Da bin ich wieder! Alles ist neu!
Fotos (2): Privatarchiv H. R.
Jedenfalls in der Aufmachung. Im Inhalt entspricht es meinem Alter, und da hat es sich ausgeschummelt. Kindliches Staunen war ja nie so meins, und deshalb nehme ich mir auch übel, wie verblüfft ich bin. Nein, von Reife zeugt es nicht, sich zu wundern. Schon gar nicht, wenn es sich um gar kein Wunder handelt. Jaja, stimmt schon: Immer war ich der Jüngste in der Klasse, der Jüngste unter meinen Freuden, der jüngste Prokurist in der Firma – Ewigkeiten her. Wann wurde ich plötzlich älter als die Nachrichtensprecher und die Leute auf der Straße? Gar nicht plötzlich, aber ich hüpfte auf meiner aufmüpfigen Jugendlichkeit herum wie auf einem Trampolin. Dann hatte ich das Glück, einen deftigen Schlaganfall zu bekommen und konnte ihm von da an sämtliche meiner Defizite in seine ausgelatschten Schuhe schieben.
Fotos (2) und Titelillustration (4): Privatarchiv H. R.
Jetzt bin ich siebzig geworden, und das ist einfach: alt. Von jetzt an brauche ich mich nicht mehr zu schämen, wenn ich sterbe, egal ob ich im Chausseegraben verrecke oder im Krankenhausbett das Zeitliche segne. Als Roland, mein Partner, 1991 starb, war mir das neben jahrelanger, trotziger Trauer auch schrecklich peinlich. In meinem Elternhaus habe ich gelernt, dass einem Schicksalsschläge nicht zu passieren haben, und wenn doch, geniert man sich eben. Meine Eltern waren nicht sehr gläubig, aber vielleicht gerade weil sie sich aus eigener Kraft bei völlig unterschiedlichen Bedrohungen über den zweiten Weltkrieg hinweggerettet hatten und anschließend sogar den Mut aufbrachten, mir diese schlimme Welt zuzumuten, gerade deshalb herrsche bei uns die Meinung: ein privates Unglück muss genauso sorgsam versteckt werden wie eine Laufmasche am Rocksaum oder ein Fleck am Krawattenrand. Zunächst mal blieb etwas unklar, was wirklich schlimmer war: mir die Welt zuzumuten oder mich der Welt. Zwar schrie ich fast immer, wenn ich nicht gerade schlief, was ich, wie die Kinderärztin meinen Eltern recht gab, viel zu selten tat; dennoch wäre meine Abtreibung weniger segensreich gewesen als bei Klara Plötzl und Ketewan Geladse, weil der Welt nach deren Abortus Hitler bzw. Stalin erspart geblieben wären, wobei man nie weiß, ob sich die Massen dann nicht vor anderen Schreckensidolen auf die Knie geworfen hätten.
Bundesarchiv Bild 146-1969-065-24, Münchener Abkommen, Ankunft Mussolini, CC BY-SA 3.0 DE
Jetzt bin ich also alt. Ich freue mich schon darauf, wenn ich nach dem leidigen Sterben mit meinem Totsein prahlen kann und all den feigen Gläubigen triumphierend zurufe: „Seht her, ihr Idioten, hier ist nichts. Findet andere Gründe, um euch das Leben zur Hölle zu machen!“ Euch gegenseitig und euch selbst, muss ich hinzufügen, um mein Weltbild zu vervollständigen.
Vorher will ich aber alles mitnehmen, was in den Regalen des Hierseins noch für mich übrig ist, bevor ich an die Kasse und zum Ausgang dränge.
Foto: Dean Drobot/Shutterstock
Im vorigen Jahr sind wir auf unserer Sommerreise bis Venedig gekommen. Dieses Mal will ich nach langer Zeit wieder tiefer in den Unterleib der Adria vordringen und anschließend den italienischen Stiefel von beiden Seiten begutachten. Silke und Rafał, meine willigen Helfer, haben dabei die Hauptlast zu tragen, ich trage mein Schicksal und dreißig Jahre alte Sakkos. Koffer schleppen wäre mir lieber. Naja, schon vor vierzig Jahren habe ich das möglichst Gepäckträger machen lassen und das Trinkgeld in der Jackentasche bereit gehalten.
Weil ich jetzt anfange zu schreiben, muss ich von vorn beginnen. Mit der Chronologie spielen, kann man erst vom Ende her. Aber da meine Parenthesen im Allgemeinen länger sind als meine Erzählungen, hoffe ich meine erwünschten Leser nicht mit allzu viel Reisebeschreibung zu langweilen. Ich finde mich zwar polyglott, aber ein „POLYGLOTT“-Bändchen bin ich beileibe nicht.
Bild: pathdoc/Shutterstock
Na, das ist ja nun ‚mal schön, auch, lieber Hanno, auf diesem Wege von Dir zu hören.
Ich wünsche Dir weiterhin viel Schreibe- und Mitteilungslust und weiterhin einen zauberhaften südlichen Sommer.
Liebste Grüße, Mariöle
Du warst im Blog mein erster Kommentator – das ist in diesem Durchgang meine letzte Antwort: die sonntägliche Krönung an Mariä Himmelfahrt, hier bei uns in Italien „Ferragosto“.
