergesagt hat.

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Wie wichtig bin ich? | #12

Vor ihrer Abreise durften Thomas und Loïc beim Frühstück auf der Hotelterrasse feststellen, dass es in Meran auch wolkenlosen Himmel geben kann; den hatten sie dann bis zum Abflug in Verona. Anette stieg stattdessen in den Bus und kam ganz ohne Zwischenfälle, also nicht weiter erwähnenswert, nach Südfrankreich in ihren provenzalischen Urlaub ganz ohne WLAN, was einem ja heute vorkommt, wie ohne fließend Wasser.

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Tier und Mensch | #13

Nachdem sich auch Bo und Ingrid wieder auf den Weg nach Stockholm gemacht hatten, war die Party vorbei. Susi blieb etwas länger bei Silke, Giuseppe bei mir. Beide hatten ja Zimmer mit Bad. Wo man nicht teilen muss, stört man auch nicht. Carsten blieb am längsten, im zweiten Stock der ‚Villa‘, Rafałs Reich, und Sally mit beiden.

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Schachfiguren | #14

Dass wir am Freitag, dem 15. Juli, gerade in der Mitte des Monats, aufbrachen, war genauso zufällig, wie dass wir auf den Tag genau vier Wochen später zurück sein würden: nämlich kein bisschen.

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Die drei Venezien | #15

Bis auf den kurzen Zubringer hatten wir den Rest der Strecke Autobahn. An Venedig vorbei – eigentümlich, dort nicht wie fast jedes Jahr zu verweilen, sondern dort wie noch nie einfach entlangzurauschen – aus dem Veneto über das Friaul nach Venezia Giulia. Wer sich ausschließlich für mich interessiert, muss jetzt runterscrollen, wer auch ein bisschen Geschichte aushält, liest weiter.

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Greif Maria! | #16

Wir befolgten die Anweisungen der Navigatorin und verließen die Autobahn. Von Zeit zu Zeit mache ich Rafał darauf aufmerksam, dass er ihre Stimme durch eine männliche ersetzen will, aber er hat in der Gebrauchsanweisung immer noch nicht den Trick gefunden, wie das geht. Meine wiederholte Nachfrage hat damit zu tun, dass unsere Verwünschungen, wenn wir uns fehlinformiert fühlen, einfach zu frauenfeindlich klingen, und da könnte sich Silke hinten düpiert vorkommen.

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Aufschneider & Abstecher | #17

Es war mein drittes Mal in Triest. 1991 war ich – auch von Meran aus – dort gewesen, in Vor-MeBo-Zeiten, neun Monate nach Rolands Tod. Mit Bill (tot) und mit Giuseppe (lebt noch).

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Brust oder Flasche | #18

Zunächst mal musste ich ‚alter Hase‘ den beiden Neulingen ja Triest zeigen. Triest ist das Österreichischste, was Italien außerhalb Südtirols zu bieten hat, so viel wusste ich noch, viel mehr auch nicht. Die Häuser sind überwiegend vierstöckig, Ende neunzehntes Jahrhundert, ein bisschen wie Prag, etwas abgeblätterter, aber im Zentrum ist es schön unübersichtlich, ein wirbeliges Durcheinander von Gassen und Menschen.

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Fast am Ziel

Der istrische Kopf | #19

Wir waren uns einig, dass es in Slowenien anders aussah als in Italien. Die Berge? Die Häuser? Vielleicht lag es nur an den unleserlichen Schildern. Doch gleich an der Peripherie des ersten Ortes grüßten die vertrauten Supermärkte, riesig, und Unmengen von neuen Autos, zum Verladen bereit.

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Rückblenden und Lachnummern | #20

Zwischen 1975 und 1990 habe ich meine Jahresfilme gedreht. Ich habe gelebt, um zu filmen und gefilmt, um zu leben. Jetzt, 2016, hält man einfach sein Handy in die Luft. Damals musste man sich jede Einstellung genau überlegen. Filmen war teuer, und die traurige Kapitalisten-Erkenntnis ist: Was nichts kostet, ist nichts wert. Dafür war dann der fertig geschnittene Film eine Kostbarkeit, für mich jedenfalls. Der Film ist besser geeignet, eine Reise zu beschreiben, als ein Text es ist; man kann ihm zusätzlich die passenden Geräusche und die passende Musik unterlegen.

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Rückzu | #21

Silke und Rafał waren zurück. Sie hatten betrachtet, was von der glorreichen Herrschaft Venedigs übrig geblieben war und was in den Schaufenstern der Gegenwart auslag.

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Duino | #22

Dreimal war ich von meinem weiß lackierten Terrassenstuhl aufgestanden, weil ich ein Klopfen vom Zimmer her gehört zu haben glaubte. Jetzt stand Rafał wirklich im Flur. Er und Silke hatten nicht nur Kaufenswertes entdeckt, sondern sogar den Eingang vom ‚Duca D’Aosta‘. Eher unscheinbar. Kein Monument glorreicher Zeiten.

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Kriegsfrieden | #23

Wir versuchten, was wir konnten, aber diesen Schlossblick von der Bucht in den Sonnenuntergang, den erwischen wir einfach nicht.

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Die Schweine und der Adel | #24

Um 10 Uhr waren wir schon wieder in Slowenien. Wir hatten es geschafft, uns eine halbe Stunde eher als vom Plan befohlen, auf den Weg zu machen. Rafał hatte meine Habseligkeiten eingesammelt und verstaut, während ich in mein ‚Reisekostüm‘ geschlüpft war: taubenblaue Jeans, taubenblaues Polohemd, taubenblauer, serviettendünner Pullover über den Schultern.

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Willkommene Enttäuschung | #25

Seit Kroatien selbstständig ist, haben sich alle viel Mühe gegeben. Als wir den Stau zum Zentrum hinter uns hatten, kamen wir auf eine gepflegte Palmenpromenade mit herrschaftlichen Hotels aus K.-u.-k.-Glanzzeiten.

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Am Hang | #26

Die Überfahrt nach Cres dauerte keine Stunde. Rafał flitzte wie immer durch die Gegend. Ich saß mit Silke auf einer Bank.

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Am Ziel, am Start | #27

Wir überquerten eine handtuchschmale Brücke, höchstens sechs Meter, dann waren wir auf der nächsten Insel: Lošinj, da wollten wir nun bleiben, ursprünglich eine Woche und dann wieder zurück, aber den siebten Tag, auch noch den Sonntag, an dem Gott ruht, hatte ich abgeknapst, um drei zusätzliche Wochen dranzuhängen, die alle Orte am Mittelmeer, die mir mal etwas bedeutet hatten, zu vereinen. Ein kühner Plan? Ein bescheuerter Plan? – Ein Plan!

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Lautlos | #28

Was macht man, wenn es nichts zu sagen gibt? Man schweigt. Ich doch nicht! Und eigentlich niemand: Wenn alles überflüssige Gerede in den Hälsen der Sprecher stecken bliebe, herrschte eine wundervolle Ruhe, schon deshalb, weil die Menschheit erstickt wäre. Kein Palaver.

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Höhepunkte und Amokläufe | #29

Wir hatten es einfach schön, was am Anfang des Unterwegsseins immer Probleme aufwirft: Wird der Rest der Reise ein Abstieg werden, ein Niedergang? Höhepunkte habe ich immer angestrebt und vermieden.

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Die Endlosigkeit des ewigen Augenblicks | #30

Am Samstag ließen wir uns vom Hotel-Minibus den gesperrten Weg auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht zur ‚Lanterna‘ fahren. Der Name hat wohl nichts mit Beleuchtung zu tun.

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Hirn contra Schleimhaut | #31

Gegen 20 Uhr nehmen wir unsere Plätze auf der Terrasse ein und bei Harfenmusik unseren Aperitif. An unseren Dinner-Tisch begeben wir uns erst, wenn es ringsherum schon genügend Menschen gibt, deren Aufmerksamkeit wir erregen können. An schwachen Abenden sind das bloß die Kellner. Dafür ist das Risotto mit Foie gras unschlagbar.

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Alle wollen Zadar | #32

Eigentlich hatte ich am Sonntag im ‚Boutique Hotel Alhambra‘ eintreffen und am Montag wieder abreisen wollen. Mit einer Woche dazwischen. Dann fand ich aber Sonntag bis Sonntag formal befriedigend genug. Es war ohnehin der längste Aufenthalt der Reise, die einzig geplante Neuentdeckung, und es war gut, dass es so gut gewesen war.

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Ich stürze Rechte! | #33

Rührend! Silke und Rafał wollten mir so viel wie möglich von Zadar zeigen. Zugegeben, ‚Besichtigung‘ hatte ich wirklich in die Vormittagsplanung geschrieben, aber wir kamen trotz Rafałs Unverfrorenheit von keiner Seite mit dem Auto an die geschlechtliche Mitte des Körpers heran, der Zadar früher mal war.

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Die Vermeidung beider Weltkriege | #34

Für die bosnischen Grenzbeamten war natürlich Rafałs polnischer Pass erregender als Silkes und mein langweiliger deutscher, aber viel Aufhebens machten sie trotzdem nicht. Das Ganze ist ohnehin lächerlich, auch wenn die bosnischen Zöllner nicht lächelten, um ihre Bedeutsamkeit nicht infrage zu stellen.

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Benedikts Eier | #35

Gegen viertel nach neun klopft Rafał immer an meine Hotelzimmertür. So hat es sich eingebürgert. Um 9.16 Uhr werde ich unruhig, wenn er noch nicht geklopft hat. Um 9.17 Uhr wehre ich eine Panikatacke ab, und 9.19 Uhr ist es noch nie geworden.

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Wunderschön und völlig anders | #36

Den Nachmittag verbrachte ich in meinen Gemächern. Das ist Luxus: Die Sonne scheint, aber man braucht nicht rauszugehen. Für solch ein Verhalten wurde ich früher ‚Stubenhocker‘ genannt.

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Aus der Keule geschnitten | #37

Wenn alles schön ist, gibt es nichts zu berichten. Katastrophen sind dagegen fast immer erzählenswert. Der Mittwoch war so ein Tag dazwischen: nichts los, aber trotzdem unbefriedigend. Grund: Um elf Uhr vormittags mussten wir aus unseren Zimmern, um zehn Uhr abends sollte unsere Fähre ablegen.

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Pfahl im Fleisch | #38

Bari: Ganz extrem bildungsferne Leser mögen jetzt womöglich denken, wir hätten inzwischen österreichisches Fahrwasser verlassen.

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Wallende Gewänder | #39

Obwohl – oder weil? – ich Einzelkind war, waren meine Eltern nicht das, was man heute ‚Helikopter-Eltern‘ nennt. Ich durfte alles, und Überwachung per Smartphone gab es ja sowieso nicht.

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Handkuss | #40

Irene hatte inzwischen Erika kennengelernt, bei ‚Horn‛ am Kurfürstendamm. Damals war ‚Horn‛ das prominenteste Modehaus Berlins, und Erika war dort Empfangsdame.

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Du Spiegel der göttlichen Heiligkeit | #41

1967 ließ ich Sizilien weg und machte ansonsten die Reise noch einmal mit Harald und Hans-Dieter im farblosen VW Käfer meiner fahrscheuen Mutter. Wir drei waren zusammen in derselben Abitur-Klasse gewesen, vorher auf Klassenreise in der Würzburger Residenz und als Rokoko-Figuren im Park von Veitshöchheim.

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Steuerbetrug, mal anders | #42

Schon im Hamburger Winter hatte sich herausgestellt, dass es das Hotel ‚Grotta Palazzese‛ nicht mehr gab. Silke, rührig wie immer, hatte einen Ersatz-Vorschlag, der mir gefiel, und so befanden wir uns also am Donnerstagmorgen gegen halb zehn erst auf dem Weg zu und dann auf der Suche nach dem Hotel ‚Borgobianco‛.

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Nein, nein | #43

Ein Tag, der der Entspannung dienen sollte, was er bis zum Abend auch tat. Wir schlugen unser Hauptquartier am Pool auf; Silke aalte sich im grellen Licht: Ihr Ehrgeiz verlangt nach gleichmäßiger Bräunung sämtlicher Seiten, die sie hat.

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Maßnahmen | #44

Das Leben. Man darf sich nicht nur auf die pralle Mitte konzentrieren, sondern man muss sich mit den ausfransenden Rändern beschäftigen: die gesunde Abtreibung und den wünschenswerten Tod. Jede Schwangere muss, reine Routine, auf das Planungsamt gehen und unterschreiben, dass sie das Kind will.

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Frechheit um halb zehn | #45

Wir fuhren durch völlige Finsternis, umso erleuchteter war der Ort. Ganz Apulien schien sich an Buden vorbei dem Mark entgegenzuschieben, dementsprechend gesperrt war alles, was uns den rechten Weg gewiesen hätte.

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Spinnen Moslems, Juden und Christen? | #46

Ein Tag Pause, das musste reichen. ‚Unterwegs sein‘ heißt, unterwegs zu sein und nicht, sich an einen Ort zu binden wie an einen Marterpfahl.

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Ein Abend verändert mein Leben | #47

Friedrich II. scheiterte mit dem Versuch, seine universelle Kaiseridee zu verwirklichen, an den norditalienischen Städten und am Papst. Aber durch seine Forderung nach einer von der Kirche unabhängigen Staatsgewalt war er ein Wegbereiter der modernen Monarchien in Europa.

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Geschmacklosigkeiten mit weißen Handschuhen | #48

Am Wochenende zuvor war Roland mit Karin in eine Wohnung in Steglitz gezogen, und er nahm mir, oder vielleicht auch Karajan, mit Recht übel, dass wir uns nicht eine Woche früher kennengelernt hatten: Dann hätte er sich diesen Umzug sparen können, denn Ende Januar zog er zu mir nach Hamburg. Es war ja tatsächlich – ‚Liebe‘ ist so ein Wort ... – Besessenheit oder Besitzenwollen auf den ersten Blick gewesen, bei mir jedenfalls.

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Champagner-Muffel | #49

Haltlos fuhren wir dieses Mal an Avelino vorbei; Silke döste, Rafał achtete auf den Abzweiger nach Salerno, und ich behielt meine Erinnerungen für mich, zumal die Gegenwart genug zu bieten hatte: Wenn wir die Autobahn erst verlassen würden, wären Rafałs Fahrkünste gefragt.

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Kugelstoßerin im Hosenrock | #50

Dass alles einfach sein soll, ist ein verständlicher Wunsch. Reisen ohne Grenzkontrollen und ohne unterschiedliche Währungen ist angenehm und spart Zeit.

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Singende Sirenen | #51

Heute ist der erste Tag des Monats und gleichzeitig der erste Tag der Woche. Das befriedigt meinen Ordnungssinn. Es wäre doch wunderbar, wenn alle Monate 28 Tage hätten.

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„In solchen Kreisen“ | #52

Sorrent ist schon im 8. Jahrhundert vor Christus von den Phöniziern gegründet worden und war bereits 200 Jahre vor ihm Sommersitz römischer Aristokraten. Davon sahen wir nicht so viel. Wir sahen vor allem Menschen und Autos, aber keine Parkplätze. Rafałs übliche Chuzpe nutzte auch nichts.

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Häppchenweise erwachsen | #53

Zum Leidwesen meiner Mutter entdeckte ich nach unserer Rückkehr in Hamburg, dass es noch sehr viele Männer gab, die ich noch nicht kennengelernt hatte. Schon auf Palis und meiner gemeinsamen Geburtstagsfeier Ende Juni wurde mir das bewusst.

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Sturm und Drang und Einbahnstraßen | #54

‚Weggehen oder Bleiben‘, das ist das eine: aktiv oder passiv. Das andere ist ‚Eintreffen oder Weggehen‘, beides aktiv. Unser Deutschlehrer Herr Wiechers war die Verkörperung von ‚Sturm und Drang‘. Er war es, der mich nach den Pauker-Attrappen der Mittelstufe feurig durchs Abitur ritt.

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Alles über Teresa | #55

Alles ist – bis zu einem gewissen Grade – rückwärtsgerichtet; denn die Mittel, die man nutzt, um etwas darzustellen, hat man in der Vergangenheit erlernt. Ohne Bezüge zu dem, was war, kann man nicht einmal einen Science-Fiction-Film drehen. Diese anfechtbare Überlegung dient mir immer dazu, nach bestem Wissen und mit nicht allzu schlechtem Gewissen hemmungslos in die Vergangenheit abzutauchen.

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Die Hände im Schoß, die Füße im Becken | #56

Unsere Anlaufstelle in Rom war das Hotel ‚Condotti‘. Bereits 1967 traute ich mich ins ‚Spundloch‘, nie solo, aber in ‚Damenbegleitung‘ und sogar mit Harald. Allein hätte ich nicht gewagt, die Stufen zu diesem Etablissement herabzusteigen, denn da verkehrten Männer, die mit Männern verkehrten ...

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Noch mehr über Teresa | #57

Zeit, wieder in den August 2016 zurückzukehren: Rafał verließ die Autostrada und uns das Glück. Über Schlaglöcher und Schienen holperten wir in die Hauptstadt der Campagna ein: ‚Vedi Napoli e poi muori‘.

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Benedikt, ohne Eier | #58

Als Rafał ‚Montecassino‘ auf dem ‚Uscita-Schild‘ las, sagte er: „Das haben Polen erobert“, und riskierte einen Blick nach rechts in die Berge. Dass er so etwas weiß!

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Marsch auf Rom | #59

Eine Stunde später begannen wir unseren ‚Marsch auf Rom‘. Er verlief etwas geordneter als der Einzug in Neapel, zumal das Navi uns ohne Federlesens zum eingegebenen Parkhaus führte. Kaum waren wir am Colosseum, da erkannte ich jede Straße wieder. Wieso auch nicht? Oft genug war ich hier gewesen, und die Palazzi sind keinen Wolkenkratzern gewichen.

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Caffè Greco | #60

Zu leben, das stellt keinen Wert an sich dar. Da sein zu dürfen, bedeutet oft nur, da sein zu müssen. Die Religionen verlangen immer Dankbarkeit für diesen Zustand. Ich wäre so gern abgetrieben worden! Na ja, zu spät, stattdessen war jetzt der letzte Tagesordnungspunkt für heute dran: das ‚Caffè Greco‘.

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Die Würde der anderen | #61

Aufwachen und wissen: Ich bin in Rom! Gleich fühlte ich mich, als hätte ich das Schicksal, das diese Begegnung gar nicht mehr für mich vorgesehen hatte, draufgängerisch überlistet. Aufwachen und wissen: Ich bin nicht allein. Zwischen 1975 und 1990 bin ich zu Hause nie allein aufgewacht (unterwegs ziemlich oft auch nicht). Inzwischen kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wann ich wohl zuletzt im selben Zimmer mit jemandem geschlafen habe.

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Cowboys, Kaiser, Zwillinge und Gänse | #62

Am meisten freute sich Rafał auf das Pantheon. Wir wälzten uns hinein und wieder hinaus. Wir waren da gewesen, einschließlich Selfie, also verbrieft.

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Wie Schweinejauche prima abläuft | #63

Um eins hatten die Pferde uns wieder beim Hotel ‚Condotti‛ abgeliefert. Nun sollte es eine knappe Rast in der Nähe geben.

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Eintracht bei Otello | #64

Die Sonne war höflich genug, etwas zu sinken; die Minibar gab ein Gin- und ein Tonic-Fläschchen frei, und ich blätterte im ‚Spiegel‘ vom Allgemeinen ins Besondere.

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Die Stadt und ich | #65

Dass, wenn ich ins Bett gehe, Rafał das noch lange nicht tut, weiß ich. Ich spüre das Laken unter mir und horche in mich hinein, um zu stöbern, ob ich da wohl in einer unaufgeräumten Ecke ein Quäntchen Neid entdecke, aber ich fördere höchstens etwas Nostalgie, na ja, nicht zutage, aber in die Nacht. Damals, als ich ... wie ich da ..., oh Gott, und dann ... so viele Enttäuschungen, so viele Siege. Nichts hat mich nachhaltig verwundet, nichts hat mich nachhaltig geheilt.

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Roter Teppich | #66

Viel eher als von mir erwartet kamen Silke und Rafał an unseren Tisch. Engelsburg und Vatikan lagen hinter ihnen, die Getränkekarte lag vor ihnen. Erstaunlich: Manche Besucher brauchen mehrere Tage, um sich Roms bekannteste Attraktionen anzueignen, manche Schaulustige nur den Reiseführer, besonders, wenn er hübsch ist.

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Fast am Ziel

Abend der Gaukler | #67

In der Nachmittagssonne auf der Terrasse sitzen und alles an sich vorbeirauschen lassen: das, was man unterlassen hat, und das, was man getan hat. Mein Hirn ist das Kanu, an dem im Blut alles vorbeischnellt: das Erreichte und das Versäumte.

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Überwältigt am Ende der Welt | #68

Die Abreise aus Rom verlief unproblematisch. Meiner Kreditkarte wurde vertraut, Giuseppe wurde verabschiedet, das Gepäck lustlos, aber verlustlos verstaut und der Wagen unbeschädigt aus der Parkgarage verbracht. Auf der Ausfallstraße vermutete ich erleichtert, dass ich dem Schicksal wohl ein Schnippchen geschlagen hatte. Ganz sicher kann man da ja nie sein.

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Gerechtigkeit für alle | #69

Den Nachmittag verbrachte ich in meinen weißen Räumen, wo sonst? WLAN klappte wie fast überall erst nach allen möglichen Manipulationen. Einfach Kennwort eingeben und loslegen, das geht ganz selten mal – entweder mein PC ist zu alt oder ich bin es.

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Fast am Ziel

Ein Triumph | #70

Als ich erst meine Augen öffnete und dann auch die Gardinen, sah ich, die Welt war wieder im Lot: blauer Himmel. Die beiden Balkone meiner Luxus-Suite boten darüber hinaus einen besonderen Komfort: Ich hatte Anschluss an die Öffentlichkeit. Gleich unter meiner Balustrade wurde geräuschvoll gefrühstückt.

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Eine Frage der Perspektive | #71

1982 hatte Roland sein Jura-Studium genauso an den Nagel gehängt, wie ich meins schon viel früher geschmissen hatte. Nachdem wir im Mai auf Mykonos gewesen waren, hatte er seine Praxis eröffnet.

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Fast am Ziel

Die Steigerung der Steigerung | #72

Ich könnte doch auch einfach nur glücklich sein. Der größte Teil meines Lebens liegt hinter mir, und es sind ‚unterwegs‘ nur zwei richtig schlimme Dinge passiert. Dass Menschen, die über achtzig sind, sterben, muss man hinnehmen.

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Rohrschneider mit Schneidrädchen | #73

Den Nachmittag verbrachte ich wie den Vormittag auf meiner Terrasse und sah der Sonne dabei zu, wie sie ihre seit Millionen von Jahren festgelegte Bahn zurücklegte; sie wurde angebetet, verehrt und verflucht und ist doch nichts als ein Stern.

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Der schöne Wahn | #74

Rafał war noch immer tief geknickt wegen der unscheinbaren kleinen Beule in unserem herrschaftlich großen Auto, und ich wog ab, während er meinen unrettbar siechenden Leib balsamierte, ob es ihn trösten würde, wenn ich ihm „Ist doch nicht so schlimm!“ sagte.

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Aus dem Krater | #75

Der Weg zum Ziel führt über einen Bergkamm in das dünn besiedelte Tal der Albegna. Dort steigt aus einem Krater etwas auf, das mit dem Wort ‚Wasser‘ ziemlich freundlich beschrieben ist. Es stinkt und brodelt, 500 Liter pro Sekunde. Aber es kommt nicht aus der Hölle, sondern ganz unschuldig aus dem Himmel: Regenwasser vom Monte Amiata.

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Margherita heiratet schon wieder | #76

Auch bei unserem knappen Mittagsmahl setzte sich Silke wohltuend von den Bademäntlern ab, obwohl sie sich nicht hatte umziehen können, sondern noch Reisekleidung trug, während ich bereits die Annehmlichkeiten eines eigenen Hotelzimmers hatte auskosten dürfen. Bademäntel am Esstisch findet Silke rücksichtslos gegenüber Gästen in Rock und Bluse und in einem Hotel dieser Kategorie eigentlich nicht hinnehmbar. Seh ich ein. Aus der langgestreckten ‚piscina‘ drangen würzige Schwaden an unseren Tisch, beeinträchtigten aber den Geschmack der Speisen kaum. Nach wenigen Minuten nimmt man den Schwefel wie eine Zutat wahr, ohne die der Luftstrom fade röche, jedenfalls mir geht es so.

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Die Natur | #77

Die beiden letzten unserer achtundzwanzig Reisetage, die der reinen Entspannung dienen sollten, lagen vor uns, und bis zum Abend des ersten Tages wussten wir nicht, dass es sogar der allerletzte sein würde ...

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Außen kross und innen blutig | #78

Das Faustische habe ich immer in mir zu entdecken versucht und dachte meist: Armer Mephisto, an mir hättest du dir die Zähne ausgebissen. In Wahrheit hätte Mephisto seinen Spaß an mir gehabt: Wie oft habe ich für einen durchgeknallten Augenblick alles riskiert! Aber bis auf den heftigen Schlaganfall ist mir nie etwas Schlimmes passiert, immer nur den anderen.

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Was mich am Sport begeistert | #79

Ach nee! Das Wetter war schlecht und machte so meinen Plan zunichte, im Liegestuhl ausgestreckt, abwechselnd die ‚Weltgeschichte to go‘ und die Umherwandelnden zu verfolgen: mit neidischem Blick, aber entspannter Seele. Da musste ich mir stattdessen etwas Raffinierteres ausdenken und tat das auch: ein Ausflug nach Pitigliano.

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Ein Ausflug in Vergangenheit und Gegend | #80

Die Ebene mündete in einen Berghang, andere Möglichkeiten hatte sie ja nicht, das Meer war zu weit weg. Eine drollige Vorstellung, dass Landschaften einen Charakter hätten, nicht wie im Reiseführer beschrieben, heroisch oder lieblich oder unwirtlich, sondern wirklich launisch oder leutselig oder eitel.

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Die Rinkes | #81

Mein väterlicher Großvater Reinhold war in Tarnowitz in Oberschlesien geboren worden und heiratete die Essener Bierbrauertochter Maria, die zwar im Ruhrgebiet aufgewachsen war, sich aber gern als Rheinländerin bezeichnete. Sie ist, so oder so, das Westlichste, was mein Stammbaum hergibt.

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Nachkriegssünden | #82

Zu der Zeit, als ich 1947 beim thüringischen Bahnwärter ausgelagert lag, war Pucki schon einem smarten Australier, der ihr das Blaue vom Himmel dort unten versprochen hatte, in seine Heimat gefolgt. Da war es dann allerdings doch nicht so nobel. Pucki musste dort zu ihrem Entsetzen hinter der Theke Hot Dogs verkaufen, behauptete Guntram.

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Überwiegend Irena | #83

Nach der Scheidung zog Vicky mit ihren Töchtern hoffnungsvoll nach Düsseldorf zu Hasso. Jede Nacht, so zwischen zwei und drei, klingelte das Telefon, und Hasso machte sich auf den Weg zu Carola.

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Überwiegend Martha | #84

In den Siebzigerjahren interessierte ich mich sehr für meine Herkunft, und so besitze ich alle Aussagen von Guntram, Hasso und Irene auf Tonband und brauche nichts hinzuzudichten: Ich habe mir ihre Worte so oft angehört, dass ich sie auswendig kenne.

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Alles sehen wollen | #85

Silke und Rafał kamen betreten zurück. Verfallene und leerstehende Häuser bezeugten, dass pittoreskes Aussehen vielleicht für einen knappen Besuch reicht, aber nicht für ein Leben in der Einöde. Rafał war trotzdem bereichert: T-Shirts gibt es überall in Italien, wie Kirchen und Kastelle.

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Eine Fata Morgana endet im Golfclub | #86

Sehr gut. Endlich wieder beim Aufwachen wissen: Heute Abend werde in diesem Bett zumindest nicht ich einschlafen! Ich bin weg. Endlich wieder. Ja, ‚unterwegs‘ muss jeder Tag durchwebt sein mit Neuem, wie ein Bratenstück, das ungespickt zu trocken aus dem Ofen käme.

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In Schieflage | #87

Als das Schild Pisa ankündigte, wagte ich eine der wenigen Abweichungen vom Plan: Da Pisa so ganz direkt am Wege lag, sollte es auch besichtigt werden. Ich habe Pisa nie gemocht; es war schon immer fast so touristenlastig wie die Piazza San Marco, aber wann jemals würde sich die Gelegenheit bieten, diese Sehenswürdigkeit nochmal abzuhaken?

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‚Ö‘ | #88

Unser nächstes Ziel war Portofino. Meistens kam ich von Norden, aus der Schweiz, und wenn Portofino erreicht war, dann waren wir so sehr in Italien, dass wir eigentlich für den Rest des Urlaubs hätten bleiben können. Romantischer ging es nicht.

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Nichts über Genua | #89

Die Abreise war unkompliziert. Von sieben bis zehn Uhr werden in Portofino die Pfeiler weggeklappt, dann dürfen Berechtigte die Gasse herunterfahren bis auf die Piazza, und wer ist in einem Touristen-Eldorado berechtigter als der Hotelgast?

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Versteckte Apostel | #90

Gegen eins hatten wir die Po-Ebene durchmessen, und ich dachte: „Bestimmt sind wir schon vor halb zwei bei den ‚Zwölf Aposteln‘“, was aber in einem Lokal nicht besonders schlimm ist, auch wenn ich denke, dass die Kellner einen dafür verachten. Aufsehenerregende Persönlichkeiten erscheinen prinzipiell zu spät.

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Gefangen im Eigenen | #91

Wenn ich früher irgendwo ankam, wollte ich mich dort ausleben. Heute muss ich mich an meinem Bestimmungsort einleben. Zu Hause fällt das natürlich am leichtesten. Natürlich? Nach Rolands Tod fühlte ich mich jahrelang in jedem Hotel zwischen Oslo und Toronto vom Lächeln an der Rezeption gemeinter als von den stummen Wänden meiner Wohnung nahe der Elbe.

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Wie alles sein muss | #92

Erst einmal waren wir zwei Wochen lang ganz unter uns. Dann kam Helga, und als Helga abreiste, kam Susi. Rafałs Mann Carsten kam auch, mit Hund. Besuch habe ich gern, besonders, wenn er nicht neben mir im Zimmer schläft, sondern nebenan bei Silke oder im Stockwerk über mir.

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Der Wurstverkäufer | #93

Das Einkaufen als Vorgeplänkel zum Akt war, gerade hier in Meran, meine besondere Leidenschaft. Zum Beweis führe ich den Ausschnitt meines Briefes vom 17. Juli 1992 an Pali an:

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Hunger | #94

Nach ein paar Tagen in Meran war ich konsequent genug, meinen Vorsatz über den Haufen zu werfen; auf den gehören die meisten Vorsätze sowieso. Ich hatte mir ein bisschen vorgenommen, diese unerhebliche Fahrt durch Kroatien und Italien nicht schriftlich zu verewigen, nun tat ich es doch und konnte – auch wie immer – nicht schlüssig unterscheiden, ob mein Drang mich mitzuteilen aus dem Strauch der Langeweile oder aus dem Baum des Sendungsbewusstseins ersprossen war.

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Schwere Sprache | #95

Mario schrieb mir in meinen Blog, meine Texte seien ‚kurzweilig‘. Palaver. Kurzweilig zu schreiben kann reich und berühmt machen. Beides macht nicht unbedingt glücklich. Im Film erzählen sich die Gangster gern: „Nach diesem Coup hören wir auf. Dann liegen wir in Acapulco am Pool und Bräute im Bikini servieren Margaritas.“

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Wohnen und Sein | #96

Als wir abreisten, war der Himmel trüb, und die Blätter hingen lustlos an den Bäumen. Rafał hatte alles im Auto verstaut, bis auf das, was er vergessen hatte. Halb so schlimm. Carsten blieb mit Sally noch länger und konnte hinterherbringen, worum Rafał ihn schriftlich und mündlich bat.

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Fränkische Gastlichkeit | #97

Bei Füssen mussten wir von der Autobahn, die gerade erst begonnen hatte, wieder runter. In Füssen war Rafał (wie fast überall) auch schon gewesen, und er erzählte uns, während wir dran vorbeifuhren, so gründlich davon, dass es uns fast schien, als seien wir dort selber rumgelaufen.

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Die schlimme Inge | #98

Am Montagmorgen waren wir zu unserer Welterschaffung aufgebrochen, am Samstagabend würden wir zurück sein. Sonntag ist natürlich Ruhetag. Einundzwanzig Wochen lang waren wir unterwegs gewesen, wenn man den letzten Sonntag abrechnet und Hamburg als Heimathafen annimmt. Bis auf Silkes und meinen Geburtstag hätte alles an jedem x-beliebigen Tag stattfinden können. Das macht den Sinn von Planung aus: Nichts mehr ist x-beliebig!

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Wie es weitergeht | #99

Nun hatten wir mehr Zeit in Würzburg zugebracht als geplant. Es war nicht vergeudete, sondern bereichernde Zeit gewesen. Trotzdem hatte ich zur Kenntnis zu nehmen, dass das Display des Navis uns erst fünf nach halb zwei erlaubte, in Salzhausen zu sein.

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Frühling in Florenz

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Frühling in Florenz

#1.1 Die Lüge

‚Frühling in Florenz‘! Ich liebe Etikettenschwindel, Alliterationen auch. Die Kombination von beidem machte schon als ‚Milch‘ vor mehr als sechzig Jahren ‚müde Männer munter‘, und wer wie ich den ‚Fasching in Fulda‘ feierte, der ist sich weder für trutschige Titel noch für toskanische Themenbehauptungen zu schade oder gar zu schuldbewusst.

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#1.2 Der Nabel der Welt

Satt fuhren wir von Frohnau, wo ich wohl gezeugt wurde, in die Innenstadt West, dahin, wo für mich das Zentrum der Welt war, als Kind sowieso, und eigentlich bis 1995. Dann schob sich in meiner Wahrnehmung langsam Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße vor Ku’damm/Ecke Joachimsthaler.

