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Nobel!

Auszug aus meiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises für Literatur

Liebe Königin Silvia,
lieber Carl XVI. Gustaf,
meine Damen und Herren,

dies ist ein Augenblick des Dankes, ein Augenblick der Ermutigung, also der Verpflichtung, aber auch ein Moment des Innehaltens: Besinnung und Rückbesinnung.

Es war mir immer ein Bedürfnis, mich in allen Situationen als den Ersten zu empfinden: als Vorreiter, Vorbeter, Vorturner. Als Entdecker, aber auch als Mahner – Odysseus und Kassandra zugleich und, zugegeben, auch ein bisschen als ‚ersten Diener‘ meines Staates, worin natürlich ein kräftiger Hauch von Hochmut liegt, zumal dann ja Ruhe bestimmt nicht meine ‚erste‘ Bürgerpflicht wäre. Doch ich wage zu behaupten, Kunst ist ohne Eitelkeit nicht möglich, und der Schriftsteller, der irgendwo zwischen Handwerker und Kopfwerker, zwischen Journalist und Dichter angesiedelt ist, sollte deshalb, anders als der preußische König es gemeint haben mag, erster Diener im zeitlichen Sinne sein, weil er der Erste sein sollte, der erkennt, dass ein neuer Dienst notwendig wird: Während die einen den Alltag bewältigen und die anderen das Erreichte feiern, hört der Diener schon das Läuten der Zukunft und öffnet die Tür.

Bild: gemeinfrei/Wikimedia Commons

 
Nicht immer gibt das Schicksal höflich seine Karte ab, so dass der Schriftsteller dem ungebetenen Gast sagen kann: „Bedaure, das Volk lässt sich entschuldigen.“ Womöglich steht dann auch mal ‚Adolf Hitler‘ auf der Visitenkarte, und da lässt sich das Volk dann überhaupt nicht mehr entschuldigen. Da wäre es wünschenswert, dass aus dem ersten Diener der erste Denker würde. Aber was kommt heraus bei diesem Denken? Es gibt keine Bewegung, vom Gottesgnadentum bis zur Anarchie, der nicht jeweils begeisterte Schriftsteller Tür und Tor geöffnet hätten. Der Schriftsteller darf sich nicht überwältigen lassen, der Dichter braucht die Überwältigung. Der Schriftsteller sollte, meinem Verständnis nach, objektiv bleiben, dem Dichter gesteht man schrankenlose Subjektivität zu. Es hat deshalb eine schöne Logik, dass es neben Nobelpreisen für Medizin, Chemie und Physik einen Nobelpreis für die ‚Natur‘-Wissenschaft Literatur gibt, aber keinen für die Bildende und die Klingende Kunst. Das verführt mich zu der spitzfindigen Frage: Ist Frieden zu stiften eine Wissenschaft oder eine Kunst?

Bild oben: gemeinfrei/Wikimedia Commons | Bild unten: Michael Rosskothen/Fotolia

 
Es ist eine hart erarbeitete Gnade, im Laufe seines Lebens bescheidener werden zu dürfen, und so sehe ich mich und den Schriftsteller allmählich nicht mehr als den Ersten, sondern als den Letzten: den Kapitän auf der ‚Titanic‘, der bis zum Schluss der Bordkapelle lauscht und immer noch hofft – zumindest etwas zu lernen, Tanzen vielleicht –, den Kurator, der den Untergang verwaltet und die Reste katalogisiert. Der Letzte, dessen letzte Pflicht es ist, die schlafenden Hunde zu wecken, und der deshalb als Erster gebissen wird. Der Dichter mag außerhalb stehen und seine eigene Wahrheit ersinnen. Der Journalist muss vor Ort dem Geschehen seine Wahrheit abringen. Der Schriftsteller sollte der Erste und der Letzte sein, und immer mittendrin.

Foto: Paramonov Alexander/shutterstock

17 Kommentare zu “Nobel!

  1. Wunderbar Herr Rinke! Ihre ungeschriebenen Bücher und Ihre daraus resultierende Dankesreden sind unterhaltsamer als manches fertiggestellte Buch. Vielleicht ist langsam der Zeitpunkt gekommen einmal tiefer in Ihren Lesesaal vorzudringen. Danke.

    1. Na na na, das Bücherschreiben einfach überspringen ist aber auch nicht die feine Art 😂 Oder gab’s den Preis für Ihren Blog? Hahaha! Bob Dylan hat’s ja letztes Jahr auch ohne Buch geschafft.