Lieber Herr Rinke,
wann immer ich von Ihnen lese, muss ich schmunzeln. Danke, dass Sie mir diesen trüben Tag und die Stimmung erhellt haben! Ich hoffe, dass das Wetter bei Ihnen deutlich besser ist & dass Sie mit Frau van der Velden & Rafa eine tolle Zeit verleben.
Liebe Grüße
Schreiben ist ja auch „logo“pädisch. Im phonetischen Bereich mühe ich mich, bis November ohneSie auszukommen.
Alles mitnehmen aus den Regalen, jawoll! Und schön, das du uns zeigst, was du mitnimmst… Hab einen schönen Sommer im Unterleib! 😎
Wieder zurück im Kopf, und immer noch Sommer …
Die Gegenwart nicht digital zum selfie zu machen, um damit „Freunde“ zu belästigen, sondern sie in Worten zu bannen, ist die etwas anspruchsvollere Art, Vergangenheit zu bewältigen.
Hallo Hanno,
das sieht sehr gut aus, liest sich gut und macht Spaß! (Nur Haare und Bart finde ich auf dem Portrait so dunkel – Du bist doch in jeder Hinsicht heller.)
Schön, dass meine Illustrationen auch dabei sind.
Viele Grüße von Heidi
Nun bin ich nach viel Sonne auch oben rum wieder hell. Entsprechende Bilder werden geliefert.
Hallo Hanno,
ich schließe mich Heidi an: Das Portrait hat mich irritiert; Bist Du das wirklich- oder hat Dich schon die Mafia im italienischen Unterleib etwas umoperiert???
Eine tolle Reise von Luxus-Hotel ui Luxus-Hotel, von denen Du hoffentlich auch bald berichtest, wünscht Euch dreien
Anette
Umoperiert bin ich an keiner Stelle. Nur manches ist geschrumpft, manches ist gewachsen: Lust, Leib, Gedächtnis ;- ; Frust, Bauch, Bart. Altern macht bloß Spaß bis dreißig.
bin gerade über diese webseite gestolpert. finde viele ihrer texte sehr interessant und bin gespannt auf mehr. ihre erzählungen deuten von einem erlebnisreichen leben. wohin werden ihre reisen uns noch tragen? e.k. hinzmann
Diese Frage beantworte ich ab heute wieder schneller. Hoffentlich zu Ihrer Zufriedenheit.
Guten Abend Herr Rinke, Glückwunsch zur Webseite. Ich finde Ihre Seiten sehr ansprechend. Texte, Illustrationen, eine ganz eigene Welt. Italien verzaubert auch mich von Jahr zu Jahr: der Energietank wird frisch aufgefüllt. In Abgrenzung zu meinen Vorrednern finde ich Ihre Portrait-Illustration sehr angemessen; sie strahlt Weisheit aus gepaart mit einem verschmitzten Lächeln. Weiß garnicht wie man bei einer schwarzen Strichzeichnung nach blonden Haaren rufen kann, so als wär man sein ganzes leben lang Jüngling vom Lande. Lassen wir uns beweglich bleiben, gar jugendlich in unseren Gedanken. Der Sommer tut gut – auch oder besonders im fortgeschrittenen Alter wie des unseren. Viele Grüße aus Neapel…
Zurück von überall her, auch aus Neapel. Ich hoffe, Sie lesen weiter mit nachdenklichem Spaß. Ich muss jetzt nach Worten buddeln.
Ich mag Ihre Texte sehr —
aber nur die, in denen Sie selbst (und nicht Tante Stine u.a.) verblümt oder unverblümt in Erscheinung treten:
Durch Wellen und Wolken an Witz leuchtet — schmerzlich — Ihre Trauer über das Vergehen des Erdenlebens…
Ich bleibe am Ball (falls einmal Kritik / Fehlerkorrektur gefragt sein sollte, springe ich gern ein).
Herzlich
D. Stein
Danke. Ich fühle mich ermutigt!
humorvoll , sarkastisch, feinfühlig, merveilleux.
hanno !
Merci pour les panégyriques!
Wir ham Rücken und Knie ham wa auch –
ach Hanno, hör doch auf !
Wie war das mit der Haltbarkeit,
zuerst zu jung und dann zu alt.
Schäm Dich, aufstehn, setzen, sechs,
trainier sonst Deinen Schluckreflex !
Deine Werke suchen sondergleichen,
wer will Dir denn das Wasser reichen ??
Hanno, sch….. auf den Normalo-Trend,
konzentrier Dich weiter auf Dein Talent !
Halbwegs anonym und in Anlehnung an Großstadtgeflüster
Treuergebend,
Ihre Athēnā Prómachos Patroiē
Danke, weise Jungfrau Ἀθηναίη!
Treu berichtend,
Ihr συγγραφέας
(syngraféas)
Einen blonden Jüngling erwarte ich bei dem Portrait-Photo zum Blog nicht – den sieht man doch häufig genug.
Der schwarze Strich erinnert mich vielmehr an die Optik von Charlie Hebdot.
Charlie gefällt mir. Einen raschen Tod wünscht sich doch jeder. Es muss ja nicht so bald sein.