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Frühling in Florenz

#1.3 Delikatesse für die Fresse

Etwas abgewirtschaftet trat ich in die Lobby. Harry wartete schon, Chris war noch nicht da. In Ordnung. Chris Schmökel hatte bei ‚Deutsche Grammphon‘ als mein ehemaliger Vice-Presidents-Kollege und hochdotierter Justitiar dafür zu sorgen, dass, als die Schallplatten-Industrie in den Neunzigerjahren in Bedrängnis geriet, möglichst viele Mitarbeiter mit möglichst geringen Abfindungen entlassen wurden.

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Frühling in Florenz

#1.4 Kultur im Beutel, Schwank in der Oper

Der pharmazeutische Weichzeichner hatte meine Magenpforte wie gewohnt entkrampft, und trotzdem war ich nicht ohne Drangsal, als ich mich an der zuvorkommend auf- und zugleitenden, lasergesteuerten Eingangstür des ‚Palace Hotels‘ von Chris Schmökel bis auf unbestimmte Zeit und von Harry bis zum Abend verabschiedet hatte: Der zwischen mittlerem und kleinem befindliche Zeh, der Ringzeh gewissermaßen, tat weh – harmlos, aber heftig.

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Frühling in Florenz

#1.5 Pizzabäcker, Eckensteher

In der Pause zwischen den Akten sah ich plötzlich Herbert zwischen den Menschen. Er war allein, sein Mann war schon wieder auf einen Ärztekongress enteilt. Normalerweise laufen sie immer gemeinsam in all diese Opern zwischen Wien und Wyk auf Föhr.

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Frühling in Florenz

#1.6 Im Hinterhof neben der Abfalltonne

Montag, 26. März: In dem Tempo kann ich unmöglich weitererzählen. Berlin ist doch eine fixe Stadt, zumindest eine Fixerstadt. Frühstück kostet im ‚Sofitel‘ 30 Euro. Ist mir ja egal, aber Silke und Rafał verzichteten ebenfalls.

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Frühling in Florenz

#1.7 Die Drei von der Tankstelle

Dienstag, 27. März: vormittags Treffen mit Rosa von Praunheim. Nachmittags nochmal A&S. Abends mit Freunden ‚Sale e Tabacchi‘: So geht kurz!

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Frühling in Florenz

#1.8 Gemischte Gefühle, gemischter Salat

Nürnberg kannte ich nicht gut, aber ein bisschen. Statt Rundgang füge ich hier meine Eindrücke vom 20. Februar 1984 ein. Damals wollte ich die Pianistin Martha Argerich abholen, um mit ihr zu Aufnahmen nach London zu fliegen ...

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Frühling in Florenz

#1.9 Was man sehen kann und was nicht

Donnerstag, 29. März: Bevor wir die fränkische Metropole verließen, fuhr Rafał, so dicht es eben ging, an den Stadtkern heran und dann nach oben zur Burg, damit ich aussteigen und runtergucken konnte. Es regnete nicht und ich guckte. Dabei dachte ich daran, dass Nürnberg lt. Wikipedia am 31. Dezember 2016 genau 511 628 Einwohner hatte ...

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Frühling in Florenz

#2.1 Heimatgefühle

Nach Ostern und vor Mai gibt es ein touristisches Loch, was für Südtirol finanziell unbefriedigend, aber seelisch sehr erholsam ist. Das Wetter war gut oder schlecht, ich achtete nicht so sehr darauf, bis auf die Male, bei denen das Wetter so verdammt schön tat, dass mich Rafał und Carsten vor die Tür zwangen ...

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Frühling in Florenz

#2.2 Bei den weltoffenen Weltbürgern

Der ausgewanderte Jude wird gefragt: „Wo wären Sie denn jetzt am liebsten: im Berlin Ihrer Kindheit, im Exil in Paris, in Tel Aviv oder in New York?“, und er antwortet jüdisch-diplomatisch: „Überall ein bisschen ungern.“

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Frühling in Florenz

#2.3 Komfort im Waschraum

So ging die Zeit mit Essen – überwiegend von Rafał zubereitet – Lesen und Denken – selbstgemacht – dahin; von oben der Blick ins Tal, von unten der Blick in die Berge.

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Frühling in Florenz

#2.4 Weg!

Den nächsten (Sonn-)Tag hatte ich in der Reiseplanung mit ‚Langeweile auf dem Lande‘ überschrieben. Meine Ironien sind noch das Ernsthafteste an mir, und das Albernste. Wir saßen am Pool, sahen in ‚Toscana‘, und ich las, während Silke braun wurde und Rafał seiner üblichen Rastlosigkeit mal zu Wasser und mal zu Land nachgab.

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Frühling in Florenz

#2.5 Den Kopf unter dem Arm

Ja, nun kommt er, der Frühling in Florenz: Wir fuhren eine Dreiviertelstunde durch Landschaft; selbst die Akazien, immer die Letzten, wurden allmählich grün. Hin und wieder ein Obstbaum am Straßenrand neben Agaven, überwiegend Oliven, Pinien und Zypressen, aber auch Laubwälder und einzelne Häuser, ziegelgedeckt mit flachen Giebeln.

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Frühling in Florenz

#2.6 Exzessive Nähe

Wir stiegen ins Auto und fuhren weg. Die vielen Touristen, die beschränkten Möglichkeiten. Frühling in Florenz? Flucht aus Florenz. Nicht mal das pompöse Essen, das ich mir in Florenz vorgestellt hatte, hatte stattgefunden. Fluch auf Florenz.

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Frühling in Florenz

#2.7 Tata

So ging ich also gestern Abend neben meinem Mitbürger Giuseppe einher, auf dem engen Bürgersteig schlängelten wir uns an den wenigen Passanten vorbei, die nüchterne Front der schmuckarmen Palazzi zur Rechten, zur Linken die dunkle, kaum genutzte, schmale Fahrbahn, und daneben wieder ein enger Fußweg ...

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Frühling in Florenz

#2.8 Glück?

Das ‚Crisco‘ war geöffnet und es war wie immer – und es war herrlich: der erste Raum ziemlich laut und kommunikativ, der zweite, etwas intimere, mit nur einem, nicht – wie vorn – neun Bildschirmen. Alle zehn Bildschirme zeigen dasselbe, wobei aber die neun vorne sich zum Gemeinschaftsbild eines Großhodensacks formieren oder den Sack neunmal klein (macht 18 Eier) abwechslungsreich zeigen können ...

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Frühling in Florenz

#2.9 Von der Engelsburg springen

Der ausgiebige Mittagsschlaf steigerte meine gute Laune noch, und auf dem Schlendergang zum Ponte Vecchio bemerkte ich vergnügt, dass mein spezielles Interesse an Menschen noch zugenommen hatte: Heute Nacht wollte ich sie mir alle in die Seele stopfen ...

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Frühling in Florenz

#2.10 Die Befreiung

Am Mittwochmorgen reisten wir pünktlich ab, jedenfalls Silke, Rafał und ich. Da sind wir sehr zuverlässig. Sally und Carsten hatten ihr eigenes Auto und konnten sich deshalb Zeit lassen. Der 25. April ist in Italien Feiertag, was schön ist für die arbeitende Bevölkerung und misslich, wenn man es nicht gewusst hat und nun tanken will und Brot und Wein für sein Abendmahl braucht.

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Frühling in Florenz

#3.1 Schulschläge

Ich bleibe dabei. So lasse ich es stehen. Den ersten Teil hatte ich noch zartfühlend ‚Von Zuhause nach Zuhause‘ betitelt. Dann habe ich im zweiten Teil seiten- bzw. displaylang über Heimat referiert, und nun das ...

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Frühling in Florenz

#3.2 Sprache statt Waffe

Am Sonntag, dem 29. April fuhren wir also ab, ‚von Heim zu Heim‘, aber nicht wie geplant. Wir hatten alle übersehen, dass ich ausnahmsweise in meiner Liste 10:30 Uhr vorgesehen hatte, fuhren also wie üblich um zehn ab und waren auch prompt statt um halb zwei schon um eins in Nußdorf am Inn.

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Frühling in Florenz

#3.3 Über die Verwendung von Gebühren-Verweigerern

Wir saßen zwischen Fahrbahn und Restaurant-Eingang, um uns her viele Menschen, die wenig anhatten. Sonntagnachmittag. Hab’ ich nie gemocht: Kinderwägen im Park und Buttercremetorte im Wohnzimmer.

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Frühling in Florenz

#3.4 Der Himmel hat die Erde geküsst

Am Montag war es grau. Nebel oder Schlimmeres? Schlimmeres. Auf unserem Weg nach Eichstätt fing es an, dermaßen gegen die Windschutzscheibe zu tropfen, dass wir uns dazu veranlasst sahen, einander trotzig darauf hinzuweisen, wie lieblich die Landschaft sei. Bei Eichstätt wurde der Himmel wieder ziemlich blau, und das war auch angebracht, denn Eichstett ist nicht irgendwas: Vor etwa 150 Millionen Jahren war hier der nördliche Rand des Jurameeres mit Korallenriffen und Lagunen.

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Teil 1: Von Zuhause nach Zuhause

‚Frühling in Florenz‘! Ich liebe Etikettenschwindel, Alliterationen auch. Mein Bedürfnis, Inhalte unter die Menschheit zu bringen, darf sich von der Sensationsgier der Bevölkerung nicht entmutigen lassen, sondern muss sie sich zunutze machen. Am besten durch den zielgerichteten Aufmacher: ein Titel, den Doofe nett finden und Ein-Gebildete für ironisch halten. ‚Frühling in Florenz‘ zum Beispiel.

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Frühling in Florenz

#1.1 Die Lüge

‚Frühling in Florenz‘! Ich liebe Etikettenschwindel, Alliterationen auch. Die Kombination von beidem machte schon als ‚Milch‘ vor mehr als sechzig Jahren ‚müde Männer munter‘, und wer wie ich den ‚Fasching in Fulda‘ feierte, der ist sich weder für trutschige Titel noch für toskanische Themenbehauptungen zu schade oder gar zu schuldbewusst.

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Frühling in Florenz

#1.2 Der Nabel der Welt

Satt fuhren wir von Frohnau, wo ich wohl gezeugt wurde, in die Innenstadt West, dahin, wo für mich das Zentrum der Welt war, als Kind sowieso, und eigentlich bis 1995. Dann schob sich in meiner Wahrnehmung langsam Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße vor Ku’damm/Ecke Joachimsthaler.

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#1.3 Delikatesse für die Fresse

Etwas abgewirtschaftet trat ich in die Lobby. Harry wartete schon, Chris war noch nicht da. In Ordnung. Chris Schmökel hatte bei ‚Deutsche Grammphon‘ als mein ehemaliger Vice-Presidents-Kollege und hochdotierter Justitiar dafür zu sorgen, dass, als die Schallplatten-Industrie in den Neunzigerjahren in Bedrängnis geriet, möglichst viele Mitarbeiter mit möglichst geringen Abfindungen entlassen wurden.

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#1.4 Kultur im Beutel, Schwank in der Oper

Der pharmazeutische Weichzeichner hatte meine Magenpforte wie gewohnt entkrampft, und trotzdem war ich nicht ohne Drangsal, als ich mich an der zuvorkommend auf- und zugleitenden, lasergesteuerten Eingangstür des ‚Palace Hotels‘ von Chris Schmökel bis auf unbestimmte Zeit und von Harry bis zum Abend verabschiedet hatte: Der zwischen mittlerem und kleinem befindliche Zeh, der Ringzeh gewissermaßen, tat weh – harmlos, aber heftig.

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#1.5 Pizzabäcker, Eckensteher

In der Pause zwischen den Akten sah ich plötzlich Herbert zwischen den Menschen. Er war allein, sein Mann war schon wieder auf einen Ärztekongress enteilt. Normalerweise laufen sie immer gemeinsam in all diese Opern zwischen Wien und Wyk auf Föhr.

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#1.6 Im Hinterhof neben der Abfalltonne

Montag, 26. März: In dem Tempo kann ich unmöglich weitererzählen. Berlin ist doch eine fixe Stadt, zumindest eine Fixerstadt. Frühstück kostet im ‚Sofitel‘ 30 Euro. Ist mir ja egal, aber Silke und Rafał verzichteten ebenfalls.

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#1.7 Die Drei von der Tankstelle

Dienstag, 27. März: vormittags Treffen mit Rosa von Praunheim. Nachmittags nochmal A&S. Abends mit Freunden ‚Sale e Tabacchi‘: So geht kurz!

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#1.8 Gemischte Gefühle, gemischter Salat

Nürnberg kannte ich nicht gut, aber ein bisschen. Statt Rundgang füge ich hier meine Eindrücke vom 20. Februar 1984 ein. Damals wollte ich die Pianistin Martha Argerich abholen, um mit ihr zu Aufnahmen nach London zu fliegen ...

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#1.9 Was man sehen kann und was nicht

Donnerstag, 29. März: Bevor wir die fränkische Metropole verließen, fuhr Rafał, so dicht es eben ging, an den Stadtkern heran und dann nach oben zur Burg, damit ich aussteigen und runtergucken konnte. Es regnete nicht und ich guckte. Dabei dachte ich daran, dass Nürnberg lt. Wikipedia am 31. Dezember 2016 genau 511 628 Einwohner hatte ...

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Teil 2: Zwischensaison

Erst wollte ich den ersten Teil dieses Reiseberichts ‚Von der Heimat in die Heimat‘ nennen, aber das wäre doch noch irreführender gewesen als der Obertitel ‚Frühling in Florenz‘. Zuhause bin ich in dem Hamburger wie in dem Meraner Gebäude, in dem meine Herde stehen. Aber Heimat? Das hat so etwas Generationenübergreifendes, und da tue ich mich schwer oder eher leicht. Da möchte ich gleich sagen: hab ich nicht!

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#2.1 Heimatgefühle

Nach Ostern und vor Mai gibt es ein touristisches Loch, was für Südtirol finanziell unbefriedigend, aber seelisch sehr erholsam ist. Das Wetter war gut oder schlecht, ich achtete nicht so sehr darauf, bis auf die Male, bei denen das Wetter so verdammt schön tat, dass mich Rafał und Carsten vor die Tür zwangen ...

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#2.2 Bei den weltoffenen Weltbürgern

Der ausgewanderte Jude wird gefragt: „Wo wären Sie denn jetzt am liebsten: im Berlin Ihrer Kindheit, im Exil in Paris, in Tel Aviv oder in New York?“, und er antwortet jüdisch-diplomatisch: „Überall ein bisschen ungern.“

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#2.3 Komfort im Waschraum

So ging die Zeit mit Essen – überwiegend von Rafał zubereitet – Lesen und Denken – selbstgemacht – dahin; von oben der Blick ins Tal, von unten der Blick in die Berge.

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#2.4 Weg!

Den nächsten (Sonn-)Tag hatte ich in der Reiseplanung mit ‚Langeweile auf dem Lande‘ überschrieben. Meine Ironien sind noch das Ernsthafteste an mir, und das Albernste. Wir saßen am Pool, sahen in ‚Toscana‘, und ich las, während Silke braun wurde und Rafał seiner üblichen Rastlosigkeit mal zu Wasser und mal zu Land nachgab.

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#2.5 Den Kopf unter dem Arm

Ja, nun kommt er, der Frühling in Florenz: Wir fuhren eine Dreiviertelstunde durch Landschaft; selbst die Akazien, immer die Letzten, wurden allmählich grün. Hin und wieder ein Obstbaum am Straßenrand neben Agaven, überwiegend Oliven, Pinien und Zypressen, aber auch Laubwälder und einzelne Häuser, ziegelgedeckt mit flachen Giebeln.

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#2.6 Exzessive Nähe

Wir stiegen ins Auto und fuhren weg. Die vielen Touristen, die beschränkten Möglichkeiten. Frühling in Florenz? Flucht aus Florenz. Nicht mal das pompöse Essen, das ich mir in Florenz vorgestellt hatte, hatte stattgefunden. Fluch auf Florenz.

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#2.7 Tata

So ging ich also gestern Abend neben meinem Mitbürger Giuseppe einher, auf dem engen Bürgersteig schlängelten wir uns an den wenigen Passanten vorbei, die nüchterne Front der schmuckarmen Palazzi zur Rechten, zur Linken die dunkle, kaum genutzte, schmale Fahrbahn, und daneben wieder ein enger Fußweg ...

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#2.8 Glück?

Das ‚Crisco‘ war geöffnet und es war wie immer – und es war herrlich: der erste Raum ziemlich laut und kommunikativ, der zweite, etwas intimere, mit nur einem, nicht – wie vorn – neun Bildschirmen. Alle zehn Bildschirme zeigen dasselbe, wobei aber die neun vorne sich zum Gemeinschaftsbild eines Großhodensacks formieren oder den Sack neunmal klein (macht 18 Eier) abwechslungsreich zeigen können ...

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#2.9 Von der Engelsburg springen

Der ausgiebige Mittagsschlaf steigerte meine gute Laune noch, und auf dem Schlendergang zum Ponte Vecchio bemerkte ich vergnügt, dass mein spezielles Interesse an Menschen noch zugenommen hatte: Heute Nacht wollte ich sie mir alle in die Seele stopfen ...

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#2.10 Die Befreiung

Am Mittwochmorgen reisten wir pünktlich ab, jedenfalls Silke, Rafał und ich. Da sind wir sehr zuverlässig. Sally und Carsten hatten ihr eigenes Auto und konnten sich deshalb Zeit lassen. Der 25. April ist in Italien Feiertag, was schön ist für die arbeitende Bevölkerung und misslich, wenn man es nicht gewusst hat und nun tanken will und Brot und Wein für sein Abendmahl braucht.

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Teil 3: Von Heim zu Heim

Ich bleibe dabei. So lasse ich es stehen. Den ersten Teil hatte ich noch zartfühlend ‚Von Zuhause nach Zuhause‘ betitelt. Dann habe ich im zweiten Teil seiten- bzw. displaylang über Heimat referiert, und nun das: Klingt wie das Schicksal eines … – da fällt mir wie immer meine Mutter ein. Sich der eigenen Identität bewusst zu werden und das, was man dabei entdeckt, zuzulassen, ist nicht einfach, nicht mal immer sinnvoll. Fremde Identitäten sind leichter hinzunehmen: Man kann sie ertragen, und wenn das nicht geht, bekämpfen.

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#3.1 Schulschläge

Ich bleibe dabei. So lasse ich es stehen. Den ersten Teil hatte ich noch zartfühlend ‚Von Zuhause nach Zuhause‘ betitelt. Dann habe ich im zweiten Teil seiten- bzw. displaylang über Heimat referiert, und nun das ...

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#3.2 Sprache statt Waffe

Am Sonntag, dem 29. April fuhren wir also ab, ‚von Heim zu Heim‘, aber nicht wie geplant. Wir hatten alle übersehen, dass ich ausnahmsweise in meiner Liste 10:30 Uhr vorgesehen hatte, fuhren also wie üblich um zehn ab und waren auch prompt statt um halb zwei schon um eins in Nußdorf am Inn.

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#3.3 Über die Verwendung von Gebühren-Verweigerern

Wir saßen zwischen Fahrbahn und Restaurant-Eingang, um uns her viele Menschen, die wenig anhatten. Sonntagnachmittag. Hab’ ich nie gemocht: Kinderwägen im Park und Buttercremetorte im Wohnzimmer.

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#3.4 Der Himmel hat die Erde geküsst

Am Montag war es grau. Nebel oder Schlimmeres? Schlimmeres. Auf unserem Weg nach Eichstätt fing es an, dermaßen gegen die Windschutzscheibe zu tropfen, dass wir uns dazu veranlasst sahen, einander trotzig darauf hinzuweisen, wie lieblich die Landschaft sei. Bei Eichstätt wurde der Himmel wieder ziemlich blau, und das war auch angebracht, denn Eichstett ist nicht irgendwas: Vor etwa 150 Millionen Jahren war hier der nördliche Rand des Jurameeres mit Korallenriffen und Lagunen.

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In der Blase

Ganz am Anfang leben wir alle in einer Blase, auch nach der Geburt: Unsere Familie, unser Glaube, unser Denken. Vielen reicht das. Uns nicht. Wir wollen raus. Wir wollen nicht weggucken, sondern hinsehen. Begleiten Sie uns auf ein Road Movie vom Brenner bis nach Sizilien und wieder zurück. Von den ersten Siedlungen bis zu den letzten Wahrheiten, vom dunklen Ahnen bis zum hellen Wahnsinn und wieder zurück. Das wird nicht immer komisch. Aber oft!

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In der Blase

#0 – (M)ein-Leitung

Alles ist fertig. Die richtigen Bilder, um meine Ansichten zu illustrieren. Die richtigen Wörter, um die Worte zu ordnen. Alles ist so, wie ich es will. Und doch! Wie seltsam, hier Reise-, sogar Lebenserfahrungen aufzublättern, die während des Schreibens ganz zeitgemäß zeitlos schienen und die nun von der Wirklichkeit auf die hinteren Plätze verwiesen wurden. Jetzt ist alles anders.

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#1 – Loslegen

Anzufangen fällt mir nicht schwer. Aufzuhören schon eher. Das leere Blatt hat mich nie geschreckt, der leere Bildschirm tut das auch nicht. Die Formulierung kommt gleich mit dem Gedanken, und all meine Kopfgeburten gelingen problemlos ohne Wehen. An den Sinn des Aufschreibens zu glauben, fällt schon schwerer. Mal denke ich: „Ich brauche das!“ und mal sage ich mir: „Die Menschheit wird sich nie die Frage stellen, ob sie es braucht, wenn ich es gar nicht erst aufgezeichnet habe.“

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#2 – Die große Show

Los geht es im Juli 2018. Im Jahr zuvor hatte ich Giuseppe recht gegeben: Für den wochenlangen Ausflug von Meran aus nach Süden wäre im Hochsommer zu heiß gewesen. 2018 war es noch heißer als im Vorjahr, aber wie oft sollte ich die Reise denn noch aufschieben? Von der Endlichkeit müssen wir Gebrauch machen, bevor uns die Unendlichkeit einholt und die Falle zuschnappt.

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#3 – Warum Italien zugrunde geht

Für den weiteren Verlauf der Eskapade mache ich es mir einfach und schreibe – leicht gekürzt – von meinem damaligen Tagebuch ab. Das ist doch viel authentischer und gibt mir außerdem Gelegenheit, noch mal auf Florenz zurückzukommen, obwohl Florenz ja eigentlich schon in meinem Blogwerk ‚Frühling in Florenz‘ abgefeiert worden war.

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#4 – Und was ist bei Regen?

Inzwischen war es auch an der Zeit, die Villa, in der die Vorabend-Veranstaltung stattfinden sollte, zu besichtigen. Motto: ‚Die Musikwelt zu Gast bei Freunden‘, also bei mir. Aber alles andere als bei mir Zuhause. Als wir in die Autos stiegen, hatten Rüdiger, Volker und Pipo, denen zu fasten ein weniger perverses Bedürfnis ist als mir, schon so was Verdrossenes um den Mund, Giuseppe nicht, er war abgelenkt durch das Gewicht meiner Tasche.

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#5 – Andacht im Dom

Weiter im Tagebuch: Freitagvormittag in Bologna. Heißer Himmel. Wir schlenderten. „Ich find’ ja Bologna ganz toll“, sagte Rüdiger, ohne das näher zu begründen. Giuseppe führte seine sanftmütigen Augen aus, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob man aus dieser Art Blick heraus eigentlich sehen kann, also ob er lichtdurchlässig ist.

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#6 – Ohne Blick auf den Dom

Wir fuhren zum Mittagessen in das Restaurant am hinteren Rand der Piazzale Michelangelo: ‚La Loggia‘. Von dessen erhöhter Terrasse aus kann man, am monumentalen David vorbei, ganz Florenz in die Toskana-Hügel eingebettet liegen sehen. Solche Ausflugspunkte warten ja häufig nur mit Pizzerien und McDonaldissimos auf, und so war es immer schon meine Sehnsucht gewesen, dieses erstklassige Lokal an berühmter Stelle zu besuchen. Nun endlich.

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#7 – Leere und Fülle

Zurück in die Gegenwart – die Gegenwart unserer Reise nach Südost. Silke kannte Bologna nicht. Es ist die größte italienische Stadt, die keinen deutschen Namen verpasst bekommen hat, so wie es Mailand, Neapel, Rom, Venedig und Genua passiert ist. Die Italiener rächen sich mit ‚Amburgo‘, ‚Berlino‘, ‚Monaco‘, ‚Stoccarda‘. Wer damit angefangen hat, weiß ich nicht, nur, dass wir das mit anderen Ländern und ihren Städten nicht machen.

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#8A – Vom Städtebund zum Seebad

In den Fünfzigerjahren war Rimini der Traum der Deutschen gewesen, und die Schilder an den Strandbuden hatten ‚Kaffe nach deutche Art‘ im Angebot. Es hat sich herumgesprochen, dass es auf Mallorca nicht nur den Ballermann, sondern auch herrliche, fast unberührte Gegenden gibt. Was würde es in Rimini geben? Als wir fünf Tage später wieder wegfuhren, wussten wir es, aber erst mal der Reise und Reihe nach – Geschichte und Geschichtchen, sie sind ja meine beiden Steckenpferde. Also, losgeritten!

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#8B – Exkurs: Der Sinn des Lebens

Ich vergesse regelmäßig mein Smartphone. Gott sei Dank schon zu Hause. Da bin ich wohl der Letzte, dem das passiert.

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#9 – Die Tücken des ‚Grand Hotels‘

Nach unserem Unbesuch 1967 gab es eine Pause von einunddreißig Jahren, bevor meine Füße wieder Rimini-Boden betraten: 1998. Davon gibt es wieder kein einziges Foto, aber mein Tagebuch. Das ist ja viel authentischer als alles, was ich mir jetzt nachträglich zusammenreimen könnte.

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#10 – Badefreuden

Die Ankunft am Strand ist jedes Mal ein Horror. Unsere drei Liegestühle stehen in vorderster Front, dagegen ist nichts zu sagen, aber entweder ist schon jemand anderes da, dann ist der Vormittag gelaufen, weil er unweigerlich zu dicht ‚ausgerechnet bei uns‘ sitzt, oder er ist noch nicht da, dann wird er mit bitterem Verdruss herbeigewartet.

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#11A – Halb so lange

Genug der Vorgeschichten! Sie sollten nur Beleg sein für die Notwendigkeit, Rimini in meine Abschiedstournee mit einzubeziehen, und sie beleuchten das Dunkel der Vergangenheit, so dass die Assoziationen, die ich beim Verlassen der Autostrada hatte, sichtbar werden, um es so schön geschraubt auszudrücken, wie es sich für einen komplizierten Abschied aus einer untergehenden Welt geziemt.

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#11B – Vertrödeln findet nicht statt

Alles wird anders. Immerzu. Aber dieses Mal wird es sehr anders: Aus der humanistischen Welt, die mich geprägt hat, geht es in die digitale, an der ich wissbegierig und verständnislos Anteil nehme. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit gegen mich arbeitet.

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#12A – Doppelschlag

1967 auf unserer langen Studentenreise, auf der wir Rimini so genüsslich verachtet hatten, fuhren wir ins Inland, Richtung San Marino. Hans Dieter saß am Steuer und huppelte im Dunkeln über etwas, das wir für eine fette Ratte hielten. Angeekelt steuerten wir die nächste Übernachtungsmöglichkeit an. Kultur hin, Landschaft her, dieser Moment, in dem es unter uns gescheppert hatte – er ist das Einzige, an das ich mich von damals erinnere.

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#12B – Apfelbäumchen oder Sintflut?

Kaum liegt man, schon drängen sich neue Fragen ins Hirn, und wenn man es nicht schafft, sie zurückzudrängen, schaffen sie es, einen wach zu halten. Die Reise, das Leben, der Tod.

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#13A – Wo überall mir Tattoos fehlen

Als Reiseführer bemühe ich mich, nicht allzu weihevoll zu sein, weil ich salbungsvolles Getue auch bei anderen Menschen schwer aushalte. Dennoch fühle ich mich dafür verantwortlich, die tägliche Langeweile zwischen Lobby und Liegestuhl so gering zu halten, dass nicht der Sinn der ganzen Reise unvermittelt auf dem Prüfstand steht.

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#13B – Exkurs: Antike (und) Anmache

Die Frage, wie kompatibel unsere eigenen Gedankengänge mit den Vorstellungen anderer Menschen sind, beschäftigt mich am Tag, wenn ich mir die Leute so betrachte, und erst recht bei Nacht, wenn ich nicht gerade schlafe oder mich Strandpartylärm vom Denkmodus in den Wutmodus zwingt.

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#14 – Leichen

Eine letzte Nacht, die Silke und Rafał mit Meerblick und Krach hatten verbringen dürfen, ich mit Parkplatzblick und Stille, dann packte das Personal unser Gepäck ins Auto, und wir fuhren weg. Fazit: Im ‚Grand Hotel‘ nach hinten raus schlafen, im ‚Club Nautico‘ bei Sonnenuntergang tafeln – so ist Rimini immer wieder eine Reise wert. Alles andere kann man nicht, man muss es vergessen. Nulla!

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#15 – Venedig bis zum Abwinken

Wir hatten mit weniger Zeit für die Strecke zwischen Rimini und Lido gerechnet. Helga stand schon fröhlich winkend am Ufer. Den Flug von Hamburg über die Alpen hatte sie schneller geschafft als wir die Strecke von Rimini hierher, trotz Rafałs Fahrweise. Fliegen ist ungesund für die Natur, Autofahren auch. Zuhausebleiben ist langweilig für den Menschen. So ist das nun mal.

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#16 – Die unendliche Schwierigkeit aufzustehen

Morgens bin ich, meiner eigenen Empfindung nach, eher ein Wrack, das am Grunde seines Bettes von Tauchern in Ruhe gelassen werden will, als die stolze Fregatte, die ich gestern Abend war und die noch kurz vor dem Schlafengehen verbale Salven auf seine Umgebung abgeschossen hat. Mein Hausarzt hat da ja seine eigene Theorie über dieses Phänomen, aber es geht hier weder um Schiffeversenken noch um Flaschenentkorken ...

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#17 – Irgendwie eintreffen

Giuseppe ist ein viel besserer Mensch, als ich es bin (moralisch gesehen), aber sein Orientierungssinn ist vielleicht etwas weniger ausgeprägt als meiner. Wir fuhren ja nun ab Trient durch seine Westentasche und deshalb erst kurz vor Venedig in die Irre. Ich hielt ihn natürlich für einen ausgekochten Abkürzer, so dass ich bewundernd sagte: „Das Schild nach Venedig wies da lang!“

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#18 – Im Wartezimmer

Freitagnachmittag, 16 Uhr. Trotz der fortgerückten Stunde ging ich zum Empfang und schilderte – was blieb mir übrig? – mein Problem. Vor Montag würde ich wohl keine Chance haben?

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#19 – Wüstensommer

Am nächsten Morgen ist um zehn Uhr festzustellen: Wir sind auf dem Lido, wir haben es knapp durch die Tür geschafft, bevor der Frühstückssalon geschlossen wurde, und Silke ist noch nicht angekommen.

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#20 – Die Symbolfigur unserer Zeit

Gestern haben wir in dichtestem Menschengedränge bei ‚Billa‘ (lautmalerisch und in etwa mit ‚Lidl‘ vergleichbar) weitere Mengen an Bodylotion und Insektenspray gekauft, weil Irene es nicht leiden kann, während des stimmungsvollen Abendessens im Freien vom Knöchel an aufwärts von Mücken zerkaut zu werden.

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#21 – Herr Schwarz von Venedig

Manchmal, so beim Essen zu zweit, überkommt mich dieser übliche Ewigkeitsanspruch, und ich denke: „Mein Gott, was erzähl ich denn dieser Person zwischen Suppe und Salat meine Aufgewühltheiten, wenn die mir sowieso irgendwann wegstirbt?“ Aber dann beruhige ich mich wieder. Schließlich habe ich es ja selber auch ganz gern, dass vor meinem Tod schon mal jemand mit mir geredet hat.

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#22 – Angebot an italienische Mütter

Es war keine Wolke am Himmel, es blieb keine Wahl: Am allerletzten Spätnachmittag unseres Meeres-Kur-Aufenthalts musste Venedig erobert werden.

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#23 – Kartoffelchips mit Charakter

Es ist schon lange nicht mehr schwierig, einen Logenplatz in einem der drei Cafés zu bekommen. Jeder kennt die Preise, und so werden die Sitzenden mehr begafft als die Flanierenden, bei denen es sich allerdings überwiegend um Vorbeilatschende handelt.

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#24 – Zusammenbruch

Der Brief fängt früher an und geht noch viel weiter, aber das war der (ohnehin gekürzte) Venedig-Teil. – Zurück zum Jetzt. Früher war das Leben lustiger: wie ein leichter Schwips. Nicht die Zeit war lustiger, nur wir.

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#25 – Riskante Wette

Cocktail-Time – auf der Terrasse des ‚Excelsior‘. Im ‚Excelsior‘ wohnt die Film-Prominenz während der Festspiele, und dort, wo er erfunden wurde, habe ich schon mit Pali, Irene, Guntram, Roland und Silke den waschechten Bellini getrunken.

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#26 – Ein Hinweis aus Paderborn

Abendessen – Der letzte Abend muss dramaturgisch immer noch eins draufsetzen. Also nahmen wir ein Wassertaxi vom Lido zum Markusplatz.

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#27A – Das Wichtigste über die Zeit der Kreuzzüge, über die Zeit davor und über die Zeit danach

Am nächsten Tag – Samstag, dem 11. August, übrigens – sollte das Sehenswürdigkeitsgucken (giro turistico) vom Vortag fortgesetzt werden. Vicenza, gleich um die Ecke, bot sich dafür an.

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#27B – In Teufels und Ferraris Küche

Als wir am späten Nachmittag nach Asolo fuhren, tat der Himmel schon wieder so, als sei nichts gewesen. Im Garten des Hotels ‚Cipriani‘ sitzt man wie auf Besuch im Paradies, und der Ober bringt zu den Getränken ungefragt all diese herrlichen Kleinigkeiten ...

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#28 – Ganz ausgeschlossen!

Am Dienstag, dem 16. Oktober, reisten wir zurück nach Deutschland. Drei Monate waren vergangen. Ist das viel – ist es wenig? Der Sommer war in ganz Europa heiß gewesen. Chemnitz geriet wegen rechtsextremer Hooligans in die Schlagzeilen, Jamal Khashoggi war in Istanbul ermordet und zerstückelt worden.