  2. Bei dem Thema fällt mir ein: dass Mr. President Donald Trump dieses Jahr tatsächlich für den Friedensnobelpreis nominiert wurde, muss doch ein auf den Mist eines wahnwitzigen Satirikers gewachsen sein, nicht?!

    1. „Vorschläge für den Friedensnobelpreis können neben den Mitgliedern des Komitees und früheren Preisträgern alle Mitglieder einer Regierung oder des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag sowie Professoren der Fachrichtungen Sozialwissenschaft, Geschichte, Philosophie, Recht und Theologie und die Leiter von Friedensforschungsinstituten und ähnlichen Organisationen einreichen.“ sagt Wikipedia.
      Gewählt wird dann von einem sechsköpfigen Komitee in Norwegen. Er wird ja wohl keine allzu großen Chancen haben. Immerhin.

    2. Wirklich gruselig, dass ein früherer Preisträger, Richter oder Professor ernsthaft an einen Mann glaubt, der Rechtsradikalismus, Hass und Gewalt schürt. Man kann nur hoffen, dass es bald zu einem Amtsenthebungsverfahren kommt.

  3. Der gute Nobel wollte ja, dass die Zinsen seiner Stiftung „als Preis denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“. Es geht also gar nicht ausschließlich um Naturwissenschaften. Da geht der Friedensnobelpreis schon in Ordnung.

  4. Die Unterscheidung zwischen Schriftsteller und „Dichter“ wird heute doch überhaupt nicht mehr gemacht. Oder habe ich da etwas verpasst? Vom „Dichter“ spricht man wirklich nur noch in historischem Kontext. Auch Verfasser von Gedichten sind heutzutage ganz einfach Autoren oder Schriftsteller. Der anspruchslose Schriftsteller von Boulevardstücken oder Kriminalromanen von früher war allerdings auch nicht objektiv. Objektivität kann man, wenn überhaupt, von Journalisten einfordern. Meine Meinung.

    1. Sie haben recht. „Der Dichter, der die gesamte Schaffensbreite von Lyrik über Kurzgeschichten und Erzählungen bis hin zum Schauspiel bzw. Theater beherrscht und damit Einfluss auf die Sprache und die Gesellschaft nimmt, wie es etwa in der klassischen Literatur um 1800 ausgeprägt war, ist eine Idealvorstellung, in der Wirklichkeit aber seltene Ausnahmeerscheinung.“, schreibt Wikipedia. Mein Beitrag ist, wie man an der unziemlichen Anrede merkt, wieder eine Art Glosse. Trotzdem haben wir doch vom Dichter noch so eine Vorstellung als Mischung aus ‚Sturm und Drang‘ und einsamem Poeten. Die Nobel-Juroren müssen Bob Dylen für einen Dichter halten. Ein Schriftsteller ist er jedenfalls nicht.

    2. Wie wahr, Dylan ist sicherlich ein Dichter. Ein großartiger sogar. Ob er deswegen den Literaturnobelpreis bekommen musste, darüber kann man sicherlich streiten.

    3. Man hatte allerdings ein wenig das Gefühl, dass er selbst nicht so richtig von dieser Auszeichnung überzeugt war. Oder sie war ihm schlichtweg egal. Sein Umgang damit war jedenfalls etwas enttäuschend.

    4. Ob er den Preis verdient hatte, darüber lässt sich wohl streiten. Jedenfalls macht er konsequent sein Ding. Und stösst dabei natürlich auch mal Leute vor den Kopf oder erfüllt bestimmte Erwartungen nicht. Ich finde, die Konsequenz macht ihn nur sympathisch.

  5. Kunst ist ohne Eitelkeit nicht möglich. Und am unbarmherzigsten im Urteil über fremde Kunstleistungen sind die Frauen mittelmäßiger Künstler. Sagte Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, von der ich leider so überhaupt nicht weiss, was sie sonst so gesagt hat.

    1. Ich liebe Marie von Ebner-Eschenbach. Ihre Novellen habe ich, als ich zwanzig war, verschlungen (wie Stefan Zweig). Sie hat so wahre Dinge gesagt wie: „Nenne dich nicht arm, wenn deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat.“ und „Der Gläubige, der nie gezweifelt hat, wird schwerlich einen Zweifler bekehren.“

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