Ich wusste, ich brauche das nicht, obwohl ich gern unterhaltsam bin. Aber je mehr Zuhörer ich habe, desto rascher langweile ich mich. Es macht mir nun mal große Freude, mich in jeden Lauscher einzeln hineinzuversetzen, aber anders als bei Bach, übersteigen bei mir mehr als sechs Kontrapunkte mein Auffassungsvermögen. Gruppentherapie ist deshalb der – zumindest für meine Ohren und Geschmacksnerven – unappetitliche Versuch, neben der eigenen Kotze auch das Erbrochene der anderen, die da zwischen Scham und Reue rumknirschen, gemeinsam mitwiederkäuen zu sollen, während die von ihrer Schuld Gebeutelten rund um einen rumsitzen und beim Absondern von Rotz beziehungsweise Tränen Hilfe voneinander erhoffen.
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Einzeltherapien sind lustiger: nur ein einziger Kontrapunkt. Da gelingt auch schon mal eine bachwürdige Fuge mit Engführung. Aber nee – brauchen tue ich das alles nicht; wusste ich schon immer. Sie forderten, sie drohten, sie bettelten. So ungern ich enttäusche, eigentlich … trotzdem sagte ich jedes Mal: „Nein!“ So ein stilles Wort ist ja eindrucksvoller als lange Erklärungen. Und wenn ich dann trotzdem, gottergeben, einem dieser Seelenexperten gegenübergesetzt wurde, stellte ich mir durchgehend Machart und Zweck seiner Unterhosen vor: Zu dem forschen Analytiker im taubenblauen Flanellanzug gehören erdbeerfarbene, sackfreie Jock Straps, klar, und beim verständnisinnigen halbindisch angehauchten Juteguru erkenne ich gleich Omas selbstgehäkelten Schlüpfer unterm Fairtrade-Stoff; die sexuellen Vorlieben beider Therapeuten sind entsprechend, selbst wenn sie mich nichts angehen. Naja, alles nicht der Schreibe wert, bis eines Tages der Teufel kam.
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Er verfuhr gleich so altmodisch mit mir, wie ich es liebe: In einen bequemen hohen Sessel aus der mittleren Sigmund-Freud-Periode setzte er selbst sich, mich hatte er auf einen angenehm unsachlichen Schnörkeldivan gebeten. Von dort aus hatte ich ihn nicht anonym, wie man es aus Comics kennt, hinter mir im Rücken, so dass ich abwechselnd ins Leere oder in mein Inneres hätte starren müssen: beides unerfreuliche Ausblicke. Nein, er saß mir zur Linken, und wenn mir danach sein sollte, konnte ich ihn betrachten, zumindest seitlich. Seine Kleidung sprach für Boxer Briefs. Anthrazitgrau?
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Er sagte nichts. Ich auch nicht. Wer nervös wird, der fängt immer an zu reden. Alter Trick von Brautvätern und Verhörspezialisten. Nicht mit mir. Ich kann stundenlang vor mich hin glotzen und an Gott oder Sex denken, ohne dass es mir langweilig wird. Natürlich vermag ich auch, wenn ich irgendetwas Unerhebliches gefragt werde, mit so viel vehementem Biss weltbewegend draufloszuplappern, dass nicht mal der Satan seine Zunge zwischen meine Zähne quetschen könnte.
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Schließlich sagte er: „Sie wissen nicht weiter, nicht?“
„Nein!“, sonst nichts. Das fand ich gut: ersparte mir Erklärungen, warum nicht vielleicht ‚doch‘.
„Ist Ihnen ja sowieso egal“, sagte er gespielt gleichgültig. Aber sein bohrender Blick verriet ihn.
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Dass ich die Fangfrage sofort durchschaute, nutzte nichts: Vielleicht bin ich schizophren, depressiv bin ich nicht. Ein Wortschwall, wie unerträglich, gnadenlos, hinreißend und überraschend das Leben sei, ließ sich nicht vermeiden. Wie übel mir das Leben mitgespielt und wie spontan es mich begeistert habe. Dieses Repertoire abspulen zu dürfen, macht mich immer etwas, das ich ‚glücklich‘ nenne.