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#29A – Vermutungen

Zurück zum Hauptschlüssel des Mercedes. Ich war mit ihm bis zu dem Restaurant Hidalgo gefahren, in dem wir mittaggegessen hatten. Danach war Guntram gefahren. Offenbar mit dem Zweitschlüssel. Jeder von uns beiden war insgeheim sicher, dass er den fehlenden Schlüssel verschusselt hatte ...

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#29B – Am Eingangstor zu Berlin

In meiner Wohnung war ich noch damit beschäftigt, die Post in Werbebriefe für mich und Werbebriefe für den seit Jahren toten Roland zu sortieren, als das Telefon klingelte: Guntram hatte einen weiteren Schlüssel die ganze Zeit im Portemonnaie bei sich gehabt. Alles war da, nichts fehlte.

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#29C – Zusammenfassung

Liebe Zuschauer, -hörer, Leser/-innen! Erlauben Sie mir bitte eine Zwischenbilanz, bevor der zweite Teil beginnt. Meine Generation hat Menschen und Länder entdecken wollen. In den 1950er-Jahren waren die Deutschen ans Mittelmeer gefahren, weil es da warm war. Die Entdeckung der Welt, das war etwas für einzelne Abenteurer gewesen.

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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation

Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘

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#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch

Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.

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#31B – Orest

Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.

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#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken

Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.

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#32B – Abstecher

Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...

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#33 – Vollmond

Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.

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#34 – Wetten, dass nicht …

Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.

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#35A – Damals, mehrmals

Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...

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#35B – Heute: einmal reicht

Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.

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#36 – Unwiederbringlich?

Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.

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#37A – Hummer am Straßenrand

Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.

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#37B – Erinnerungen an Erinnerungen

Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.

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#38 – Überfahrt

Fortsetzung 1975: Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...

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#39 – Bezahlen

Fortsetzung 1975: Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.

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#40 – Mein Ruf

Fortsetzung 1975: In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.

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#41 – Was nicht passiert war und was doch

Fortsetzung 1975: Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.

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#42 – Das Machbare

Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.

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#43 – Ein Finne auf der Fähre

Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.

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#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein

Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.

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#44B – Wahrheiten und Lügen

Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.

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#44C – Durch Monreale und durch Müll

Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.

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#45 – Urlaub

Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.

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#46 – Weltkulturerbe und wir Erben

Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.

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#47A – Die Festung

Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.

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#47B – Mitbringsel

Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.

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#47C – Wo man was macht

1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.

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#48 – Das neue Kleid

2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.

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#49 – An Rom vorbei

In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.

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#50 – Nur 20 Prozent Männer

Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.

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#51 – Lehren ziehen

Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.

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#52A – Im Haus

Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.

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#52B – Tulpenfieber

Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.

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#53 – Ausgestorbene Berufe

2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.

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#54 – Abschiedsessen

Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.

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Norden

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#0 – (M)ein-Leitung

Alles ist fertig. Die richtigen Bilder, um meine Ansichten zu illustrieren. Die richtigen Wörter, um die Worte zu ordnen. Alles ist so, wie ich es will. Und doch! Wie seltsam, hier Reise-, sogar Lebenserfahrungen aufzublättern, die während des Schreibens ganz zeitgemäß zeitlos schienen und die nun von der Wirklichkeit auf die hinteren Plätze verwiesen wurden. Jetzt ist alles anders.

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Süd nach Südost

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#1 – Loslegen

Anzufangen fällt mir nicht schwer. Aufzuhören schon eher. Das leere Blatt hat mich nie geschreckt, der leere Bildschirm tut das auch nicht. Die Formulierung kommt gleich mit dem Gedanken, und all meine Kopfgeburten gelingen problemlos ohne Wehen. An den Sinn des Aufschreibens zu glauben, fällt schon schwerer. Mal denke ich: „Ich brauche das!“ und mal sage ich mir: „Die Menschheit wird sich nie die Frage stellen, ob sie es braucht, wenn ich es gar nicht erst aufgezeichnet habe.“

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#2 – Die große Show

Los geht es im Juli 2018. Im Jahr zuvor hatte ich Giuseppe recht gegeben: Für den wochenlangen Ausflug von Meran aus nach Süden wäre im Hochsommer zu heiß gewesen. 2018 war es noch heißer als im Vorjahr, aber wie oft sollte ich die Reise denn noch aufschieben? Von der Endlichkeit müssen wir Gebrauch machen, bevor uns die Unendlichkeit einholt und die Falle zuschnappt.

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#3 – Warum Italien zugrunde geht

Für den weiteren Verlauf der Eskapade mache ich es mir einfach und schreibe – leicht gekürzt – von meinem damaligen Tagebuch ab. Das ist doch viel authentischer und gibt mir außerdem Gelegenheit, noch mal auf Florenz zurückzukommen, obwohl Florenz ja eigentlich schon in meinem Blogwerk ‚Frühling in Florenz‘ abgefeiert worden war.

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#4 – Und was ist bei Regen?

Inzwischen war es auch an der Zeit, die Villa, in der die Vorabend-Veranstaltung stattfinden sollte, zu besichtigen. Motto: ‚Die Musikwelt zu Gast bei Freunden‘, also bei mir. Aber alles andere als bei mir Zuhause. Als wir in die Autos stiegen, hatten Rüdiger, Volker und Pipo, denen zu fasten ein weniger perverses Bedürfnis ist als mir, schon so was Verdrossenes um den Mund, Giuseppe nicht, er war abgelenkt durch das Gewicht meiner Tasche.

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#5 – Andacht im Dom

Weiter im Tagebuch: Freitagvormittag in Bologna. Heißer Himmel. Wir schlenderten. „Ich find’ ja Bologna ganz toll“, sagte Rüdiger, ohne das näher zu begründen. Giuseppe führte seine sanftmütigen Augen aus, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob man aus dieser Art Blick heraus eigentlich sehen kann, also ob er lichtdurchlässig ist.

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#6 – Ohne Blick auf den Dom

Wir fuhren zum Mittagessen in das Restaurant am hinteren Rand der Piazzale Michelangelo: ‚La Loggia‘. Von dessen erhöhter Terrasse aus kann man, am monumentalen David vorbei, ganz Florenz in die Toskana-Hügel eingebettet liegen sehen. Solche Ausflugspunkte warten ja häufig nur mit Pizzerien und McDonaldissimos auf, und so war es immer schon meine Sehnsucht gewesen, dieses erstklassige Lokal an berühmter Stelle zu besuchen. Nun endlich.

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#7 – Leere und Fülle

Zurück in die Gegenwart – die Gegenwart unserer Reise nach Südost. Silke kannte Bologna nicht. Es ist die größte italienische Stadt, die keinen deutschen Namen verpasst bekommen hat, so wie es Mailand, Neapel, Rom, Venedig und Genua passiert ist. Die Italiener rächen sich mit ‚Amburgo‘, ‚Berlino‘, ‚Monaco‘, ‚Stoccarda‘. Wer damit angefangen hat, weiß ich nicht, nur, dass wir das mit anderen Ländern und ihren Städten nicht machen.

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#8A – Vom Städtebund zum Seebad

In den Fünfzigerjahren war Rimini der Traum der Deutschen gewesen, und die Schilder an den Strandbuden hatten ‚Kaffe nach deutche Art‘ im Angebot. Es hat sich herumgesprochen, dass es auf Mallorca nicht nur den Ballermann, sondern auch herrliche, fast unberührte Gegenden gibt. Was würde es in Rimini geben? Als wir fünf Tage später wieder wegfuhren, wussten wir es, aber erst mal der Reise und Reihe nach – Geschichte und Geschichtchen, sie sind ja meine beiden Steckenpferde. Also, losgeritten!

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#8B – Exkurs: Der Sinn des Lebens

Ich vergesse regelmäßig mein Smartphone. Gott sei Dank schon zu Hause. Da bin ich wohl der Letzte, dem das passiert.

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#9 – Die Tücken des ‚Grand Hotels‘

Nach unserem Unbesuch 1967 gab es eine Pause von einunddreißig Jahren, bevor meine Füße wieder Rimini-Boden betraten: 1998. Davon gibt es wieder kein einziges Foto, aber mein Tagebuch. Das ist ja viel authentischer als alles, was ich mir jetzt nachträglich zusammenreimen könnte.

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#10 – Badefreuden

Die Ankunft am Strand ist jedes Mal ein Horror. Unsere drei Liegestühle stehen in vorderster Front, dagegen ist nichts zu sagen, aber entweder ist schon jemand anderes da, dann ist der Vormittag gelaufen, weil er unweigerlich zu dicht ‚ausgerechnet bei uns‘ sitzt, oder er ist noch nicht da, dann wird er mit bitterem Verdruss herbeigewartet.

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#11A – Halb so lange

Genug der Vorgeschichten! Sie sollten nur Beleg sein für die Notwendigkeit, Rimini in meine Abschiedstournee mit einzubeziehen, und sie beleuchten das Dunkel der Vergangenheit, so dass die Assoziationen, die ich beim Verlassen der Autostrada hatte, sichtbar werden, um es so schön geschraubt auszudrücken, wie es sich für einen komplizierten Abschied aus einer untergehenden Welt geziemt.

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#11B – Vertrödeln findet nicht statt

Alles wird anders. Immerzu. Aber dieses Mal wird es sehr anders: Aus der humanistischen Welt, die mich geprägt hat, geht es in die digitale, an der ich wissbegierig und verständnislos Anteil nehme. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit gegen mich arbeitet.

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#12A – Doppelschlag

1967 auf unserer langen Studentenreise, auf der wir Rimini so genüsslich verachtet hatten, fuhren wir ins Inland, Richtung San Marino. Hans Dieter saß am Steuer und huppelte im Dunkeln über etwas, das wir für eine fette Ratte hielten. Angeekelt steuerten wir die nächste Übernachtungsmöglichkeit an. Kultur hin, Landschaft her, dieser Moment, in dem es unter uns gescheppert hatte – er ist das Einzige, an das ich mich von damals erinnere.

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#12B – Apfelbäumchen oder Sintflut?

Kaum liegt man, schon drängen sich neue Fragen ins Hirn, und wenn man es nicht schafft, sie zurückzudrängen, schaffen sie es, einen wach zu halten. Die Reise, das Leben, der Tod.

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#13A – Wo überall mir Tattoos fehlen

Als Reiseführer bemühe ich mich, nicht allzu weihevoll zu sein, weil ich salbungsvolles Getue auch bei anderen Menschen schwer aushalte. Dennoch fühle ich mich dafür verantwortlich, die tägliche Langeweile zwischen Lobby und Liegestuhl so gering zu halten, dass nicht der Sinn der ganzen Reise unvermittelt auf dem Prüfstand steht.

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#13B – Exkurs: Antike (und) Anmache

Die Frage, wie kompatibel unsere eigenen Gedankengänge mit den Vorstellungen anderer Menschen sind, beschäftigt mich am Tag, wenn ich mir die Leute so betrachte, und erst recht bei Nacht, wenn ich nicht gerade schlafe oder mich Strandpartylärm vom Denkmodus in den Wutmodus zwingt.

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#14 – Leichen

Eine letzte Nacht, die Silke und Rafał mit Meerblick und Krach hatten verbringen dürfen, ich mit Parkplatzblick und Stille, dann packte das Personal unser Gepäck ins Auto, und wir fuhren weg. Fazit: Im ‚Grand Hotel‘ nach hinten raus schlafen, im ‚Club Nautico‘ bei Sonnenuntergang tafeln – so ist Rimini immer wieder eine Reise wert. Alles andere kann man nicht, man muss es vergessen. Nulla!

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#15 – Venedig bis zum Abwinken

Wir hatten mit weniger Zeit für die Strecke zwischen Rimini und Lido gerechnet. Helga stand schon fröhlich winkend am Ufer. Den Flug von Hamburg über die Alpen hatte sie schneller geschafft als wir die Strecke von Rimini hierher, trotz Rafałs Fahrweise. Fliegen ist ungesund für die Natur, Autofahren auch. Zuhausebleiben ist langweilig für den Menschen. So ist das nun mal.

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#16 – Die unendliche Schwierigkeit aufzustehen

Morgens bin ich, meiner eigenen Empfindung nach, eher ein Wrack, das am Grunde seines Bettes von Tauchern in Ruhe gelassen werden will, als die stolze Fregatte, die ich gestern Abend war und die noch kurz vor dem Schlafengehen verbale Salven auf seine Umgebung abgeschossen hat. Mein Hausarzt hat da ja seine eigene Theorie über dieses Phänomen, aber es geht hier weder um Schiffeversenken noch um Flaschenentkorken ...

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#17 – Irgendwie eintreffen

Giuseppe ist ein viel besserer Mensch, als ich es bin (moralisch gesehen), aber sein Orientierungssinn ist vielleicht etwas weniger ausgeprägt als meiner. Wir fuhren ja nun ab Trient durch seine Westentasche und deshalb erst kurz vor Venedig in die Irre. Ich hielt ihn natürlich für einen ausgekochten Abkürzer, so dass ich bewundernd sagte: „Das Schild nach Venedig wies da lang!“

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#18 – Im Wartezimmer

Freitagnachmittag, 16 Uhr. Trotz der fortgerückten Stunde ging ich zum Empfang und schilderte – was blieb mir übrig? – mein Problem. Vor Montag würde ich wohl keine Chance haben?

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#19 – Wüstensommer

Am nächsten Morgen ist um zehn Uhr festzustellen: Wir sind auf dem Lido, wir haben es knapp durch die Tür geschafft, bevor der Frühstückssalon geschlossen wurde, und Silke ist noch nicht angekommen.

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#20 – Die Symbolfigur unserer Zeit

Gestern haben wir in dichtestem Menschengedränge bei ‚Billa‘ (lautmalerisch und in etwa mit ‚Lidl‘ vergleichbar) weitere Mengen an Bodylotion und Insektenspray gekauft, weil Irene es nicht leiden kann, während des stimmungsvollen Abendessens im Freien vom Knöchel an aufwärts von Mücken zerkaut zu werden.

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#21 – Herr Schwarz von Venedig

Manchmal, so beim Essen zu zweit, überkommt mich dieser übliche Ewigkeitsanspruch, und ich denke: „Mein Gott, was erzähl ich denn dieser Person zwischen Suppe und Salat meine Aufgewühltheiten, wenn die mir sowieso irgendwann wegstirbt?“ Aber dann beruhige ich mich wieder. Schließlich habe ich es ja selber auch ganz gern, dass vor meinem Tod schon mal jemand mit mir geredet hat.

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#22 – Angebot an italienische Mütter

Es war keine Wolke am Himmel, es blieb keine Wahl: Am allerletzten Spätnachmittag unseres Meeres-Kur-Aufenthalts musste Venedig erobert werden.

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#23 – Kartoffelchips mit Charakter

Es ist schon lange nicht mehr schwierig, einen Logenplatz in einem der drei Cafés zu bekommen. Jeder kennt die Preise, und so werden die Sitzenden mehr begafft als die Flanierenden, bei denen es sich allerdings überwiegend um Vorbeilatschende handelt.

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#27B – In Teufels und Ferraris Küche

Als wir am späten Nachmittag nach Asolo fuhren, tat der Himmel schon wieder so, als sei nichts gewesen. Im Garten des Hotels ‚Cipriani‘ sitzt man wie auf Besuch im Paradies, und der Ober bringt zu den Getränken ungefragt all diese herrlichen Kleinigkeiten ...

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#28 – Ganz ausgeschlossen!

Am Dienstag, dem 16. Oktober, reisten wir zurück nach Deutschland. Drei Monate waren vergangen. Ist das viel – ist es wenig? Der Sommer war in ganz Europa heiß gewesen. Chemnitz geriet wegen rechtsextremer Hooligans in die Schlagzeilen, Jamal Khashoggi war in Istanbul ermordet und zerstückelt worden.

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#29A – Vermutungen

Zurück zum Hauptschlüssel des Mercedes. Ich war mit ihm bis zu dem Restaurant Hidalgo gefahren, in dem wir mittaggegessen hatten. Danach war Guntram gefahren. Offenbar mit dem Zweitschlüssel. Jeder von uns beiden war insgeheim sicher, dass er den fehlenden Schlüssel verschusselt hatte ...

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#29B – Am Eingangstor zu Berlin

In meiner Wohnung war ich noch damit beschäftigt, die Post in Werbebriefe für mich und Werbebriefe für den seit Jahren toten Roland zu sortieren, als das Telefon klingelte: Guntram hatte einen weiteren Schlüssel die ganze Zeit im Portemonnaie bei sich gehabt. Alles war da, nichts fehlte.

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#29C – Zusammenfassung

Liebe Zuschauer, -hörer, Leser/-innen! Erlauben Sie mir bitte eine Zwischenbilanz, bevor der zweite Teil beginnt. Meine Generation hat Menschen und Länder entdecken wollen. In den 1950er-Jahren waren die Deutschen ans Mittelmeer gefahren, weil es da warm war. Die Entdeckung der Welt, das war etwas für einzelne Abenteurer gewesen.

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Süd nach Südwest

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#30 – Spielzeugschachtel – PlayStation

Der Autodesigner Paolo Tumminelli hat im Januar 2012 der ‚Zeit online‘ gesteckt: ‚SUV-Fahrer neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.‘ Weiter behauptet er: ‚Man ist zwar schon Ende 50, trägt aber weiterhin enge Klamotten und sucht sich einen noch schnittigeren Wagen.‘

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#31A – Ein erweitertes Hinterhauptsloch

Am Morgen standen wir rechtzeitig auf, um die Abfahrt der Schlossbahn nicht zu verpassen. Dieses Vehikel ist selbst für Disney-Verhältnisse etwas absonderlich. Eine kreischbunte Lokomotive lenkt kreischbunte Straßenbahnwagen – Nostalgie vortäuschend – den Berg empor. Schienen braucht sie nicht. Sie hat Räder.

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#31B – Orest

Es begann damit, dass es nicht anfing: Das Restaurant in Brescia, in dem ich 1984 mit Roland und seiner Mutter gewesen war, hatte montags geschlossen, und für Sirmione erschien mir die Lösung des Parkproblems zu knifflig.

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#32A – Nachdenklichkeiten beim Runterschlucken

Brief aus dem Jahr 1991: Ist es das? Diese neugierige Traurigkeit, während geschäftiges Lachen rund um meinen Tisch gluckert. Bin ich wieder eine Insel, von gutmütigen Wellen bedürfnislos angetatscht? Früher war es eher traurige Neugier.

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#32B – Abstecher

Bevor wir Mailand verlassen, muss ich erst noch etwas nachreichen – meinen ganz persönlichen Höhepunkt. Die Milanese von 1984 ...

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#33 – Vollmond

Renaissancefassade des Doms und zwinkernde Leuchtreklame am andern Ende der Piazza standen sich gegenüber und höhnten einander. Das bunte Licht blinkte siegesgewiss, in hypnotisierend einförmigem Rhythmus, aber das Portal bewahrte die Ruhe, der Feuerschlucker bewahrte die Ruhe, während die Flammen vor seinem Gesicht tanzten oder unsichtbar in seinem Schlund verschwanden.

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#34 – Wetten, dass nicht …

Ich wachte zweimal für längere Zeit auf. Mein Herz pochte. Am Morgen fühlte ich mich herrlich. Klar und kräftig. „Ich reise ab!“, waren Irenes erste Worte.

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#35A – Damals, mehrmals

Silke, Rafał und ich, wir ließen Mailand hinter uns und nahmen die Autobahn nach Genua. Wir durchfuhren die Stadt, ohne sie zu durchdringen, uninspiriert. Nicht Standort, nur Strecke. Wer etwas länger dort verweilen möchte, kann in meinem Blogbeitrag ‚Fast am Ziel‘ mehr lesen, und zwar im zweiten Teil des Kapitels ‚#89 – Nichts über Genua‘. Da geht es um ein folgenreiches Unglück, ...

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#35B – Heute: einmal reicht

Am Nachmittag fuhren Silke und Rafał in den nächsten Ort: Santa Margherita. Die Küstenstraße führt danach noch bis Portofino, dann ist Schluss. Das ist das Reizvolle an Portofino – kein Durchgangsverkehr. Zum ersten Mal war ich da 1966 gewesen: die Reise mit meiner Mutter, deren beste Freundin Erika und deren Sohn Hartmut.

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#36 – Unwiederbringlich?

Am nächsten Morgen fuhren wir die vertraute Strecke am Meer entlang vierhundert Kilometer nach Süden. Wir vertreiben uns diese Zeit jetzt mit einem Rückblick auf 1968. Ich war damals 22, hatte schon viele Sonaten geschrieben, aber noch nie Sex gehabt – jedenfalls nicht mit anderen Personen.

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#37A – Hummer am Straßenrand

Punta Ala: ‚Vom Tourismus unberührt‘ – das war mal! In ‚Fast am Ziel‘, ‚#86 – Eine Fata Morgana endet im Golfclub‘ habe ich beschrieben, was aus Punta Ala inzwischen geworden ist. Wir wussten also, dass Punta Ala als Zwischen-Ziel nicht mehr infrage kam. Pausenlos durchfahren mochten wir aber auch nicht. Deshalb verließen wir die Autostrada bei Venturina Terme.

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#37B – Erinnerungen an Erinnerungen

Sieben Jahre später liest sich das dann so: Juni 1975 – mit Harald auf Sardinien. „Die hat was“, sagte mein Freund und nahm einen größeren Schluck Mineralwasser als sonst, „die riecht so nach Muschi.“ Das meinte er nicht abfällig. Im Gegenteil. In seinem Ton lag die etwas dünnblütig-abstrakte – oder vielleicht besonders dickblütige – Geilheit, zu der er fähig war.

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#38 – Überfahrt

Fortsetzung 1975: Wir waren schon oft in Italien gewesen. Aber Anwesenheit ist nur eine Unterschrift in Seminarlisten, ein Aufstehen bei Namensnennung, ein ‚Hier‘-Schreien, das für nichts bürgt, schon gar nicht für Erkenntnis. Manche Urlauber finden einen Ort, der ihnen gefällt und dorthin gehen sie jedes Jahr immer wieder. Sie kennen nicht das hässliche, das trostlose, das abschreckende Italien ...

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#39 – Bezahlen

Fortsetzung 1975: Der Wagen bremste scharf und quietschend. So ist das in Italien. Wozu vorher abbremsen, das kostet höchstens Zeit, die man besser nutzen kann – zum Beispiel sich mit gelangweiltem Blick in eine gut sichtbare Ecke stellen. Wir stiegen aus. Es war ein rundes schlohweißes Gebäude. In der matten Nacht schimmerte es verheißungsvoll. Von drinnen brodelte Musik heraus.

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#40 – Mein Ruf

Fortsetzung 1975: In Rom allerdings, gut eine Woche nach dieser Autofahrt, zahlte ich in klingenderer Münze als klimpernder Worte. Es war unser erster Abend in der ‚Ewigen‘, wir hatten im Innenhof des Lokals unter den Weinranken gegessen, die Luft würzte die ohnehin würzigen Speisen, und der Frascati gab meinen Empfindungen Aroma. An Schlafen war nicht zu denken. Irgendetwas trieb mich durch die Straßen.

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#41 – Was nicht passiert war und was doch

Fortsetzung 1975: Salvatore riss den Wagen herum, schleuderte in die Einfahrt und hielt ruckartig vor dem Hotel. Wir stiegen aus. Ich war unschlüssig. Marcello sah mich an, eher arglos als gespannt. Etwas Trauriges in seinem Blick ließ mich erst erkennen, dass etwas Trauriges in seinem ganzen Wesen lag. Zwang ist mir zuwider. Auch der erschlichene Zwang der Verführung.

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#42 – Das Machbare

Zurück in unsere Zeit. Cagliari ergoss sich grau und regnerisch vor unserer Windschutzscheibe. Sardinien enttäuschte uns. Die Fahrt zu unserem Hotel dauerte eine Stunde. Links stumpf die See, rechts flau die Ebene. Aber das Hotel Aquadulci mit seinen drei einstöckigen Häusern lag dicht am Wasser.

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#43 – Ein Finne auf der Fähre

Das Einschiffen von Sardinien nach Sizilien war nicht komplizierter als es das in Civitavecchia gewesen war. Schlecht ausgeschilderte Wege, lange Wartezeiten, steile Treppen, muffige Kabinen – das muss man alles schon erlebt haben, um den glatten Ablauf hier so richtig genießen zu können. Meine Kabine hatte eine Besonderheit: Fenster links und Fenster geradeaus. Sehr ungewöhnlich für ein Schiff.

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#44A – Exkurs: Bewusstsein und Selbstbewusstsein

Der Nachmittag war natürlich dem Weltkulturerbe gewidmet. Jedenfalls für Silke und Rafał. Der Nebeneingang zur Kathedrale Santa Maria Nuova befindet sich wenige Schritte entfernt von unserem Palazzo, aber ich traute mir den Weg durch den Kreuzgang zu den byzantinischen Mosaiken nicht zu. Unverständlich für mich, jetzt, wo ich Monate später darüber schreibe. Die Kirche ist der ‚Aufnahme Mariens in den Himmel‘ gewidmet, weihevollem Quatsch also, aber sie war 1966 und 1974 das Eindrucksvollste, was ich auf Sizilien gesehen hatte.

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#44B – Wahrheiten und Lügen

Das Außerordentliche ist – für Ordnungshüter leider – erstrebenswerter und zielführender als das Ordentliche: in Wissenschaft, Kunst, Leben. Schade bloß, dass 90 Prozent der Ausbrüche einbrechen. 10 Prozent haben Bestand – stimmt das? Ist das viel? Lieber will ich unrecht haben als schweigen.

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#44C – Durch Monreale und durch Müll

Zum Aperitif gingen wir drei wieder gemeinsam vor die Tür. Unter einer Plane konnten wir draußen sitzen, unter Einheimischen, die wie wir Gottes Ruhetag entgegentranken. Sonntage waren für mich lange Zeit nur noch Tage, an denen die Läden geschlossen hatten. Seit ich übers Internet bestelle, brauche ich mir die Wochentage überhaupt nicht mehr zu merken, tue es aber doch. Auf die Uhr sieht man auch, wenn man nichts vorhat.

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#45 – Urlaub

Von Montag bis Freitag fand nun Urlaub statt, eine Phase, zu deren Bewältigung die Talente sehr ungerecht verteilt sind. Mein Vater zum Beispiel konnte Urlaub gar nicht. Ferien führten bei ihm regelmäßig zu entzündeten Mandeln, die bepinselt werden mussten (Krankenhaus ambulant), Herzinfarkten, die sich als Muskelkater entpuppten (Krankenhaus über Nacht), und kleinen Zehen, die zwar das Gehen unmöglich machten, vom Arzt aber bescheinigt bekamen, nicht gebrochen zu sein. Als ich kein Kind mehr war, gestand mir meine Mutter, dass sie sich vor Lust-Reisen mit ihrem Ehemann immer ein wenig graulte.

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#46 – Weltkulturerbe und wir Erben

Zwei Ausflüge habe ich während unseres Aufenthalts eingeplant: einen nach Süden mit Mittagstisch, einen nach Norden mit Abendbrot – beide Mahlzeiten exquisit, wenn’s geht. Silke sollte nicht zu kurz kommen.

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#47A – Die Festung

Dann kamen wir an. Das Hotel war keins. Es war ein an der lauten Landstraße gelegenes, ziemlich kleines Gebäude, weder am Meer noch im Ort. Die Zimmer waren alle schrecklich, aber als Irene die Kammer sah, in der ich mich schmal machte, bekam sie einen Lachanfall.

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#47B – Mitbringsel

Mit 22 Jahren schlief und empfing ich noch in meinem schlauchartigen Kinderzimmer: Die Couch wurde nachts zum Bett. Ein Bücherregal und einen Beistelltisch mit meinem Tonbandgerät gab es auch.

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#47C – Wo man was macht

1974: Der Sizilien-Aufenthalt mit Harald war wie das halbherzige Aufwärmen einer übriggebliebenen Pizzahälfte. Als wir von Reggio Calabria nach Messina übergesetzt hatten, führte unser erster Weg ins nahe Taormina. Die Rocca war verwaist und verwildert.

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#48 – Das neue Kleid

2019: Unser ‚Ramo d’Aria Country Hotel‘ lag nicht unterhalb von Taormina, wie ich es in Hamburg vermutet hatte, aber es war auch nicht ganz so weit entfernt, wie unser sardisches Hotel von Cagliari gewesen war. Am Anfang meiner Planung hatte ich mit dem Gedanken geliebäugelt, uns im ‚Domenico‘ einzuquartieren, aber die Preise waren doch zu abschreckend gewesen.

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#49 – An Rom vorbei

In Hamburg hatte ich mir angesehen, was ungefähr auf der Mitte zwischen Reggio und unserem nächsten Ziel liegt. So kam ich auf Caserta. Fünf Stunden sind genug. Wir fuhren an der zweiten Ausfahrt hinter Neapel ab. Unser Weg führte uns vorbei am grandiosen Park mit dem majestätischen Königsschloss.

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#50 – Nur 20 Prozent Männer

Am Sonntag ist Ruhetag. Von wegen! Alle haben nur ein Ziel: San Gimignano – der Ausflug des Jahres. Je näher wir dem Örtchen kommen, desto desolater die Parkverhältnisse. In einem Unterdeck, Tief-Etage von der Einfahrt aus, fährt jemand raus, Freiluftkeller gewissermaßen, die Platzsucher schwirren los wie Schmeißfliegen zu einem frischen Haufen.

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#51 – Lehren ziehen

Neben Lokalen, entweder ganz weit ab vom Schuss oder mitten im Kraftfahrzeug-Sperrgebiet, foppt mich das Schicksal noch mit einer dritten Variante, um meine Pläne zu durchkreuzen: Ruhetag. Mal Sonntag, mal Dienstag, aber immer an dem Tag, den ich für unsere Mahlzeit ausgewählt habe.

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#52A – Im Haus

Hier sitze ich. Allein. In meinem Haus. Auf diesem ‚gesegneten Fleckchen Erde‘. In meiner ‚Blase‘: den anderen egal – mir selbst gefällig. Meine Mitbewohner sind unterwegs. Ich sehe vom Balkon im ersten Stock aus auf den Garten, auf die Baumwipfel, auf die Berggipfel, und ich übe mich darin, den Anblick unverbraucht zu genießen.

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#52B – Tulpenfieber

Immer häufiger hörte und las man im vorigen Sommer, dass die Finanzblase des Weltwirtschaftssystems bis spätestens Mitte der Zwanzigerjahre geplatzt sein würde. Corona hat inzwischen alles geändert. Was jetzt platzt, standhält oder in sich zusammenfällt, wird täglich neu bewertet.

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#53 – Ausgestorbene Berufe

2030 werde ich vielleicht nicht mehr erleben. Obwohl: bei meinen Genen ... Politik, Umwelt, Digitalisierung. Unterschied sich die Erde 2010 sehr von 2020? Aber vor 50 Jahren war die Welt ein anderer Planet, vor nochmal 50 Jahren erst recht. Dass es immer weitergeht, wenn wir tot sind, ist ausgesprochen kränkend.

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#54 – Abschiedsessen

Auf der Rückreise nach Hamburg ließen wir uns wie üblich, ohne Experimente, mittags vom Biergarten des ‚Schneiderwirts‘ in Nußdorf überzeugen und abends vom ‚Zehntkeller‘ in Iphofen. Ein warmer Septemberabend. Ziemlich warm. Als wir ankamen, saßen und aßen die Besucher noch draußen. Wir blieben lieber gleich drinnen: Sind wir ja von Taormina her so gewohnt.

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#1.1 Die Ausgangssituation

Zu sterben wäre nach allem, was ich schon erlebt habe, angemessen, aber auch schade; denn für diese Saison habe ich mir mehr vorgenommen, als ich verkraften kann. Mal sehen, ob ich es doch verkraften kann. Schon früher habe ich nur das ausgehalten, wozu ich mich gezwungen habe. Geblieben von damals ist eine Art Geilheit ...

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#1.2 Die Eingangssituation

Jeden Morgen, wenn die Ritzen in meinen Rollläden und mein Verstand mir sagen, dass ein weiteres Schlafen nicht mehr möglich oder nicht mehr sinnvoll ist, dann sage ich ungläubiger Christ stumm vor mich hin wie ein Mantra, wie das Aya einer Sure, wie eine Perle aus dem Rosenkranz: „Lieber Gott, lass mich sterben, lieber Gott, lass mich sterben ...“

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#2.1 Herr, mach ein Ende!

Das, bis hierher, habe ich geschrieben, bevor es losging: authentisch. Was jetzt kommt, schreibe ich mehr als ein Jahr später: ein Segen für den Leser. Nun habe ich das meiste vergessen und muss mich – notgedrungen – kurzfassen, also: auf das Wesentliche beschränken. Tja, da fängt es schon an: Was im Gedächtnis hängen bleibt vom Besuch des Petersdoms, ist für den einen der weihevolle Schauplatz, für den Nächsten, dass ihm das Portemonnaie geklaut wurde ...

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#2.2 Mord und Totschlag in Flaschen

Unser Mittagstisch war in der ‚See-Idylle‘ gedeckt: ‚An der Seemühle 4, in 16868 Wusterhausen/Dosse‘ lautete die Adresse. Ich frage mich, wie meistens antwortlos, ob ich, als ich jung war, auch so aufs Geratewohl herumgereist wäre, wenn es damals das Internet schon gegeben hätte.

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#2.3 Kein Reisebus mit hundert Rentnern

Zunächst aber wollten wir das Prunkstück des Ortes betrachten: Schloss Ribbeck. Bis zur Wende war der Bau systemkonform verkommen und verfallen (für die geschätzten Kosten des Außenanstrichs bekam man 1988 schon eine ganze Hochhauswand in Platte), seit 2009 neu eröffnet in aristokratischem Glanz.

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#2.4 Sicher und diskret genießen

Annemarie war 1951 – nach meinen Eltern – die wichtigste Bezugsperson für mich. Sie war in meinen Augen schon fast erwachsen und verfügte offensichtlich über Erfahrungen, die bei uns im Grunewald kaum zu machen waren. Wenn sie mich ins Bett gebracht hatte, sagte sie, bevor sie die Tür schloss: „Träum süß von sauren Gurken!“

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#2.5 Verwanzte Unterwäsche

17.11.1967
‚Als ich Donnerstagmittag losfuhr, nahm ich leider mein Tonbandgerät nicht mit, erstens weil ich damit rechnete, Freitagabend schon wieder zurück zu sein, zweitens und entscheidend, weil es doch allen Ostzonengrenzbeamten unter Sibirienandrohung untersagt ist, Transitreisende mit Tonbändern den Marsch durch das Territorium der sowjetisch besetzten Zone in die selbstständige politische Einheit Westberlin zu gewähren, ...

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#2.6 Schmutzige Bilder, blankes Grauen

Am Übergang brach natürlich das Grauen über mich herein. Mein Gewissen wird automatisch schlecht, wenn es eine Grenze spürt, was aber völlig nebensächlich ist, weil ich ja weiß, wie nahe selbst dem reinsten Gewissen die Scheiterhaufen der Inquisition und die Gulags Sibiriens sind. Zagend passierte ich die Mauer. Alles war grau, barsch, feindselig. Schaudernd lenkte ich meinen Kadetten in Richtung Marx-Engels-Schlossplatz.

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#2.7 Der zerrissene Vorhang

Von solchen Erlebnissen kann ich viele ausgraben. Ich beschränke mich auf nur ein weiteres, siebzehn Jahre später, im Oktober 1984:

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#2.8 Symbolfigur der freien Welt

Craig machte das übliche betretene Gesicht, das er berufshalber aufsetzt, wenn er Smoking trägt und Bernsteins Kleidung durch die Flure oder wenn er Fans den Zugang ins Allerheiligste verwehrt.

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#2.9 Wien in Berlin

Wir fuhren zum ‚Hotel Metropol‘. Es ist die etwas größere Ausgabe des ‚Hotels Unter den Linden‘, steht ihm aber an Geschmacklosigkeit nicht nach. Neben Bernstein hatte sich ein sehr blauäugiger junger Mann positioniert und genoss es, dass ihn der Empfangschef als Bernstein-Begleitung einlassen musste, obwohl er wegen politischer Unbotmäßigkeit seinen Posten als Portier dort verloren hatte ...

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#2.10 Ein schockierender Trinkspruch

Nachdem das Gepäck in unseren ‚Dude‘-Räumen verstaut war, fuhr Rafał mich zu Tim Lienhard. Wikipedia nennt ihn ‚Reporter, Autor und Produzent‘. Er wohnt, wie sich das gehört, in einer schmucken Altbauwohnung.

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#2.11 Flüchtlinge unwillkommen!

Am 18. Mai, einem Donnerstag, verabschiedeten wir uns von der Empfangsdame des ‚Dude‘, um 10 Uhr wie vorgesehen, und zwanzig Minuten später verabschiedeten wir uns auch von Berlin, bereit zu Neuem.

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#2.12 Herz in Schwefelsäure

Nicht nur, dass man alles, was direkt am Wegesrand liegt, mitnehmen muss, ein bisschen Umweg ist auch gerechtfertigt. Der schnellste Weg von A nach B ist etwas für Vielflieger, ich bin auto.

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#2.13 Auf Entzug

Ich mache jetzt keine ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, füge lieber anschauliche Bilder ein und beschränke mich – ausnahmsweise – auf das Wesentliche.

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#2.14 Kein Weg zum anderen Ufer

Silke und Rafał kamen zurück. Da saßen wir in Görlitz, ziemlich allein, am Ende der Welt, am Beginn der Reise. Keine Müßiggänger, aber Müßigsitzer. Für Rafał war es Beruf, für Silke und mich Lebensabend, na ja, später Nachmittag.

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#2.15 Man muss es mögen

Ein sanftmütiger Vorfrühlingstag, licht und leicht. Die Vögel äußerten sich. Für Menschenohren war es schwer auszumachen, ob sie jubilierten oder klagten. Wenige, lange Töne halten wir im Allgemeinen für Trauer, viele, kurze deuten wir als Frohsinn. Es war Zwitschern, sonst nichts.

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#2.16 Im Rollstuhl

Genau gegenüber der Fleischerei beginnt eine Querstraße, die geradeswegs auf den Roosens Weg zuführt. Sie heißt Ernst-August-Straße, und kein Mensch interessiert sich dafür, wer das wohl mal war. (Der Pinkel-Prügel-Prinz aus Hannover kann ja nicht gemeint sein.) Wir bewegten uns die Ernst-August-Straße herunter: Guntram, von mir geschoben, ich von Erinnerungen, Irene von Wehmut erfüllt.

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#2.17 Ganz unterschiedliche Ringe

Nachdem Rafał den Rollstuhl wieder in die Dachbox bugsiert hatte, fuhren wir keine zehn Minuten; dann kamen wir erst an eine Neiße-Brücke und gleich darauf unkontrolliert nach Polen. Schlesien ist das Gebiet meiner Vorfahren ...

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#2.18 ‚Die Wurzel von Leid‘

Zum Mittagsimbiss blieben wir im Hotel, ich blieb sogar bis zum Abend in meinem ‚Art‘-Schlafraum. Um Silke und Rafał nicht um ihren Nachmittagsausflug beneiden zu müssen, redete ich mir ein, dass mir inzwischen die wesentlichen Teile von Breslau vertraut seien und ich sparsamerweise den Zimmerpreis abzuwohnen hätte. Klappte ganz gut.

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#2.19 Geheim oder wirklich geheim

Am Sonntagvormittag gingen wir erst in die Kirche, dann fuhren wir weiter. Breslauer Dom und Landstraße. Das Ewige und das Treibende. Wer wie ich in allem ein Prinzip sucht, der findet es auch.

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#2.20 Karriere einer Kokotte

Reinholds jüngster Bruder Viktor wurde Arzt wie sein Vater. Geheim war da nichts mehr, aber er rückte doch aus: vor seiner Frau, als Stabsarzt nach Kamerun, eine der wenigen Kolonien, die die Deutschen zu ergattern vermocht hatten. Aber im Gegensatz zu ihren Schwägerinnen setzte Viktors Frau alles daran, ihren entflohenen Ehemann zurück zu bekommen.

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#2.21 Moralische Bedenken

Was ich von Oppeln nicht wusste, war, dass es die Hauptstadt Oberschlesiens gewesen war, dass es erst mal zu Mähren gehört hatte, ab 907 zu Böhmen, ab 990 zu Polen, 1039 wieder zu Böhmen, 1050 von Kasimir I. zurückerobert wurde und dass 1138 nach dem Tod von Bolesław III. Schiefmund (den hatten wir schon mal) Schlesien an seinen ältesten Sohn ging. Der wird in der Geschichtsschreibung ‚Władysław der Vertriebene‘ genannt; ein echter Spoiler, der die Spannung effektlos runterschraubt, weil man gleich weiß: Das Glück währte nicht lange.

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#2.22 Schlimme Orte

Zabrze/Hindenburg und Gliwice/Gleiwitz gehen ineinander über. Auschwitz liegt etwas abseits der Strecke auf dem Weg nach Krakau. Gleiwitz und Auschwitz sind zwei Namen, die fatal mit der deutschen Geschichte verbunden sind, und Silke und Rafał waren sich so einig wie selten: Dahin wollten sie auf keinen Fall.

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#2.23 Vierzehn Meter hoher Papst

Am Montag war kein Urlaubswetter, jedenfalls kein gutes. Um 11 Uhr holte uns der vorbestellte Elektrokarren ab. Die Umgebung wirkte etwas milchig und das war gut so. Statt aus unserer Motorkutsche direkt in die Straße gucken zu müssen, sahen wir nämlich durch eine Art Haut, die uns sicher vor Regen und halbwegs vor Kälte schützte. Na ja, Sonne ist hübscher, aber wenn es die nicht gibt, soll man sich über ziemlich durchsichtiges, strapazierfähiges Plastik nicht beklagen, sondern freuen, selbst wenn man sonst streng darauf achtet, die Ozeane nicht mit Plastik zuzumüllen.

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#2.24 Absicherung gegen Alltagsrisiko

Am Nachmittag kam Rafałs Schwester Zaneta, und ich wurde gleich begrüßt wie der ausländische Schwiegervater. Küsse mussten die sprachliche Verständigung ersetzen. Zum Abendessen blieben wir drei West-Besucher vor Ort. Vier gestandene Männer, vermutlich die Hausverschönerer, saßen ebenfalls im Roten, sonst wären wir uns doch sehr einsam vorgekommen und nicht wie im Hotel.

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#2.25 Panzer aus Pappe

Silke und Rafał kamen zurück. Spät war es noch nicht. Ein Ausflug war noch möglich; auch lag Rafał daran, seine halbgeliebte Heimat in ein besseres Licht zu rücken, zumal die Sonne bereit war, ihn dabei zu unterstützen. So fuhren wir nach Piotrków Trybunalski, wohin denn sonst? Die Deutschen nannten den Ort Petrikau, das fanden sie besser zu behalten und auszusprechen.

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#2.26 Gräten der Sünde

Den meisten Deutschen ist Łódź von einem Schlager her bekannt. Die auf Korfu geborene Βίκυ Λέανδρος, zu Deutsch: Vicky Leandros, behauptet in dem Lied, ganz dringend nach Łódź zu wollen. Dabei wollte sie das Lied erst gar nicht singen ...

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#2.27 Genies, Genießer, Sieger, Mister

Für die Fahrt von Łódź nach Warschau braucht man anderthalb Stunden, Rafał also eine. Dabei irritierte Silke Rafał wie immer, wenn er beschäftigt ist – mit der zügigen Bewältigung von Strecke (er) –, von hinten (sie): von Furcht geplagt (auch sie) mit ihren wirkungslosen, aber störenden Schnapplauten.

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#2.28 Das GROSSE GANZE gegen das kleine unerhebliche

Zum nächsten Chopin-Wettbewerb fünf Jahre später reiste ich wieder an. Wieder konnte ich den Sieger verpflichten. Stanislav Bunin. Auch über ihn lese ich mit Erstaunen, dass er eine Weile in Hamburg gelebt hat, jetzt in Japan wohnt und weltweit gastiert. Seltsam, in den Medien, die ich verfolge, kommt Klassische Musik kaum vor, eher Pop-Alben, Kino, Literatur, Seelen-Graffiti. Vielleicht ist die Klassik gar nicht tot, vielleicht bin bloß ich scheintot ...

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#2.29 Schlösser in Parks

Gegen halb sieben wurde es wieder Zeit für Gemeinsames. Rafał klopft dann zur vereinbarten Zeit an meine Tür und wir machen uns Gedanken darüber, wie Silke sich wohl gekleidet haben wird, damit ich das modisch parieren kann. Für das Abendessen im ‚Bristol‘ hat sie sich bestimmt etwas Besonderes ausgedacht ...

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#2.30 Die ‚Bristols‘

Silke und Rafał mussten auf die Straße laufen, um ihrer Pflicht nachzukommen, die Stadt zu erobern. Ich durfte mich auf mein Zimmer zurückziehen und rückwärts denken ...

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#2.31 Geschlechter, Geschichten

Nachdem wir alle drei gegessen hatten, wonach uns zumute gewesen war, fuhren wir weiter durch Ostpreußen. Darunter stellte ich mir vor: 1945 Flüchtlingstrecks im Schnee, vorher Herrenhäuser, in denen Junker mit ihren Familien lebten und jetzt immer noch Storchennester auf jedem Dach. Störche sahen wir wirklich, die Flüchtlinge und die Junker liegen im Grab und stehen im Geschichtsbuch.

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#2.32 Von der Ordensburg zur Skateboard-Halfpipe

Ostróda liegt an der Pojezierze Iławskie, ja, das ist schon schwieriger als ‚Eylauer Seenplatte‘ zu Deutsch. Wir parkten direkt am See und gingen nach rechts. Das führte zu keinem befriedigenden Ergebnis.

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#2.33 Mittellanger Nachklang

Ohne erwähnenswerte Zwischenfälle erreichten wir nach einer Stunde Fahrt unser Hotel mit Blick auf die Marienburg. Der Zwischenfall war das Hotel selbst. Ich hatte es ausgesucht wegen dieses Blicks. Was man auf den Bildern im Netz nicht sehen konnte, war der Umstand, dass die Eingangstür unmittelbar neben der Schnellstraße lag. Fahrbahn und Haus gingen praktisch ineinander über.

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#2.34 Tänzerin, Schwarzvieh, Bäcker

Hier setzt nach zwei Tagen Pause wieder meine eigene Geschichte ein – oder zunächst die Geschichte meiner Mutter. Geboren wurde sie im ‚Storchenhaus‘ Danzig-Langfuhr, das erfuhr ich ziemlich früh und fand den Namen der Klinik für eine Entbindung sehr passend.

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#2.35 Totentanz

Die reichen, polnisch-jüdischen Cohns zogen 1918 von Warschau nach Danzig. Die zweisprachige Maria brachte dem Sohn des Hauses das in Danzig überwiegend gesprochene Deutsch bei. Offenbar gab sie ihm zusätzlich noch andere Anweisungen, jedenfalls entstand im Rahmen der ausgedehnten Unterrichtsstunden die kleine Irena.

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Leben lernen / Ein Versuch

#2.36 Vabanque

Eben stoße ich bei der Suche nach etwas ganz anderem auf meinen Brief an Pali. Da ich – ganz wie das Universum – keinerlei Scheu vor Ausdehnung habe, fällt es mir nicht schwer, meine Beobachtungen von 1997 hier nachträglich draufzupfropfen.

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#2.37 Rückkehr ohne Wiedersehen

Alles klappte wie am Schnürchen: Die Propellermaschine landete, ohne zu zerbrechen; unser Gepäck war da, nur wenig ramponiert; der Mietwagen auch, allerdings weder – wie versprochen – mit Schiebedach noch mit Automatik, so dass mir, bevor ich mich wieder an die Kupplung gewöhnt hatte, ein paar stockende Abwürger widerfuhren ...

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#2.38 Romantik des Entlegenen

Irenes Hoffnung, auf dieser Reise die Wurzeln dessen wiederzufinden, was sie sich dort als Lebenswunsch erarbeitet hat: Eleganz – Perspektive – Weltbewusstsein konnte sich in diesem Badeort von 1997 nicht erfüllen. Vielleicht wird uns mit zunehmendem Alter das Herz deshalb so schwer, weil wir so vieles zu tragen haben, das uns kein Mensch mehr abnehmen kann: das Herz als Rucksack.

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#2.39 Aufgescheuert

Ich war nach kurzem Schlaf und kaltem Bad wieder bei Kräften, meine Eltern weniger. Ich trug leicht an meinen einundfünfzig Lenzen, Guntram schwer an seinem Herbst und Irene noch schwerer an ihrer ausgelöschten Jugend. Trotzdem quälte sie sich aus dem Bett und schleppte sich mit uns in die düstere Halle.

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#2.40 Martini im ‚Grand Hotel‘

„Na“, dachte ich, „jetzt wird das Hotel ja auf neuestem Stand sein und die letzten Reste von Sozialismus abgestreift haben.“ Erwartungsvoll stieg ich die Treppe hinauf und trat ein. Nichts war verändert. Der Ostblockcharme hing nach wie vor in der Luft wie Mottenkugelparfüm. Die Halle, die Bar, die Speiseabfertigung waren unverändert. ‚Ein traditionsbewusstes Haus‘, könnte man freundlich sagen.

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#2.41 Die Wahrheit der Hirngespinste

Am Donnerstag fuhr uns, nun wieder Rafał, nach Oliva. Der Olivaer Platz in Berlin war mir seit meiner Kindheit geläufig. Allerdings hielt ich immer die kleine Ausbuchtung am Ku’damm für den Platz. Erst seit ich in der ‚Pension Dittberner‘ statt im aufwändigen ‚Kempinski‘ abstieg, lernte ich den ganzen Platz und seine Lokale zu schätzen.

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#2.42 Hübsche Menschen in schicker Umgebung

Ich weiß, wir leben im Zeitalter des Bildes, aber mancher ist doch eindrucksvoller zu erlesen als zu erblicken, das gilt ganz besonders für Hel(a). Wir fuhren bis zum Ende der Straße, also der Insel, aber wir sahen nirgendwo etwas, das zum Bleiben einlud. Im Gegenteil: Wir fuhren an Jurata vorbei, der Sommerresidenz des polnischen Präsidenten.

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#2.43 ‚Familie, die einer Seewäsche bedarf‘

‚Zielonych Świątek‘ ist in Polen nur am sowieso freien Sonntag ein Feiertag, und so fuhren wir am Pfingstmontag mehr als fünf Stunden lang durch das arbeitende Pommern mit seinen Lastwagen ohne Autobahn. Spannend war das nicht, aber es gibt immer diese Tage, da muss man bloß Strecke hinter sich bringen, und das ist auf deutschen Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbeschränkung nun mal wohltuender als auf Landstraßen hinter einem Diesel mit Tempo 60.

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#2.44 ‚Das Schlachten einer historischen Altstadt‘

In Frankfurt, dem am Main, war der Pfingstdienstag bis in die 90er-Jahre noch ein Feiertag. Jetzt nicht mehr. Der Priester hatte sein rotes Gewand wieder ausgezogen, und wir fuhren schrankenlos zurück nach Deutschland.

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#2.45 ‚Zum trauten Fischerheim‘

Um 20 Uhr trafen wir uns im Hauptgebäude, um gemeinsam den Speisesaal zu besuchen. Als Silke eintraf, hatten Rafał und ich die Aperitifs schon hinter uns. Das erste Abendessen zurück in Deutschland: so ganz ohne vorherige Grenzkontrollen nicht besonders feierlich.

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#2.46 Sperrgebiet

Prora wurde gebaut, damit sich dort der stahlharte arische Mensch, zusammen mit der Heldenmutter seiner vielen Kinder erholen konnte vom Aufbau des Großdeutschen Reiches. Natürlich würde der arische Mensch nicht allein sein bei seinem Kräftetanken. Gemeinschaft war wichtig: ‚Kraft durch Freude‘.

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#2.47 Lebendige Wesen

Wir fuhren so lange weiter, bis es wirklich nicht weiter ging. Die Straße endete in einem Parkplatz. Dahinter begann ein Gehweg, für mich ein Fahrweg. Rafał schob. Die Bodenbeschaffenheit war nicht sehr dammfreundlich. Meine Blase merkte das noch eher als mein Sitzfleisch. Ich wand mich aus dem Rollstuhl und versuchte, den Augenblick abzupassen, in dem weder von rechts noch von links Beobachter hinter der Biegung auftauchten, bevor ich mich hinter die Büsche schlich.

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#2.48 Volljährig

Für Silke und Rafał bestand kein Anlass, vor Hamburg noch einen Zwischenschritt einzulegen. Für mich schon: meine Volljährigkeit. Heute wird man volljährig, wenn man in die allerunanständigsten Filme gehen darf, für die man sich sogar im Internet einloggen muss. Mit achtzehn also.

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#2.49 Alles nach Plan

Die Fahrt nach Hause entsprach nur noch der Entfernung eines nicht sehr weiten Tagesausflugs. Das war, fand ich, ein lustiges Understatement. Am Montag abgefahren, am Sonntag wieder angekommen. So gehört sich das. Ohne ‚Formalismus‘ geht gar nichts. Das behaupte ich jedenfalls, seit ich dieses Wort kenne.

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#3.1 Heimloses Zuhause

Einen Monat später begann die nächste Reise – und sie begann mit einer Überraschung: Endlich schlägt die Stunde derer, für die Lesen eine Zumutung ist: Ich habe kaum noch etwas zu sagen. Das ist an sich nichts Neues, aber dieses Mal gebe ich es sogar zu. Ich weiß ja selber, als Bilderfolge ist so eine Reise viel zeitgemäßer ...

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#3.2 Auf der letzten Etappe

Giuseppe hatte mir noch in Hamburg zugeredet, auf das weitere Südprogramm mitten in der Sommerhitze zu verzichten. So unterblieb der Anschluss Bologna, Florenz, Rimini, Venedig, und niemand war traurig, na ja, ich ein bisschen, aber auch erleichtert.

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Die Einleitung

„Leben lernen“ – kann man das beibringen? Zumindest sich selbst? Ich versuche es jedenfalls. Ein seltsames Seminar. Teilnehmer sind herzlich willkommen.

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#1.1 Die Ausgangssituation

Zu sterben wäre nach allem, was ich schon erlebt habe, angemessen, aber auch schade; denn für diese Saison habe ich mir mehr vorgenommen, als ich verkraften kann. Mal sehen, ob ich es doch verkraften kann. Schon früher habe ich nur das ausgehalten, wozu ich mich gezwungen habe. Geblieben von damals ist eine Art Geilheit ...

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#1.2 Die Eingangssituation

Jeden Morgen, wenn die Ritzen in meinen Rollläden und mein Verstand mir sagen, dass ein weiteres Schlafen nicht mehr möglich oder nicht mehr sinnvoll ist, dann sage ich ungläubiger Christ stumm vor mich hin wie ein Mantra, wie das Aya einer Sure, wie eine Perle aus dem Rosenkranz: „Lieber Gott, lass mich sterben, lieber Gott, lass mich sterben ...“

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Die erste Reise

Viele Worte, viele Orte, viele Geschichten

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#2.1 Herr, mach ein Ende!

Das, bis hierher, habe ich geschrieben, bevor es losging: authentisch. Was jetzt kommt, schreibe ich mehr als ein Jahr später: ein Segen für den Leser. Nun habe ich das meiste vergessen und muss mich – notgedrungen – kurzfassen, also: auf das Wesentliche beschränken. Tja, da fängt es schon an: Was im Gedächtnis hängen bleibt vom Besuch des Petersdoms, ist für den einen der weihevolle Schauplatz, für den Nächsten, dass ihm das Portemonnaie geklaut wurde ...

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#2.2 Mord und Totschlag in Flaschen

Unser Mittagstisch war in der ‚See-Idylle‘ gedeckt: ‚An der Seemühle 4, in 16868 Wusterhausen/Dosse‘ lautete die Adresse. Ich frage mich, wie meistens antwortlos, ob ich, als ich jung war, auch so aufs Geratewohl herumgereist wäre, wenn es damals das Internet schon gegeben hätte.

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#2.3 Kein Reisebus mit hundert Rentnern

Zunächst aber wollten wir das Prunkstück des Ortes betrachten: Schloss Ribbeck. Bis zur Wende war der Bau systemkonform verkommen und verfallen (für die geschätzten Kosten des Außenanstrichs bekam man 1988 schon eine ganze Hochhauswand in Platte), seit 2009 neu eröffnet in aristokratischem Glanz.

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#2.4 Sicher und diskret genießen

Annemarie war 1951 – nach meinen Eltern – die wichtigste Bezugsperson für mich. Sie war in meinen Augen schon fast erwachsen und verfügte offensichtlich über Erfahrungen, die bei uns im Grunewald kaum zu machen waren. Wenn sie mich ins Bett gebracht hatte, sagte sie, bevor sie die Tür schloss: „Träum süß von sauren Gurken!“

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#2.5 Verwanzte Unterwäsche

17.11.1967
‚Als ich Donnerstagmittag losfuhr, nahm ich leider mein Tonbandgerät nicht mit, erstens weil ich damit rechnete, Freitagabend schon wieder zurück zu sein, zweitens und entscheidend, weil es doch allen Ostzonengrenzbeamten unter Sibirienandrohung untersagt ist, Transitreisende mit Tonbändern den Marsch durch das Territorium der sowjetisch besetzten Zone in die selbstständige politische Einheit Westberlin zu gewähren, ...

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#2.6 Schmutzige Bilder, blankes Grauen

Am Übergang brach natürlich das Grauen über mich herein. Mein Gewissen wird automatisch schlecht, wenn es eine Grenze spürt, was aber völlig nebensächlich ist, weil ich ja weiß, wie nahe selbst dem reinsten Gewissen die Scheiterhaufen der Inquisition und die Gulags Sibiriens sind. Zagend passierte ich die Mauer. Alles war grau, barsch, feindselig. Schaudernd lenkte ich meinen Kadetten in Richtung Marx-Engels-Schlossplatz.

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#2.7 Der zerrissene Vorhang

Von solchen Erlebnissen kann ich viele ausgraben. Ich beschränke mich auf nur ein weiteres, siebzehn Jahre später, im Oktober 1984:

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#2.8 Symbolfigur der freien Welt

Craig machte das übliche betretene Gesicht, das er berufshalber aufsetzt, wenn er Smoking trägt und Bernsteins Kleidung durch die Flure oder wenn er Fans den Zugang ins Allerheiligste verwehrt.

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#2.9 Wien in Berlin

Wir fuhren zum ‚Hotel Metropol‘. Es ist die etwas größere Ausgabe des ‚Hotels Unter den Linden‘, steht ihm aber an Geschmacklosigkeit nicht nach. Neben Bernstein hatte sich ein sehr blauäugiger junger Mann positioniert und genoss es, dass ihn der Empfangschef als Bernstein-Begleitung einlassen musste, obwohl er wegen politischer Unbotmäßigkeit seinen Posten als Portier dort verloren hatte ...

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#2.10 Ein schockierender Trinkspruch

Nachdem das Gepäck in unseren ‚Dude‘-Räumen verstaut war, fuhr Rafał mich zu Tim Lienhard. Wikipedia nennt ihn ‚Reporter, Autor und Produzent‘. Er wohnt, wie sich das gehört, in einer schmucken Altbauwohnung.

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#2.11 Flüchtlinge unwillkommen!

Am 18. Mai, einem Donnerstag, verabschiedeten wir uns von der Empfangsdame des ‚Dude‘, um 10 Uhr wie vorgesehen, und zwanzig Minuten später verabschiedeten wir uns auch von Berlin, bereit zu Neuem.

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#2.12 Herz in Schwefelsäure

Nicht nur, dass man alles, was direkt am Wegesrand liegt, mitnehmen muss, ein bisschen Umweg ist auch gerechtfertigt. Der schnellste Weg von A nach B ist etwas für Vielflieger, ich bin auto.

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#2.13 Auf Entzug

Ich mache jetzt keine ausführlichen Landschaftsbeschreibungen, füge lieber anschauliche Bilder ein und beschränke mich – ausnahmsweise – auf das Wesentliche.

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#2.14 Kein Weg zum anderen Ufer

Silke und Rafał kamen zurück. Da saßen wir in Görlitz, ziemlich allein, am Ende der Welt, am Beginn der Reise. Keine Müßiggänger, aber Müßigsitzer. Für Rafał war es Beruf, für Silke und mich Lebensabend, na ja, später Nachmittag.

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#2.15 Man muss es mögen

Ein sanftmütiger Vorfrühlingstag, licht und leicht. Die Vögel äußerten sich. Für Menschenohren war es schwer auszumachen, ob sie jubilierten oder klagten. Wenige, lange Töne halten wir im Allgemeinen für Trauer, viele, kurze deuten wir als Frohsinn. Es war Zwitschern, sonst nichts.

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#2.16 Im Rollstuhl

Genau gegenüber der Fleischerei beginnt eine Querstraße, die geradeswegs auf den Roosens Weg zuführt. Sie heißt Ernst-August-Straße, und kein Mensch interessiert sich dafür, wer das wohl mal war. (Der Pinkel-Prügel-Prinz aus Hannover kann ja nicht gemeint sein.) Wir bewegten uns die Ernst-August-Straße herunter: Guntram, von mir geschoben, ich von Erinnerungen, Irene von Wehmut erfüllt.

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#2.17 Ganz unterschiedliche Ringe

Nachdem Rafał den Rollstuhl wieder in die Dachbox bugsiert hatte, fuhren wir keine zehn Minuten; dann kamen wir erst an eine Neiße-Brücke und gleich darauf unkontrolliert nach Polen. Schlesien ist das Gebiet meiner Vorfahren ...

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#2.18 ‚Die Wurzel von Leid‘

Zum Mittagsimbiss blieben wir im Hotel, ich blieb sogar bis zum Abend in meinem ‚Art‘-Schlafraum. Um Silke und Rafał nicht um ihren Nachmittagsausflug beneiden zu müssen, redete ich mir ein, dass mir inzwischen die wesentlichen Teile von Breslau vertraut seien und ich sparsamerweise den Zimmerpreis abzuwohnen hätte. Klappte ganz gut.

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#2.19 Geheim oder wirklich geheim

Am Sonntagvormittag gingen wir erst in die Kirche, dann fuhren wir weiter. Breslauer Dom und Landstraße. Das Ewige und das Treibende. Wer wie ich in allem ein Prinzip sucht, der findet es auch.

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#2.20 Karriere einer Kokotte

Reinholds jüngster Bruder Viktor wurde Arzt wie sein Vater. Geheim war da nichts mehr, aber er rückte doch aus: vor seiner Frau, als Stabsarzt nach Kamerun, eine der wenigen Kolonien, die die Deutschen zu ergattern vermocht hatten. Aber im Gegensatz zu ihren Schwägerinnen setzte Viktors Frau alles daran, ihren entflohenen Ehemann zurück zu bekommen.

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#2.21 Moralische Bedenken

Was ich von Oppeln nicht wusste, war, dass es die Hauptstadt Oberschlesiens gewesen war, dass es erst mal zu Mähren gehört hatte, ab 907 zu Böhmen, ab 990 zu Polen, 1039 wieder zu Böhmen, 1050 von Kasimir I. zurückerobert wurde und dass 1138 nach dem Tod von Bolesław III. Schiefmund (den hatten wir schon mal) Schlesien an seinen ältesten Sohn ging. Der wird in der Geschichtsschreibung ‚Władysław der Vertriebene‘ genannt; ein echter Spoiler, der die Spannung effektlos runterschraubt, weil man gleich weiß: Das Glück währte nicht lange.

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#2.22 Schlimme Orte

Zabrze/Hindenburg und Gliwice/Gleiwitz gehen ineinander über. Auschwitz liegt etwas abseits der Strecke auf dem Weg nach Krakau. Gleiwitz und Auschwitz sind zwei Namen, die fatal mit der deutschen Geschichte verbunden sind, und Silke und Rafał waren sich so einig wie selten: Dahin wollten sie auf keinen Fall.

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#2.23 Vierzehn Meter hoher Papst

Am Montag war kein Urlaubswetter, jedenfalls kein gutes. Um 11 Uhr holte uns der vorbestellte Elektrokarren ab. Die Umgebung wirkte etwas milchig und das war gut so. Statt aus unserer Motorkutsche direkt in die Straße gucken zu müssen, sahen wir nämlich durch eine Art Haut, die uns sicher vor Regen und halbwegs vor Kälte schützte. Na ja, Sonne ist hübscher, aber wenn es die nicht gibt, soll man sich über ziemlich durchsichtiges, strapazierfähiges Plastik nicht beklagen, sondern freuen, selbst wenn man sonst streng darauf achtet, die Ozeane nicht mit Plastik zuzumüllen.

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#2.24 Absicherung gegen Alltagsrisiko

Am Nachmittag kam Rafałs Schwester Zaneta, und ich wurde gleich begrüßt wie der ausländische Schwiegervater. Küsse mussten die sprachliche Verständigung ersetzen. Zum Abendessen blieben wir drei West-Besucher vor Ort. Vier gestandene Männer, vermutlich die Hausverschönerer, saßen ebenfalls im Roten, sonst wären wir uns doch sehr einsam vorgekommen und nicht wie im Hotel.

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#2.25 Panzer aus Pappe

Silke und Rafał kamen zurück. Spät war es noch nicht. Ein Ausflug war noch möglich; auch lag Rafał daran, seine halbgeliebte Heimat in ein besseres Licht zu rücken, zumal die Sonne bereit war, ihn dabei zu unterstützen. So fuhren wir nach Piotrków Trybunalski, wohin denn sonst? Die Deutschen nannten den Ort Petrikau, das fanden sie besser zu behalten und auszusprechen.

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#2.26 Gräten der Sünde

Den meisten Deutschen ist Łódź von einem Schlager her bekannt. Die auf Korfu geborene Βίκυ Λέανδρος, zu Deutsch: Vicky Leandros, behauptet in dem Lied, ganz dringend nach Łódź zu wollen. Dabei wollte sie das Lied erst gar nicht singen ...

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#2.27 Genies, Genießer, Sieger, Mister

Für die Fahrt von Łódź nach Warschau braucht man anderthalb Stunden, Rafał also eine. Dabei irritierte Silke Rafał wie immer, wenn er beschäftigt ist – mit der zügigen Bewältigung von Strecke (er) –, von hinten (sie): von Furcht geplagt (auch sie) mit ihren wirkungslosen, aber störenden Schnapplauten.

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#2.28 Das GROSSE GANZE gegen das kleine unerhebliche

Zum nächsten Chopin-Wettbewerb fünf Jahre später reiste ich wieder an. Wieder konnte ich den Sieger verpflichten. Stanislav Bunin. Auch über ihn lese ich mit Erstaunen, dass er eine Weile in Hamburg gelebt hat, jetzt in Japan wohnt und weltweit gastiert. Seltsam, in den Medien, die ich verfolge, kommt Klassische Musik kaum vor, eher Pop-Alben, Kino, Literatur, Seelen-Graffiti. Vielleicht ist die Klassik gar nicht tot, vielleicht bin bloß ich scheintot ...

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#2.29 Schlösser in Parks

Gegen halb sieben wurde es wieder Zeit für Gemeinsames. Rafał klopft dann zur vereinbarten Zeit an meine Tür und wir machen uns Gedanken darüber, wie Silke sich wohl gekleidet haben wird, damit ich das modisch parieren kann. Für das Abendessen im ‚Bristol‘ hat sie sich bestimmt etwas Besonderes ausgedacht ...

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#2.30 Die ‚Bristols‘

Silke und Rafał mussten auf die Straße laufen, um ihrer Pflicht nachzukommen, die Stadt zu erobern. Ich durfte mich auf mein Zimmer zurückziehen und rückwärts denken ...

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#2.31 Geschlechter, Geschichten

Nachdem wir alle drei gegessen hatten, wonach uns zumute gewesen war, fuhren wir weiter durch Ostpreußen. Darunter stellte ich mir vor: 1945 Flüchtlingstrecks im Schnee, vorher Herrenhäuser, in denen Junker mit ihren Familien lebten und jetzt immer noch Storchennester auf jedem Dach. Störche sahen wir wirklich, die Flüchtlinge und die Junker liegen im Grab und stehen im Geschichtsbuch.

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#2.32 Von der Ordensburg zur Skateboard-Halfpipe

Ostróda liegt an der Pojezierze Iławskie, ja, das ist schon schwieriger als ‚Eylauer Seenplatte‘ zu Deutsch. Wir parkten direkt am See und gingen nach rechts. Das führte zu keinem befriedigenden Ergebnis.