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Der Teufel knöpfte behutsam seine Hose auf, holte gemächlich seinen Schwanz heraus, samt Sack, also im Grunde eine Spur aufdringlich, und dann sagte er nach einer Pause, aus deren halbknapper Länge nicht hervorging, ob er eine Reaktion erwartete: „Ich glaube Ihnen kein Wort.“
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Ich wollte souverän erscheinen. Klappte keine Sekunde. Ich war am Boden zerstört. Selbsthass, schiere Verzweiflung. Trotzdem wandte ich mich auf die linke Seite, ganz hin zu ihm, von meinem langen Divan zu seinem hohen Sessel, meine Hose ließ ich fest verschlossen und stammelte heiser: „Bitte verzeihen Sie mir, bitte! Ich verspreche Ihnen, ich kann es schaffen. Seriös werde ich sein, würdevoll. All meine Kraft werde ich zusammennehmen, und ich werde es hinkriegen: Nichts, gar nichts wird glaubwürdiger sein als meine Lügen.“
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Beim Blowjob am Tor zur Hölle… da frage ich mich allerdings ob man dem Teufel einen bläst um ihn gutmütig zu stimmen und gerade nochmal abzuwenden oder ob man damit sein Schicksal vollends besiegelt und seine Seele verkauft. Oder zählt das alles gar nicht, solange man nicht schluckt? Viele offene Fragen…
Der Ich-Schreiber schluckt wohl mehr an der Frage, wie wichtig das Leben ihm ist, und warum er sicher ist, dieser Frage ohne Lügen nicht auf den Grund zu kommen, als dass er meint, den infernalischen Therapeuten oder seine Opfern durch Blasevergnügen ablenken zu können. Und zur offenen Hose: Nacktheit bietet nicht nur Lust an, sondern auch Schutzlosigkeit, also Wahrheit. Aber Entschuldigung! Wer seine eigenen Worte interpretiert ist schlimmer, als wer seine eigenen Kinder frisst,
herzlich,
Uranus
Schwänze ungeniert ins Netz gestellt. So gefällt mir das. 😉
Na da sieht aber jemand den Inhalt vor lauter Schwänzen nicht. Ungeniert ist unser lieber Hanno (Entschuldigen Sie das ‚Du‘!) ja selten. Das gefällt mir dann natürlich auch wieder.
Mir ist das zuviel Fleischbeschau. Denkt hier jemand auch mal an den Jugendschutz? Hoffe, dass meine Tochter das nicht zu Gesicht bekommt.
Bitte nicht falsch verstehen, aber ein wenig zeitgemäße, intellektuell fordernde Aufklärung kann keinem Teenager schaden. 🙂
Also ich bitte! – erigierte Genitalien und erotische Phantasien zeugen nicht von intelligenter Aufklärung sondern plumper Pornografie.
Liebe Frau Ricks, Pornografie ist allerdings nicht das reine Zurschaustellen von Geschlechtsorganen sondern beinhaltet zudem die Absicht dem Betrachter sexuelle Lust zu bereiten. In sofern würde ich den Hanno Rinke Blog wohl eher nicht auf die gleiche Stufe wie Pornhub oder Xtube stellen 😉
Sehr geehrte Frau Ricks,
erotische Phantasien sind mir gar nicht aufgefallen, Ihnen offenbar ja. Ich habe beim Verfassen des Textes mehr an Gruppen- und Einzeltherapien gedacht. Aber der Leser hat immer recht, der Autor hat bloß geschrieben,
bedauernd,
Hanno Rinke
Der Leser hat natürlich immer recht, und zwar egal wie vielfältig die Interpretationen ausfallen. Da können Sie als Autor auch nichts dafür, Herr Rinke. Im allerschlimmsten Falle kann man auf einen anderen Blog ausweichen. Bedauern müssen Sie ihren Artikel sicherlich nicht.
Ach nun ja, wir wissen doch alle, dass Bilder (und dazu noch provokante) viel einfacher unsere Neugier wecken als lange Texte. Nehmen Sie’s gelassen Petra Ricks.
Da frage ich mich mal wieder wieviel man eigentlich lügen muss (seiner Umwelt, aber vor allem sich selbst gegenüber) um einigermaßen gesund durch’s Leben zu kommen. Und was genau ist denn genau die Aufgabe eines Psychiaters? Meine Lügen zu entschlüsseln und mich von ihnen zu befreien oder an der Glaubwürdigkeit meiner Lebenslügen zu feilen damit ich ein wenig besser mit mir und meinen Mitmenschen klarkomme?
Hilft der Psychiater nicht in aller erster Linie dabei sich selbst zu verstehen? Und sich zu akzeptieren wie man nun mal ist – damit haben wir doch eh alle die meisten Schwierigkeiten.
Ich finde hierzulande könnten viel mehr Menschen die Hilfe eines Psychotherapeuten in Anspruch nehmen. Bei jeder leichten Sommergrippe rennen wir ja schließlich auch zum Arzt. Wenn es aber um unsere Seele geht, kümmern wir uns erstmal gar nicht. Wirklich merkwürdig. Das ist eines der wenigen Gebiete, wo man sich etwas von den USA abgucken könnte.