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#2.33 Mittellanger Nachklang

Ohne erwähnenswerte Zwischenfälle erreichten wir nach einer Stunde Fahrt unser Hotel mit Blick auf die Marienburg. Der Zwischenfall war das Hotel selbst. Ich hatte es ausgesucht wegen dieses Blicks. Was man auf den Bildern im Netz nicht sehen konnte, war der Umstand, dass die Eingangstür unmittelbar neben der Schnellstraße lag. Fahrbahn und Haus gingen praktisch ineinander über.

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#2.34 Tänzerin, Schwarzvieh, Bäcker

Hier setzt nach zwei Tagen Pause wieder meine eigene Geschichte ein – oder zunächst die Geschichte meiner Mutter. Geboren wurde sie im ‚Storchenhaus‘ Danzig-Langfuhr, das erfuhr ich ziemlich früh und fand den Namen der Klinik für eine Entbindung sehr passend.

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Die reichen, polnisch-jüdischen Cohns zogen 1918 von Warschau nach Danzig. Die zweisprachige Maria brachte dem Sohn des Hauses das in Danzig überwiegend gesprochene Deutsch bei. Offenbar gab sie ihm zusätzlich noch andere Anweisungen, jedenfalls entstand im Rahmen der ausgedehnten Unterrichtsstunden die kleine Irena.

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Eben stoße ich bei der Suche nach etwas ganz anderem auf meinen Brief an Pali. Da ich – ganz wie das Universum – keinerlei Scheu vor Ausdehnung habe, fällt es mir nicht schwer, meine Beobachtungen von 1997 hier nachträglich draufzupfropfen.

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Alles klappte wie am Schnürchen: Die Propellermaschine landete, ohne zu zerbrechen; unser Gepäck war da, nur wenig ramponiert; der Mietwagen auch, allerdings weder – wie versprochen – mit Schiebedach noch mit Automatik, so dass mir, bevor ich mich wieder an die Kupplung gewöhnt hatte, ein paar stockende Abwürger widerfuhren ...

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Irenes Hoffnung, auf dieser Reise die Wurzeln dessen wiederzufinden, was sie sich dort als Lebenswunsch erarbeitet hat: Eleganz – Perspektive – Weltbewusstsein konnte sich in diesem Badeort von 1997 nicht erfüllen. Vielleicht wird uns mit zunehmendem Alter das Herz deshalb so schwer, weil wir so vieles zu tragen haben, das uns kein Mensch mehr abnehmen kann: das Herz als Rucksack.

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Ich war nach kurzem Schlaf und kaltem Bad wieder bei Kräften, meine Eltern weniger. Ich trug leicht an meinen einundfünfzig Lenzen, Guntram schwer an seinem Herbst und Irene noch schwerer an ihrer ausgelöschten Jugend. Trotzdem quälte sie sich aus dem Bett und schleppte sich mit uns in die düstere Halle.

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„Na“, dachte ich, „jetzt wird das Hotel ja auf neuestem Stand sein und die letzten Reste von Sozialismus abgestreift haben.“ Erwartungsvoll stieg ich die Treppe hinauf und trat ein. Nichts war verändert. Der Ostblockcharme hing nach wie vor in der Luft wie Mottenkugelparfüm. Die Halle, die Bar, die Speiseabfertigung waren unverändert. ‚Ein traditionsbewusstes Haus‘, könnte man freundlich sagen.

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Am Donnerstag fuhr uns, nun wieder Rafał, nach Oliva. Der Olivaer Platz in Berlin war mir seit meiner Kindheit geläufig. Allerdings hielt ich immer die kleine Ausbuchtung am Ku’damm für den Platz. Erst seit ich in der ‚Pension Dittberner‘ statt im aufwändigen ‚Kempinski‘ abstieg, lernte ich den ganzen Platz und seine Lokale zu schätzen.

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Ich weiß, wir leben im Zeitalter des Bildes, aber mancher ist doch eindrucksvoller zu erlesen als zu erblicken, das gilt ganz besonders für Hel(a). Wir fuhren bis zum Ende der Straße, also der Insel, aber wir sahen nirgendwo etwas, das zum Bleiben einlud. Im Gegenteil: Wir fuhren an Jurata vorbei, der Sommerresidenz des polnischen Präsidenten.

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‚Zielonych Świątek‘ ist in Polen nur am sowieso freien Sonntag ein Feiertag, und so fuhren wir am Pfingstmontag mehr als fünf Stunden lang durch das arbeitende Pommern mit seinen Lastwagen ohne Autobahn. Spannend war das nicht, aber es gibt immer diese Tage, da muss man bloß Strecke hinter sich bringen, und das ist auf deutschen Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbeschränkung nun mal wohltuender als auf Landstraßen hinter einem Diesel mit Tempo 60.

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In Frankfurt, dem am Main, war der Pfingstdienstag bis in die 90er-Jahre noch ein Feiertag. Jetzt nicht mehr. Der Priester hatte sein rotes Gewand wieder ausgezogen, und wir fuhren schrankenlos zurück nach Deutschland.

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Um 20 Uhr trafen wir uns im Hauptgebäude, um gemeinsam den Speisesaal zu besuchen. Als Silke eintraf, hatten Rafał und ich die Aperitifs schon hinter uns. Das erste Abendessen zurück in Deutschland: so ganz ohne vorherige Grenzkontrollen nicht besonders feierlich.

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Prora wurde gebaut, damit sich dort der stahlharte arische Mensch, zusammen mit der Heldenmutter seiner vielen Kinder erholen konnte vom Aufbau des Großdeutschen Reiches. Natürlich würde der arische Mensch nicht allein sein bei seinem Kräftetanken. Gemeinschaft war wichtig: ‚Kraft durch Freude‘.

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#2.47 Lebendige Wesen

Wir fuhren so lange weiter, bis es wirklich nicht weiter ging. Die Straße endete in einem Parkplatz. Dahinter begann ein Gehweg, für mich ein Fahrweg. Rafał schob. Die Bodenbeschaffenheit war nicht sehr dammfreundlich. Meine Blase merkte das noch eher als mein Sitzfleisch. Ich wand mich aus dem Rollstuhl und versuchte, den Augenblick abzupassen, in dem weder von rechts noch von links Beobachter hinter der Biegung auftauchten, bevor ich mich hinter die Büsche schlich.

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Für Silke und Rafał bestand kein Anlass, vor Hamburg noch einen Zwischenschritt einzulegen. Für mich schon: meine Volljährigkeit. Heute wird man volljährig, wenn man in die allerunanständigsten Filme gehen darf, für die man sich sogar im Internet einloggen muss. Mit achtzehn also.

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#2.49 Alles nach Plan

Die Fahrt nach Hause entsprach nur noch der Entfernung eines nicht sehr weiten Tagesausflugs. Das war, fand ich, ein lustiges Understatement. Am Montag abgefahren, am Sonntag wieder angekommen. So gehört sich das. Ohne ‚Formalismus‘ geht gar nichts. Das behaupte ich jedenfalls, seit ich dieses Wort kenne.

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Die zweite Reise

Wenige Worte, wenige Orte, viele Bilder

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#3.1 Heimloses Zuhause

Einen Monat später begann die nächste Reise – und sie begann mit einer Überraschung: Endlich schlägt die Stunde derer, für die Lesen eine Zumutung ist: Ich habe kaum noch etwas zu sagen. Das ist an sich nichts Neues, aber dieses Mal gebe ich es sogar zu. Ich weiß ja selber, als Bilderfolge ist so eine Reise viel zeitgemäßer ...

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#3.2 Auf der letzten Etappe

Giuseppe hatte mir noch in Hamburg zugeredet, auf das weitere Südprogramm mitten in der Sommerhitze zu verzichten. So unterblieb der Anschluss Bologna, Florenz, Rimini, Venedig, und niemand war traurig, na ja, ich ein bisschen, aber auch erleichtert.

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Trinken. Träumen. Trösten.

Was hilft, hilft. Dadurch ist es gerechtfertigt. Nur ab wann ist man sich da sicher? Eine Betrachtung über Süchte und Sehnsüchte, über das Leben am Abgrund und das Sterben an Schweinehack.

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Trinken. Träumen. Trösten.

#1 – Ein Ausrutscher

Öl auf blanken Kacheln, Wasser unter nackten Sohlen. Auf glitschigem Badezimmerboden ausrutschen kann man auch mit achtzehn. Pech! Mit über siebzig ist es ein Makel.

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Trinken. Träumen. Trösten.

#2 – Das Ende der versteckten Füße

April 2001: Ich laufe zu wenig, ich lerne zu wenig, ich lache zu wenig. Ich will zu wenig. Ich schlafe zu viel, ich koche zu viel, ich saufe zu viel. Vielleicht will ich zu viel. Eines Nachts war es dann so weit. Es ging nicht mehr. Also fuhr ich: gleich am nächsten Morgen zu Leibarzt Roemmelt, von dort nach St. Georg und am nächsten Tag ins Albertinen-Krankenhaus.

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Trinken. Träumen. Trösten.

#3 – Erziehung durch die Wand

Am Mittwoch, 1. Juli 1998 war das Räumkommando pünktlich. Während es unten alles auseinandernahm, raffte ich oben alles zusammen: Computer, Drucker, Aktenordner, Küchengeräte, Schreibwaren und Kleidungsstücke. Gegen elf Uhr brach ich auf, in mein größtes Abenteuer seit Rolands Beerdigung. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, die Landstraße von Lauenburg über Ludwigslust und Nauen bis nach Berlin zu nehmen, um mir die Genugtuung zu verschaffen, unbehelligt überall dort fahren zu können, wo ich mich erst mit meinen Eltern und später mit Roland vor den Dämonen der schaurigen Schattenwelt und den Radarkontrollen der lauernden Vopos gegruselt hatte.

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#4 – Architekturkunde

Tagsüber ist alles in Butter oder zumindest in Margarine, aber abends zwischen sieben und acht, da geht’s – hui! – auf zur Walpurgisnacht. Da schießen die Säfte hoch; die Energien strahlen: Hinten von den Lendenwirbeln in den Nacken, und von vorne aus dem Magenschlund in den Kehlkopf; ein Strahl verläuft vom Rippenbogen zur Prostata und einer quer durchs Zwerchfell.

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#5 – Also dann!

Draußen war wässriger April. Drinnen herrschte der ewig weiße Krankenhauswinter. Als es gerade wieder mal gegen das breite Fenster regnete, kam eine Frau durch die Tür hereingeschneit. Sie strahlte diese markerschütternde Munterkeit aus, vor der auch der Tod in Ohnmacht fällt. „Ich wollt' mal nach Ihnen sehen“, sagte sie. Ende vierzig, mittelgroß; mittellanges, mittelgraues Haar, Gesicht und Kleidung auf die gleiche Weise geblümt.

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#6 – Die Strahlenbelastung meiner Kinder

Das wäre jetzt der Zeitpunkt, Schluss zu machen. Schaff ich das? Also eine letzte Krankenhausgeschichte hätte ich noch. Als ich 1985 Prokura bekam, bekam ich gleichzeitig, wie es allen ‚Führungskräften‘ zustand, den Anspruch auf eine vom Unternehmen finanzierte Untersuchung in der Wiesbadener Diagnoseklinik. Die meisten, die es so weit gebracht hatten, waren damals etwas älter als ich und wollten rechtzeitig in Erfahrung bringen, ob der Krebs ihnen die Pension wegfressen würde.

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#7 – Ungemach bei Friedrich II.

Was man so alles macht aus Übermut. In der Taxe zum Bahnhof bereute ich es eigentlich schon, aber Verabredung ist Verabredung. Ich fuhr über Rhein und Main nach Frankfurt, wo mich Silkes Schwester Esther in Empfang nahm und mich aus der Stadt über verschlungenste Autobahnen eine dreiviertel Stunde lang zu ihrer Siedlung fuhr. Das Haus ist schick und groß, stattlich und gediegen. Draußen war ein kleiner Garten, der sich raffiniert beleuchten, wegen Eiseskälte allerdings nicht betreten ließ.

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#1.1 Abschiebehaft

Meine Freundin Anette Kanngießer mailte mir nach Meran, dass sie in der folgenden Woche nach Edinburgh fliegen werde. Ich mailte zurück, an Edinburgh habe ich auch ein paar Erinnerungen. „Schick sie mir doch“, schlug Anette vor, „dann kann ich mich auf dem Flug schon mal einlesen.“ Nun ist die ‚Mail‘ fertig, mit ein paar Monaten Verspätung: keine Einstimmung mehr, sondern ein Ausklang.

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#1.2 Misstrauen

Als ich das nächste Mal wegmusste aus Berlin, sollte es für immer sein, dieses Mal allerdings zusammen mit meinen inzwischen verheirateten Eltern, 1953. Mein Vater würde in Hamburg mehr Geld verdienen, meine Mutter fühlte sich in Westberlin sowieso eingekesselt, und ich weinte.

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#1.3 Unsere Epoche

Als ich zum dritten Mal wegsollte, war es meine Schuld – in gewisser Weise. Ich hatte bei der Prüfung zum ‚Industriekaufmann‘ so gut abgeschnitten, dass mir laut Statuten ein Auslandsjahr gewährt wurde. Nach den paar Semestern Jura und dem scheinbar berufshinderlichen Kompositionsstudium hatte ich bei der ‚Deutschen Grammophon‘ als Spätlehrling Unterschlupf gefunden.

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#1.4 Very hot

Später, als ich dann wieder zurück war in Hamburg, erschien es mir wie ein fast nahtloser Übergang. Aber das stimmte nicht. Neue Freundschaften, neuer Ehrgeiz – ich hatte mich gehäutet ...

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#1.5 Vom Grenzgänger zum Groupie

Meine Eltern waren auf den Bahamas, um sich dort eventuell ein Grundstück zuzulegen; Harald malte sicher gemütlich im Keller seiner Eltern; Tine fing an, sich für den Abend zu schminken. Oder meine Eltern waren über dem Atlantik abgestürzt, Harald die Kellertreppe runtergefallen, und Tine hatte sich am Lippenstift verschluckt.

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#1.6 Im Graben

Am Montagmorgen holte mich George Wishard ab, und dass ich seinen Namen nach siebenundvierzig Jahren immer noch, ohne nachzuschlagen, mühelos aus meinem Gedächtnis kramen kann, während ich überlegen muss, wie die deutsche Umweltministerin heißt oder der Schauspieler, der im vorletzten Tatort der Täter war, zeugt davon, welche durchgreifende Rolle George Wishard in meinem Leben gespielt hat.

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#1.7 Die große Welt

Am Dienstag musste ich mit dem Zug nach Glasgow, so dass mir Edinburgh auf Anhieb nachträglich hübsch vorkam, am Mittwoch und Donnerstag war ich, immer von meinem Hotel aus, anderweitig unterwegs. Aus St. Andrews, der Wiege des Golfs, brachte ich als vorausgeplante Weihnachtsüberraschung meinem Vater einen Stich von längst toten Spielern mit. Mehr konnte ich in dieser Hinsicht nicht für ihn tun.

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#1.8 In vollen Zügen

Am Sonntag war ich mit Jennipher, über die ich ausnahmsweise mal keine Lust habe, viel zu sagen, im Zoo; am Montag begann meine letzte Vertreterwoche, mit dem Mann für London, Brian. Er war so liebenswürdig, mich abends immer zu meiner Wohnung zu fahren, nur am Donnerstag nicht, weil er da eine Verabredung hatte.

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#1.9 Douglas

So lief das 1971 bei mir. Genauer: lief nicht. Trotzdem war ich verwegen genug, den Sommer über an den Samstagabenden über den Hampstead Heath zu steigen und den Pub ‚King George IV‘ anzusteuern. Allerdings nicht, ohne vorher als Mutmacher ein oder zwei Martinis getrunken zu haben.

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#2.1 Pali

Wenn etwas schiefgegangen ist, gibt man auf oder versucht es nochmal. Beides erfordert Weisheit. Den Weltkrieg umzukehren, wie es mein Großvater nach dem Ersten beim ‚Stahlhelm‘ probiert hat oder einige SS-Offiziere nach dem Zweiten von Südamerika aus, das ist töricht. Nach gescheiterten Probeaufnahmen und blöden Werbespots weiter zu versuchen, Star zu werden, wie es James Dean und Marylin Monroe getan haben, kann sich auszahlen.

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#2.2 Erwischt

Meine Lehrzeit zwischen Fabrik, Lager und Buchhaltung, zwischen Praxis und Theorie also, plus all der ‚Siemens‘-Lehrgänge in Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Jura hatten mich gegenüber unterschiedlichsten Fakten und Menschen gestählt, und meine paar Monate Großbritannien verliehen mir den Duft der großen, weiten Welt.

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#2.3 Gast ohne Einladung

Das Hotelzimmer, das ich am Samstag, dem 25. August, bezog, hob sich bereits ein wenig von meiner Unterkunft vor zwei Jahren ab. Jennipher kam gegen sechs mit ihrem Freund Robin zu mir in die Bar auf einen Scotch. Ihr Freund war Product Manager bei ‚CBS‘, und auf deren Ebene war eine solche Liaison wohl möglich. Die Präsidenten der beiden unterschiedlichen Schallplatten-Unternehmen hätten vermutlich kaum miteinander geschlafen.

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#2.4 Menschenblut

Am Sonntagvormittag holte mich Robert Leslie ab. Er unterhielt freiberuflich für die ‚Deutsche Grammophon‘ UK die Kontakte zu Künstlern und Journalisten. Robert war witzig, intrigant und so sehr ‚Tunte‘, dass ich dieses Wort ausnahmsweise benutzen muss. Angezogen war er immer grässlich, aber was er sagte und welches Gesicht er dazu machte, war doch aufsehenerregender als sein Textil-Geschmack.

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#2.5 Ganz in Rot

Am Dienstag hatte Peter Russel ein Treffen im ‚Forage & Chatter‘ mit den beiden wichtigsten Händlern vor Ort arrangiert, und ich fand, dass es für die Verträglichkeit der Schotten sprach, dass die Konkurrenten nicht gegeneinander kämpften, sondern miteinander speisten

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#3.1 Die Reisemutter

Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten.

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#3.2 Die besten aller Welten

Das Schicksal ist, glaube ich, eine Institution, die sich rasch langweilt, und dann schlägt es zu und zeigt den Sterblichen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen durch den Irrgarten des Lebens laufen. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.

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#3.3 Wissenswertes über Edinburgh

Drei Jahre später: 1975, das Jahr, an dessen Ende ich Roland bekommen hatte, hatte ich zu Anfang eine Filmkamera bekommen. Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass nun alljährlich ein Jahresfilm auf sie einstürmen würde, mit immer verstörenden Schnitten und Vertonungen.

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1. Kapitel: 1971

Wenn ich wegmusste, dachte ich immer, meine Welt ginge unter. Das erste Mal musste ich weg, als ich ein Jahr alt war. Als ich das nächste Mal wegmusste aus Berlin, sollte es für immer sein, dieses Mal allerdings zusammen mit meinen inzwischen verheirateten Eltern, 1953. Als ich zum dritten Mal wegsollte, war es meine Schuld – in gewisser Weise. Ich hatte bei der Prüfung zum ‚Industriekaufmann‘ so gut abgeschnitten, dass mir laut Statuten ein Auslandsjahr gewährt wurde. Nach den paar Semestern Jura und dem scheinbar berufshinderlichen Kompositionsstudium hatte ich bei der ‚Deutschen Grammophon‘ als Spätlehrling Unterschlupf gefunden.

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#1.1 Abschiebehaft

Meine Freundin Anette Kanngießer mailte mir nach Meran, dass sie in der folgenden Woche nach Edinburgh fliegen werde. Ich mailte zurück, an Edinburgh habe ich auch ein paar Erinnerungen. „Schick sie mir doch“, schlug Anette vor, „dann kann ich mich auf dem Flug schon mal einlesen.“ Nun ist die ‚Mail‘ fertig, mit ein paar Monaten Verspätung: keine Einstimmung mehr, sondern ein Ausklang.

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#1.2 Misstrauen

Als ich das nächste Mal wegmusste aus Berlin, sollte es für immer sein, dieses Mal allerdings zusammen mit meinen inzwischen verheirateten Eltern, 1953. Mein Vater würde in Hamburg mehr Geld verdienen, meine Mutter fühlte sich in Westberlin sowieso eingekesselt, und ich weinte.

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#1.3 Unsere Epoche

Als ich zum dritten Mal wegsollte, war es meine Schuld – in gewisser Weise. Ich hatte bei der Prüfung zum ‚Industriekaufmann‘ so gut abgeschnitten, dass mir laut Statuten ein Auslandsjahr gewährt wurde. Nach den paar Semestern Jura und dem scheinbar berufshinderlichen Kompositionsstudium hatte ich bei der ‚Deutschen Grammophon‘ als Spätlehrling Unterschlupf gefunden.

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#1.4 Very hot

Später, als ich dann wieder zurück war in Hamburg, erschien es mir wie ein fast nahtloser Übergang. Aber das stimmte nicht. Neue Freundschaften, neuer Ehrgeiz – ich hatte mich gehäutet ...

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#1.5 Vom Grenzgänger zum Groupie

Meine Eltern waren auf den Bahamas, um sich dort eventuell ein Grundstück zuzulegen; Harald malte sicher gemütlich im Keller seiner Eltern; Tine fing an, sich für den Abend zu schminken. Oder meine Eltern waren über dem Atlantik abgestürzt, Harald die Kellertreppe runtergefallen, und Tine hatte sich am Lippenstift verschluckt.

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#1.6 Im Graben

Am Montagmorgen holte mich George Wishard ab, und dass ich seinen Namen nach siebenundvierzig Jahren immer noch, ohne nachzuschlagen, mühelos aus meinem Gedächtnis kramen kann, während ich überlegen muss, wie die deutsche Umweltministerin heißt oder der Schauspieler, der im vorletzten Tatort der Täter war, zeugt davon, welche durchgreifende Rolle George Wishard in meinem Leben gespielt hat.

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#1.7 Die große Welt

Am Dienstag musste ich mit dem Zug nach Glasgow, so dass mir Edinburgh auf Anhieb nachträglich hübsch vorkam, am Mittwoch und Donnerstag war ich, immer von meinem Hotel aus, anderweitig unterwegs. Aus St. Andrews, der Wiege des Golfs, brachte ich als vorausgeplante Weihnachtsüberraschung meinem Vater einen Stich von längst toten Spielern mit. Mehr konnte ich in dieser Hinsicht nicht für ihn tun.

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#1.8 In vollen Zügen

Am Sonntag war ich mit Jennipher, über die ich ausnahmsweise mal keine Lust habe, viel zu sagen, im Zoo; am Montag begann meine letzte Vertreterwoche, mit dem Mann für London, Brian. Er war so liebenswürdig, mich abends immer zu meiner Wohnung zu fahren, nur am Donnerstag nicht, weil er da eine Verabredung hatte.

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#1.9 Douglas

So lief das 1971 bei mir. Genauer: lief nicht. Trotzdem war ich verwegen genug, den Sommer über an den Samstagabenden über den Hampstead Heath zu steigen und den Pub ‚King George IV‘ anzusteuern. Allerdings nicht, ohne vorher als Mutmacher ein oder zwei Martinis getrunken zu haben.

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2. Kapitel: 1973

Wenn etwas schiefgegangen ist, gibt man auf oder versucht es nochmal. Beides erfordert Weisheit. Runtergefallen vom Stier? Überlebt? Gleich wieder rauf auf den Bullen! Rodeo. Meine Devise war: Wenn das unerbetene Leben schon sein muss, dann in der Arena, nicht auf der Tribüne. Torero sein, nicht Trottel!

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#2.1 Pali

Wenn etwas schiefgegangen ist, gibt man auf oder versucht es nochmal. Beides erfordert Weisheit. Den Weltkrieg umzukehren, wie es mein Großvater nach dem Ersten beim ‚Stahlhelm‘ probiert hat oder einige SS-Offiziere nach dem Zweiten von Südamerika aus, das ist töricht. Nach gescheiterten Probeaufnahmen und blöden Werbespots weiter zu versuchen, Star zu werden, wie es James Dean und Marylin Monroe getan haben, kann sich auszahlen.

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#2.2 Erwischt

Meine Lehrzeit zwischen Fabrik, Lager und Buchhaltung, zwischen Praxis und Theorie also, plus all der ‚Siemens‘-Lehrgänge in Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft und Jura hatten mich gegenüber unterschiedlichsten Fakten und Menschen gestählt, und meine paar Monate Großbritannien verliehen mir den Duft der großen, weiten Welt.

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#2.3 Gast ohne Einladung

Das Hotelzimmer, das ich am Samstag, dem 25. August, bezog, hob sich bereits ein wenig von meiner Unterkunft vor zwei Jahren ab. Jennipher kam gegen sechs mit ihrem Freund Robin zu mir in die Bar auf einen Scotch. Ihr Freund war Product Manager bei ‚CBS‘, und auf deren Ebene war eine solche Liaison wohl möglich. Die Präsidenten der beiden unterschiedlichen Schallplatten-Unternehmen hätten vermutlich kaum miteinander geschlafen.

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#2.4 Menschenblut

Am Sonntagvormittag holte mich Robert Leslie ab. Er unterhielt freiberuflich für die ‚Deutsche Grammophon‘ UK die Kontakte zu Künstlern und Journalisten. Robert war witzig, intrigant und so sehr ‚Tunte‘, dass ich dieses Wort ausnahmsweise benutzen muss. Angezogen war er immer grässlich, aber was er sagte und welches Gesicht er dazu machte, war doch aufsehenerregender als sein Textil-Geschmack.

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#2.5 Ganz in Rot

Am Dienstag hatte Peter Russel ein Treffen im ‚Forage & Chatter‘ mit den beiden wichtigsten Händlern vor Ort arrangiert, und ich fand, dass es für die Verträglichkeit der Schotten sprach, dass die Konkurrenten nicht gegeneinander kämpften, sondern miteinander speisten

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3. Kapitel: 1988

Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.

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Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit. Oder eine kurze. Heute kommt mir das Jahr 2003 gar nicht so weit weg vor. Zwischen 1973 und 1988 lagen Welten.

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#3.2 Die besten aller Welten

Das Schicksal ist, glaube ich, eine Institution, die sich rasch langweilt, und dann schlägt es zu und zeigt den Sterblichen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen durch den Irrgarten des Lebens laufen. Im Juni 1987, kurz nach der opulenten Feier meines einundvierzigsten Geburtstags, wurde bei Roland ein Lungentumor festgestellt und dass er HIV-positiv war. Ihm wurde die halbe Lunge entfernt, mir meine ganze Unbekümmertheit.

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#3.3 Wissenswertes über Edinburgh

Drei Jahre später: 1975, das Jahr, an dessen Ende ich Roland bekommen hatte, hatte ich zu Anfang eine Filmkamera bekommen. Meine Eltern konnten nicht ahnen, dass nun alljährlich ein Jahresfilm auf sie einstürmen würde, mit immer verstörenden Schnitten und Vertonungen.

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Tagebuch-Geschichten meiner Berlin-Reisen von 1998 und 2000, 2005 und 2008

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#1.01 | Ein Wechsel

Nach all den vielen Personen, die ich mir bloß ausgedacht habe, komme ich jetzt mal wieder auf einen realen Menschen: mich. Dabei beginne ich gleich ganz vorne, wie üblich. Auf meinem Geburtsschein von 1946 steht ‚Schmargendorf‘, und auf meinem Abiturzeugnis von 1965 stand es genauso: ‚Schmargendorf‘. Nichts als ‚Schmargendorf‘!

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#1.02 | Rind im Mund

Es ist der 1. Juli 1998 und nicht zu fassen: Ich sitze in einem ‚Block House‘, Hamburgs prominentester Steakhauskette. Ich sitze hier, allein mit meinen Rechenkästchen. Ich schreibe sie voll, wie immer, Seite für Seite. Zum ersten Mal allein im ‚Block House‘. Sonst waren wir doch immer zu zweit, zu viert, zu sechst, seit fast dreißig Jahren.

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#1.03 | Rote und grüne Punkte

Ich fuhr noch tiefer in den Osten hinein, zur ‚Müggelseeperle‘. Meine Neugier war allerdings rasch gestillt. Natürlich hatte ich ein Schlösschen mit Seeterrasse erwartet, wie ich das vom Zürcher See her gewohnt bin. Stattdessen thronte ein verwitterter Betonklotz mit bösartigen kleinen Luken zwischen den Kiefern: Das war die ‚Perle‘,

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#1.04 | Eingewöhnung

Der Gendarmenmarkt war eine Enttäuschung: ‚darm‘ drückte es am besten aus, aber auch – verkürzt – ‚arm‘ kam hin. Ein Open-Air-Festival fand statt, die mühevoll restaurierten Gebäude waren von Tribünen verdeckt, und alle, die das Geld nicht ausgeben wollten, um dort zu sitzen, konnten sich den Lärm auch auf den Treppenstufen der umliegenden Häuser anhören und unbekümmert ihre Hinterlassenschaft an zerknüllten Papieren, abgenagten Knochen und eingeknickten Pappbechern der Müllabfuhr überlassen.

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#1.05 | Volle Gläser

Von Dorothee zurück zum Alexanderplatz. Der ‚Kaufhof‘ dort (früher ‚CENTRUM Warenhaus‘) ist eine Sechzigerjahre-Perle: fensterlos, mit einer Art blaublechernem Fischgrätmuster aus Aluminium. Aber innen ist er ganz manierlich, und er bot all das, was mir bei Lafayette zu teuer gewesen war.

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#1.06 | Prominenz

Ich war zu früh an der Deutschen Oper an der Bismarckstraße, die drei Minuten später eintreffende Dorothee bloß überpünktlich. Endlose Schlangen vor der Kasse. „Siehst du“, sagte Dorothee, „war doch gut, dass ich schon gestern hier war.“ Dann begann Dorothee sofort mit dem Feilschen um das Eintrittsgeld.

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#1.07 | Kultur und so

Das eigentliche Berlin-Erlebnis besteht darin, auf den Fahrstuhlknopf zu drücken, acht Sekunden abwärtszufahren, einen acht Meter langen Gang zu überwinden und durch eine Tür zu treten. Dann bin ich in Berlin. Geld krieg’ ich gleich im nächsten Eingang, eins weiter ist der Bäcker, auf dessen Tüten steht, wie toll seine Brote und Kuchen seien.

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#1.08 | Monumente hautnah

Mein nächstes Brecht-Erlebnis vereinte mich wieder mit Dorothee. Ich hatte mir am Sonntag durch emsiges Tippen ein kleines Nickerchen wohl, wenn auch spät, verdient. So war es nicht zu früh, als ich fünf vor fünf wieder aufwachte.

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#1.09 | Ein Maler auf der Leinwand

Dorothee hat meine Versessenheit auf Zusammenhänge nicht bloß verinnerlicht, sondern auch veräußerlicht. Kein Handwerker, kein Sterbender, kein Evakuierungsleiter hat den Mut, mich vor zehn Uhr morgens anzurufen, schon gar nicht meine Eltern. Wenn es also vor neun Uhr in der Früh’ bei mir klingelt und ich sollte wach und gar noch in Abnehmlaune sein, dann greife ich nach dem Telefonhörer und sage freundlich: „Guten Morgen, Dorothee.“

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#1.10 | Auf der Straße und auf Besuch

Wie alle preußischen Feldherren, so weiß auch Dorothee, dass Angriff die beste Verteidigung ist: Als das letzte Bild filmischer Böklin-Entwürdigung verflimmert war und die Beleuchtung zuschlug, rief sie gleich aus: „Hochinteressant! Ich fand das hochinteressant.“ Ich stimmte Dorothee durch Kopfnicken zu: Ja, sie fand es hochinteressant. Allerdings kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass Dorothee jemals über irgendetwas zwischen Lessing und Ligeti gesagt hätte, dass es langweilig sei.

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#1.11 | Reden und wissen, worüber

Nachdem Dorothee die Beköstigung ihrer Pariser Freundin plus Anhang mit Bravour gemeistert hatte, galt die nächste Einladung ihren ehemaligen Kollegen von den Festwochen und ihrer Französisch-Lehrerin. Ich hatte die Freude, wieder mit gebeten zu sein.

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#1.12 | Ein schönes Geschenk

Michael rief heute an und fragte, ob wir uns treffen sollten. Bei Michael heißt das immer: Kulturprogramm. Er ergänzte auch gleich, in die Neue Nationalgalerie dürften wir aber nicht gehen, denn da ginge Jürgen hin, und der wolle mich immer noch nicht sehen. – Neben der Kalbs- und der Geflügel-, der groben und feinen gibt es noch die beleidigte Leberwurst, und die find ich besonders wenig schmackhaft.

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#1.13 | Mittendrin und außerhalb

Mittwoch: Lankwitz. – Die Kindheitslocation meines Vaters ist noch schlimmer gebeutelt als meine eigene. Der Park, in dem er mit seinen Brüdern und Freunden gespielt hat, blüht nach wie vor, aber die Häuser sind alle weg und durch erbärmliche Wohnsilos ersetzt worden. Immerhin, die Proportionen stimmen noch ...

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#1.14 | Essen gehen

Als wir wieder in der Stadtmitte waren, gab es noch genug Zeit, um sich für den Abend auszuruhen. Da sollte ein Essen mit meiner Cousine Marina, ihrem Mann Florian und Dorothee stattfinden. Guntram war das sehr recht gewesen. „Ein Aufwaschen“, sagte er, aber Irene hatte erhebliche Bedenken geäußert.

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#1.15 | Fontane, Kaserne, Mansarde

Sowohl Dorothee als auch Marina hatten mit mir nach Neuruppin fahren wollen, die Fontanestadt am See. Ich hatte die Aufforderung ausgeschlagen, mit dem Hinweis darauf, dass Neuruppin ja auf meinem Rückweg läge und ich die Stätte dann mit meinen Eltern gemeinsam besichtigen könnte.

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#2.01 | Schiffstaufe

Darf das Schreiben eines Tagebuches doppelt so viel Zeit in Anspruch nehmen, wie es Tage beschreibt? – Ein Tagebuch darf alles! Innere Zustände, äußere Umstände. Wenn für die Ereignisjagd keine Löwen zur Verfügung stehen, dann darf das Tagebuch großspurig aus Mücken Elefanten machen, aber es darf auch, um nicht zu übertreiben, Elefanten zu Mücken herunterspielen.

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#2.02 | Einstein

Ein willkürlicher Sprung. Heute ist mein letzter Tag in Berlin. Ich sitze noch einmal im Garten des ‚Einstein‘. Der Himmel ist stark bewölkt, so wie an fast jedem Tag seit meiner Ankunft. Kein Blau schimmert durch das wenig aufgelichtete Dunkel.

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#2.03 | Aufbruch im Morgen-Grauen!

Mittwoch, 28. Juni: Jeder Morgen ist die Hölle, dieser ist keine Ausnahme, sondern nach den Weinmengen vom Vorabend eher der Höhepunkt der Regel. Ich flackere aus dem Bett wie eine Flamme in der Zugluft und schmeiße alles, was sich nicht wehrt, in den großen Koffer, den ich in der Abseite gefunden und gnadenlos ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt habe.

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#2.04 | Mitte

Von der Straße auf die Autobahn. Es ist mir unmöglich, das Wetter nicht auf meinen Gemütszustand zu beziehen, aber wenn ich Italienisch spreche, muss ich mich konzentrieren. Das lenkt ab. Bo im Wagen hinter uns fährt sehr viel bedächtiger als Giuseppe. Von Zeit zu Zeit sieht Giuseppe in den Rückspiegel, schüttelt den Kopf und stößt ein paar Worte hervor.

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#2.05 (A) | Eine ungeheuerliche Abschweifung

Donnerstag, 29. Juni: Es gibt Menschen, die schlafen abends ein und wachen morgens auf. Dann fragen sie: ‚Was kost’ die Welt?‘ und ‚Wo bleibt das Frühstück?!‘ Sie halten nach der vierten Tasse Kaffee nach den Bäumen Ausschau, die sie ausreißen könnten; die Ärmel hatten sie schon hochgekrempelt, bevor sie sich angezogen haben.

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#2.05 (B) | Spree/Havel – alles unter einem Hut

Na, nun war’n wir schon mal in der Friedrichstraße, nun konnten wir auch gleich den Bezirk Mitte abhaken. Die Friedrichstraße ist ja eine etwas längere Verkehrsader. Das Problem ist eigentlich nur der dem ‚Palast‘ recht nahe Bahnhof. Er ist als Christo-Nachwehe eingehüllt und ansonsten Baugrube.

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#2.05 (C) | Empfehlung und eigene Entscheidung

Berlin war frühlingshaft warm und licht, zumindest von meinem Austritt aus, Bo und Ingrid kamen fünf Minuten verspätet zum Frühstück, diese Zeit würde jetzt vom gemütlichen Ku’damm-Bummel abgehen.

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#2.05 (D) | Geld wegzaubern

Aufbruch, Aufbau, Ausbau erleben. Im Alter wird alles immer schlechter: Die Jugend hat kein Benehmen mehr, und die Hotelzimmer kosten das Dreifache von früher.

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#2.05 (E) | Sonntagsausflug

Für den Sonntag war das gute Wetter am wichtigsten – denn der Sonntag war unser Ausflugstag. Ich hatte schon telefonisch versucht, den Dampfer nach Werder zu buchen, aber dafür hätte ich die Karten entweder in Treptow, ganz im Osten, abholen müssen, oder ich musste mich darauf verlassen, dass das Schiff noch nicht ausgebucht war und wir an der Kasse am Wannsee noch drei Plätze ergattern würden.

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#2.05 (F) | Schnapsleichen und Marzipanpflaster

Dann kam Werder. Schon aus der Ferne hatte das Riesenrad mich ein wenig argwöhnisch gemacht, aber ich war in keiner Weise vorbereitet auf das, was uns erwartete. Man muss vergessen, dass man das Wort ‚Rummel‘ kennt, man muss es einfach mal als Lautmalerei auf sich wirken lassen: mit hartem, brutalem ‚R‘, kurz geblöktem ‚U‘ und einer nicht enden wollenden Kette fest gepresster ‚M‘, die in dieses fiese Rattenschwänzchen ‚el‘ münden.

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#2.05 (G) | Muschel oder Filmschauspieler?

Montag Vormittag hatten Bo und Ingrid frei, um Andenken zu kaufen. Wir trafen uns aber zufällig beim Frühstück, ich konnte auf das morgendliche Rührei einfach nicht mehr verzichten und verstieg mich sogar auf ein Scheibchen Lachs dazu.

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#2.06 | Bedienstete beschummeln

Freitag, 30. Juni: Ich hatte am Vortag so diszipliniert gesoffen und so früh das Hotelzimmer aufgesucht, dass ich mich imstande fühlte, Aurehls als Fremdenführer für Giuseppe abzulösen. Vorher hatte ich allerdings noch einige Erledigungen zu verrichten, die vielleicht besser unbeschrieben blieben, was jedoch meiner zu Anfang aufgestellten Grundregel widerspräche, über bisher ungesagte Wahrheiten zu berichten.

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#2.07 | Im Kino

Giuseppe war etwas enttäuscht: Die sieben Hügel hatte er von Rom her anders in Erinnerung. Hier, in der Ausstellung ‚Sieben Hügel‘ im Gropius-Bau, waren sie ihm einfach zu flach. Ich fand den Bereich ‚Traum‘ am enttäuschendsten, weil ich von dem Thema etwas zu verstehen glaube.

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#2.08 | Schutt und Masche

Wir verließen den Potsdamer Platz. Eine Steigerung war nur noch theoretisch möglich. Also bestiegen wir den nagellackroten Informationscontainer ‚Info-Box‘ auf dem noch nicht vorhandenen Leipziger Platz, um uns über die Zukunft zu unterrichten. Außerdem konnte man von dort oben aus nach allen vier Himmelsrichtungen blicken, ohne irgendetwas Bemerkenswertes zu sehen. Das war schon faszinierend. Ähnliches haben Rom oder Paris nicht zu bieten, da hätte man immer gleich in Bedeutendes geguckt.

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#2.09 | Begleiter beschummeln

Nun, nach der Zäsur durch das Bett, sollte sich der alte Westen gegen den neuen Osten behaupten, und da Gediegenheit weder hier noch dort anzutreffen ist: Wo könnte der Westen besser zur Geltung kommen als in seinem Kaufhaus!

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#2.10 | Abfahrt und Neustart

Samstag, 1. Juli: Bo und Ingrids letzter Tag. Wochenend und Sonnenschein. Wie von den Comedian Harmonists. Nachmittags die Fähre ab Rostock. Wir fahren zu viert in Giuseppes Auto. Erst Unter den Linden entlang, durchs Brandenburger Tor, an der Siegessäule vorbei; ich leite Giuseppe scheinheilig zum Kurfürstendamm.

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#2.11 | So wild wie möglich

Die Linden sind nicht die Via Appia, dafür sind sie viel belebter und beliebter. Der brutal zugepflasterte Mittelstreifen ist wieder manierlich hergerichtet, mit Kies und Bänken. So wie es früher war, las ich. Heute weiß man ja nie: Was ist historisch, was ist postmodern, was ist Fake?

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#2.12 | Am Nabel, drüber und drunter

Sonntag, 2. Juli: Heute setzt das Ausflugsprogramm ein. Wie immer zuerst in östlicher Richtung, und das bedeutet bei mir Köpenick. Zu irgendeinem Zeitpunkt hebe ich den Kopf. Wenn Giuseppes Feldbett leer ist, weiß ich, dass ich demnächst aufstehen sollte.

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#2.13 | Mund-Diarrhö

Montag, 3. Juli: Giuseppes leeres Bett zwang mich unweigerlich zum Aufstehen. Als ich aus dem Bad kam, hatte Giuseppe schon den Zwieback für mich beschmiert: mit wenig Pflaumenmus und viel Idealismus.

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#2.14 | Der Sprung ins Diesseits

Versonnen saßen wir auf der Holzbank und blickten, nicht minder versonnen, auf die Uferböschung der Pfaueninsel und auf die Fähre, deren Zwei-Mann-Besatzung sich offenbar eine längere Verschnaufpause gönnte.

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#2.15 | Irrwege ans Ziel

Der älteste Bruder meines Vaters, Achim, war nach seiner durch den Kriegsverlauf erzwungenen Rückkehr aus Paris, wo er sich als Verwalter des ‚Feindvermögens‘ Ehre erworben hatte, vom militärischen Dienst freigestellt worden ...

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#2.16 | Erbarmungslos

Dienstag, 4. Juli: Seit ewigen Zeiten schlief wieder jemand neben mir im Bett. Im Aufwachen dachte ich jedes Mal, es sei Roland. Mein linker Fuß, mein Ost-Fuß also, schmerzte bei jeder Bewegung. Mit herannahender Ausnüchterung im Morgengrauen kamen die üblichen Beschwerden hinzu ...

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#2.17 | Eine pädagogische Unterbrechung

Wem es jetzt schon reicht, der kann den folgenden Text auslassen und am Freitag weiterlesen. Wem Kultur liegt, der oder die kann heute die Rede studieren, die ich 1997 zur Namensweihe der Leonard-Bernstein-Schule gehalten habe.

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#2.18 (A) | Königsberger Klopse

Die Schule ist als Bau das Gegenteil von Bernstein: nüchtern, fantasielos, plump. Dorothee begrüßt den Direktor überschwänglich, er erkennt mich, findet aber den Gast aus Italien exotischer als einen Wessi.

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#2.18 (B) | An etwas glauben

Jetzt begehe ich den nächsten meiner geplanten Stilbrüche und schiebe den Beitrag ein, den ich im Herbst 1977 zu Dorothees Weggang von der ‚Deutschen Grammophon‘ verfasst habe. Er beschreibt sie und unsere Not mit ihr ganz gut, und eine windelweiche Lobhudelei, wie sie in drei Sätzen von anderen Kollegen und Vorgesetzten verlegen abgesondert wurde, war von mir ja ohnehin nicht zu erwarten.

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#2.19 | In- und auswendig

Mittwoch, 5. Juli: Wenn es mir schlecht geht, habe ich einen Widerwillen gegen alles, was mich an die Welt bindet: Telefongespräche, E-Mail-Schreiben, Termine vor Ort. Anderen dienen gerade solche Bindeglieder als Rettungsringe. Mein Anker ist mein Bett.

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#2.20 | Es ist an der Zeit

Giuseppe wünscht sich Pankow, weil er Pankow früher immer in der Zeitung gelesen hat, wie Bonn oder Washington: ‚Aus Bonner Kreisen verlautet …, dagegen hat Pankow schärfsten Protest eingelegt.‘ Nachrichten-Sprache, die kein sehr ergiebiges Ausflugsziel vermuten lässt.

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#2.21 | Unter- und überwegs

Donnerstag, 6. Juli: Gott, ging es mir dreckig! Nein, so ging es nicht weiter! Jetzt war Schluss mit Saufen! Noch wichtiger, als gute Vorsätze in die Tat umzusetzen, war es, Giuseppe durch den Tag zu lotsen und mich mit. Da halfen nur eiserne Disziplin und gnadenloses Kulturprogramm.

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#2.22 | Kein Schloss, kein Wachtturm

Freitag, 7. Juli: Genug geostelt! Heute war wieder der Westen dran, genauer gesagt: der Nordwesten. Es ging mir besser. Gestern hatte ich, bevor wir die Demokratie-Ausstellung gesehen hatten, beim Apotheker vorbeigeschaut, um Prof. Büchsels Rezepte einzulösen. Er hatte gerade einer jungen Frau Aspirin für 7,50 DM verkauft. Bei mir durfte er zwei Nullen dranhängen.

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#2.23 | Wassermelone

Nach dem obligatorischen Nachmittagsschlaf banden wir uns Krawatten um den Hals und traten die Fahrt nach Zehlendorf an. Mir fiel ein, dass wir es verabsäumt hatten, ein Gastgeschenk zu kaufen.

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#2.24 | Von den Göttern getrieben

Sonnabend, 8. Juli: Giuseppe eröffnete mir überraschend, dass er am Sonntag abreisen wolle. Zunächst hatte ich mich etwas gewundert, dass er so lange blieb, jetzt war mir etwas seltsam zumute, dass ich nun wirklich so allein sein würde, wie ich meinen Berlin-Aufenthalt geplant hatte.

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#2.25 | Berühmt werden oder nicht

Menschen im Tiergarten: Loveparade. Giuseppe war total enttäuscht, echt. Diese riesigen Lastwagen, auf denen dreiviertel nackte Mädels verbissen rumzuckten. Diskant gellte in den Ohren, Bässe massierten das Gedärm. Ich sah mir die Köpfe der Massen an, die uns Richtung Siegessäule entgegenkamen, während unser Strom sich zum Brandenburger Tor durchwälzte: schrilles Haar, schlichte Ringe, überall zwischen Augenbraue und Unterlippe, viel Glitzerkram von der Stirn abwärts und – verbissene Gesichter, düsterer als der Himmel.

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#2.26 | Wohnen ohne eigene Möbel

Sonntag, 9. Juli: Giuseppe trank Tee, aß Zwieback mit Pflaumenmus, packte seinen Koffer und fuhr über Schöneberg die Potsdamer Straße nach Steglitz und Zehlendorf, dann auf die Autobahn nach Leipzig, München, Innsbruck, Trient und fuhr durch die Valsugana nach Bassano.

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#2.27 | Gottesurteil

Montag, 10. Juli: Das Positivste an meinem Zustand war, dass ich nicht aufstehen musste. Aber sonst? Ich torkelte ins Wohnzimmer, sah den SAT.1-Ballon am grauen Himmel und torkelte gleich wieder zurück ins Bett. Da hatte ich nun Blumen und Obst, beides echt, die Stadt vor der Haustür, das Leben zu Füßen, das Alter im Nacken und wollte nichts als das Laken unter mir und die Decke über mir.

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#2.28 | Sehen trotz Kontaktlinsen

Dienstag, 11. Juli: Ich war verblüfft. Prüfend schickte ich mein Bewusstsein in jede erdenkliche Körperzelle. – Kein Zweifel: Es ging mir gut – falls das den Zustand bezeichnet, in dem es einem nicht schlecht geht. Ich stand auf, kochte Wasser für den Teebeutel und beschmierte einen Zwieback mit Pflaumenmus.

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#2.29 (A) | Ausgelassen

Kaum verlässt man die Achse Tauentzien–Ku’damm, wird es in den Seitengassen gleich beschaulich. Die Marburger entspricht der Größe Marburgs und verliert sich – geografisch eigenwillig – in die Augsburger. Dort liegt ein Platz, der (es wird immer kurioser) Los-Angeles-Platz heißt, eine offenbar recht neue Grünanlage vor dem langen Klotz des ‚Sheraton‘-Hotels.

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#2.29 (B) | Unter Kennern

An dieser Stelle noch eine Delle. Ich füge hier wieder ein paar Seiten aus einem früheren Brief ein, der belegt, dass ich auch als Privatier – also nach meinen Zeiten von Aufnahmen in der Philharmonie und Nächten im ‚Kempinski‘ – weiterhin am gehobenen Kulturtreiben in Ku’damm-Nähe einen gewissen Anteil nahm, bevor ich jetzt in der ‚Bar jeder Vernunft‘ meiner eigentlichen Bestimmung nähertrat.

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#2.29 (C) | Weinprobe

Da es nichts mehr zu sagen gab, traf es sich gut, dass wir mit gewissem Nachdruck an die Tische gebeten wurden. Irene wollte neben dem prominenten Ivan Nagel und an Jeffs Tisch sitzen.

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#2.30 | Abhilfe

Mittwoch, 12. Juli: O Gott, geht es mir schlecht! Könnte ich doch durchschlafen bis in den Tod hinein! Das kommt vom Sancerre und vom Whisky. Aber ich bereue nichts. Es war ein wunderbarer Abend.

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#2.31 | Einweihung

Ich war früh dran, das Wetter war schlecht. So amortisierte ich außerdem meinen Regenmantel. U2 bis Wittenbergplatz, dann U1 bis Fehrbelliner Platz. Der schwedische Barbar hatte in seinem alternativen Berlin-Buch darauf aufmerksam gemacht, dass der Fehrbelliner Platz neben dem Flughafen Tempelhof die reinrassigste Nazi-Architektur sei – ein stimmungsgerechter Auftakt für den Abend also.

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#2.32 (A) | Därme aus Zinn

Donnerstag, 13. Juli: Gegen Viertel nach drei am Nachmittag wachte ich endgültig auf. Wie weit ich auch dachte: Ich hatte keine Verpflichtungen mehr. Meinem Körper ging es schlecht, aber ich war frei.

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#2.32 (B) | Wie im Fieber

Wie so oft mache ich etwas, was nicht geht: Ich springe jetzt, genau zur Hälfte meiner Berlin-Reise, in die Zukunft. In dieser Zukunft wird mir ein Ausstellungsbesuch mit Dorothee wie ein Déjà-vu vorkommen, weil ich mich an den eben beschriebenen erinnern werde.

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#2.32 (C) | Telefongespräche zwischen Berlin und Hamburg über Sauerbraten

Dorothee: Ich hab’ noch nie Sauerbraten gemacht, ich weiß gar nicht, wie das geht. Ich: Dann lass es doch, mach doch was anderes! Dorothee: Nein, Harry hat sich so sehr etwas Deutsches gewünscht. Das kriegt er sonst nie. International isst er ja immer. Ich: Dann mach doch Kasseler!

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#2.32 (D) | Harry, Max und Moritz

Harry wollte am Konzerttag schon frühzeitig in der Philharmonie sein, um hinter der Bühne noch stören zu können. Der Dunstkreis von Künstlern tut seinem Atem schon seit jeher gut. Ich kriege da eher Erstickungsanfälle, und Pali, der ungern eine Gehässigkeit ausließ, behauptete, dies sei darauf zurückzuführen, dass ich lieber selber Star sei, als einen um mich zu haben.

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#2.32 (E) | Eigenartige Köpfe

Ich hatte mir zwei Garnituren für Berlin ausgedacht: eine grünlich-beige, die wahlweise mit Pullover oder – für den leicht gehobenen Anlass des gestrigen Mittagessens – mit Hemd und Krawatte zu tragen war, und eine dunkelblaue, die den festlicheren Begebenheiten wie Marinas Geburtstag vorbehalten blieb.

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#2.32 (F) | Die ewig treue Moderne

„Wo habt ihr denn gestern Abend in der Philharmonie gesessen?“, fragte Dorothee, als wir schon wieder kurz vor ihrer Wohnung in der Bleibtreustraße waren. „Block C“, antwortete ich. „Was?“ Dorothee blieb stehen. Sie lachte fröhlich. „Ach, das freut mich aber. Da hab’ ich ja viel besser gesessen.“

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#2.33 | Zwischenbilanz

Sonntag, 16. Juli 2000: Halbzeit. Und? Gut zwei Wochen Berlin: ohne besondere Vorkommnisse. Noch zwei Wochen und zwei Tage und nichts wird passieren, nichts. – Schlecht zwei Wochen Berlin. Die Hälfte vorbei, verpennt und verpulvert, und was bleibt, ist der bastelwillige Versuch, dem Gewesenen einen Sinn abzutrotzen.

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#2.34 | Verlorene Mitte

Dienstag, 18. Juli: Es muss endlich wieder mal etwas geschehen! Ich bin nicht nach Berlin gekommen, um selbstmitleidige Gedankenblasen an die Schlafzimmerdecke zu pusten und über Orte zu lesen, an denen ich nicht bin, abends aus meinem Bau zu kriechen und bei Dorothee mein Futter abzuholen.

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#2.35 | Hinterlassenschaften

Ich wechselte in die Linie U5, die Dorothee so dringend zur Bernstein-Schule hatte nehmen wollen, verließ sie aber schon nach zwei Stationen: Strausberger Platz. Hier beginnt der denkmalgeschützte Teil der Karl-Marx-Allee, die seit 45 Jahren nicht mehr Stalin-Allee heißt und doch den Stempel Stalins, nicht den von Marx, trägt.

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#2.36 | Unheilbar

Am Bahnhofskiosk durchforstete ich das Angebot. Unter ‚BILD‘, ‚Tagesspiegel‘, ‚BZ‘ und ‚Morgenpost‘ fand ich tatsächlich ein einziges Exemplar des ‚Neuen Deutschlands‘, versteckt, fast unterm Ladentisch. Von der Decke hingen austauschbare Magazine. Allein ‚Das Busenwunder von Chemnitz‘ blieb an mir haften.

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#2.37 | Eine Unterbrechung

Mittwoch, 19. Juli: Es hätte sich gehört, heute dem Westen seine Grenzen zu zeigen. Das Egoneum, benannt nach der Pumpernickel, war die vornehmste Hilfsschule Dahlems, das Gymnasium für Zurückgebliebene aus gutem Hause an der Grenze zu Schwachsinn und Steglitz.

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#2.38 | Übersetzen

Bei Hugendubel, dem modernen Buchmarkt auf drei Etagen, frage ich nach dem ‚Schweigen der Sirenen‘. Erst mal bekam ich nur das Schweigen der Verkäuferin.

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#2.39 | Auf Augenhöhe

„Ich gehe oft hier spazieren“, sagt Marion. Auf der Grenze? Oder der Grenzenlosigkeit. Oder wegen des unverwalteten Grüns, Brauns und Graus, das den Straßen und Ampeln mitten in der Stadt Einhalt gebietet wie in Hamburg die Alster.

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#2.40 | Ein Saurier am Potsdamer Platz

Donnerstag, 20. Juli: Ein Tag, der so viel bewirken sollte und so wenig bewirkt hat, damals: 1944. Meine Eltern berichten, wie enttäuscht sie waren, und meine Mutter fügt im Allgemeinen noch hinzu, dass sie, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte, weniger halbherzig vorgegangen wäre.

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#2.41 | Canapés

Ich strebe die Voß entlang zur Friedrichstraße. Zwischen ‚Planet Hollywood‘ und Lafayette fällt mein Blick auf eine Tafel, die für ein Ärztezentrum wirbt: ‚Neun Zehntel unseres Glücks beruhen allein auf der Gesundheit.

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#2.42 | Pflichten wahrnehmen

Freitag, 21. Juli: Kopfschmerzen und Übelkeit. Ohne getrunken zu haben. Das ist wie Ausrutschen ohne Bananenschale. Man meißelt ‚WARUM?‘ in den Himmel und keinen schert’s. Wenn nichts anderes hilft, muss man eben gläubig werden oder zynisch; wandern, schreiben. Oder im Bett bleiben.

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#2.43 | Abendmahl

Sonntag, 23. Juli: Die lieblose Aufzählung soll willkommene Leser meines Tagebuchs nicht täuschen: Wir bilden eine Einheit, mit Leibern und Seelen. Auch wenn Guntram sich in dem Stadium zu befinden scheint, in dem die DDR 1989 war. – Wer zu spät geht, den bestraft das Leben.

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#2.44 | Versuche, das Leben zu ertragen

Montag, 24. Juli: In fünf Monaten ist Weihnachten, und heute hat Herbert Geburtstag. Ich beglückwünsche seinen Anrufbeantworter und schlafe weiter. Nichtstun ist nun mal meine Lieblingsbeschäftigung.

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#2.45 | Den richtigen Zug nehmen

Klar, es gibt auch Positives: Zum Beispiel ist es immer schön, wenn es zu einem Bahnhof, zu dem man will, einen direkten Zug gibt von dem Bahnhof, auf dem man steht. So richtig zur Geltung kommt diese Annehmlichkeit dann, wenn man auf dem Bahnhof, auf dem man steht, in den richtigen Zug einsteigt ...

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#2.46 | Architektur der Stadt

Dienstag, 25. Juli: Ungefrühstückt wie immer verließ ich das Haus: um frühstücken zu gehen, bei ‚Möhring‘. Einst hatte das Möhringer Frühstück Tradition – da saß ich dann mit Roland am Ku’damm. Jetzt sitz’ ich mit Papier am Gendarmenmarkt.

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#2.47 | Morgendlicher Spätnachmittag

Mittwoch, 26. Juli: Gegen zwölf wachte ich auf, zu einer Zeit also, von der ich vermute, dass rechtschaffenere Menschen als ich bereits an den Feierabend denken (Huren, Einbrecher und Souffleusen ausgenommen).

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#2.48 | Kennenlernen

Ich habe niemanden kennengelernt, hier in Berlin, und jetzt werde ich auch niemanden mehr kennenlernen. Doch: Freitag Dorothees beste Freundin aus Mailand, aber das meine ich genauso wenig wie ihre Marion oder meine angeheiratete Verwandtschaft.

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#2.49 | Zoo

Donnerstag, 28. Juli: Ungeküsst wie immer verließ ich das Haus, aber nicht, um mich von irgendeiner dahergelaufenen Muse bezirzen zu lassen oder dem ‚Schweigen der Sirenen‘ zu lauschen, sondern um richtigen, waschechten Imperialismus zu erleben ...

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#2.50 | Warum die Sowjetunion unterging

Jeder weiß, wie süß ich mit Menschen bin, aber wenn Leute pomadig auf der Rolltreppe rumstehen, weil es ja sowieso abwärtsgeht, dann kann ich wirklich rabiat werden. Solchen passiven Individuen würde ich sofort die Sozialhilfe streichen; dass sie selber Geld verdienen, halte ich für ausgeschlossen.

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#2.51 | Die Geschlechterrolle im 21. Jh.

Freitag, 28. Juli: Wenn es gar nichts mehr zu verträumen gibt, steht man eben auf. Gegen halb zwölf ist das kein Beinbruch: hochgehinkt! Der nächste Abend kommt bestimmt.

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#2.52 | Kurze Beschreibung eines langen Abends

Hanno und Christine leben fünfzig Schritte von Dorothee entfernt. Man hat also dasselbe Problem: S-Bahn Friedrichstraße bis Savignyplatz oder U-Bahn bis Wittenbergplatz und dann laufen oder auf Bus hoffen.

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#2.53 | Welttheater

Samstag, 29. Juli: Sonnabends darf man immer ein bisschen länger im Bett bleiben. Da reißt es einen nicht schon um elf aus den Federn, sondern erst um zwölf, vor allem dann, wenn der sommerbunte SAT.1-Ballon sich gegen den November-Himmel stemmt, einen Himmel, so schwer und grau wie ein Elefant, der den ohnehin mitgenommenen Porzellanladen Berlin in Grund und Boden trampeln will.

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#2.54 | Ein Betrug wird entdeckt

Fünf nach zwei stand ich wieder auf der Friedrichstraße. – Fünf Minuten zu spät. Der Elektroladen hatte geschlossen. Jenseits der Linden würde ich problemlos bis 16 Uhr eine Videokassette kaufen können, aber das war nicht meine Richtung. Ich hatte mir vorgenommen, die Wahrheit über die Sonnenallee in Augenschein zu nehmen ...

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#2.55 | Väter und Söhne

Das Telefon klingelte. In meinem ganzen Leben habe ich Dorothee noch nie so kreischen gehört. Unter den Linden war es nicht trockener gewesen als in Neukölln, nur waren Dorothee, Mirella und ihr Mann ohne Schirm aufgebrochen.

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#2.56 | Einordnung

Sonntag, 30. Juli: Sonntags darf man noch ein bisschen länger im Bett bleiben als am Sonnabend. Der Pfarrer unserer Gemeinde nannte von der Kanzel herab das Zehn-Uhr-Dreißig-Hochamt ‚Langschläfer-Messe‘.

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#2.57 | Besuchsprogramm

Montag, 31. Juli: Wahrlich, eine Zusammenfassung. Ab heute Nachmittag würde ich Volker Eckhoff zwanzig Stunden lang ein Berlin bieten wollen, das ihm nicht nur als Freundschaftsdienst, sondern auch als Erlebnis in Erinnerung bleibt.

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#2.58 | Die abgebrannte Kerze

Da waren also erst der Weg, dann das Haus und meine Eltern; Volker half mir bei der Wiedervereinigung meiner Wohnung mit meinen Habseligkeiten, und ich hämmerte mir ein: zu Hause.

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#3.01 | Ich trau’ mich was

Ich möchte meinen Berlin-Zyklus ‚WACHS!‘ mit den beiden letzten Briefen beenden, die ich je von einer Berlin-Reise geschrieben habe. Seit den ersten Briefen von 1967 kam da schon eine ganze Menge Text zusammen.

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#3.02 | Das Gemeinsame von Island und Kolumbien

Silke saß meistens am Steuer, weil sie schon seit Langem den Alkohol gänzlich mied und topfit war, während ich mich noch nicht zu dieser weibischen Enthaltsamkeit durchgerungen hatte und mein Alkoholspiegel dank hoch verdünnter Spirituosen niemals in die Nähe des bedrohlichen Null-Promille-Pegels kam.

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#3.03 | Unser Herkommen, unser Wegkommen

Silke und ich hatten bisher ja tapfer geschwiegen, aber es roch nun doch so stark nach Benzin, dass ich gleich hinter der nächsten Baustelle Silke bat, in einer Einfahrt zu halten, damit ich nachsehen konnte, ob ich den Tankdeckel bei Aral in Hamburg richtig zugemacht hatte.

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#3.04 | Zwischen Frack und Ringelhemd

Den Abend wollten wir natürlich in Downtown Schwerin verbringen, wurden allerdings gleich an der Rezeption darauf aufmerksam gemacht, dass das, was da an der verwahrlosten Kaimauer lag, nicht zum Hotel gehörte. Auf so eine Idee wäre auch niemand gekommen, und selbst zum Tode verurteilte Schwabinger hätten mit diesem Kahn nicht versucht, die Isar zu überqueren.

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#3.05 | Perleberg und überhaupt

Das Verlassen von Schwerin machte uns ein wenig ungeduldig, denn weil wir nun nicht mehr versuchen mussten, die Straßenschilder zu entziffern, wurde es uns vor den roten Ampeln ziemlich langweilig. Doch dann stimmte Silke zu meiner Freude zu, Ludwigslust ins Reiseprogramm mit aufzunehmen.

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#3.06 | Südamerika in Charlottenburg

Kurz vor sechs schlenderten wir über den Kurfürstendamm zum Schlüterplatz; dort konnte ich Silke das Lokal zeigen, das nicht mehr ‚Hardtke‘ war, was so flink ging, dass wir pünktlich bei Hanno und Christine in der Mommsenstraße waren.

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#3.07 | Wenn man sich’s leisten kann

Auch für Koenigssee und Wissmannstraße hatten wir gutes Wetter im 19er-Bus, in dem schon meine Großmutter die Halenseebrücke zwischen Kurfürstendamm und Grunewald überquert hatte.

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#3.08 | Feuer am Ohr

Winfried sagte mir auch gleich bei meinem ersten Anruf am Ankunftssonntag, dass Peter und er am Montagabend nach Essen führen, und weil er weit draußen in Buckow arbeite, würden wir uns nicht zu viert sehen; Peter habe aber nahe seinem Arbeitsplatz bei den Festwochen ein Mittagessen mit Silke und mir im ‚Manzini‘ geplant.

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#3.09 | Guntram hat wieder recht

In der ‚Paris Bar‘ schienen wir nicht erwartet zu werden, ich fand meinen Namen auch nicht beim Schielen ins Bestellbuch. Das hätte mich wütender gemacht, wenn wir nicht den besten Tisch des Lokals bekommen hätten.

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#4.01 | Burg Schlitz

Gelb. So gelb! Kein leuchtenderes Gelb bietet die Natur dem Schauenden als das von blühendem Raps. Die aufgepflanzten Heere der flammenden Felder stehen in feindseligem Gegensatz zu den friedlicheren Hügelketten des Mecklenburger Landes.

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#4.02 | Weihnachtsland im Mai

Die Bäume am Leipziger Platz sind noch zu schmächtig, und es gibt nur ein einziges Café, aber immerhin: Das Achteck ist schon klar konturiert, und die Idee, das fertige Gebäude auf die Planen vor den Baugerüsten zu malen, ersetzt die Wirklichkeit, ohne dass man die wahren Bauten, die man ja sowieso nicht betreten hätte, vermisst.

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#4.03 | Etwas Plötzliches

Nach solch grundsätzlichen Erwägungen war es nur folgerichtig, dass es mich zu Historischem drängte. Ich fragte den Kellner nach dem Weg zum Belvedere, wobei ich volkstümlicherweise das Endungs-e mitsprach.

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#4.04 | Teure Marken

Silke jammerte sich durch den Verkehr vom Neuen Palais zum Schloss Babelsberg. Ich machte keinen Fehler, während ich sie lenkte, aber sie jammerte trotzdem, weil gegen sechs nun mal Berufsverkehr herrscht. Oben auf der Terrasse war es ganz still, und der Blick war sehr viel eindrucksvoller als vom Pomonatempel herab, in dem jetzt die Polizei auf Spurensuche war.

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#4.05 | Verblüht

Am Abend hatten wir Pech. Es fing an zu regnen, und der Spaziergang vom Gendarmenmarkt zum Alexanderplatz, der ohnehin über städtebaulich heikles Terrain führt, bereitete Silke die Qual, feucht zu werden.

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#4.06 | Berlinale-Finale

2015 war Berlin die erste Station einer Reise, mit der ich mein 1975 begonnenes Filmprojekt ‚Reisende‘ beenden wollte: oft Gesehenes und Neues als Abschuss für den Zyklus.

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1. Berlin-Reise / 1998

In Berlin bin ich geboren, eingeschult und ausgebildet worden. Dort habe ich mich beim Film beworben, meine Siemens-Lehre begonnen und Schallplattenaufnahmen gemacht. In Berlin suchte ich kurze Abenteuer und fand meine große Liebe. Das alles lag hinter mir, als ich mich Ende des vorigen Jahrhunderts wochenlang auf das wiedervereinte Berlin einließ – und vor mir lag eine neue Stadt.

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#1.01 | Ein Wechsel

Nach all den vielen Personen, die ich mir bloß ausgedacht habe, komme ich jetzt mal wieder auf einen realen Menschen: mich. Dabei beginne ich gleich ganz vorne, wie üblich. Auf meinem Geburtsschein von 1946 steht ‚Schmargendorf‘, und auf meinem Abiturzeugnis von 1965 stand es genauso: ‚Schmargendorf‘. Nichts als ‚Schmargendorf‘!

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#1.02 | Rind im Mund

Es ist der 1. Juli 1998 und nicht zu fassen: Ich sitze in einem ‚Block House‘, Hamburgs prominentester Steakhauskette. Ich sitze hier, allein mit meinen Rechenkästchen. Ich schreibe sie voll, wie immer, Seite für Seite. Zum ersten Mal allein im ‚Block House‘. Sonst waren wir doch immer zu zweit, zu viert, zu sechst, seit fast dreißig Jahren.

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#1.03 | Rote und grüne Punkte

Ich fuhr noch tiefer in den Osten hinein, zur ‚Müggelseeperle‘. Meine Neugier war allerdings rasch gestillt. Natürlich hatte ich ein Schlösschen mit Seeterrasse erwartet, wie ich das vom Zürcher See her gewohnt bin. Stattdessen thronte ein verwitterter Betonklotz mit bösartigen kleinen Luken zwischen den Kiefern: Das war die ‚Perle‘,

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#1.04 | Eingewöhnung

Der Gendarmenmarkt war eine Enttäuschung: ‚darm‘ drückte es am besten aus, aber auch – verkürzt – ‚arm‘ kam hin. Ein Open-Air-Festival fand statt, die mühevoll restaurierten Gebäude waren von Tribünen verdeckt, und alle, die das Geld nicht ausgeben wollten, um dort zu sitzen, konnten sich den Lärm auch auf den Treppenstufen der umliegenden Häuser anhören und unbekümmert ihre Hinterlassenschaft an zerknüllten Papieren, abgenagten Knochen und eingeknickten Pappbechern der Müllabfuhr überlassen.

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#1.05 | Volle Gläser

Von Dorothee zurück zum Alexanderplatz. Der ‚Kaufhof‘ dort (früher ‚CENTRUM Warenhaus‘) ist eine Sechzigerjahre-Perle: fensterlos, mit einer Art blaublechernem Fischgrätmuster aus Aluminium. Aber innen ist er ganz manierlich, und er bot all das, was mir bei Lafayette zu teuer gewesen war.

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#1.06 | Prominenz

Ich war zu früh an der Deutschen Oper an der Bismarckstraße, die drei Minuten später eintreffende Dorothee bloß überpünktlich. Endlose Schlangen vor der Kasse. „Siehst du“, sagte Dorothee, „war doch gut, dass ich schon gestern hier war.“ Dann begann Dorothee sofort mit dem Feilschen um das Eintrittsgeld.

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#1.07 | Kultur und so

Das eigentliche Berlin-Erlebnis besteht darin, auf den Fahrstuhlknopf zu drücken, acht Sekunden abwärtszufahren, einen acht Meter langen Gang zu überwinden und durch eine Tür zu treten. Dann bin ich in Berlin. Geld krieg’ ich gleich im nächsten Eingang, eins weiter ist der Bäcker, auf dessen Tüten steht, wie toll seine Brote und Kuchen seien.

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#1.08 | Monumente hautnah

Mein nächstes Brecht-Erlebnis vereinte mich wieder mit Dorothee. Ich hatte mir am Sonntag durch emsiges Tippen ein kleines Nickerchen wohl, wenn auch spät, verdient. So war es nicht zu früh, als ich fünf vor fünf wieder aufwachte.

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#1.09 | Ein Maler auf der Leinwand

Dorothee hat meine Versessenheit auf Zusammenhänge nicht bloß verinnerlicht, sondern auch veräußerlicht. Kein Handwerker, kein Sterbender, kein Evakuierungsleiter hat den Mut, mich vor zehn Uhr morgens anzurufen, schon gar nicht meine Eltern. Wenn es also vor neun Uhr in der Früh’ bei mir klingelt und ich sollte wach und gar noch in Abnehmlaune sein, dann greife ich nach dem Telefonhörer und sage freundlich: „Guten Morgen, Dorothee.“

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#1.10 | Auf der Straße und auf Besuch

Wie alle preußischen Feldherren, so weiß auch Dorothee, dass Angriff die beste Verteidigung ist: Als das letzte Bild filmischer Böklin-Entwürdigung verflimmert war und die Beleuchtung zuschlug, rief sie gleich aus: „Hochinteressant! Ich fand das hochinteressant.“ Ich stimmte Dorothee durch Kopfnicken zu: Ja, sie fand es hochinteressant. Allerdings kann ich mich auch nicht daran erinnern, dass Dorothee jemals über irgendetwas zwischen Lessing und Ligeti gesagt hätte, dass es langweilig sei.

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#1.11 | Reden und wissen, worüber

Nachdem Dorothee die Beköstigung ihrer Pariser Freundin plus Anhang mit Bravour gemeistert hatte, galt die nächste Einladung ihren ehemaligen Kollegen von den Festwochen und ihrer Französisch-Lehrerin. Ich hatte die Freude, wieder mit gebeten zu sein.

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#1.12 | Ein schönes Geschenk

Michael rief heute an und fragte, ob wir uns treffen sollten. Bei Michael heißt das immer: Kulturprogramm. Er ergänzte auch gleich, in die Neue Nationalgalerie dürften wir aber nicht gehen, denn da ginge Jürgen hin, und der wolle mich immer noch nicht sehen. – Neben der Kalbs- und der Geflügel-, der groben und feinen gibt es noch die beleidigte Leberwurst, und die find ich besonders wenig schmackhaft.

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#1.13 | Mittendrin und außerhalb

Mittwoch: Lankwitz. – Die Kindheitslocation meines Vaters ist noch schlimmer gebeutelt als meine eigene. Der Park, in dem er mit seinen Brüdern und Freunden gespielt hat, blüht nach wie vor, aber die Häuser sind alle weg und durch erbärmliche Wohnsilos ersetzt worden. Immerhin, die Proportionen stimmen noch ...

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#1.14 | Essen gehen

Als wir wieder in der Stadtmitte waren, gab es noch genug Zeit, um sich für den Abend auszuruhen. Da sollte ein Essen mit meiner Cousine Marina, ihrem Mann Florian und Dorothee stattfinden. Guntram war das sehr recht gewesen. „Ein Aufwaschen“, sagte er, aber Irene hatte erhebliche Bedenken geäußert.

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#1.15 | Fontane, Kaserne, Mansarde

Sowohl Dorothee als auch Marina hatten mit mir nach Neuruppin fahren wollen, die Fontanestadt am See. Ich hatte die Aufforderung ausgeschlagen, mit dem Hinweis darauf, dass Neuruppin ja auf meinem Rückweg läge und ich die Stätte dann mit meinen Eltern gemeinsam besichtigen könnte.

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2. Berlin-Reise / 2000

Zwei Jahre später wiederholte ich das Experiment. Berlin hatte sich weiter verändert, ich mich auch. Meine Schilderung wurde viermal so lang: Die Erzählung dehnte sich wie Wachs unter meinen Fingern. Sie wuchs und wuchs. Aber zäh finde ich sie trotzdem nicht.

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#2.01 | Schiffstaufe

Darf das Schreiben eines Tagebuches doppelt so viel Zeit in Anspruch nehmen, wie es Tage beschreibt? – Ein Tagebuch darf alles! Innere Zustände, äußere Umstände. Wenn für die Ereignisjagd keine Löwen zur Verfügung stehen, dann darf das Tagebuch großspurig aus Mücken Elefanten machen, aber es darf auch, um nicht zu übertreiben, Elefanten zu Mücken herunterspielen.

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#2.02 | Einstein

Ein willkürlicher Sprung. Heute ist mein letzter Tag in Berlin. Ich sitze noch einmal im Garten des ‚Einstein‘. Der Himmel ist stark bewölkt, so wie an fast jedem Tag seit meiner Ankunft. Kein Blau schimmert durch das wenig aufgelichtete Dunkel.

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#2.03 | Aufbruch im Morgen-Grauen!

Mittwoch, 28. Juni: Jeder Morgen ist die Hölle, dieser ist keine Ausnahme, sondern nach den Weinmengen vom Vorabend eher der Höhepunkt der Regel. Ich flackere aus dem Bett wie eine Flamme in der Zugluft und schmeiße alles, was sich nicht wehrt, in den großen Koffer, den ich in der Abseite gefunden und gnadenlos ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt habe.

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#2.04 | Mitte

Von der Straße auf die Autobahn. Es ist mir unmöglich, das Wetter nicht auf meinen Gemütszustand zu beziehen, aber wenn ich Italienisch spreche, muss ich mich konzentrieren. Das lenkt ab. Bo im Wagen hinter uns fährt sehr viel bedächtiger als Giuseppe. Von Zeit zu Zeit sieht Giuseppe in den Rückspiegel, schüttelt den Kopf und stößt ein paar Worte hervor.

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#2.05 (A) | Eine ungeheuerliche Abschweifung

Donnerstag, 29. Juni: Es gibt Menschen, die schlafen abends ein und wachen morgens auf. Dann fragen sie: ‚Was kost’ die Welt?‘ und ‚Wo bleibt das Frühstück?!‘ Sie halten nach der vierten Tasse Kaffee nach den Bäumen Ausschau, die sie ausreißen könnten; die Ärmel hatten sie schon hochgekrempelt, bevor sie sich angezogen haben.

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#2.05 (B) | Spree/Havel – alles unter einem Hut

Na, nun war’n wir schon mal in der Friedrichstraße, nun konnten wir auch gleich den Bezirk Mitte abhaken. Die Friedrichstraße ist ja eine etwas längere Verkehrsader. Das Problem ist eigentlich nur der dem ‚Palast‘ recht nahe Bahnhof. Er ist als Christo-Nachwehe eingehüllt und ansonsten Baugrube.

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#2.05 (C) | Empfehlung und eigene Entscheidung

Berlin war frühlingshaft warm und licht, zumindest von meinem Austritt aus, Bo und Ingrid kamen fünf Minuten verspätet zum Frühstück, diese Zeit würde jetzt vom gemütlichen Ku’damm-Bummel abgehen.

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#2.05 (D) | Geld wegzaubern

Aufbruch, Aufbau, Ausbau erleben. Im Alter wird alles immer schlechter: Die Jugend hat kein Benehmen mehr, und die Hotelzimmer kosten das Dreifache von früher.

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#2.05 (E) | Sonntagsausflug

Für den Sonntag war das gute Wetter am wichtigsten – denn der Sonntag war unser Ausflugstag. Ich hatte schon telefonisch versucht, den Dampfer nach Werder zu buchen, aber dafür hätte ich die Karten entweder in Treptow, ganz im Osten, abholen müssen, oder ich musste mich darauf verlassen, dass das Schiff noch nicht ausgebucht war und wir an der Kasse am Wannsee noch drei Plätze ergattern würden.

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#2.05 (F) | Schnapsleichen und Marzipanpflaster

Dann kam Werder. Schon aus der Ferne hatte das Riesenrad mich ein wenig argwöhnisch gemacht, aber ich war in keiner Weise vorbereitet auf das, was uns erwartete. Man muss vergessen, dass man das Wort ‚Rummel‘ kennt, man muss es einfach mal als Lautmalerei auf sich wirken lassen: mit hartem, brutalem ‚R‘, kurz geblöktem ‚U‘ und einer nicht enden wollenden Kette fest gepresster ‚M‘, die in dieses fiese Rattenschwänzchen ‚el‘ münden.

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#2.05 (G) | Muschel oder Filmschauspieler?

Montag Vormittag hatten Bo und Ingrid frei, um Andenken zu kaufen. Wir trafen uns aber zufällig beim Frühstück, ich konnte auf das morgendliche Rührei einfach nicht mehr verzichten und verstieg mich sogar auf ein Scheibchen Lachs dazu.

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#2.06 | Bedienstete beschummeln

Freitag, 30. Juni: Ich hatte am Vortag so diszipliniert gesoffen und so früh das Hotelzimmer aufgesucht, dass ich mich imstande fühlte, Aurehls als Fremdenführer für Giuseppe abzulösen. Vorher hatte ich allerdings noch einige Erledigungen zu verrichten, die vielleicht besser unbeschrieben blieben, was jedoch meiner zu Anfang aufgestellten Grundregel widerspräche, über bisher ungesagte Wahrheiten zu berichten.

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#2.07 | Im Kino

Giuseppe war etwas enttäuscht: Die sieben Hügel hatte er von Rom her anders in Erinnerung. Hier, in der Ausstellung ‚Sieben Hügel‘ im Gropius-Bau, waren sie ihm einfach zu flach. Ich fand den Bereich ‚Traum‘ am enttäuschendsten, weil ich von dem Thema etwas zu verstehen glaube.

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#2.08 | Schutt und Masche

Wir verließen den Potsdamer Platz. Eine Steigerung war nur noch theoretisch möglich. Also bestiegen wir den nagellackroten Informationscontainer ‚Info-Box‘ auf dem noch nicht vorhandenen Leipziger Platz, um uns über die Zukunft zu unterrichten. Außerdem konnte man von dort oben aus nach allen vier Himmelsrichtungen blicken, ohne irgendetwas Bemerkenswertes zu sehen. Das war schon faszinierend. Ähnliches haben Rom oder Paris nicht zu bieten, da hätte man immer gleich in Bedeutendes geguckt.

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#2.09 | Begleiter beschummeln

Nun, nach der Zäsur durch das Bett, sollte sich der alte Westen gegen den neuen Osten behaupten, und da Gediegenheit weder hier noch dort anzutreffen ist: Wo könnte der Westen besser zur Geltung kommen als in seinem Kaufhaus!

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#2.10 | Abfahrt und Neustart

Samstag, 1. Juli: Bo und Ingrids letzter Tag. Wochenend und Sonnenschein. Wie von den Comedian Harmonists. Nachmittags die Fähre ab Rostock. Wir fahren zu viert in Giuseppes Auto. Erst Unter den Linden entlang, durchs Brandenburger Tor, an der Siegessäule vorbei; ich leite Giuseppe scheinheilig zum Kurfürstendamm.

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#2.11 | So wild wie möglich

Die Linden sind nicht die Via Appia, dafür sind sie viel belebter und beliebter. Der brutal zugepflasterte Mittelstreifen ist wieder manierlich hergerichtet, mit Kies und Bänken. So wie es früher war, las ich. Heute weiß man ja nie: Was ist historisch, was ist postmodern, was ist Fake?

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#2.12 | Am Nabel, drüber und drunter

Sonntag, 2. Juli: Heute setzt das Ausflugsprogramm ein. Wie immer zuerst in östlicher Richtung, und das bedeutet bei mir Köpenick. Zu irgendeinem Zeitpunkt hebe ich den Kopf. Wenn Giuseppes Feldbett leer ist, weiß ich, dass ich demnächst aufstehen sollte.

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#2.13 | Mund-Diarrhö

Montag, 3. Juli: Giuseppes leeres Bett zwang mich unweigerlich zum Aufstehen. Als ich aus dem Bad kam, hatte Giuseppe schon den Zwieback für mich beschmiert: mit wenig Pflaumenmus und viel Idealismus.

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#2.14 | Der Sprung ins Diesseits

Versonnen saßen wir auf der Holzbank und blickten, nicht minder versonnen, auf die Uferböschung der Pfaueninsel und auf die Fähre, deren Zwei-Mann-Besatzung sich offenbar eine längere Verschnaufpause gönnte.

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#2.15 | Irrwege ans Ziel

Der älteste Bruder meines Vaters, Achim, war nach seiner durch den Kriegsverlauf erzwungenen Rückkehr aus Paris, wo er sich als Verwalter des ‚Feindvermögens‘ Ehre erworben hatte, vom militärischen Dienst freigestellt worden ...

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#2.16 | Erbarmungslos

Dienstag, 4. Juli: Seit ewigen Zeiten schlief wieder jemand neben mir im Bett. Im Aufwachen dachte ich jedes Mal, es sei Roland. Mein linker Fuß, mein Ost-Fuß also, schmerzte bei jeder Bewegung. Mit herannahender Ausnüchterung im Morgengrauen kamen die üblichen Beschwerden hinzu ...

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#2.17 | Eine pädagogische Unterbrechung

Wem es jetzt schon reicht, der kann den folgenden Text auslassen und am Freitag weiterlesen. Wem Kultur liegt, der oder die kann heute die Rede studieren, die ich 1997 zur Namensweihe der Leonard-Bernstein-Schule gehalten habe.

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#2.18 (A) | Königsberger Klopse

Die Schule ist als Bau das Gegenteil von Bernstein: nüchtern, fantasielos, plump. Dorothee begrüßt den Direktor überschwänglich, er erkennt mich, findet aber den Gast aus Italien exotischer als einen Wessi.

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#2.18 (B) | An etwas glauben

Jetzt begehe ich den nächsten meiner geplanten Stilbrüche und schiebe den Beitrag ein, den ich im Herbst 1977 zu Dorothees Weggang von der ‚Deutschen Grammophon‘ verfasst habe. Er beschreibt sie und unsere Not mit ihr ganz gut, und eine windelweiche Lobhudelei, wie sie in drei Sätzen von anderen Kollegen und Vorgesetzten verlegen abgesondert wurde, war von mir ja ohnehin nicht zu erwarten.

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#2.19 | In- und auswendig

Mittwoch, 5. Juli: Wenn es mir schlecht geht, habe ich einen Widerwillen gegen alles, was mich an die Welt bindet: Telefongespräche, E-Mail-Schreiben, Termine vor Ort. Anderen dienen gerade solche Bindeglieder als Rettungsringe. Mein Anker ist mein Bett.

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#2.20 | Es ist an der Zeit

Giuseppe wünscht sich Pankow, weil er Pankow früher immer in der Zeitung gelesen hat, wie Bonn oder Washington: ‚Aus Bonner Kreisen verlautet …, dagegen hat Pankow schärfsten Protest eingelegt.‘ Nachrichten-Sprache, die kein sehr ergiebiges Ausflugsziel vermuten lässt.

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#2.21 | Unter- und überwegs

Donnerstag, 6. Juli: Gott, ging es mir dreckig! Nein, so ging es nicht weiter! Jetzt war Schluss mit Saufen! Noch wichtiger, als gute Vorsätze in die Tat umzusetzen, war es, Giuseppe durch den Tag zu lotsen und mich mit. Da halfen nur eiserne Disziplin und gnadenloses Kulturprogramm.

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#2.22 | Kein Schloss, kein Wachtturm

Freitag, 7. Juli: Genug geostelt! Heute war wieder der Westen dran, genauer gesagt: der Nordwesten. Es ging mir besser. Gestern hatte ich, bevor wir die Demokratie-Ausstellung gesehen hatten, beim Apotheker vorbeigeschaut, um Prof. Büchsels Rezepte einzulösen. Er hatte gerade einer jungen Frau Aspirin für 7,50 DM verkauft. Bei mir durfte er zwei Nullen dranhängen.

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#2.23 | Wassermelone

Nach dem obligatorischen Nachmittagsschlaf banden wir uns Krawatten um den Hals und traten die Fahrt nach Zehlendorf an. Mir fiel ein, dass wir es verabsäumt hatten, ein Gastgeschenk zu kaufen.

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#2.24 | Von den Göttern getrieben

Sonnabend, 8. Juli: Giuseppe eröffnete mir überraschend, dass er am Sonntag abreisen wolle. Zunächst hatte ich mich etwas gewundert, dass er so lange blieb, jetzt war mir etwas seltsam zumute, dass ich nun wirklich so allein sein würde, wie ich meinen Berlin-Aufenthalt geplant hatte.

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#2.25 | Berühmt werden oder nicht

Menschen im Tiergarten: Loveparade. Giuseppe war total enttäuscht, echt. Diese riesigen Lastwagen, auf denen dreiviertel nackte Mädels verbissen rumzuckten. Diskant gellte in den Ohren, Bässe massierten das Gedärm. Ich sah mir die Köpfe der Massen an, die uns Richtung Siegessäule entgegenkamen, während unser Strom sich zum Brandenburger Tor durchwälzte: schrilles Haar, schlichte Ringe, überall zwischen Augenbraue und Unterlippe, viel Glitzerkram von der Stirn abwärts und – verbissene Gesichter, düsterer als der Himmel.

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#2.26 | Wohnen ohne eigene Möbel

Sonntag, 9. Juli: Giuseppe trank Tee, aß Zwieback mit Pflaumenmus, packte seinen Koffer und fuhr über Schöneberg die Potsdamer Straße nach Steglitz und Zehlendorf, dann auf die Autobahn nach Leipzig, München, Innsbruck, Trient und fuhr durch die Valsugana nach Bassano.

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#2.27 | Gottesurteil

Montag, 10. Juli: Das Positivste an meinem Zustand war, dass ich nicht aufstehen musste. Aber sonst? Ich torkelte ins Wohnzimmer, sah den SAT.1-Ballon am grauen Himmel und torkelte gleich wieder zurück ins Bett. Da hatte ich nun Blumen und Obst, beides echt, die Stadt vor der Haustür, das Leben zu Füßen, das Alter im Nacken und wollte nichts als das Laken unter mir und die Decke über mir.

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#2.28 | Sehen trotz Kontaktlinsen

Dienstag, 11. Juli: Ich war verblüfft. Prüfend schickte ich mein Bewusstsein in jede erdenkliche Körperzelle. – Kein Zweifel: Es ging mir gut – falls das den Zustand bezeichnet, in dem es einem nicht schlecht geht. Ich stand auf, kochte Wasser für den Teebeutel und beschmierte einen Zwieback mit Pflaumenmus.

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#2.29 (A) | Ausgelassen

Kaum verlässt man die Achse Tauentzien–Ku’damm, wird es in den Seitengassen gleich beschaulich. Die Marburger entspricht der Größe Marburgs und verliert sich – geografisch eigenwillig – in die Augsburger. Dort liegt ein Platz, der (es wird immer kurioser) Los-Angeles-Platz heißt, eine offenbar recht neue Grünanlage vor dem langen Klotz des ‚Sheraton‘-Hotels.

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#2.29 (B) | Unter Kennern

An dieser Stelle noch eine Delle. Ich füge hier wieder ein paar Seiten aus einem früheren Brief ein, der belegt, dass ich auch als Privatier – also nach meinen Zeiten von Aufnahmen in der Philharmonie und Nächten im ‚Kempinski‘ – weiterhin am gehobenen Kulturtreiben in Ku’damm-Nähe einen gewissen Anteil nahm, bevor ich jetzt in der ‚Bar jeder Vernunft‘ meiner eigentlichen Bestimmung nähertrat.

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#2.29 (C) | Weinprobe

Da es nichts mehr zu sagen gab, traf es sich gut, dass wir mit gewissem Nachdruck an die Tische gebeten wurden. Irene wollte neben dem prominenten Ivan Nagel und an Jeffs Tisch sitzen.

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#2.30 | Abhilfe

Mittwoch, 12. Juli: O Gott, geht es mir schlecht! Könnte ich doch durchschlafen bis in den Tod hinein! Das kommt vom Sancerre und vom Whisky. Aber ich bereue nichts. Es war ein wunderbarer Abend.

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#2.31 | Einweihung

Ich war früh dran, das Wetter war schlecht. So amortisierte ich außerdem meinen Regenmantel. U2 bis Wittenbergplatz, dann U1 bis Fehrbelliner Platz. Der schwedische Barbar hatte in seinem alternativen Berlin-Buch darauf aufmerksam gemacht, dass der Fehrbelliner Platz neben dem Flughafen Tempelhof die reinrassigste Nazi-Architektur sei – ein stimmungsgerechter Auftakt für den Abend also.

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#2.32 (A) | Därme aus Zinn

Donnerstag, 13. Juli: Gegen Viertel nach drei am Nachmittag wachte ich endgültig auf. Wie weit ich auch dachte: Ich hatte keine Verpflichtungen mehr. Meinem Körper ging es schlecht, aber ich war frei.

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#2.32 (B) | Wie im Fieber

Wie so oft mache ich etwas, was nicht geht: Ich springe jetzt, genau zur Hälfte meiner Berlin-Reise, in die Zukunft. In dieser Zukunft wird mir ein Ausstellungsbesuch mit Dorothee wie ein Déjà-vu vorkommen, weil ich mich an den eben beschriebenen erinnern werde.

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#2.32 (C) | Telefongespräche zwischen Berlin und Hamburg über Sauerbraten

Dorothee: Ich hab’ noch nie Sauerbraten gemacht, ich weiß gar nicht, wie das geht. Ich: Dann lass es doch, mach doch was anderes! Dorothee: Nein, Harry hat sich so sehr etwas Deutsches gewünscht. Das kriegt er sonst nie. International isst er ja immer. Ich: Dann mach doch Kasseler!

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#2.32 (D) | Harry, Max und Moritz

Harry wollte am Konzerttag schon frühzeitig in der Philharmonie sein, um hinter der Bühne noch stören zu können. Der Dunstkreis von Künstlern tut seinem Atem schon seit jeher gut. Ich kriege da eher Erstickungsanfälle, und Pali, der ungern eine Gehässigkeit ausließ, behauptete, dies sei darauf zurückzuführen, dass ich lieber selber Star sei, als einen um mich zu haben.

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#2.32 (E) | Eigenartige Köpfe

Ich hatte mir zwei Garnituren für Berlin ausgedacht: eine grünlich-beige, die wahlweise mit Pullover oder – für den leicht gehobenen Anlass des gestrigen Mittagessens – mit Hemd und Krawatte zu tragen war, und eine dunkelblaue, die den festlicheren Begebenheiten wie Marinas Geburtstag vorbehalten blieb.

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#2.32 (F) | Die ewig treue Moderne

„Wo habt ihr denn gestern Abend in der Philharmonie gesessen?“, fragte Dorothee, als wir schon wieder kurz vor ihrer Wohnung in der Bleibtreustraße waren. „Block C“, antwortete ich. „Was?“ Dorothee blieb stehen. Sie lachte fröhlich. „Ach, das freut mich aber. Da hab’ ich ja viel besser gesessen.“

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#2.33 | Zwischenbilanz

Sonntag, 16. Juli 2000: Halbzeit. Und? Gut zwei Wochen Berlin: ohne besondere Vorkommnisse. Noch zwei Wochen und zwei Tage und nichts wird passieren, nichts. – Schlecht zwei Wochen Berlin. Die Hälfte vorbei, verpennt und verpulvert, und was bleibt, ist der bastelwillige Versuch, dem Gewesenen einen Sinn abzutrotzen.

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#2.34 | Verlorene Mitte

Dienstag, 18. Juli: Es muss endlich wieder mal etwas geschehen! Ich bin nicht nach Berlin gekommen, um selbstmitleidige Gedankenblasen an die Schlafzimmerdecke zu pusten und über Orte zu lesen, an denen ich nicht bin, abends aus meinem Bau zu kriechen und bei Dorothee mein Futter abzuholen.

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#2.35 | Hinterlassenschaften

Ich wechselte in die Linie U5, die Dorothee so dringend zur Bernstein-Schule hatte nehmen wollen, verließ sie aber schon nach zwei Stationen: Strausberger Platz. Hier beginnt der denkmalgeschützte Teil der Karl-Marx-Allee, die seit 45 Jahren nicht mehr Stalin-Allee heißt und doch den Stempel Stalins, nicht den von Marx, trägt.

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#2.36 | Unheilbar

Am Bahnhofskiosk durchforstete ich das Angebot. Unter ‚BILD‘, ‚Tagesspiegel‘, ‚BZ‘ und ‚Morgenpost‘ fand ich tatsächlich ein einziges Exemplar des ‚Neuen Deutschlands‘, versteckt, fast unterm Ladentisch. Von der Decke hingen austauschbare Magazine. Allein ‚Das Busenwunder von Chemnitz‘ blieb an mir haften.

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#2.37 | Eine Unterbrechung

Mittwoch, 19. Juli: Es hätte sich gehört, heute dem Westen seine Grenzen zu zeigen. Das Egoneum, benannt nach der Pumpernickel, war die vornehmste Hilfsschule Dahlems, das Gymnasium für Zurückgebliebene aus gutem Hause an der Grenze zu Schwachsinn und Steglitz.

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#2.38 | Übersetzen

Bei Hugendubel, dem modernen Buchmarkt auf drei Etagen, frage ich nach dem ‚Schweigen der Sirenen‘. Erst mal bekam ich nur das Schweigen der Verkäuferin.

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#2.39 | Auf Augenhöhe

„Ich gehe oft hier spazieren“, sagt Marion. Auf der Grenze? Oder der Grenzenlosigkeit. Oder wegen des unverwalteten Grüns, Brauns und Graus, das den Straßen und Ampeln mitten in der Stadt Einhalt gebietet wie in Hamburg die Alster.

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#2.40 | Ein Saurier am Potsdamer Platz

Donnerstag, 20. Juli: Ein Tag, der so viel bewirken sollte und so wenig bewirkt hat, damals: 1944. Meine Eltern berichten, wie enttäuscht sie waren, und meine Mutter fügt im Allgemeinen noch hinzu, dass sie, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte, weniger halbherzig vorgegangen wäre.

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#2.41 | Canapés

Ich strebe die Voß entlang zur Friedrichstraße. Zwischen ‚Planet Hollywood‘ und Lafayette fällt mein Blick auf eine Tafel, die für ein Ärztezentrum wirbt: ‚Neun Zehntel unseres Glücks beruhen allein auf der Gesundheit.

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#2.42 | Pflichten wahrnehmen

Freitag, 21. Juli: Kopfschmerzen und Übelkeit. Ohne getrunken zu haben. Das ist wie Ausrutschen ohne Bananenschale. Man meißelt ‚WARUM?‘ in den Himmel und keinen schert’s. Wenn nichts anderes hilft, muss man eben gläubig werden oder zynisch; wandern, schreiben. Oder im Bett bleiben.

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#2.43 | Abendmahl

Sonntag, 23. Juli: Die lieblose Aufzählung soll willkommene Leser meines Tagebuchs nicht täuschen: Wir bilden eine Einheit, mit Leibern und Seelen. Auch wenn Guntram sich in dem Stadium zu befinden scheint, in dem die DDR 1989 war. – Wer zu spät geht, den bestraft das Leben.

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#2.44 | Versuche, das Leben zu ertragen

Montag, 24. Juli: In fünf Monaten ist Weihnachten, und heute hat Herbert Geburtstag. Ich beglückwünsche seinen Anrufbeantworter und schlafe weiter. Nichtstun ist nun mal meine Lieblingsbeschäftigung.

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#2.45 | Den richtigen Zug nehmen

Klar, es gibt auch Positives: Zum Beispiel ist es immer schön, wenn es zu einem Bahnhof, zu dem man will, einen direkten Zug gibt von dem Bahnhof, auf dem man steht. So richtig zur Geltung kommt diese Annehmlichkeit dann, wenn man auf dem Bahnhof, auf dem man steht, in den richtigen Zug einsteigt ...

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#2.46 | Architektur der Stadt

Dienstag, 25. Juli: Ungefrühstückt wie immer verließ ich das Haus: um frühstücken zu gehen, bei ‚Möhring‘. Einst hatte das Möhringer Frühstück Tradition – da saß ich dann mit Roland am Ku’damm. Jetzt sitz’ ich mit Papier am Gendarmenmarkt.

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#2.47 | Morgendlicher Spätnachmittag

Mittwoch, 26. Juli: Gegen zwölf wachte ich auf, zu einer Zeit also, von der ich vermute, dass rechtschaffenere Menschen als ich bereits an den Feierabend denken (Huren, Einbrecher und Souffleusen ausgenommen).

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#2.48 | Kennenlernen

Ich habe niemanden kennengelernt, hier in Berlin, und jetzt werde ich auch niemanden mehr kennenlernen. Doch: Freitag Dorothees beste Freundin aus Mailand, aber das meine ich genauso wenig wie ihre Marion oder meine angeheiratete Verwandtschaft.

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#2.49 | Zoo

Donnerstag, 28. Juli: Ungeküsst wie immer verließ ich das Haus, aber nicht, um mich von irgendeiner dahergelaufenen Muse bezirzen zu lassen oder dem ‚Schweigen der Sirenen‘ zu lauschen, sondern um richtigen, waschechten Imperialismus zu erleben ...

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#2.50 | Warum die Sowjetunion unterging

Jeder weiß, wie süß ich mit Menschen bin, aber wenn Leute pomadig auf der Rolltreppe rumstehen, weil es ja sowieso abwärtsgeht, dann kann ich wirklich rabiat werden. Solchen passiven Individuen würde ich sofort die Sozialhilfe streichen; dass sie selber Geld verdienen, halte ich für ausgeschlossen.

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#2.51 | Die Geschlechterrolle im 21. Jh.

Freitag, 28. Juli: Wenn es gar nichts mehr zu verträumen gibt, steht man eben auf. Gegen halb zwölf ist das kein Beinbruch: hochgehinkt! Der nächste Abend kommt bestimmt.

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#2.52 | Kurze Beschreibung eines langen Abends

Hanno und Christine leben fünfzig Schritte von Dorothee entfernt. Man hat also dasselbe Problem: S-Bahn Friedrichstraße bis Savignyplatz oder U-Bahn bis Wittenbergplatz und dann laufen oder auf Bus hoffen.

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#2.53 | Welttheater

Samstag, 29. Juli: Sonnabends darf man immer ein bisschen länger im Bett bleiben. Da reißt es einen nicht schon um elf aus den Federn, sondern erst um zwölf, vor allem dann, wenn der sommerbunte SAT.1-Ballon sich gegen den November-Himmel stemmt, einen Himmel, so schwer und grau wie ein Elefant, der den ohnehin mitgenommenen Porzellanladen Berlin in Grund und Boden trampeln will.

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#2.54 | Ein Betrug wird entdeckt

Fünf nach zwei stand ich wieder auf der Friedrichstraße. – Fünf Minuten zu spät. Der Elektroladen hatte geschlossen. Jenseits der Linden würde ich problemlos bis 16 Uhr eine Videokassette kaufen können, aber das war nicht meine Richtung. Ich hatte mir vorgenommen, die Wahrheit über die Sonnenallee in Augenschein zu nehmen ...

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#2.55 | Väter und Söhne

Das Telefon klingelte. In meinem ganzen Leben habe ich Dorothee noch nie so kreischen gehört. Unter den Linden war es nicht trockener gewesen als in Neukölln, nur waren Dorothee, Mirella und ihr Mann ohne Schirm aufgebrochen.

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#2.56 | Einordnung

Sonntag, 30. Juli: Sonntags darf man noch ein bisschen länger im Bett bleiben als am Sonnabend. Der Pfarrer unserer Gemeinde nannte von der Kanzel herab das Zehn-Uhr-Dreißig-Hochamt ‚Langschläfer-Messe‘.

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#2.57 | Besuchsprogramm

Montag, 31. Juli: Wahrlich, eine Zusammenfassung. Ab heute Nachmittag würde ich Volker Eckhoff zwanzig Stunden lang ein Berlin bieten wollen, das ihm nicht nur als Freundschaftsdienst, sondern auch als Erlebnis in Erinnerung bleibt.

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#2.58 | Die abgebrannte Kerze

Da waren also erst der Weg, dann das Haus und meine Eltern; Volker half mir bei der Wiedervereinigung meiner Wohnung mit meinen Habseligkeiten, und ich hämmerte mir ein: zu Hause.

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3. Berlin-Reise / 2005

‚Wachs! 3‘ war eigentlich nicht beabsichtigt. Aber ich konnte mich immer noch nicht trennen von mir in der Stadt und der Stadt in mir. Mit (einem) anderen, vertrauten Menschen wird auch die Sichtweise auf längst bekannt Geglaubtes wieder anders.

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#3.01 | Ich trau’ mich was

Ich möchte meinen Berlin-Zyklus ‚WACHS!‘ mit den beiden letzten Briefen beenden, die ich je von einer Berlin-Reise geschrieben habe. Seit den ersten Briefen von 1967 kam da schon eine ganze Menge Text zusammen.

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#3.02 | Das Gemeinsame von Island und Kolumbien

Silke saß meistens am Steuer, weil sie schon seit Langem den Alkohol gänzlich mied und topfit war, während ich mich noch nicht zu dieser weibischen Enthaltsamkeit durchgerungen hatte und mein Alkoholspiegel dank hoch verdünnter Spirituosen niemals in die Nähe des bedrohlichen Null-Promille-Pegels kam.

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#3.03 | Unser Herkommen, unser Wegkommen

Silke und ich hatten bisher ja tapfer geschwiegen, aber es roch nun doch so stark nach Benzin, dass ich gleich hinter der nächsten Baustelle Silke bat, in einer Einfahrt zu halten, damit ich nachsehen konnte, ob ich den Tankdeckel bei Aral in Hamburg richtig zugemacht hatte.

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#3.04 | Zwischen Frack und Ringelhemd

Den Abend wollten wir natürlich in Downtown Schwerin verbringen, wurden allerdings gleich an der Rezeption darauf aufmerksam gemacht, dass das, was da an der verwahrlosten Kaimauer lag, nicht zum Hotel gehörte. Auf so eine Idee wäre auch niemand gekommen, und selbst zum Tode verurteilte Schwabinger hätten mit diesem Kahn nicht versucht, die Isar zu überqueren.

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#3.05 | Perleberg und überhaupt

Das Verlassen von Schwerin machte uns ein wenig ungeduldig, denn weil wir nun nicht mehr versuchen mussten, die Straßenschilder zu entziffern, wurde es uns vor den roten Ampeln ziemlich langweilig. Doch dann stimmte Silke zu meiner Freude zu, Ludwigslust ins Reiseprogramm mit aufzunehmen.

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#3.06 | Südamerika in Charlottenburg

Kurz vor sechs schlenderten wir über den Kurfürstendamm zum Schlüterplatz; dort konnte ich Silke das Lokal zeigen, das nicht mehr ‚Hardtke‘ war, was so flink ging, dass wir pünktlich bei Hanno und Christine in der Mommsenstraße waren.

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#3.07 | Wenn man sich’s leisten kann

Auch für Koenigssee und Wissmannstraße hatten wir gutes Wetter im 19er-Bus, in dem schon meine Großmutter die Halenseebrücke zwischen Kurfürstendamm und Grunewald überquert hatte.

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#3.08 | Feuer am Ohr

Winfried sagte mir auch gleich bei meinem ersten Anruf am Ankunftssonntag, dass Peter und er am Montagabend nach Essen führen, und weil er weit draußen in Buckow arbeite, würden wir uns nicht zu viert sehen; Peter habe aber nahe seinem Arbeitsplatz bei den Festwochen ein Mittagessen mit Silke und mir im ‚Manzini‘ geplant.

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#3.09 | Guntram hat wieder recht

In der ‚Paris Bar‘ schienen wir nicht erwartet zu werden, ich fand meinen Namen auch nicht beim Schielen ins Bestellbuch. Das hätte mich wütender gemacht, wenn wir nicht den besten Tisch des Lokals bekommen hätten.

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4. Berlin-Reise / 2008

Das ist der letzte Brief, den ich über Berlin geschrieben habe. Weiteres müsste ich neu erfinden, und die Erfindungen hier sind bereits ziemlich hanebüchen.

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#4.01 | Burg Schlitz

Gelb. So gelb! Kein leuchtenderes Gelb bietet die Natur dem Schauenden als das von blühendem Raps. Die aufgepflanzten Heere der flammenden Felder stehen in feindseligem Gegensatz zu den friedlicheren Hügelketten des Mecklenburger Landes.

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#4.02 | Weihnachtsland im Mai

Die Bäume am Leipziger Platz sind noch zu schmächtig, und es gibt nur ein einziges Café, aber immerhin: Das Achteck ist schon klar konturiert, und die Idee, das fertige Gebäude auf die Planen vor den Baugerüsten zu malen, ersetzt die Wirklichkeit, ohne dass man die wahren Bauten, die man ja sowieso nicht betreten hätte, vermisst.

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#4.03 | Etwas Plötzliches

Nach solch grundsätzlichen Erwägungen war es nur folgerichtig, dass es mich zu Historischem drängte. Ich fragte den Kellner nach dem Weg zum Belvedere, wobei ich volkstümlicherweise das Endungs-e mitsprach.

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#4.04 | Teure Marken

Silke jammerte sich durch den Verkehr vom Neuen Palais zum Schloss Babelsberg. Ich machte keinen Fehler, während ich sie lenkte, aber sie jammerte trotzdem, weil gegen sechs nun mal Berufsverkehr herrscht. Oben auf der Terrasse war es ganz still, und der Blick war sehr viel eindrucksvoller als vom Pomonatempel herab, in dem jetzt die Polizei auf Spurensuche war.

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#4.05 | Verblüht

Am Abend hatten wir Pech. Es fing an zu regnen, und der Spaziergang vom Gendarmenmarkt zum Alexanderplatz, der ohnehin über städtebaulich heikles Terrain führt, bereitete Silke die Qual, feucht zu werden.

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#4.06 | Berlinale-Finale

2015 war Berlin die erste Station einer Reise, mit der ich mein 1975 begonnenes Filmprojekt ‚Reisende‘ beenden wollte: oft Gesehenes und Neues als Abschuss für den Zyklus.

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Winterreise (mit Sommern)

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Winterreise (mit Sommern)

#1.1 Saat und Ernte

So, nun ist Schluss mit meinem Altruismus, mir lauter fremde Leute auszudenken, jetzt ist der nächste autobiografische Reiseblock für meinen Reiseblog fällig. Er beginnt im Dezember 2017 bzw. bei der Schwangerschaft meiner Mutter und heißt: WINTERREISEN (mit Sommern).

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Winterreise (mit Sommern)

#1.2 Zahnarzt-Torte

Wichtiger Bestandteil aller Reisen sind die Zwischenstationen, besonders die mit Übernachtung. Die Ziele sind meist bekannt und geschätzt, auf dem Weg dorthin kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen. Aus diesem Grund hatten wir Meran in den vergangenen Jahren auf zum Teil eigenwillige Weise angesteuert: 2015 über Prag und Wien, 2016 über Halle und Leipzig, 2017 schon einmal, über Weimar und Rothenburg ob der Tauber.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.3 Großbürgerlich

1964 war das ganz anders. Am 1. Juni traf ich ein, dieses Mal ganz allein, aber zu meiner vollständigen Klasse, die letzte Gruppenreise vor dem Abitur. Obwohl es mein Vater gewesen war, auf dessen Initiative am Elternabend hin Franken von uns bereist wurde – weil er wusste, dass ich die Nordsee und unser Schullandheim auf Föhr verabscheute –, war ich doch erst zur zweiten Woche der Fahrt meiner Klasse hinterhergereist, als tapferer Rekonvaleszent im Trans Europa Express, erster Klasse.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.4 Freibad

Streiche auszuhecken liegt mir nicht fern, ihr Opfer bin ich weniger gern. Besonders gelungen fand ich meine Bemühungen, Irmgard Teeck in den Wahnsinn zu treiben. Das klappte sogar noch besser, wenn meine Eltern verreist waren. Wir wohnten mit Wiemans im Doppelhaus, und deren mit mir eng befreundete Töchter Monilies und Kathrin, die sehr stolz darauf waren, nicht Wiemann zu heißen, waren genauso stolz darauf, meine finsteren Pläne in die düstere Tat umzusetzen.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.5 Ernst des Lebens

Was ist aus uns allen geworden, mehr als fünfzig Jahre später? Seit Ende der Sechzigerjahre gab es keine Klassentreffen mehr. Nur mit Helmut Görlitz habe ich wieder Kontakt, weil ich ihn zufällig vor zehn Jahren im Lokal traf, an seinen roten Haaren erkannte und offenbar schon betrunken genug war, um ihn anzusprechen. Seither sind wir in lockerem Kontakt.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.6 Bamberg, Bartók, Bayreuth

Aber schon am 16. Juli 1980 war ich wieder in Bamberg. Inzwischen hatte ich die Schule beendet, die Universität verlassen, die Musikhochschule besucht, beim Film volontiert, Privatunterricht bekommen, eine Lehre gemacht, eine Traineezeit durchlaufen, war Product-Manager gewesen, hatte das Repertoire-Büro geleitet und war jetzt Produzent für Klassik-Künstler. Bis auf das, was ich wollte, hatte ich fast alles erreicht.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.7 Zwei ausgefallene Damen

„Nicht lange!“, äffte Rafał mich hinter seinem Steuerrad nach, „nicht lange? Das sind mehr als – das sind siebenundzwanzig Jahre!“ – „Siehst du“, sagte ich, „keine besonders lange Zeit.“ Draußen wurde es dunkel, die kürzesten Tage des Jahres. Die kahlen Felder brauchten kein Licht, und der graue Himmel spendete auch keins.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.8 Die beiden Möglichkeiten

Am Morgen regnete es nicht. Wir konnten also, nachdem Rafał – von Silke und mir mit dummen Vorschlägen bombardiert – den Weg nach oben am Ende dennoch gefunden hatte, aussteigen, ohne nass zu werden. Der Domplatz war von so wenigen Menschen besucht, dass wir ihn gut ermessen konnten. Auch in der Kirche selbst konnten wir vor den Altären, unten in den Schiffen, und dem Bamberger Reiter, oben in der Höhe, ausharren, ohne geschubst zu werden.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.9 Kurz vor der Grenze

Der ‚Schneiderwirt‘ in Nußdorf ist ursprünglicher geblieben. Wir hatten uns im Tief vor München, das Rafał mit 180 Sachen durchmaß, ohnehin auf Nußdorf eingestellt und waren zu alt um umzudisponieren.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.1 Schon mittags wissen, wo man abends sein wird

Selbst mein Sadismus kennt Grenzen. Dem Leser und seiner Frau ist es nicht zuzumuten, sich durch die kompletten Tagesabläufe und die komplexen Restaurantbesuche unseres Meran-Aufenthalts durchzulangweilen. Stattdessen pinsele ich für die Leserin und ihren Mann ein Gemälde ...

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Winterreise (mit Sommern)

#2.2 Kochen und kochen lassen

Harald und ich machten Urlaube bei der Gastwirtin Maria Malaier, für uns ‚Määäry‘, auf halber Höhe zwischen Bozen und Meran. Habe ich mich da in Positur gesetzt!

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Winterreise (mit Sommern)

#2.3 Was Gott denkt

Als Kind fand ich es toll, dass Gott mich ständig beobachtete, aber ab der Pubertät fand ich das irgendwie indiskret. Alles hängt mit allem zusammen, das glaube ich immer noch, aber ob ich das jetzt Gott nenne, finde ich nicht so wichtig. Oder wohl doch! Sonst käme ich nicht dauernd auf dieses Thema zurück.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.4 Frieden und Krieg

Als Silke und ich gegen drei zueinanderfanden, ließ sich immerhin über WhatsApp ermitteln, dass Rafał und der inzwischen ebenfalls eingetroffene Carsten in einem Café ‚gleich um die Ecke‘ saßen. Nachmittag im Café. Grauenhaft.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.5 Kurt

Kurt(chen)s Wohnung in der Reichsstraße wurde nach Bauch und Entbindungsanstalt meine dritte Bleibe und die letzte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.6 Winterwanderer

Im Februar 1965, als ich selbstverständlich lieber zu meinen Eltern in den Schnee fuhr, statt meine Zeit mit Gleichaltrigen zu verplempern, war Kurt immer noch so lebendig, wie es seinem ‚hölzernen‘ Naturell entsprach. Das Haus war noch hölzerner als sein Eigentümer, alles feinste Zirbeltischlerei. Es gab ständig Marillenschnaps, und wir waren alle sehr lustig.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.7 Glauben, denken, wissen

Zunächst hatte ich jetzt, im November 2017, für den Abschluss unseres Weihnachtsurlaubs an Kitzbühel gedacht, erinnerungsträchtiger geht es kaum. Aber als uns die ‚Tenne‘ dort nicht haben wollte, fiel mir gleich die ‚Post‘ in Kössen ein und wie glücklich die wohl wäre, mich nach 52 Jahren wieder begrüßen zu dürfen, und dann noch über Nacht.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.8 In der ‚Postkutsche‘

Rafał und ich, wir setzten uns um halb sieben zu den Gästen ins Kaminzimmer und bekamen sogar den Tisch direkt vor dem Feuer: etwas heiß auf der Haut, aber angenehm für Auge und Gemüt.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.9 Ausschnitte, Eindrücke

Um der Authentizität willen füge ich hier ein paar Szenen aus meinen Briefen an Harald ein: 1970 in der ‚Postkutsche‘.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.10 Kur mit Anschlag

Nach so viel Text werden der Betrachter und sein weiblicher Widerpart heilfroh sein, wieder mal ein Stück Film sehen zu dürfen, natürlich erst nach einer langen Einleitung. Immerhin lasse ich die Jahre 1971 bis 1973 weg und komme gleich auf Weihnachten 1974: Da bekam ich von meinen Eltern eine Super-8-Kamera, und es war noch nicht gleich klar, was sie auslösen würde, in mir und überhaupt.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.11 Im mächtigen Schatten des Gipfels

Nach Jahren intensiven Beisammenseins in Kitzbühel, Hamburg und Meran schlief die Bekanntschaft zu Rumpoldt und Dora allmählich ein. 1988 trafen Irene und ich ihn nochmal im Sommer. Das war’s.

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Winterreise (mit Sommern)

#2.12 Der letzte Ausflug

Am nächsten Morgen war Carsten weg und mein Schmerz auch. Carsten hatte geschäftlich in Linz zu tun, für meinen Schmerz gab es eigentlich keinen Grund, sich zu verflüchtigen, aber ich nahm es dankbar als Gottesgeschenk und fand mich damit ab, dass außerdem die Sonne weg war.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.1 Vom Freak zum Idol

Nie habe ich Hunger, nie habe ich Durst, nie schwitze ich. Bin ich ein Alien? Ich mag kein schönes Obst, keine kleinen Kinder und keine frische Luft. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich sportlich zu betätigen, und anderen dabei zugucken, wie sie sich abrackern, das mag ich nun schon gar nicht. So ist die Ausgangslage.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.2 Bissfest

Jetzt saß Rafał am Steuer; zehn Minuten, nachdem wir losgefahren waren, kamen wir an eine Schlucht, schneelos. Jenseits der Felsen wurde das Land immer flacher. Eintöniger Nebel, die Orte wie abgefedert, die Felder und Wälder auch. Landschaft, stoßfest für den Versand vorbereitet. Langeweile auf Reisen geschickt, reicht das?

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Winterreise (mit Sommern)

#3.3 Bildung gegen Missbildung

Dann kommt Rafał, und er hat in seinen drei Stunden Interessanteres erlebt, als ich mir in meinen dreien erdacht habe. Unser Mercedes steht gut im Parkhaus; zu Scheeles nehmen wir eine Taxe. Sie, Zülal, ist Türkin und findet alles schrecklich, was sich jetzt in der Türkei abspielt.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.4 München 1981: Ganz am Anfang

Nachdem Rafał genug gesehen hatte, war noch Zeit für ein Heißgetränk (ich nahm was Kaltes), bevor wir in eine Taxe stiegen. Sie brachte uns zum ‚Spaten-Bräu‘ gegenüber der Oper. Früher wäre ich das ganz selbstverständlich zu Fuß gegangen. Jetzt nicht mehr.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.5 München 1981: Ganz am Ende

Am nächsten Morgen rief ich ganz schüchtern bei Dorothee an. Sie war sehr lieb und sympathisch ruhig. Der Maestro war noch bis sechs Uhr früh geblieben, und sie mit, aber wohl zum Schluss recht maulig, wie Geerd Westrum später bezeugte. Fünf Taxen hatte sie wieder wegschicken müssen, weil Lennielein im letzten Augenblick doch immer noch hatte bleiben wollen.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.6 München 1991: Von Anfang an

Der Ausschnitt, den ich aus dem zehn Jahre späteren Brief rausgesucht habe, ist ‚München, sehr ausführlich‘, ohne irgendeinem Reiseführer Konkurrenz zu machen. Dr. Rüdiger Nolte war damals unser PR-Manager, später dann der Direktor der Freiburger Musikhochschule. Das wussten wir damals zwar noch nicht, aber hier wie auch für den folgenden Briefausschnitt gilt: Wer vorher neugieriger ist, ist hinterher klüger.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.7 München 1991: So geht es weiter

Die Luitpold-Villa ist eines dieser ockerfarbenen, südländisch anmutenden Gebäude, Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet, mit seiner über eine Handvoll Stufen zu erreichenden, gedehnten Terrasse linker Hand, säulengesäumt, baumbeschattet.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.8 München 1991: Bis zum ersehnten Ende

‚Zusammen mit meinem Schlüssel übergab mir der Portier eine Nachricht, und die lautete: ‚Wo steckst du denn? Doris.‘

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Winterreise (mit Sommern)

#3.9 München 2001: Am Stück

Wieder zehn Jahre weiter. Roland ist tot, Guntram vegetiert im Altersheim, zuhause ging es nicht mehr. Irene lebt mit mir im ‚Kutscherhäuschen‘: sie unten, ich oben. Aber irgendwann müssen wir – nun zu zweit – auch mal wieder nach Meran.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.10 Bei voller Fahrt im Wartesaal

Silke, Rafał und ich sollten es, sechzehn Jahre danach, besser haben. Wir saßen im oberen Stockwerk des ‚Spaten-Hauses‘ eher ‚gehoben‘, also mit vornehmerer Speisekarte und Blick auf die Operntreppe. Alles etwas teurer. Ach ja, um Geld ausgeben zu können, muss man zunächst welches haben, und um es vermehren zu können erst recht.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.11 Leisetreter und Lautsprecher

Der letzte Tag, an dem wir von Anfang bis Ende ‚unterwegs‘ sein würden. Ich versuche, das Zurücklegen von Strecke genauso zu genießen wie das Abbummeln ereignisloser Tage: das ‚Verweilen‘. Genießen Nonnen ihre Keuschheit und Flagellanten ihre Hiebe? Vermutlich.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.12 Fasching in Fulda

Keine Frage, dass Rafał sehr andere Assoziationen mit Fulda verband als ich, und Silke gar keine, sie kannte es nicht. Ich will die Geduld meiner leidgeprüften Leseleute jetzt nicht überstrapazieren, indem ich seitenlang nicht nur von meinen Briefen, sondern auch von Wikipedia abschreibe, nur so viel:

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Teil 1 – Aufstiege, leicht gemacht

Eine Reise führt immer in die Zukunft, zeitlich gesehen. Gedanklich kann sie aber in die Vergangenheit führen, bei mir sowieso. Nun bin ich dauernd mit der Ernte dessen beschäftigt, was ich gedankenverloren oder absichtsvoll gesät habe; alles, was mir untergejubelt oder beigebracht wurde, trägt nun Früchte, die nach einem Abschied schmecken, an den ich doch nicht glauben will.

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#1.1 Saat und Ernte

So, nun ist Schluss mit meinem Altruismus, mir lauter fremde Leute auszudenken, jetzt ist der nächste autobiografische Reiseblock für meinen Reiseblog fällig. Er beginnt im Dezember 2017 bzw. bei der Schwangerschaft meiner Mutter und heißt: WINTERREISEN (mit Sommern).

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#1.2 Zahnarzt-Torte

Wichtiger Bestandteil aller Reisen sind die Zwischenstationen, besonders die mit Übernachtung. Die Ziele sind meist bekannt und geschätzt, auf dem Weg dorthin kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen. Aus diesem Grund hatten wir Meran in den vergangenen Jahren auf zum Teil eigenwillige Weise angesteuert: 2015 über Prag und Wien, 2016 über Halle und Leipzig, 2017 schon einmal, über Weimar und Rothenburg ob der Tauber.

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#1.3 Großbürgerlich

1964 war das ganz anders. Am 1. Juni traf ich ein, dieses Mal ganz allein, aber zu meiner vollständigen Klasse, die letzte Gruppenreise vor dem Abitur. Obwohl es mein Vater gewesen war, auf dessen Initiative am Elternabend hin Franken von uns bereist wurde – weil er wusste, dass ich die Nordsee und unser Schullandheim auf Föhr verabscheute –, war ich doch erst zur zweiten Woche der Fahrt meiner Klasse hinterhergereist, als tapferer Rekonvaleszent im Trans Europa Express, erster Klasse.

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#1.4 Freibad

Streiche auszuhecken liegt mir nicht fern, ihr Opfer bin ich weniger gern. Besonders gelungen fand ich meine Bemühungen, Irmgard Teeck in den Wahnsinn zu treiben. Das klappte sogar noch besser, wenn meine Eltern verreist waren. Wir wohnten mit Wiemans im Doppelhaus, und deren mit mir eng befreundete Töchter Monilies und Kathrin, die sehr stolz darauf waren, nicht Wiemann zu heißen, waren genauso stolz darauf, meine finsteren Pläne in die düstere Tat umzusetzen.

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Winterreise (mit Sommern)

#1.5 Ernst des Lebens

Was ist aus uns allen geworden, mehr als fünfzig Jahre später? Seit Ende der Sechzigerjahre gab es keine Klassentreffen mehr. Nur mit Helmut Görlitz habe ich wieder Kontakt, weil ich ihn zufällig vor zehn Jahren im Lokal traf, an seinen roten Haaren erkannte und offenbar schon betrunken genug war, um ihn anzusprechen. Seither sind wir in lockerem Kontakt.

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#1.6 Bamberg, Bartók, Bayreuth

Aber schon am 16. Juli 1980 war ich wieder in Bamberg. Inzwischen hatte ich die Schule beendet, die Universität verlassen, die Musikhochschule besucht, beim Film volontiert, Privatunterricht bekommen, eine Lehre gemacht, eine Traineezeit durchlaufen, war Product-Manager gewesen, hatte das Repertoire-Büro geleitet und war jetzt Produzent für Klassik-Künstler. Bis auf das, was ich wollte, hatte ich fast alles erreicht.

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#1.7 Zwei ausgefallene Damen

„Nicht lange!“, äffte Rafał mich hinter seinem Steuerrad nach, „nicht lange? Das sind mehr als – das sind siebenundzwanzig Jahre!“ – „Siehst du“, sagte ich, „keine besonders lange Zeit.“ Draußen wurde es dunkel, die kürzesten Tage des Jahres. Die kahlen Felder brauchten kein Licht, und der graue Himmel spendete auch keins.

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#1.8 Die beiden Möglichkeiten

Am Morgen regnete es nicht. Wir konnten also, nachdem Rafał – von Silke und mir mit dummen Vorschlägen bombardiert – den Weg nach oben am Ende dennoch gefunden hatte, aussteigen, ohne nass zu werden. Der Domplatz war von so wenigen Menschen besucht, dass wir ihn gut ermessen konnten. Auch in der Kirche selbst konnten wir vor den Altären, unten in den Schiffen, und dem Bamberger Reiter, oben in der Höhe, ausharren, ohne geschubst zu werden.

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#1.9 Kurz vor der Grenze

Der ‚Schneiderwirt‘ in Nußdorf ist ursprünglicher geblieben. Wir hatten uns im Tief vor München, das Rafał mit 180 Sachen durchmaß, ohnehin auf Nußdorf eingestellt und waren zu alt um umzudisponieren.

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Teil 2 - Langläufe, anstrengend

Selbst mein Sadismus kennt Grenzen. Dem Leser und seiner Frau ist es nicht zuzumuten, sich durch die kompletten Tagesabläufe und die komplexen Restaurantbesuche unseres Meran-Aufenthalts durchzulangweilen. Stattdessen pinsele ich für die Leserin und ihren Mann ein Gemälde, das zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion wie besoffen hin und her schwankt; meine übliche Vorgehensweise also: Zusammenfassungen, die durch ausufernde Abschweifungen in die Länge gezogen werden.

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#2.1 Schon mittags wissen, wo man abends sein wird

Selbst mein Sadismus kennt Grenzen. Dem Leser und seiner Frau ist es nicht zuzumuten, sich durch die kompletten Tagesabläufe und die komplexen Restaurantbesuche unseres Meran-Aufenthalts durchzulangweilen. Stattdessen pinsele ich für die Leserin und ihren Mann ein Gemälde ...

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#2.2 Kochen und kochen lassen

Harald und ich machten Urlaube bei der Gastwirtin Maria Malaier, für uns ‚Määäry‘, auf halber Höhe zwischen Bozen und Meran. Habe ich mich da in Positur gesetzt!

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#2.3 Was Gott denkt

Als Kind fand ich es toll, dass Gott mich ständig beobachtete, aber ab der Pubertät fand ich das irgendwie indiskret. Alles hängt mit allem zusammen, das glaube ich immer noch, aber ob ich das jetzt Gott nenne, finde ich nicht so wichtig. Oder wohl doch! Sonst käme ich nicht dauernd auf dieses Thema zurück.

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#2.4 Frieden und Krieg

Als Silke und ich gegen drei zueinanderfanden, ließ sich immerhin über WhatsApp ermitteln, dass Rafał und der inzwischen ebenfalls eingetroffene Carsten in einem Café ‚gleich um die Ecke‘ saßen. Nachmittag im Café. Grauenhaft.

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#2.5 Kurt

Kurt(chen)s Wohnung in der Reichsstraße wurde nach Bauch und Entbindungsanstalt meine dritte Bleibe und die letzte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

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#2.6 Winterwanderer

Im Februar 1965, als ich selbstverständlich lieber zu meinen Eltern in den Schnee fuhr, statt meine Zeit mit Gleichaltrigen zu verplempern, war Kurt immer noch so lebendig, wie es seinem ‚hölzernen‘ Naturell entsprach. Das Haus war noch hölzerner als sein Eigentümer, alles feinste Zirbeltischlerei. Es gab ständig Marillenschnaps, und wir waren alle sehr lustig.

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#2.7 Glauben, denken, wissen

Zunächst hatte ich jetzt, im November 2017, für den Abschluss unseres Weihnachtsurlaubs an Kitzbühel gedacht, erinnerungsträchtiger geht es kaum. Aber als uns die ‚Tenne‘ dort nicht haben wollte, fiel mir gleich die ‚Post‘ in Kössen ein und wie glücklich die wohl wäre, mich nach 52 Jahren wieder begrüßen zu dürfen, und dann noch über Nacht.

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#2.8 In der ‚Postkutsche‘

Rafał und ich, wir setzten uns um halb sieben zu den Gästen ins Kaminzimmer und bekamen sogar den Tisch direkt vor dem Feuer: etwas heiß auf der Haut, aber angenehm für Auge und Gemüt.

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#2.9 Ausschnitte, Eindrücke

Um der Authentizität willen füge ich hier ein paar Szenen aus meinen Briefen an Harald ein: 1970 in der ‚Postkutsche‘.

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#2.10 Kur mit Anschlag

Nach so viel Text werden der Betrachter und sein weiblicher Widerpart heilfroh sein, wieder mal ein Stück Film sehen zu dürfen, natürlich erst nach einer langen Einleitung. Immerhin lasse ich die Jahre 1971 bis 1973 weg und komme gleich auf Weihnachten 1974: Da bekam ich von meinen Eltern eine Super-8-Kamera, und es war noch nicht gleich klar, was sie auslösen würde, in mir und überhaupt.

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#2.11 Im mächtigen Schatten des Gipfels

Nach Jahren intensiven Beisammenseins in Kitzbühel, Hamburg und Meran schlief die Bekanntschaft zu Rumpoldt und Dora allmählich ein. 1988 trafen Irene und ich ihn nochmal im Sommer. Das war’s.

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#2.12 Der letzte Ausflug

Am nächsten Morgen war Carsten weg und mein Schmerz auch. Carsten hatte geschäftlich in Linz zu tun, für meinen Schmerz gab es eigentlich keinen Grund, sich zu verflüchtigen, aber ich nahm es dankbar als Gottesgeschenk und fand mich damit ab, dass außerdem die Sonne weg war.

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Teil 3 - Abfahrten, sturzgefährdet

Nie habe ich Hunger, nie habe ich Durst, nie schwitze ich. Bin ich ein Alien? Ich mag kein schönes Obst, keine kleinen Kinder und keine frische Luft. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich sportlich zu betätigen, und anderen dabei zugucken, wie sie sich abrackern, das mag ich nun schon gar nicht. So ist die Ausgangslage. Abscheulich! Verachtenswert! Das darf nicht herauskommen. Deshalb muss ein Programm her!

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#3.1 Vom Freak zum Idol

Nie habe ich Hunger, nie habe ich Durst, nie schwitze ich. Bin ich ein Alien? Ich mag kein schönes Obst, keine kleinen Kinder und keine frische Luft. Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, mich sportlich zu betätigen, und anderen dabei zugucken, wie sie sich abrackern, das mag ich nun schon gar nicht. So ist die Ausgangslage.

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#3.2 Bissfest

Jetzt saß Rafał am Steuer; zehn Minuten, nachdem wir losgefahren waren, kamen wir an eine Schlucht, schneelos. Jenseits der Felsen wurde das Land immer flacher. Eintöniger Nebel, die Orte wie abgefedert, die Felder und Wälder auch. Landschaft, stoßfest für den Versand vorbereitet. Langeweile auf Reisen geschickt, reicht das?

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#3.3 Bildung gegen Missbildung

Dann kommt Rafał, und er hat in seinen drei Stunden Interessanteres erlebt, als ich mir in meinen dreien erdacht habe. Unser Mercedes steht gut im Parkhaus; zu Scheeles nehmen wir eine Taxe. Sie, Zülal, ist Türkin und findet alles schrecklich, was sich jetzt in der Türkei abspielt.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.4 München 1981: Ganz am Anfang

Nachdem Rafał genug gesehen hatte, war noch Zeit für ein Heißgetränk (ich nahm was Kaltes), bevor wir in eine Taxe stiegen. Sie brachte uns zum ‚Spaten-Bräu‘ gegenüber der Oper. Früher wäre ich das ganz selbstverständlich zu Fuß gegangen. Jetzt nicht mehr.

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#3.5 München 1981: Ganz am Ende

Am nächsten Morgen rief ich ganz schüchtern bei Dorothee an. Sie war sehr lieb und sympathisch ruhig. Der Maestro war noch bis sechs Uhr früh geblieben, und sie mit, aber wohl zum Schluss recht maulig, wie Geerd Westrum später bezeugte. Fünf Taxen hatte sie wieder wegschicken müssen, weil Lennielein im letzten Augenblick doch immer noch hatte bleiben wollen.

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#3.6 München 1991: Von Anfang an

Der Ausschnitt, den ich aus dem zehn Jahre späteren Brief rausgesucht habe, ist ‚München, sehr ausführlich‘, ohne irgendeinem Reiseführer Konkurrenz zu machen. Dr. Rüdiger Nolte war damals unser PR-Manager, später dann der Direktor der Freiburger Musikhochschule. Das wussten wir damals zwar noch nicht, aber hier wie auch für den folgenden Briefausschnitt gilt: Wer vorher neugieriger ist, ist hinterher klüger.

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#3.7 München 1991: So geht es weiter

Die Luitpold-Villa ist eines dieser ockerfarbenen, südländisch anmutenden Gebäude, Ende des neunzehnten Jahrhunderts errichtet, mit seiner über eine Handvoll Stufen zu erreichenden, gedehnten Terrasse linker Hand, säulengesäumt, baumbeschattet.

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#3.8 München 1991: Bis zum ersehnten Ende

‚Zusammen mit meinem Schlüssel übergab mir der Portier eine Nachricht, und die lautete: ‚Wo steckst du denn? Doris.‘

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#3.9 München 2001: Am Stück

Wieder zehn Jahre weiter. Roland ist tot, Guntram vegetiert im Altersheim, zuhause ging es nicht mehr. Irene lebt mit mir im ‚Kutscherhäuschen‘: sie unten, ich oben. Aber irgendwann müssen wir – nun zu zweit – auch mal wieder nach Meran.

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#3.10 Bei voller Fahrt im Wartesaal

Silke, Rafał und ich sollten es, sechzehn Jahre danach, besser haben. Wir saßen im oberen Stockwerk des ‚Spaten-Hauses‘ eher ‚gehoben‘, also mit vornehmerer Speisekarte und Blick auf die Operntreppe. Alles etwas teurer. Ach ja, um Geld ausgeben zu können, muss man zunächst welches haben, und um es vermehren zu können erst recht.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.11 Leisetreter und Lautsprecher

Der letzte Tag, an dem wir von Anfang bis Ende ‚unterwegs‘ sein würden. Ich versuche, das Zurücklegen von Strecke genauso zu genießen wie das Abbummeln ereignisloser Tage: das ‚Verweilen‘. Genießen Nonnen ihre Keuschheit und Flagellanten ihre Hiebe? Vermutlich.

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Winterreise (mit Sommern)

#3.12 Fasching in Fulda

Keine Frage, dass Rafał sehr andere Assoziationen mit Fulda verband als ich, und Silke gar keine, sie kannte es nicht. Ich will die Geduld meiner leidgeprüften Leseleute jetzt nicht überstrapazieren, indem ich seitenlang nicht nur von meinen Briefen, sondern auch von Wikipedia abschreibe, nur so viel:

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Haben Sie Freude an meiner Vergangenheitsbewältigung? Dann gefällt Ihnen womöglich auch, was mich in der Gegenwart beschäftigt. Zu der äußere ich mich sonntags. Am Sonntagabend stehen immer drei neue Beiträge von mir im Netz. Dieses literarische Kleeblatt kröne ich gern mit Aktuellem. Meinen Neubrief können Sie abonnieren. Er nennt sich: ‚Newsletter‘.


Hanno Rinke

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